++ Etwa 150 interessierte Menschen auf Kundgebung gegen das Burschenschaftliche Stiftungsfest des "Grün-Weiß-Roten"-Kartells in der Göttinger Innenstadt ++ Auftakt der Proteste an diesem Wochenende gelungen ++ Polizei sichert mit Großaufgebot den Innenstadt-Spaziergang der Burschenschafter* ++ Am Abend nach der Kundgebung: Alte Herren mit Hut & Schärpe werden beim Essen mit spontanen Protesten konfrontiert ++
Etwa 150 TeilnehmerInnen zählte die Kundgebung am 14.6.2013 auf dem Platz vor der Jakobikirche in der Göttinger Innenstadt. Anlass war und ist das Stiftungsfest des „Grün-Weiß-Roten"-Kartells, welches noch bis Sonntag in der Burschenschaft Hannovera in der Herzberger Landstraße und im "Best Western" Hotel Ropeter in der Kasseler Landstraße andauert.
Die Pressesprecherin des Bündnisses „Keine Burschi-Feste in Göttingen“, Tina Modotti, hierzu: „Die Burschenschaft Hannovera lädt ihre Kartellbrüder, die Burschenschaft Germania Jena und Germania Marburg, zum Stiftungsfest ein. Gemeinsam feiern sie da ihr nationalistisch-elitäres Selbstverständnis. Alle drei Burschenschaften sind noch oder waren bis in die jüngste Vergangenheit Mitgliedsbünde der "Deutschen Burschenschaft" (DB). Dieser Dachverband vertritt offen einen völkischen Nationalismus, Antifeminismus und Antisemitismus. Das ist der Grund, warum wir heute und in den nächsten Tagen hier in Göttingen gegen diesen reaktionären Haufen demonstrieren!“
In drei Redebeiträgen wurden sowohl der Anlass der Kundgebung thematisiert, als auch erläutert, welche Ideologien Burschenschaften bis heute vertreten. Das nationalistische, antifeministische und antisemitistische Denken spielt nicht nur in den Köpfen eine Rolle, sondern ist auch Praxis in ihrem Alltag. Häufig kommt es in Burschenschaften daher zu Überschneidungen mit der organisierten Neonazi-Szene. So flog im September 2012 auf, dass ein damaliger Bundesbruder der Hannovera zu den Administratoren eines Neonaziforums gehörte. Obwohl seine Geldspenden an die NPD schon vorher bekannt waren, trennte sich die Verbindung erst von ihm, als er als politisch aktiver Neonazi dem eigenen Bild in der Öffentlichkeit zu abträglich wurde. Die folgende Abgrenzung der Hannovera von Nazis erwies sich wie so oft, auch hier als bloßes Lippenbekenntnis!
Viele PassantInnen blieben heute nachmittag spontan während ihres Einkaufsbummels stehen, lauschten den inhaltlichen Redebeiträgen der Gruppen subway und OLAfA aus dem antifaschistischen und feministischen Bündnis "Keine Burschi-Feste in Göttingen" und diskutierten mit einigen TeilnehmerInnen über den Anlass der Kundgebung. „Ich freue mich trotz kurzfristiger Mobilisierung über soviel Resonanz, besonders aus der Göttinger Bevölkerung.“ so Tina Modotti weiterhin.
Im Redebeitrag der Gruppe OLAfA wurde der seit der Gründung der Burschenschaften fortwährende Antisemitismus kritisiert. Vom Wartburgfest bis zum Nationalsozialismus könne man den Burschenschaften eine ideologische Kontinuität nachweisen und auch heute sei ein virulenter Antisemitismus nachwievor präsent. Dieser trete jedoch nicht mehr offen auf, so die OLAfA in ihrem Redebeitrag.
Die Gruppe subway konzentrierte sich in ihrer Kritik auf das männerbündische Prinzip von Studentenverbindungen und den darin enthaltenen Antifeminismus und Homophobie. Das Bündnis forderte in dem Zusammenhang die Auflösung der Männerbünde.
