Offener Brief an die weltweit kämpfenden TextilarbeiterInnen

Streik heißt die Devise!

Dieser Soli-Brief ging die letzten Tage an verschiedene NGOs, Gewerkschaften, Arbeiter_innenorganisationen, etc. Sicherlich haben wir nicht alle internationale Adressen gefunden. Daher die  Bitte, ihn in den verschiedenen Netzwerken weiterzugeben, zu veröffentlichen und zu diskutieren. Für die internationae Debatte ist eine Version in Englisch unten angehängt.

 

Offener Brief an die weltweit kämpfenden TextilarbeiterInnen

 

Liebe Arbeiterinnen und Arbeiter, liebe Angehörige, liebe Genoss_innen,

wir senden Euch herzliche und solidarische Grüße aus Deutschland.

 

Nicht erst seit Rana Plaza zum Symbol des Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken dieser Welt geworden ist, verfolgen wir Eure verschiedenen Arbeitskämpfe und Auseinandersetzungen in Pakistan, Bangladesch, Indien, Kambodscha, Sri Lanka und anderen Orten: Seit Jahren kämpft Ihr in euren Ländern für Entschädigungen, höhere Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Hier in Deutschland sind Eure Demonstrationen und Streiks fast unbemerkt geblieben. Allein die „Unglücke“ in Pakistan und Bangladesch haben ein breites Echo in den Medien hervorgerufen, Tageszeitungen, Radios und Fernsehen berichteten über Eure toten Kollegen und Kolleginnen, die Verletzten unter Euch und über Euch, die ihr Familienmitglieder und FreundInnen verloren habt.

Immer mehr deutsche Medien greifen auch die Hintergründe Eurer miserablen Arbeitsbedingungen auf und berichten von Euren Hungerlöhnen. Zudem wurde durch einige Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften der öffentliche Druck auf Politik und Wirtschaft erhöht. Und auch Kunden und Kundinnen, die die von Euch produzierten Waren kaufen, werden konfrontiert, wenn AktivistInnen vor Läden stehen und Flugblätter verteilen, um über Eure Arbeitsbedingungen und Löhne zu informieren. Andere Gruppen gehen einen anderen Weg: sie sind der Meinung, dass Sabotage und Sachschaden hilfreich sind, um die deutschen Mode- und Textilunternehmen unter Druck zu setzen. All diese Aktionen zusammen haben bisher lediglich dazu geführt, dass die deutsche Bundesregierung unter Führung des Entwicklungsministers Gerd Müller die Textilunternehmen mit einem Bündnis verpflichten will, freiwillig die Bedingungen in Euren Fabriken zu verbessern. Wir glauben aber nicht, dass die Unternehmen, die diesem Bündnis beigetreten sind, wie KiK, H&M, C&A tatsächlich an besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen für Euch interessiert sind. Für sie zählt, dass sie ihre Produkte mit einer möglichst hohen Gewinnspanne verkaufen können. Nach der Analyse vieler autonomer Gruppen in Deutschland lässt sich das auf Ausbeutung basierende kapitalistische System nicht reformieren. Wenn auch gleichzeitig die individuellen Bedingungen für einzelne von Euch erträglicher werden.

Es gibt keine einfachen und pauschalen Lösungen für die Abschaffung des kapitalistischen Weltmarktes oder die politische Ökonomie an sich. Der Bruch mit eben dieser kann jedoch angedeutet, die Normalität des Wahnsinns aufgebrochen werden. Eine Zukunft jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung kann nicht in der Theorie konzipiert werden, sondern muss sich aus konkreten Kämpfen und Bewegungen entwickeln. Im Land der Krisengewinner_innen können und wollen wir nicht auf (radikale) linke Massenbewegungen warten. Die glitzernde Fassade der Marktwirtschaft strahlt uns tagtäglich an jeder Ecke an. Lasst sie uns einreißen.“ (Autonome Gruppen)

Viele von Euch werden von den sogenannten Reformen durch das Textilbündnis in Deutschland nicht viel mitbekommen. Die Absprachen sind für die Unternehmen freiwillig und nicht verpflichtend. Wir setzen keine Hoffnung in dieses Textilbündnis – wir setzen auf die Abschaffung des Kapitalismus, eine befreite Gesellschaft, die „Bündnisse von unten“ ohne Ausbeutung und Unterdrückung schafft.

