Am 30. April verhandelte das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage eines "Asylbewerbers" gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, welches seinen Asylantrag abgelehnt hatte. Beim Kläger handelte es sich um einen Aktivisten der aktuellen Geflüchtetenproteste. Ca. 70 solidarische Besucher_innen kamen mit ihm in den Gerichtssaal, nach ca. 30 Minuten war die Verhandlung beendet und dem Aktivisten die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen. Am Abend demonstrierten ca. 300 Menschen unter dem Motto „Bleiberecht für Alle!“ vom Regensburger Hauptbahnhof durch die Innenstadt zum soziokulturellen Zentrum L.E.D.E.R.E.R. e.V. wo der Aktionstag mit einer Soliparty endete.
Mobilisierung
Der Aufruf zum Aktionstag wurde vom Aktivisten selbst verfasst und in vier weitere Sprachen (english فارسی french русский) übersetzt. Bewusst wurde von ihm darauf verzichtet, sein persönliches Schicksal zu erläutern. Er versuchte den Weg eines und einer jeden Geflüchteten zu beschreiben, die_der Deutschland erreicht. Dem deutschen Apparat sprach er ab, über die Legitimität der Flucht und das weitere Leben dieser Menschen urteilen zu können. Ebenfalls gab es ein Mobivideo und einen Jingle vom Unterstützer_innenkreis zum Aktionstag. Im Vorfeld wurden in einem Artikel auf indymedia.linksunten die Aktivitäten des Aktivisten im Rahmen der Proteste beschrieben. Ebenso wurde eine Pressemitteilung verschickt, die aber leider wenig Beachtung fand. Die antifaschistische Gruppe [anita_f.] rief zusätzlich mit einem antikapitalistischen Aufruf zur abendlichen Demonstration auf. Mehr als 5000 Flyer wurden bei Demonstrationen im Vorfeld verteilt, an antirassistische und antifaschistische Gruppen in der Umgebung verschickt und in Regensburg verteilt. In den Regensburger (Flüchtlings)lagern wurde mit mehrsprachigen Flyern für den Aktionstag geworben. Die gute Mobilisierung bemerkte selbst die Richterin am Verwaltungsgericht: „Diese Poster wurden in der gesamten Stadt plakatiert“.
Prozess
Der Prozess wurde durch ca. 70 solidarische Menschen begleitet, die durch drei Beamte des Staatschutz Regensburg beobachtet wurden. Mit den Gründen der Flucht des Aktivisten beschäftigte sich die Richterin nicht. Sie beschränkte sich auf die Aktivitäten bzw. die exponierte Stellung des Aktivisten im Rahmen der Proteste. Die Richterin hatte sogar neben den Medienberichten, die vom Aktivisten selbst vorgelegt wurden, noch eigene Recherchen durchgeführt. Der Anwalt des Aktivisten legte noch einen Bericht der Berliner Polizei zur Aktion an der iranischen Botschaft in Berlin vor. Die iranische Botschaft hatte über eine Anwaltskanzlei Strafantrag gestellt und Akteneinsicht verlangt. Diese Akteneinsicht hatte ihr die Berliner Polizei gewährt und ihr somit die personenbezogenen Daten (Name, Geburtsdatum und -ort) derjenigen übermittelt, die im Rahmen der Aktion an der Botschaft festgenommen worden waren. Gleichzeitig weist die Polizei in ihrem Bericht darauf hin, dass selbst den Angehörigen der Festgenommen im Iran „erhebliche Repression“ durch die iranische Despotie bevorsteht.
„Aus dem Urteil ergibt sich die Pflicht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, durch Erlass eines entsprechenden Bescheids nunmehr die Flüchtlingseigenschaft des Klägers festzustellen.“ So die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Regensburg. „Protestierende Flüchtlinge: Mal Zuckerbrot, mal Peitsche“, kommentierte das lokale Online-Medium regensburg-digital.de. In diesem Artikel wird auch auf die frühere Verhandlung eines weiteren Aktivisten der Proteste in Regensburg hingewiesen. Damals wurde die Klage gegen das BAMF eines ähnlich exponierterten Aktivisten abgewiesen.
Demonstration
„Das Ereignis von heute hat uns wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass wir in einer Welt leben, in der jemand in der Position steht, über das Recht auf Leben eines anderen Menschen zu entscheiden. Und der große Schmerz dabei ist es, unter Menschen zu leben, die in der Nacht ruhig schlafen und nicht jeden Morgen voller Zorn erwachen.“
Mit diesen Worten begann der erste Redebeitrag, der am Regensburger Hauptbahnhof in Farsi und Deutsch verlesen wurde. Die ca. 300 Demoteilnehmer_innen setzten sich anschließend um 18.30 Uhr kraftvoll und lautstark in Richtung Innenstadt in Bewegung. Auf dem Weg dorthin wurde auf Höhe des Schlossparks vom Lautsprecherwagen die Kritik an Fürstin Gloria von Thurn und Taxis laut. Es wurde auf ihre homophoben und rassistischen Äußerungen der Vergangenheit (z.B. „Der Schwarze schnackselt gern“), sowie auf die letzjährige Einladung des antisemitischen/ rassistischen Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orban, zu den Schlossfestspielen hingewiesen. Die Demonstration formulierte lautstark die Forderung „Gloria vertreiben – Flüchtlinge bleiben!“.
