Büro für ungewöhnliche Maßnahmen

Handzettel zur B-750 Parade / Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, Berlin

Mit Kunst kann man viel erreichen. Kunst bewegt, Kunst verstört, fasziniert und Kunst verbindet. Sie öffnet uns die Augen für Dinge, die wir bislang nicht wahrgenommen haben oder nicht wahrnehmen wollten. Sie vermag uns Zusammenhänge zu erläutern, die wir vorher nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollten.

 

Kunst ist ein probates Mittel der politischen Öffentlichkeitsarbeit.

Leider reduzierte sich diese Aktionsform im öffentlichen Raum in den letzten Jahren auf ein Minimum.

Die Paradeorganisation hierfür, das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ (BfM) geriet in Vergessenheit.

Erinnern wir uns also an eine Künstlergruppe, die in den siebziger bis neunziger Jahren allgemeines Aufsehen erregte.

 

Der Grafiker, Publizist und Theaterwissenschaftler Kurt Jotter und die Politik- und Kunstwissenschaftlerin Barbara Petersen gründeten im Jahr 1977 in Kreuzberg die Künstlergruppe „Foto, Design, Öffentlichkeitsarbeit“ (FDGÖ).

Die beiden Hauptakteure, die sich im Rahmen der in den 70er-Jahren populären K-Gruppen kennengelernt hatten, spielten mit diesem Namen auf die damals viel zitierte „freiheitlich demokratische Grundordnung“ (FDGO) an. Ziel der Gruppe war es, für mehr Witz und Kreativität in meist ernsthaften, humorlosen linken Themen zu sorgen und somit politische Inhalte an die Öffentlichkeit zu tragen. Gemäß dem Motto: „Verfremdet die Medien, Ämter und Behörden! Montiert euch eure Hampelmänner selbst! Lasst die Puppen tanzen!“

Die FDGÖ ordnete sich selbst der Kommunikations- und Spaßguerilla zu. Sie arbeitete mit Mitteln des Theaters, der Performance und Installation.


In dem sie Plakate, Fotomontagen, Postkarten, Sticker, Objekte und Transparente, bis hin zu Wahlkampfslogans für linke Auftraggeber entwickelte und umsetzte, stellte die Gruppe eine Art Werbeagentur da. Zu ihren Hauptabnehmern zählte beispielsweise auch die Alternative Liste, aus deren Zusammenschluss mit Bündnis 90, 1993 die Grünen hervorgingen. Durch den Verkauf der Hergestellten Produkte gelang einen Finanzierung der Aktionsgruppe, die hauptsächlich aus Designern, Künstlern und Autodidakten bestand. Daraus konnten wiederum Arbeiten für Initiativen mit geringfügigem Budget bezahlt werden.


1987 ging aus dieser Form der Politkunst das eigentliche Büro für ungewöhnliche Maßnahmen hervor. Es unterschied sich jedoch in seiner Konzeption von der FDGÖ. Das Büro verzichtete weitestgehend auf konventionelle Öffentlichkeitsarbeit und wandte sich der Aktionskunst zu. Vermehrt setzten die Mitglieder auf Formen des unsichtbaren Theaters, der Video-Theater-Installation oder Medien-Skulpturen. Bei Ersterem ging es darum szenische Darstellungen im öffentlichen Raum darzustellen, ohne dass Passanten, sie als solche erkannten. Die Kunst bestand darin, die Situation mit politischem Inhalt möglichst real darzustellen.

Die Handlungen des Kollektives waren hierbei keineswegs unikate Einzelaktionen, sondern sollten Kopiervorlage für andere Gruppierungen sein, sodass sich durch Innovation und Umgestaltung eine „phantasievolle Militanz“ durchsetzten sollte.

Das Büro finanzierte sich in erster Linie durch Spenden sowie dem Etat für freie Theatergruppen des berliner Senates.


Die wohl populärste Aktion fand im September 1988 zum Jahrestag des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank statt. Sie bestand aus einer dreitägigen Trommel- und Lichtsession auf dem Breitscheidplatz, die zwar verboten, jedoch aufgrund der zahlreichen Teilnehmer dennoch durchgeführt wurde.

Bei der Aktion „Bürger klatschen Banker“ kam es hinsichtlich des irritierenden Charakters wiederholt zu polizeilichen Aktivitäten gegen Applaudierende.

Einen Monat später wurde dem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen der auf zweitausend Mark dotierte Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft verliehen.

Ebenfalls für Aufsehen sorgte die Gruppe um Jotter und Petersen mit ihrer „B 750-Parade“ anlässlich der 750-Jahrfeier Berlins, zu der 3000 bis 5000 Teilnhemer sowie 30000 Zuschauer erschienen waren. Unter anderem kamen ein übergroßer Berliner Bär mitsamt einem Konfettiregen aus rosa Volkszählungsbögen zum Einsatz.


Im Juni 1989 brachte das Büro eine Gedenktafel für die vom Reichskriegsgericht zum Tode Verurteilten am Kammergericht in der Witzlebenstraße an.