Direkte Aktion hat sich auf der ökonomischen Ebene als wirksam erwiesen“, schrieb die Anarchistin Emma Goldman bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Kämpfe in den Fabriken weltweit an der Tagesordnung waren. Direkte Aktionen, Angriffe auf die Unternehmensstrukturen sind die Antwort von vielen autonomen Gruppen. Schon in den 1980er Jahren hat die feministische militante Gruppe Rote Zora das deutsche Textilunternehmen Adler angegriffen, die in einer südkoreanischen Freihandelszone einen Streik der Textilarbeiterinnen von ihrer Tochterfirma Flair Fashion brutal niederschlagen ließ. 1987 explodierte ein Sprengsatz am Hauptsitz der Firma und es wurden Brandsätze in zahlreichen Filialen in ganz Westdeutschland gelegt. Der (Image-)Schaden für Adler war enorm. Der Adler-Firmenchef stellte alle entlassenen Frauen wieder ein und erfüllte zumindest einen Teil ihrer Forderungen. „Internationale Solidarität kann also nicht nur praktisch werden, sondern auch erfolgreich sein! Unsere Kämpfe müssen so global sein wie das Kapital. Aufklärung, konkrete Sabotage und Imagebeschädigungen können helfen, Verbesserungen zu erkämpfen.“ (autonome Gruppen kik them out)

 

Im Rahmen der Proteste gegen das Gipfeltreffen G8 der acht mächtigsten Regierungen der Welt in Heiligendamm 2007 wurde zur Solidarität mit den Näherinnen in Bangladesch aufgerufen, die unter unmenschlichen Bedingungen Waren für Tchibo produzieren mussten. Als Resultat wurden zwischen 2005 und 2007 bei mehreren Tchibo-Filialen die Scheiben eingeworfen und das Auto des Tchibo-Vorstands Thomas Vollmoeller angezündet.

 

Seit 2013 fanden unterschiedliche Direkte Aktionen der Solidarität statt, die sich zunächst auf die verschiedenen aktuellen Arbeitskämpfe um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingen bezogen. „Wir solidarisieren uns mit den Überlebenden und den Angehörigen, mit allen Näher_innen in ihrem Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.“ (autonome Gruppen kik them out) Auch das Bündnis Blockupy (ein Zusammenschluss linker Gruppen und Parteien) hatte 2013 zu solidarischen Aktionen mobilisiert. Nach Rana Plaza und Ali Enterprize bezogen sich die solidarischen Aktionen dann auch auf Eure Forderungen nach Entschädigung für die Verletzten und Hinterbliebenen.

 

"Wir denken, es wird entscheidend vom Druck abhängen, den wir hier auf die Firmen ausüben, ob die Kampagne der Betroffenen für Entschädigung und eine grundlegende Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erfolgreich sein wird." Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 2014 von der Gruppe "Destroika! autonome gruppen für globale solidarität". Die Gruppe rief in ihrem Bekennerschreiben dazu auf, im Vorfeld der Eröffnung des neues Gebäudes der Europäischen Zentralbank in Frankfurt (18.03.2015) Eure Kämpfe "in die europäischen Städte zu tragen und die beteiligten Firmen direkt und militant anzugehen". Als Hauptziel wurde das deutsche Textilunternehmen KiK vorgeschlagen, das fast in jeder deutschen Kleinstadt und in allen Großstädten Filialen betreibt. Diesem Aufruf folgten viele Gruppen in unterschiedlichen deutschen Städten und es gab eine Menge eingeworfene Schaufensterscheiben, Flugblätter und anderer Aktionen vor deutschen Textilunternehmen.

 

Wir schreiben diesen Brief, um Euch direkt von diesen Soli-Aktionen zu berichten, denn die Medien greifen Sabotage ungern auf, und auch der Rest der Öffentlichkeit – zumindest in Deutschland – ignoriert diese Direkte Aktionen, warum wissen wir auch nicht so genau. Wir wollen dieses öffentliche Schweigen durchbrechen und haben viele Aktionen aufgelistet und einige Zitate in diesen offenen Brief eingearbeitet. Leider schaffen wir es nicht, die Schreiben alle zu übersetzen (einige sind in Englisch verfasst), daher haben wir ein paar Zitate herausgehoben. Wir listen am Ende des Briefes die uns bekannten und immer noch weitergehenden Aktionen auf und haben dazu zusammengefasst, was bisher passiert ist.

