Der NSA-Skandal - Ursachen und Folgen

waihopai spy base

Es ist eine Szenerie wie aus dem Psychologiebuch: Der dumme Junge, der dem Kindergeburtstag den Schokoladenpudding weggefressen hat, behauptet er hätte nur darauf aufgepasst dass ihn keiner runter wirft. Es müssten doch alle mitbekommen haben dass der Wegschmeißer umgeht und immerhin ist die Schüssel noch ganz. Außerdem sei der Pudding sowieso verdorben gewesen und jetzt niemand mehr gefährdet. Seine Spuren an Körper und Kleidung hätten nichts zu bedeuten, denn er habe in der Schüssel ein Haar des Kochs gefunden, wenigstens sei es gerade noch dagewesen. Der Pudding wäre ohnehin nicht wie erwartet ausgeteilt worden sobald sich alle Kinder fertig ausgetobt haben, er habe den leeren Platz im Gefrierfach genau gesehen. Wenn jetzt nicht endlich Schluss sei mit den Vorwürfen dann mache er die Schüssel kaputt. Aber er lasse auch mit sich reden um neuen zu machen...

 

Die Widersprüchlichkeit der Täterreaktionen auf die Enthüllung des offenbar umfangreichsten Datenraubs der datierten Geschichte spricht derart für sich selbst, dass es keine Frage mehr ist ob der Tatbestand ernstliche Konsequenzen haben muss sondern nur noch welcher Art diese sein werden. Unstrittig ist sicherlich die unmittelbare Einsicht welche im Denken aller Beobachter stattfindet, die über dem Kindersoldatenniveau der Täter stehen: Die Vorstellung einen hinreichend groß angelegten Betrug dauerhaft verleugnen zu können ist der Rohstoff aus dem die Motive derartiger Taten produziert werden. Eine solche Ressource ist lediglich dort aufzufinden, wo sich eine Erwartungshaltung durchgesetzt hat dass die Gesamttat auch beinhalten wird dass es niemals mehr zu einer Rechtfertigungsnotwendigkeit kommen kann.

Jenseits des Süßspeisen-Sprachbilds handelt es sich damit um eine größte anzunehmende Todsünde: Erst als Vorbereitung weitaus schlimmerer Verwüstungen, in deren Rahmen auch eine Totalamnesie der Spezies enthalten ist, findet der Datenraub plausible Motive, dass er irgendwann gütlich endet ist hingegen selbst den Tätern unvorstellbar. Jetzt wo im Rahmen der aktuellen Zersetzungserscheinungen das Unvorstellbare doch einzutreten beginnt, reagieren diese daher mit den hier nachgezeichneten infantilen Verhaltensmustern welche mit der Abtragung ihres ideologischen Überbaus zum Vorschein kommen.

Ikonisch versinnbildlicht wird das schon in der Architektur des NSA: Suggeriert bereits der auf einem Parkplatz an der Ostküste freistehende Brutkasten, es ginge darum sich damit irgendwann selbst in die Luft zu sprengen, so erscheint das neue Datenzentrum in der südlichen Salzwüste wie geschaffen dafür eines Tages mit einem "freundlichen EMP" (like in friendly fire not in friendly people) das ausgelagerte Täterwissen zu beseitigen. Geradezu niedlich präsentieren sich dagegen die Totalitarismen aus der Ära der Schreibmaschinen und Reißwölfe. Vielleicht ist es die erste Ursache des präsidialen Infantilismus, dass das offizielle Schreckensszenario, das Äquivalent des digitalen Raums zum Angriff auf die Handelstürme, in einer gänzlich unblutigen Form eingetreten ist – ohne brutale Widerspiegelungstaktik wie die Zerstörung von Geschäftshäusern als gleichnishafte Antwort auf die Zerstörung von Währungen, sondern durch förmliche Abmeldung der Systemverwaltung.