Der Kammerrichter Egbert Weiß ließ die Tafel noch am selben Tag entfernen, woraufhin das BfM Strafanzeige wegen Sachbeschädigung gegen ihn stellte. Diese wurde nun im Laufe der Zeit immer wieder fallengelassen und auf Beschwerde hin erneut aufgenommen und

1990 schließlich endgültig ad acta gelegt. Weiß habe nicht gewusst, dass es sich bei der Tafel um fremdes Eigentum handle.


Weiterhin feierte man zum Beispiel am 3. Oktober 1990 den „Tag der deutschen Gemeinheit“.

Unter der Devise „Ab 0:33 wird zurückgefeiert“ veranstaltete die Künstlergruppe gemeinsam mit Kollektiven aus der DDR Gegenfeierlichkeiten hinsichtlich des Tages der deutschen Einheit. Auf dem Kollwitzplatz traten daher beispielsweise Rio Reiser und Der wahr Heino auf. Etwa 10000 Menschen wohnten anschließend der Proklamation der Freien Republik Utopia bei.

Es hieß: „Wir sind unabhängig von Staaten und Staatsbürgerschaften, unabhängig von der Politik der Parlamente und Parteien“.


Auch bei dem Versuch der Rettung des Lenin-Denkmals 1991 in Friedrichshain war das Büro zugegen. Mittels einer Hebebühne hängte man dem steinernen Politiker aus ukrainischem Granit eine Schärpe mit der Aufschrift „Keine Gewalt!“ um den Hals – ein Slogan der Montagsdemonstrationen.

Ferner unterstütze das ungewöhnliche Büro Asylbewerberinitiativen, organisierte Kunstausstellungen und veranstaltete Stadtteil- sowie Frauenfeste.


Ab Mitte der 90er-Jahre wurde es stiller um das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen und die kollektive Arbeit erlahmte.

Die Arbeit des Büros liegt […] zur Zeit auf Eis“, hieß es im Jahr 2000.

Allein Kurt Jotter agiert bis heute als Politkünstler.

Zwar gibt es einige Nachahmer, wie zum Beispiel in Hamburg oder Freiburg, jedoch existiert hier keine starke Synthese zwischen Kunst und Politik, wie es beim Original der Fall war.

Diese kreative, originelle Künstlergruppe darf nicht in Vergessenheit geraten, hat sie doch gezeigt, dass es sehr wohl einen Zusammenhang zwischen Humor und ernstzunehmenden Themen gibt. Denn wie sonst sind diese Sachverhalte zu verstehen, zu ertragen, wenn nicht mit Witz und Fantasie?

 

Malina Bura

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also cooler historischer abriss

titel etwas verwirrend

 

ich denke einige thesen zum thema "mit kunst kann man viel erreichen" sind etwas umstritten, da der kunstbegriff nicht definiert wird. ich denke hier ist auch die antwort auf die frage "wieso gibts sowas nicht mehr so oft" zu finden.

 

zur kritik des kunstbegriffs könnte man sicherlich bände finden, ich persönlich empfehle als einstieg die kritik der genoss_innen der SI:

http://www.copyriot.com/sinistra/reading/theorie/spektakel.pdf

http://audioarchiv.blogsport.de/2011/02/22/die-situationisten-und-die-aufhebung-der-kunst/

 

in diesem zusammenhang könnte ich auch die Dadaisten (deren inhaltlichen Ausgangspunkte, nicht was die Kulturindustrie danach daraus gemacht hat) und die Publikationen & Aktionen des Henry Flynt nennen.

 

in conclusion: ich würde erstmal definieren was du unter kunst verstehst, denn ich glaube jedes bedürfnis was in die richtung zu machen wird hier schon aus verzweifelung an den Integrationsmechanismen der modernen Kulturindustrie von Ohnmacht erstickt und zu einem tieferen verständnis gesellschaftlicher zusammenhänge führen.

Wie  kommst du eigentlich dazu, dass "Büro" mit der neuen "SI" zu vergleichen? Deine Quelle ist eine alte PDF - Datei und eine faktisch leere gerade erst gebastelte Homepage. aha.

 

Das "Büro" wurde in dem sehr guten historischen Abriss beschrienen, danke.

 

Die neue "SI" ist eine Art Vorfeldorganisation von Stephan Grigats bahamasnaher Gruppe "Stop the bomb". Wer jemals auf einer Veranstaltung mit Grigat zur "SI" war, weiss das, Dort vereinnahmt man 15 Minuten die Geschichte der "SI", um dann zum eigentlichen Thema "Stop the bomb" und der Krieg gegen den Iran zu kommen (wurde mehrfach auf Indymedia kritisiert).

 

Dass Grigat und Co die "SI" vereinnahmen ein historischer Witz (es reicht schon Wiki, um die Unterschiede zu erkennen), dass du aber jetzt das auch der Linksradikalen immer nahestehende "Büro" in den grigatschen antideutschen Dunst stellen willst, eine Unverschämtheit.

 

Weitere Infos zum "Büro" in Archiven der Sozialen Bewegung, in Berlin z.B. "Papiertiger" (PC gab es ja garnicht bis fragmentär). Auch dort wird man mehr als eine alte Datei und eine leere Homepage finden, die deine Behauptungen widerlegen.

 

Danke nochmal für den schönen, authentischen Eingangsartikel.