Auf den heutigen Einsatz der Göttinger Polizei angesprochen, sagte die Pressesprecherin: "Die Polizei schützte heute mit einem riesen Aufgebot den Stadtrundgang und das Kaffeekränzchen der Burschen, was natürlich auch ihr Job ist. Aber wenn Gruppen von Beweißsicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) unsere VersammlungsteilnehmerInnen - die sich bei dem guten Wetter kalte Getränke oder Eis besorgten - während und nach der Kundgebung durch die halbe Stadt verfolgen müssen, dann hat die Polizei in Sachen Deeskalation heute ihre Hausaufgaben nicht gemacht!“
Die Sprecherin, Tina Modotti, abschließend: „Wir hoffen, das die heutige Kundgebung nur der Auftakt für weitere kreative Proteste gegen das Stiftungsfest war, an welchen Orten sich die Burschen auch immer an diesem Wochenende bewegen mögen.“
Am Abend passierte dann folgendes:
Dass es sich bei der Kundgebung tatsächlich um einen Auftakt für weitere Proteste handelte, zeigte sich später am Marktplatz, als engagierte AntifaschistInnen einige Alte Herren (Mitglieder einer Burschenschaft nach erfolgreicher Beendigung des Studiums ) - die mit Hut & Schärpe im bei Burschenschaftern beliebten Restaurant "Bullerjahn" zu Abend aßen - mit spontanen Protesten konfrontierten.
Weitere Bilder von uns zur Kundgebung folgen. Medienberichte und andere Bilder bitte in den Kommentaren posten.
Redebeitrag zu Homophobie und Männerbünden von sub*way
Seit fast 200 Jahren feiern Burschenschafter in Eisenach ihre männliche Gemeinschaft. Was als nationalistisch-männliches Projekt im Zuge der antinapoleonischen Stimmung begann, ist heute … noch immer ein nationalistisch-männliches Projekt.
Und das bedeutet: Ehre, Treue, Leistung, Disziplin, Härte und Kameradschaft, sowie einige Hundert Liter Bier, die für viel mehr da sind, als nur den Durst zu stillen. Die Idylle der männlichen Gemeinschaft kann – Bier sei dank – ganz emotional sein: nur im sicheren Kreis der Kameraden, der auf jeden Fall heterosexuellen Männer, kann beim Singen der ersten Strophe des Deutschlandliedes ein Tränchen verdrückt werden, ohne dass jemand auf die Idee kommt, dieses Weinen hätte was mit Schwäche oder Weiblichkeit zu tun. Da wird sich in den Arm genommen und gedrückt, aber natürlich ist das eine kameradschaftliche Geste unter Männern, also etwas ganz anderes als weibliche Emotionalität oder homoerotische Zärtlichkeit.
Das Stichwort heißt: Männerbund! Das ist mit das wichtigste Merkmal von Burschenschaften. Und was ist so scheiße daran?
Burschen erklären immer wieder, dass es ja zum Beispiel auch keine gemischten Fußballmannschaften gibt und dass das ja nichts Ausgrenzendes sein soll, sondern was Integrierendes für die, die dabei sind. Dass Frauen zwar zuschauen, aber kein Mitglied werden dürfen, hat in dieser Logik nichts mitAusschluss zu tun. Komisch! Denn es geht hier ja nicht um ein harmloses Kaffeekränzchen, sondern um den Anspruch, die Gesellschaft zu formen und ihre nationale, geistige, ökonomische und politische Elite zu sein.
Diese bestechende Logik ist also nicht nur eine Laune, sondern vielmehr das Wesen von Männerbünden. Den Ausschluss von Frauen begründen die Burschen zumeist ganz „lebensnah“: wenn’s Frauen auf den Häusern gäbe, würde das Beziehungsdramen und „Verführung“ bedeuten. Und das würde die Aufmerksamkeit der als triebgesteuerte Männer gedachten Burschen auf Sexualität lenken, anstatt durch Selbstdisziplinierung die emotionale Bindung komplett auf die Kameradschaft auszurichten.
In der beschränkten Sicht von Burschen sind Frauen Freundinnen und Ehefrauen und damit lediglich für Sex und Reproduktion da. Hier beanspruchen Burschen auch regelmäßig Deutungsmacht über den Körper von Frauen, indem sie zum Beispiel Veranstaltungen gegen Abtreibung organisieren.
