Post-Zivilisiertes Leben

Von postzivilsiertem Leben

Du hast dich also entschieden, die Zivilisation hinter dir zu lassen? Gratuliere! Es gibt zahlreiche Gründe, das zu tun.

Vielleicht hast du post-apokalyptische Filme gesehen oder entsprechende Bücher und Comics gelesen, und jetzt wünscht du dir eine Welt, in der du so leben kannst, wie du willst. Vielleicht hast du verstanden, welche Kosten das herrschende System mit sich bringt, und dass dessen historische Wurzeln dort liegen, wo Menschen begannen, Nahrung wegzusperren und nur im Tausch für Arbeit herzugeben. Vielleicht bist du so zornig über die Zerstörung, die das herrschende System verursacht, dass du es beseitigt – oder zumindest ignoriert – sehen willst. Vielleicht baust du gerne deine eigene Nahrung an und sammelst, willst jedoch trotzdem in Städten leben.

 

Was auch immer der Grund dafür ist, wir sind froh, dich in den Reihen der Post-Zivilisierten begrüßen zu dürfen!

 

Ein paar Vorschläge:

* Studiere deine Umgebung genauestens. Untersuche, welche Ressourcen es gibt und plane dein Leben entsprechend.

* Recycle und verwende alles wieder.

* Vermeide den Gebrauch von Geld, solange ein Problem auch nur irgendwie ohne Geld gelöst werden kann.

* Finde Menschen, die so denken wie du. Vereine dich mit ihnen. Vernetzt euch dann gemeinsam mit anderen Gruppen.

* Spezialisiere dich in ein oder zwei Bereichen und erwirb grundlegende Fähigkeiten in so vielen anderen wie möglich.

 

Diese Ratschläge gelten vor allem für die USA und andere "entwickelte" Länder. Viele der Ratschläge sind allerdings auch in anderen Teilen der Welt anwendbar, wobei post-zivilisierte Menschen immer die lokalen und regionalen Voraussetzungen in Betracht ziehen müssen.

 

Nahrung


In der "entwickelten" Welt ist das der einfachste Teil. Die Nahrungssuche kann viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen, lässt sich aber leichter bewältigen als Fragen des Wohnens oder der Krankenversorgung.

Nahrung gibt es überall. Selbst in Städten wachsen essbare Pflanzen. In der letzten Stadt, in der ich lebte, aßen wir Löwenzahn (nimm die jungen Blätter und dünste sie, während du das Wasser ein paar Mal austauschst), Klee (direkt vom Boden), Eicheln (das Tannin verschwindet, indem du die Eicheln ein paar Tage in einem rinnenden Bach liegen lässt oder sie kochst, während du immer wieder das Wasser wechselst – danach kannst du sie zu Mehl verarbeiten) sowie verschiedene Nüsse, zum Beispiel Kastanien. Aus Zierorangen lässt sich Marmelade machen und aus den Blüten des Süßhülsenbaums Mehl. Obstbäume gibt es reichlich und Privatbesitzer haben normalerweise keine Probleme damit, wenn sich andere etwas nehmen (oder sie merken es einfach nicht). Wenn du Fleisch ist, gibt es immer Tiere, die überfahren werden. Außerhalb der Stadt sind diese natürlich größer und schmackhafter. Allerdings ist bei überfahrenen Tieren Vorsicht geboten. Das Fleisch muss frisch sein und richtig zubereitet werden. Informiere dich so gut wie möglich! Meine Texte werden dir dabei allerdings keine große Hilfe sein. Ich lebe vegan.