Wie alle industriell organisierten Großverbrechen der Geschichte greift auch dieses auf Techniker zurück, von denen sich jetzt eben derjenige abgesetzt hat der in der Pflege der digitalen Hierarchien die zentrale Rolle spielte. Das Resultat ist die volle Wucht des Überraschungseffekts ohne die Komponente der Brutalität – auch wenn die wenigen Tausend Toten der Handelstürme aus heutiger Sicht lediglich einen Bruchteil der stillen Bilanz der Reaktorunfälle ausmachen, und selbst für die damalige Zeit keine im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohe Zahl darstellen – der digitale Totalalarm kam ganz ohne diese Komponente aus. Anstelle eines stellvertretenden Gemetzels muss es eine Lektion an die Öffentlichkeit gegeben haben, welche den Verwalter des Systems zum Lachen über sich selbst brachte.

Sicherlich ist es kein bedeutungsloses Zusammentreffen dass der NSA-Skandal aufflog nachdem die Serie der Robotermorde mit einer besonders widerwärtigen Schlussnote in Pakistan zu Ende gegangen zu sein scheint. (Und schlimmstenfalls wird versucht werden diese Erwägung als Vorwand für ihre Wiederaufnahme zu missbrauchen.) Wahrscheinlich hat der junge Mann hierzu nichts beigetragen, aber ebenso wahrscheinlich motiviert sich seine Entscheidung jetzt den Datenraub zu enthüllen aus denselben Umständen welche auch ersteres herbeigeführt haben. Wie im Fall Manning handelt es sich um älteres Material aus dem sich aktuelle Vorgänge lediglich erschließen lassen. Es sieht so aus, als ob das Regime in Washington ohne fremde Hilfe nicht dazu in der Lage sein könnte einen klaren Schnitt gegen seine eigenen polizeistaatlichen Verirrungen zu setzen, gleichzeitig aber auch nicht umhinkommt sich einem steigenden äußeren Druck in der Frage der Menschenrechte ausgesetzt zu sehen.

Schließlich sind gerade bei der Internetausspähung oftmals Fremde mit betroffen welche die nordamerikanische Infrastruktur nutzen, und sei es auch lediglich weil ihre Vertragspartner das tun. Eine Abwanderungstendenz an Serverstandorte ohne Totalitarismuszwang würde nicht bloß Ausländer ansprechen die sich am naheliegendsten Angebot orientieren, sondern auch die teilweise in klarer Opposition gegen ein solches System befindlichen einheimischen Bereitsteller der Internetdienste selbst. Daher die unverhohlene Begeisterung die das Ereignis fast überall auf der Welt hervorruft. Auch hier lehrt der Blick auf den analogen Großalarm ein Dutzend Jahre zuvor eine maßgebliche Unterscheidung: Hätte Al Qaeda den Bespitzelungsapparat angegriffen, wäre dabei auch der angesammelte Datenbestand vernichtet worden. Also wurden stellvertretend andere Gebäude mit vergleichbaren Eigenschaften ausgewählt. Auch die Handelstürme waren mit demselben blutgetränkten Tunnelblick errichtet worden der für den Bespitzelungsapparat charakteristisch ist: Immer höher wurden die Lügen aufeinandergetürmt, bis niemand mehr daran dachte wie die Gebilde nach Erfüllung ihres Verwendungszwecks wieder sicher abgebaut werden könnten, wie der Dissident Ted Rall einmal treffend bemerkte.

Um die Beutedaten zu erhalten, wählten die Leute von Al Qaeda für ihre Vorführung, dass der Mensch einschließlich seiner vertrauten Umgebung von einer böswilligen Übermacht jederzeit unvermutet in die Lage einer Ameise auf einem Stück Feuerholz versetzt werden kann, ein anderes Scheit aus als das auf dem sie selber saßen, mit allen kulturellen Irritationen welche eine solche assoziative Substitution zur Folge haben musste. Doch jetzt, im digitalen Äquivalent der besagten Darbietung, hat der übermenschliche Heizer aus der archaischen Metapher eine Brücke gebaut welche aus der Glut herausführt, und dementsprechend authentisch ist die weltumspannende kindliche Freude über die darauf erkennbare Absetzbewegung der Ameisenkönigin (oder handelt es sich doch eher um ein Spinnentier?). Tatsächlich, der Unbekannte am Lagerfeuer der Weltgeschichte hat sein Ziel erreicht, seit der Dreyfus-Affäre und den Protokollen der Weisen war der alltägliche Totalitarismus nicht mehr so spektakulär in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung gerückt worden, nicht einmal in den blutigsten Massakern des 20. Jahrhunderts.

