In den letzten Monaten tauchten vermehrt Falschmeldungen über die neonazistische Szene mit Bezug zu Schleswig-Holstein auf. Auch wenn aufgrund der meist anonymen Beiträge auf Plattformen wie Indymedia die Urheber_innen nicht eindeutig bestimmt werden können, spricht doch einiges für ein geplantes Vorgehen aus rechten Zusammenhängen, insbesondere der NPD.
In den Jahren 2012 und 2013 sahen sich schleswig-holsteinische Neonazi-Organisationen, besonders die NPD, mit vermehrter Aufklärungsarbeit durch antifaschistische Strukturen konfrontiert. Viele unliebsame Details neonazistischer Grabenkämpfe und Zersetzungsprozesse wurden auf diversen Plattformen veröffentlicht. Oft düpierten diese brisanten Details auch die eigenen “Kameraden”, denn nach nationalsozialistischem Vorbild wird ein weitgehend hierachiefreier Informationsfluss als störend empfunden und selbst der eigenen personellen Basis Propaganda-Märchen über die Situation neonazistischer Politik aufgetischt. So sollen die z. T. völlig realitätsfernen Aktionsberichte, für die speziell die Kader Jörn Lemke und Daniel Nordhorn bekannt sind, nicht nur potentiellen Wähler_innen und Sympathisant_innen das Bild einer handlungsfähigen Organisation vermitteln, sondern auch die Motivation nach innen in die Szene stärken. Schließlich verlieren selbst engagierte “Kameraden” aufgrund der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit und programmatischen Schwäche ihrer Parteispitze die Lust, an öffentlichen Auftritten der NPD teilzunehmen.
In dieser Ausgangslage reagieren die Führungsfiguren zunehmend dünnhäutig auf peinliche Enthüllungen über Grabenkämpfe innerhalb der Szene oder persönliche Verfehlungen der bekannten Neonazis. Als zweifelhafte Gegenstrategie versuchten die Neonazis mutmaßlich durch diverse als antifaschistische Recherche getarnte Falschmeldungen die Glaubwürdigkeit der veröffentlichenden Gruppen in Schleswig-Holstein zu untergraben. So weit, so durchschaubar. Allerdings fielen diese Meldungen bei einigen Antifaschist_innen auf fruchtbaren Boden, weshalb wir die Gelegenheit nutzen wollen, die Strategien der Neonazis zu beleuchten und ein paar Ideen zur quellenbasierten und inhaltlich abgesicherten Recherchearbeit darzustellen.
Den Kern der mutmaßlichen false flag-Aktionen der Neonazis bildeten
drei äußerlich sehr ähnliche Beiträge auf de.indymedia.org. In einem
wurde der vermeintliche Wechsel vom NPD-Landesvorsitzenden, Ingo
Stawitz, zu der neuen Neonazi-Partei “Die Rechte” (DR) bekannt gegeben.
Diese Meldung entbehrte jeder Grundlage, griff aber den Grundtenor eines
Outings von Stawitz
durch Antifaschist_innen auf, in dem Stawitz’ ständige Parteiwechsel
thematisiert wurden. In dem gleichen Stil wurden auch vermeintliche
Aufmärsche der rechten Szene in Wedel (02.03.2013, s.u.) und Elmshorn
(01.05.2013, s.u.) angekündigt, welche allerdings nicht stattfanden und
vermutlich nie geplant waren. Antifaschistische Mobilisierungen zu
diesen Ereignissen wurden in der Neonazi-Szene aufgegriffen und so die
Mär von schlecht informierten Antifaschist_innen weiter belebt.
Insbesondere das Partei-Blatt “SH-Stimme” und das Portal der “Freien
Kräfte”, “Mein-SH”, griffen diese Thematik auf. Beide Projekte werden
von Beobachter_innen der Szene hauptsächlich dem Lübecker Funktionär und
NPD-Landespressesprecher Jörn Lemke zugeordnet. Die “SH-Stimme”
erscheint unter tatkräftiger Mithilfe von Jens Lütke, Verlagskaufmann
und stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Letzterer schrieb auch
den entsprechenden Artikel für die “SH-Stimme”.