Abfalleimer sind eine endlose Nahrungsquelle. Menschen werfen dauernd Essen weg. Für die Zwecke des urbanen Sammelns ist Containern zentral. Die Müllcontainer eines jeden Lebensmittelladens sind abends in der Regel mit Essen gefüllt. Achte darauf, warum etwas weggeworfen wurde. Manchmal ist das Ablaufdatum überschritten. Schau, ob die Ware wirklich schlecht ist: rieche und achte bei Dosen darauf, ob der Deckel aufgebläht ist. Manchmal ist nur die Packung angebrochen oder eine Dose in einer ganzen Palette beschädigt. Obst und Gemüse mag sich verfärbt haben, ist aber nach wie vor problemlos genießbar. Oft lassen sich Unmengen der gleichen Ware finden. Deshalb ist es gut, mit anderen Sammler_innen in Kontakt zu stehen, um teilen zu können. Oder was willst du sonst mit hundert Litern Orangensaft machen? Vergiss auf jeden Fall nicht, deine Hände zu waschen, bevor du etwas isst. Du kannst auch Handschuhe beim Containern anziehen, aber das kann leicht dazu führen, dass sich andere Sammler_innen über dich lustig machen.

An manchen Orten ist Containern illegal. Frag nach! Die besten Waren werden oft am Abend weggeschmissen. Tagsüber kannst du in normale Abfallkübel schauen. Viele Menschen werfen ihren kaum gegessenen Snack weg – warum sollten wir das halbe Falafelsandwich nicht fertigessen?

Viele – aber natürlich nicht alle – Post-Zivilisierte stehlen auch Nahrung. Üblicherweise jedoch nur von größeren Supermarktketten. Gleichzeitig gehören universale Moralordnungen zu den Sachen, die wir mit der Zivilisation gerne hinter uns lassen. Alle sollten ihre ethischen Richtlinien selbst bestimmen.

Schließlich gibt es noch Guerilla Gardening. Baue an jedem möglichen Platz Nahrung an! Auch wenn du sie selbst nicht essen wirst, werden dir andere dafür dankbar sein.

 

Kleidung


Trage, was immer du willst. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Zivilisierte Menschen ziehen sich nicht so an wie Statist_innen in Mad-Max-Filmen (was wirklich schade ist). Zivilisierte Menschen kümmern sich sehr darum, welche Meinung andere Menschen von ihrer Kleidung haben.

Aber es reicht nicht, nur außerhalb der Normen zu denken. Wenn du nur außerhalb der Normen denkst, dann denkst du immer noch nicht an alle Möglichkeiten. "Anders zu sein" einfach nur um "anders zu sein", ist der falsche Ansatz. Sei anders, weil du es wirklich sein willst. Und wenn nicht, dann zieh einen Anzug und eine Krawatte an. Kleidung wird viel zu viel Bedeutung beigemessen.

Wenn du mit deiner Kleidung in die zivilisierte Welt passen willst, sollte das nicht schwierig sein. Menschen schmeißen dauernd Kleidung weg, die dieser Welt entspricht. Aber der Reiz einer Ästhetik von Wiederverwendung und Wiederaneignung ist stark – oft ist es genau das, was uns von der Zivilisation abbringt. Wenn die Gesellschaft mit ihren Konventionen nicht existieren würde, was würdest du dann anziehen? Wie würdest du aussehen? Und was für Materialien stehen zur Verfügung, um deinen Stil zu entwickeln?

Zahnseide lässt sich wunderbar als Faden verwenden, ebenso Sehnen. Und wenn du einmal mit dem Containern begonnen hast, wirst du nie einen Mangel an Materialien haben, mit denen du arbeiten kannst.

 

Wohnraum


Wohnraum zu finden, ist manchmal schwierig. Für zivilisierte Menschen ist der Besitz von Land sehr wichtig. Sie nennen es "Eigentum" und privatisieren es gerne. In den meisten Ländern ist die Frechheit, leere Gebäude zu besitzen und andere daran zu hindern, diese zu nutzen, absolut legal.

Glücklicherweise kümmern sich post-zivilisierte Menschen nicht wirklich um Gesetze (obwohl wir natürlich wissen, dass andere das tun). Vor allem beim Besetzen verlassener Gebäude geht es eher um Ethik. Hausbesetzungen sind kompliziert und kontextabhängig und keine Situation gleicht der anderen. Aber wenn ich unverschämt sein und generalisieren darf, dann gibt es zwei Arten von Besetzer_innen: diejenigen, die aus den Orten, an denen sie leben, wundervolle und fantastische Schlösser machen, und diejenigen, die in die Ecke pissen.