Und was sich jetzt als zu erwartendes Rahmenszenario abzeichnet, um in seiner Gesamtbilanz den NSA-Skandal als ausgeglichen erscheinen zu lassen, ist derart beispiellos dass sich selbst die Wendehälse verdrehen: Wie viele Tote würde ein Weltkrieg mit sich nehmen, der einem selbstmörderischen Präsidenten attraktive Rahmenbedingungen böte auf einen Schlag alle Beweismittel generationenandauernder Verbrechen zu entsorgen? Und wie viele Tote würden die Erbfolgestreitigkeiten einer zwar vom Totalitarismus befreiten aber gedächtnislosen Menschheit nach sich ziehen, falls die Täter im einzelnen nicht mehr feststellbar sind und die Bestohlenen ihre Daten selbst dann nicht mehr in unberührter Form zurückerhalten können wenn der Datenraub schließlich endet? Wie viele Generationen würde die Menschheit nach einem derartigen Verlust benötigen um sich von der Existenz des NSA-Staates zu erholen, ja hätte sie angesichts größerer materieller Schwierigkeiten diese Zeit überhaupt?

Es handelt sich, das ist seit Wikileaks allgemeiner Kenntnisstand der Amerikanistik, dabei nicht um ein isoliertes Randphänomen sondern um ein Zentralelement im Selbstverständnis einer auf wirtschaftliche Ausbeutung aufgebauten Kultur sowie der darauf ausgerichteten Satellitenregimes in den dadurch besetzten Überseeterritorien. Die ideologischen Beraterstäbe welche an der Spitze derartiger Großverbrechen stehen haben auch 2½ tote Päpste, die Gladio, Guantanamo, den Mord an Osama bin Laden (ein mindestens ebenso wichtiger Zeitzeuge wie Edward Snowden), andauernden Terror gegen Dissidenten etc. zu verantworten, und das allein in den zurückliegenden 35 Jahren. Die Allerweltsausrede von der angeblichen Gesetzmäßigkeit der Großverbrechen taugt im Kontext des Drohnendebakels und des damit aufgebrochenen Ausspähungsskandals lediglich noch für jämmerliche Beschwichtigungsansprachen an die noch verbliebenen Getreuen ohne tatsächliche Stringenz.

Das Abdanken der Systemverwaltung ist auch ein untrügliches Anzeichen dafür, dass ein System, das in einem derartigen Maße auf Insidersabotage beruht wie der imperialistische Bespitzelungsapparat, nicht sinnvoll reformierbar ist. Es ist sehr unwahrscheinlich dass große Mengen personenbezogener Daten welche mit unverhältnismäßigem Aufwand und absurden Rechtfertigungsideologien zusammengerafft werden nicht auch uneingestanden missbraucht werden. So ist davon auszugehen dass die geraubten Daten auch kommerzieller Ausbeutung ausgesetzt sind, und somit eine bloße Rückgabe nicht genügt sondern ggf. auch Derivate und Plagiate getilgt werden müssen, also bei einer gezielt hergestellten Unmöglichkeit der Rekonstruktion die gesamte darauf ausgerichtete Kultur. Im schlimmsten Falle wäre eine von einer polizeilichen Parallelgesellschaft außerhalb des gesunden Menschenverstands gleichgeschaltete Nation ganz und gar von Beutedaten abhängig geworden  und müsste daher als Bedingung der Möglichkeit jedes gerechten Ausgleichs vollständig liquidiert werden. Wie nahe der Spitzelstaatsbefall im Falle Nordamerikas dem terminalen Stadium bereits gekommen ist kann nur im Rahmen einer bedingungslosen Kapitulation ermittelt werden. Fest steht vorerst lediglich, dass es noch nicht zum EMP gekommen ist, die Aussichten auf eine erfolgreiche Extraktion des Bespitzelungsapparats ohne weitere Mitleidenschaft des Wirtsorganismus also größer Null sind.