Lütke ist als organisatorischer und strategischer Kopf des
NPD-Landesverbands auch ein mutmaßlicher Drahtzieher der Aktion. Neben
dem Zweck, den politischen Gegner propagandistisch in schlechtes Licht
zu rücken, ging es auch darum, ganz konkrete und schwerwiegende
Enthüllungen zu entkräften. So stand die NPD Ende 2012 vor einem
Dilemma, als Marcus Tietz für Schlagzeilen sorgte, indem er sich
stümperhaft selbst verletzte, um einen Angriff durch Antifaschist_innen
vorzutäuschen. Da Marcus Tietz mit seiner neonazistischen Familie in der
Kameradschafts- und Rechtsrock-Hochburg Ostholstein als Einziger im
größeren Stil für die NPD Politik machte, versuchte der Landesverband
den Vorfall zu verheimlichen – vermutlich um Tietz nach einer kurzen
Pause wieder aktivieren zu können. Aufgrund der Nicht-Erwähnung des
Namens von Tietz in den berichtenden Zeitungen schien dieser Plan auch
aufzugehen, bis La Quimera im Januar den Vorfall Tietz namentlich
zuordnete und ihn so in der neonazistischen Szene blamierte .
Als mutmaßliche Reaktion erstellten Neonazis die genannten
Falschmeldungen und Jens Lütke schrieb den erwähnten Artikel, indem er
die Information zu Tietz in eine Reihe mit den fragwürdigen
Indymedia-Artikeln stellte und so versuchte, seine Führungsfigur in
Ostholstein zu rehabilitieren.
Kritisch zu hinterfragen gilt der Umgang antifaschistischer Strukturen mit den Falschmeldungen. Die genannten Artikel wurden leider vorschnell von einigen Zusammenhängen aufgegriffen und zu Gegenaktivitäten anlässlich der angeblichen Aufmärsche mobilisiert. Auch wurden von einigen antifaschistischen Gruppierungen darüber hinaus ohne neonazistische “Beihilfe” Meldungen fragwürdigen Inhalts heraus gegeben.
Wir werten es als grundsätzlich positiv, wenn Menschen sich selbst
organisieren und auf Plattformen wie Indymedia eigenverantwortlich
Aufklärungsarbeit über rassistische und neonazistische Umtriebe leisten.
Auch lehnen wir es ab, dass Recherche-Arbeit von der Mitgliedschaft in
einer Recherche-Gruppe, einem Redaktionskollektiv o.ä. abhängig ist.
Trotzdem könnten mit ein paar einfachen Gegenstrategien die
neonazistischen Störmanöver erfolgloser sein. Wenn die bekannten
Recherche-Zusammenhänge etwas veröffentlichen, so geschieht dies zumeist
neben Indymedia auch auf deren eigenen Blogs. Auch bei einer der
mutmaßlichen Neonazi-Falschmeldungen wurde u.a. La Quimera als Urheberin
genannt. Wir würden aber, wie andere Gruppen meist auch, den Artikel
auf unserem Blog erwähnen. Somit hätte ein Klick auf die angefügten
Links Klarheit über den Wahrheitsgehalt der Meldung gegeben.
Außerdem plädieren wir für die Nennung von Quellen, es sei denn, das ist
aus Quellenschutzgründen absolut nicht möglich. Auch sind Rücktritte
von Führungskadern oder Aufmärsche meist so schnell in der Neonazi-Szene
bekannt, dass auch andere antifaschistische Recherche-Gruppen davon
erfahren. Im Zweifel bietet es sich an, bekannte Gruppen um eine
Einschätzung bitten, bevor der Inhalt eines anonymen Statements als
Tatsache angesehen und weiterverbreitet wird.
Allerdings lebt journalistische wie antifaschistische Arbeit auch davon, Gerüchten nachzugehen, die auch immer die Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit beinhalten. Trotzdem sollte es durch eingehende Prüfung der Informationen, insbesondere, wenn zu Aktionen mobilisiert wird, den Neonazis nicht zu leicht gemacht werden, gezielt Falschmeldungen zu verbreiten.
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Natürlich steht es jedem Antifaschisten frei, selbst Recherche zu betreiben.
Es kann nicht sein, das von "Antifarecherchekollektiven" dann Druck ausgeübt wird, auf diejenigen die unabhänig von Recherchegruppen recherchieren.
Es gibt /gab bereits mehrere Vorfälle wo Recherchegruppe das Monopol auf Recherche für sich beanspruchen.
Selbstverständlich können dabei auch Fehler passieren , z.b. das Gerüchte unzureichend veriviziert werden.