Wir nennen das handfesten Antifeminismus: Es geht ja nicht darum, dass jemand nicht in den Sandkasten darf, weil das Schippchen oder Förmchen die falsche Farbe hat – wir wollen auch gar nicht mit in den Sandkasten. Es geht hier um eine Ordnung und die daraus folgenden Konsequenzen, die über die biologistische Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit laufen. Darauf basiert die ganze Idee des Männerbundes: Für irgendwen zwischen den oder außerhalb der herkömmlichen Geschlechtsidentitäten ist in dieser Weltsicht kein Platz. So treibt die übermännlichen Burschenschafter die panische Angst vor „Gender-Wahn“ und „Gender-Totalitarismus“ um (ja – diese Begriffe haben wir original von Burschi-Internetseiten!). Im Gender-Mainstreaming – so die paranoide Logik – würde versucht „stammesgeschichtlich über viele Millionen von Jahren gewachsene Eigenschaften ,intellektuell abzutrainieren’.“ Ah ja.
Es existiert also eine wahnhafte Furcht vor einem Angriff auf die Geschlechtsidentität, die mit der Vorstellung einer feministischen Übermacht und einer linken Hegemonie, die in nächster Zukunft den geschlechtslosen Menschen etabliert, einhergeht.
Man merkt es spätestens jetzt: Männlichkeit ist kein zufälliges Attribut von Burschenschaften, sondern elementar! Männlichkeit bedeutet dabei, die eigenen Triebe zu beherrschen, sich zu kontrollieren und dadurch einen Willen ausbilden zu können um leistungsfähig zu sein. Das ist das ideale bürgerlich-männliche Subjekt, das Elite spielen – und nur in der reinen Männergemeinschaft „perfektioniert“ werden kann. Denn nur hier können emotionale Ergriffenheit – die sich bei Burschen z.B. dann einstellt, wenn über’s Vaterland gefaselt wird – und das emotionale Aufgehen in der Männergemeinschaft ausgelebt werden. In der Geborgenheit der bierschweren Männerrunde wird ein Kontrollverlust ermöglicht, den der ansonsten so disziplinierte Bursch’ sich stets verweigert. Wieder wettgemacht wird das Sich-Gehen-Lassen durch die Mensur, also das Fechten, in dem die Selbstbeherrschung wiederhergestellt werden kann. Größtmögliche Härte, ein Höchstmaß an Ertragenkönnen bringt höchsten Männlichkeitsbeweis. Auch das Trinken bis zum Kotzen – das ist ja keine Spaßveranstaltung, sondern Ausdruck der Hierarchien – stellt in seiner Entgrenzung Härte gegen sich selbst dar.
Das alles wäre uns herzlich egal, wenn sich ein paar ohnehin schon hässliche Burschen das Gesicht zerkratzten oder eine Alkoholvergiftung nach der andere bekämen. Aber in dieser Ausprägung der männlichen Härte liegt der Kern der gesellschaftlichen Ausgrenzung à la: „Ich kann Schmerz aushalten, also musst du es auch können. Wenn du es nicht kannst, gehörst du nicht dazu, kannst keine Führungspositionen einnehmen, kannst kein deutscher Mann sein… und so weiter.“
Wir denken, dass diese überbetonte Männlichkeit etwas mit verdrängter Homosexualität zu tun hat. Wenn im bierseligen Sich-in-den-Armen-Liegen homosexuelles Begehren nicht ausgeschlossen wäre, könnte dies die männliche Gemeinschaft erschüttern. Die vermeintlich weiblichen Züge, die in schwuler Sexualität ausgemacht werden erscheinen als gefährlich für das Bild von Männlichkeit. So werden eigene verdrängte Regungen auf vermeintlich weichliche Schwule und Frauen projiziert. Das verdrängte Schwul-Sein ist in der Burschi-Welt jedoch allgegenwärtig: die Dramatisierung der Männerrolle findet ihren Ausdruck zum Beispiel in der phallischen Darstellung des Deckengemäldes des Burschenschafterdenkmals, zu dem die Burschen gestern marschiert sind.
Um’s noch mal deutlich zu sagen: da es hier nicht um einen harmlosen Haufen komisch gekleideter altbackener Freaks geht, die nun mal nicht mit Mädchen Fußball spielen wollen, sondern um eine explizit politische Veranstaltung, die aus Männern besteht, die die Gesellschaft formen wollen, haben wir mit dem ganzen Scheiß ein enormes Problem!
Und deswegen gilt heute und überhaupt:
Weg mit diesen scheiß Männerbünden, ihrem Führungsanspruch, ihrem Sexismus und ihrer Homophobie! Für ein feministisches und selbstbestimmtes Leben!
Genauer gucken?
Es sah nicht so aus, als wären das gestern 150 Leute gewesen....