Nach der im Ergebnis erforderlichen Abschaltung des NSA wird die Abwicklung von den dadurch angegriffenen Personen in die Hand genommen werden, die so ihr Alleinverfügungsrecht über ihre Daten zurückerhalten. In dieser Hinsicht könnten sich die Worte aus dem Kommenden Aufstand als sybillinisch erweisen: "Eine Möglichkeit elektronische Daten auf immer zu zerstören muss erst noch gefunden werden." Wenn die Löschung erbeuteter Daten so fremdbestimmt wäre wie ihre Erhebung, dann würde dadurch alles noch schlimmer, und das ist womöglich sogar Bestandteil des Tatvorhabens, wie die Todesmärsche bei Aufhebung der Konzentrationslager. In diesem metapolitischen Chaos zusammenbrechender Rechtfertigungsideologien und digital amoklaufender Repressionsapparate wird es daher von entscheidender Bedeutung sein, mit allen dazu geeigneten Mitteln dem untergehenden Bespitzelungsapparat die im Sinne allgemeiner Selbstbestimmung einzig richtige Reihenfolge von Täteraufdeckung und Datenlöschung aufzuzwingen.

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Na Bravo. Erst sah es ja ganz interessant aus, eine tiefergehende Betrachtung des sogenannten NSA-Skandals. Aber dann gings doch irgendwann los:

"imperialistische Bespitzelungsapparat",

"zusammengerafft" (raffen vs. schaffen? sollen sie vielleicht die Daten lieber per persönlicher Überwachung rechtmäßig durch ehrliche Arbeit erwirtschaften?)

"getilgt werden müssen ... die gesamte darauf ausgerichtete Kultur",

danach Nazivergleich ("gleichgeschaltet"),

"Parallelgesellschaft außerhalb des gesunden Menschenverstands" (Eso oder was???),

"vollständig liquidiert" - merkst du was?

was soll dann die Erwähnung von Todesmärschen?

 

Die Lösung der "Probleme" mit Geheimdiensten und Polizei liegt in der Abschaffung der Staaten und in nichts anderem. Erst wenn der Staat nicht mehr diese Möglichkeit zur Umsetzung seines Bewachungbedürfnisses (das Staatsvolk beschützen und belügen) in der Hand hat, weil er als solches nicht mehr existiert, ist freie Kommunikation möglich. Was für ein Blödsinn, in dem Text von totaler Vernichtung zu fantasieren, und damit gleich die gesamte angebliche "Kultur" zu meinen. Wenn du die sich demokratisch nennende "Kultur" meinst, ok, das ist ja nur antidemokratisch. Aber diese Personifizierung des Bösen, das Daten offensichtlich zum Selbstzweck sammeln würde, offenbart deine antisemitischen politischen Denkmuster und deine mangelnde Vorstellungskraft von den Hintergründen moderne Überwachung. Wenn die ganze Welt per Internet kommuniziert, wollen die Geheimdienste natürlich die ganze Welt überwachen, sonst würden sie ihre vom Staat gegebene Aufgabe nicht erfüllen. Leute, die diese Menge an Daten als viel empfinden, empfinden das Internet wahrscheinlich auch als "Neuland". Die Geheimdienste machen sich auch keinen "unverhältnismäßigen Aufwand", sondern greifen einfach nur all die unverschlüsselt und bereitwillig preisgegebenen Informationen da ab, wo sie gebündelt vorliegen. Es erfordert allerdings unverhältnismäßig viel Aufwand, in deinem Text einen klaren Gedanken zu erkennen.

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