 

Bisher wurden die solidarischen Aktionen über die deutsche Internetseite https://linksunten.indymedia.org und in linksradikalen Zeitungen verbreitet. Wir veröffentlichen diesen offenen Brief in verschiedenen Sprachen und auf unterschiedlichen Internetseiten, schicken ihn an NGOs, AnwältInnen, Gewerkschaften, Medien. So hoffen wir, dass die solidarischen Aktionen auch bei Euch wahrgenommen werden. Wenn Ihr Lust habt uns Eure Eindrücke und Meinungen zu schreiben oder einfach in Kontakt zu kommen, dann postet doch bei linksunten.indymedia.org (gern auch in Englisch). Ein direkter Austausch über eine Emailadresse ist leider nicht möglich, da die deutschen Behörden gerne die verschiedenen autonomen Gruppen mit Strafverfahren überziehen würden.

 

Autonome Gruppen

Solidarische Aktionen 2013

 

  • Hamburg, 27.01.2013 Fensterscheiben eingeschlagen in einer Einkaufsstraße bei C&A, H&M; Zara, Tom Taylor und Promod, https://linksunten.indymedia.org/en/node/77279

  • Frankfurt, 31.05.2013 Sitzblockade vor dem Einkaufszentrum MyZeil (im Rahmen der Blockupy-Aktionstage) Aufruf: http://blockupy.org/31-mai/zeil/

  • Berlin, 05.06.2013, KiK im Wedding mit Steinen entglast "autonome gruppen" link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/88161

  • Fürstenwalde, 08.09.2013 Tedi-Markt und KiK-Filiale brennen lichterloh

  • Bochum, 11.10.2013 Scheiben einer KiK Filiale zerstört. "think global - act local" link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/97075

  • Karlsruhe, 30.11.2013 Protestaktion (die-in) vor Primark link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/100537

 

2014

  • München, 24.06.14: Parolen gesprüht "An KiK klebt Blut" und "Ausbeutung bekämpfen", Kleidung mit roter Farbe aufgehängt, Straße blutrot eingefärbt link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/117395

  • Berlin, 28.07.2014: zwei KiK Filialen in Lichtenberg und Reinickendorf mit Steinen und Farbe angegriffen "Destroika/autonome Gruppen für globale Solidarität" link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/119485

 

2015

  • Berlin, 02.03.2015: zwei KiK Filialen in Schöneberg und Friedrichshain: Scheiben durch Steine und Farbe kaputt "kollegiale autonome gruppen" link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/136254

  • München, 03.03.2015: Farbflaschen zerstören die Scheiben einer Kik-Filiale, link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/136397

  • Hamburg, 03.03.2015: Farbflaschen und Steine zerstören Kik-Schaufenster link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/136398

  • Köln 04.03.2015: Kik entglast und mit Farbe beschmiert von "Destroika Beastie Girlz" link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/136580

  • Wuppertal, 06.03.2015: Scheiben einer KiK Filiale mit Steinen und Farbe zerstört, Parolen gesprüht: "No Kik" "No Primark" link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/137102

  • Leipzig, 09.03.2015, Kik in Leipzig-Lindenau angegriffen link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/137189

  • Wuppertal, 26.04.2015: (2. Jahrestag des Rana Plaza Einsturz) Schoppen-Stoppen Aktionstag: in der Innenstadt gab es eine Demo und Kundgebung gegen die geplante Eröffnung eines Primarks und eine kurzfristige Blockade des Eingangs von C&A, link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/141488

  • Bremen, 25 und 26.05.2015,: Zero und Kik Filialen mit Steinen und Farbe Scheiben kaputt gemacht "autonome gruppen" link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/144652

  • Berlin, 26.05.2015: Kik Schaufenster und Eingangstür beschädigt link: https://linksunten.indymedia.org/en/node/144431

  • Berlin, 07.06.2015: KiK Filiale in Friedrichtsfelde mit Steinen und Farbflaschen entglast (autonome Gruppen kik them out und autonome gruppen/Gruppe Shila Begum) link: https://linksunten.indymedia.org/de/node/145560 & https://linksunten.indymedia.org/en/node/136398

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Für Übersetzungen gibts hier bei Linksunten eine tolle Funktion um diese als eigenen Artikel zu posten der automatisch verknüpft wird. Die Englische Übersetzung ist hier zu finden, außerdem stehen vorhandene Übersetzungen immer unter dem Artikel und links oben im Kasten.