Post-zivilisiertes Leben besteht nicht darin, jeden Abend besoffen wegzupennen (auch wenn es nicht schwierig ist, sich seinen eigenen Alkohol zu brauen), sondern sich selbst zu befreien und eine komplexere, vielfältigere und natürliche Lebensweise zu schaffen.

Manche Post-Zivilisierte suchen sich ein Waldstück und bauen dort eine Hütte, gewöhnlich aus wiederverwendetem und kreativ angewandtem Material. Andere entscheiden sich für einen Kompromiss. Sie kaufen oder mieten einen Wohnraum, wobei sie diesen gewöhnlich mit vielen anderen Menschen teilen, um die Kosten niedrig zu halten. Auf gepachteten Grundstücken werden Hütten gebaut, in gemieteten Zimmern Hochbetten errichtet usw.

 

Warte einen Augenblick!


"Machst du dich nicht einfach zum Parasiten der Zivilisation, wenn du von ihrem Abfall lebst? Bist du damit nicht genauso in die Welt des Konsums eingebunden und von ihr abhängig wie diejenigen, die Waren kaufen?"

Ja, wenn du die Sache so sehen willst. Aber wir sprechen nicht von einfachem (und ehrenhaftem!) Schmarotzertum. Wir sprechen von post-zivilisiertem Leben. Dieses basiert darauf, von den jeweils erhältlichen Ressourcen zu leben. Heute gibt es davon eine ganze Menge. Nach dem Kollaps werden die Dinge anders aussehen.

 

Spezialisierung und Gemeinschaft


Unabhängig-Sein ist wunderbar. Aber sich auf Menschen verlassen zu können, ist noch besser. Lerne gerne, dich selbst durchzuschlagen: baue deine eigene Nahrung an, sammle und koche; repariere deine eigene Kleidung, deine Werkzeuge und Spielzeuge; mach dich kundig, was Gesundheit, Erste Hilfe und medizinische Notversorgung betrifft; lerne zu kämpfen, zumindest um mit Alltagsgewalt umgehen zu können; sieh dir an, wie Konsensentscheidungen getroffen werden usw. Es gibt eine ganze Menge zu tun!

Du musst aber nicht alles beherrschen. Menschen diskutieren gerne darüber, ob die Spezialisierung wirklich so wunderbar ist, wie es die Zivilisierten sagen, oder so unterdrückerisch, wie es die Primitivist_innen behaupten. Menschen denken selten darüber nach, dass Spezialisierung und Gemeinschaftlichkeit keine Gegensätze darstellen müssen.

Für alle ist es gut zu wissen, dass Knoblauch im Tee gegen Erkältungen hilft. Aber wie viele Menschen können schon alle Pflanzen kennen, die Heilwirkungen haben? Dazu braucht es Spezialist_innen. Und während sich manche Personen in diesem Bereich spezialisieren, lernen andere, Antibiotika herzustellen. Es gibt nichts, was die Zivilisation hervorgebracht hat, das wir nicht lernen können.

 

Ich persönlich? Ich werde meine Zeit nicht dafür aufbringen, mir die effektivsten Methoden der Permakultur anzueignen. Aber ich werde bestimmt bei der Ernte helfen!

 

Text von Margaret Killjoy

Übersetzung vom AAP-Kollektiv

Gedruckt erschienen in der Broschüre "Von post-zivilisiertem Leben und Städten, die keine sind. Visionen einer anarchistischen zukunft", erhältlich via Black Mosquito

 

Text 1 der Broschüre: Eine Einführung in post-zivilisiertes Denken

Text 2 der Broschüre: Kooperatives Sammeln

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Wer zum Thema Alternativbewegung, Landkomune oder Aussteiger rumschnüffelt, der wird sich verwundert die Augen reiben. Das Zeug ist doch mindstens 40 jahre alt. Gabs bereits in den 60ern in den USA und hier etwas später, besonders in den 80ern. Ist als nicht gerade neu. Was draus wurde? Postzivilisatorisch leben geht mit 20 ja ganz gut, mit 40 wird s schwieriger und mit 50 bist froh über den Lichtschalter und Aufzug.

Oder geht es um die Postzivilisatorischen Spinner un den USA? Besonders in den Rockys sollen viele von denen leben. Die bereiten sich auch auf den Zusammenbruch der Zivilisation vor, mit Tonnen Dosenfleisch, Munitionskiste und Halbautomatik.

Der Begriff "postzivilisatorisch" ist schon falsch, denn Zivilisation ist an sich nichts schlechtes. Gemeint ist vielleicht eher postkapitalistisch oder auch postmaterialistisch, wobei das nicht die Verwendung von Industriegütern ausschließt sondern eher Konsumverzicht oder Vermeidung meint. Leider tummeln sich auf diesem Gebiet tatsächlich viele Spinner, Esotheriker und andere fragwürdige Gestalten aber mindestens genauso problematisch sind die ganzen Utopiefeinde. Es gibt auf jedenfall interessante Ansätze. Gerade mit gezielter Nutzung von wenigen High-technologies kann man heutzutage ein ziemlich komfortables Leben weitgehend jenseits des Kapitalismus leben. Will heißen: Strom via Solar & Wind (bei weniger Verbauch als 1000 Kwh/Jahr kein Problem), Mobil per Rad, Bahn und Mitfahrzentrale, Regenwassernutzung, eigener Brunnen, 70%ige Selbstversorgung und Kommunikation + Information via Internet. Das geht auch locker mit 50++; ich spreche aus eigener Erfahrung :-)

So lange das eine winzige Minderheit betreibt ist es ja kein echtes Problem, aber Containern, Roadkill, Obstbäume plündern, Löwenzahn ernten, Feuerholz im Wald suchen, Guerilla Gardening usw. skaliert nicht über eine kleine Szene raus. Auch das immer weiter verbreitete Einheizen mit Holz hat ein Limit, weil so viel Brennstoff wächst gar nicht nach wie benötigt würde und Hausbrand ist auch eine großer Verursacher von Feinstaub.
Und so wie die Mittelschicht das Häuslebauen anstrebt, wollen die Aussteiger ihre Hütte im Wald...
Beide haben das Problem der Zersiedelung, weit entfernte Infrastruktur, mehr Verkehr, schlechte Effizienz im Vergleich zu größeren Wohneinheiten.
Überhaupt baut das ganze Konzept am nahenden Kollaps auf, der so nie kommen darf! Falls doch haben die Preper in ihren atombombensicheren Bunkern nachher auch keinen Spaß mehr, wenn alle anderen verreckt sind.

Ein höchstmögliches Maß an Selbstversorgung zu erreichen, kann gesunden Individuen sicher ein paar Jahre die Lohnarbeit minimieren helfen, aber wie schon vorher erwähnt kann das gesellschaftlich nicht funktionieren, 7+ Mrd. Menschen sind so nicht ernährbar. Sich die Lohnarbeit sparen und dafür viele Stunden des Tages für das notwendigste aufwenden zu müssen ist wohl auch nur für eine kleine Minderheit eine Befreiung.

Das wichtigste wäre ein Höchstmaß an Effizienz zu erreichen, also möglichst viel gesellschaftliches Glück mit möglichst wenig Arbeitskrafteinsatz zu erreichen, außerdem die notwendige Arbeit so erträglich wie möglich zu gestalten.
Das heißt auch hohes Maß an Forschung, medizinischer Fortschritt, neue Technologien um das Leben angenehmer und länger zu machen und nicht wühlen im Müll und nähen mit Tiersehnen!