Der Demonstrationszug ging über die Maximilanstraße und die Schwarze Bärenstraße zum Neupfarrplatz. Hier wurde die erste Zwischenkundgebung durchgeführt. Der Redebeitrag machte auf das (damals) aktuelle Protestzelt von Non-Citizens in München aufmerksam. Es wurden Ausschnitte aus einem Gespräch mit einem dortigen Aktivisten gezogen, der schon von Juli bis September 2012 am Neupfarrplatz an einem Protestzelt von Geflüchteten teilgenommen hatte.
„Sie versetzen dich in eine Lage und sie wissen genau was sie tun. Sie machen das alles, damit der Flüchtling irgendwann aufgibt und sogar Dinge tut, die sein Leben in Gefahr bringen. Unter den katastrophalen Zuständen in den Lagern geht es irgendwann einfach nicht mehr (…) Sie bringen uns tagtäglich Stück für Stück um, vielleicht nicht physisch aber psychisch, sie zerstören dich. Und als ich das sah, dass sie mich jeden Tag ein Stück mehr umbrachten, dachte ich, wenn ich schon sterben soll, dann will ich zumindest selbst darüber entscheiden, wie.“
Nach diesen Eindrücken ging es weiter in Richtung Verwaltungsgericht. Die Demonstration zog vorbei am Dom über den Kohlenmarkt zum Haidplatz. Auf dem Weg dorthin wurde der 72-Jährige Nazi und ehemalige NPD-Bundestagskandidat Wolfgang Rochner am Rande der Demonstration gesichtet. Dieser tat aber gut daran, dass er sich relativ schnell wieder zurück zog, nachdem vom Lautsprecherwagen aus auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht wurde. Am Haidplatz angekommen, wurde vor dem Verwaltungsgericht ein weiterer Redebeitrag auf Farsi und Deutsch verlesen.
„Noch immer sprechen wir von Widerstand, welcher aus jenem Gedanken entstanden ist, dessen Maßstab für Werte und Anti-Werte sich an der Freiheit des Menschen orientiert. Leben, das Nachdenken darüber und die anschließende Erlangung der Selbstbestimmung betrachten wir als Zeichen des Menschseins.“
An die anwesenden Bürger_innen in der Innenstadt Regensburgs wurden die gesamte Demonstration über knapp 500 Flyer über das Anliegen der Demonstration verteilt.
Nach der letzten Zwischenkundgebung ging es mit Parolen wie „No border, no nation – stop deportation!“, „Um Europa keine Mauer – Bleiberecht für Alle und auf Dauer!“ und „Say it loud and say it clear: Refugees are welcome here!“ weiter zum soziokulturellen Zentrum LE.D.E.R.E.R. im Innenstadtwesten. In der Lederergasse fand dann die Demonstration ihren Abschluss. Scheinbar nicht so freudig von der Demonstration schüttete ein_e Anwohner_in einen Eimer Wasser auf die Demonstrant_innen. Im L.E.D.E.R.E.R. selbst gab es dann warmes Essen und kühle Getränke, sowie Volkstodliedermaching von Augustine Aufruhr. Der Landshuter DJ BRNR lud mit seinem DJ-Set ein, den Aktionstags in angenehmer Atmosphäre ausklingen zu lassen.
Verhalten der Polizei
Beim morgigen Prozess waren 3 Staatsschutzbeamte anwesend. Die Polizei fuhr bereits vor Beginn der Verhandlung wieder ab, da ihr vermutlich der Ausgang der Verhandlung mitgeteilt wurde und so nichts zu befürchten war. Der Sicherheitsdienst des Verwaltungsgerichts, der sich mit "SD" abkürzte, kontrollierte dennoch sichtlich nervös alle Personen, die in das Gebäude wollten .
Zwei Tage vor der Demonstration hatte die Polizei für die Demonstration einen Auflagenbescheid ausgegeben. Diese an bayerischen Standards gemessenen "milden" Auflagen (Seitenstransparente erlaubt), sorgten aber dennoch für Ärger bei der Demonstrationsleitung, da die Polizei eine Woche zuvor noch von keiner Einschränkung und keinem Kooperationsgespräch gesprochen hatte. Erst wenige Tage vor der Demonstration wurde sie auf Grund „neuer polizeilicher Erkenntnisse“ dazu veranlasst. Was diese neuen Erkenntnisse waren, teilte diese der Demonstrationsleitung nicht mit.
Dennoch konnte die Demonstration wie geplant durchgeführt werden. Lediglich bei einem Hochtransparent mussten die Stangen gekürzt werden, da sie über zwei Meter hoch waren. Ein weiteres Hochtransparent mit gleicher Stangenlänge stellte aber offensichtlich kein Problem dar. Personalienkontrollen im Rahmen der Demo sind uns nicht bekannt, auch wurden keine Foto- oder Videoaufnahmen der Demo seitens der Polizei durchgeführt. Lediglich die Anzahl der eingesetzten Polizeiwagen (teilweise fünf Wannen direkt vor dem Fronttransparent und fünf nach der Demo) deutet auf ein hohes Polizeiaufgebot hin.
Resümee
Der Prozess war mit 70 Personen am Morgen eines Werktags sehr gut besucht. Die Anzahl der Teilnehmer_innen bei der Demonstration ist aber durchaus noch ausbaufähig. Positiv anzumerken ist aber die Beteiligung von bisher nicht aktiven Geflüchteten, die in den Regensburger Lagern kaserniert sind. Obwohl der spezifische Anlass ein Einzelschicksal war, konnten allgemeine Forderungen auf die Straße getragen werden. Dies äußerte sich auch in einem Artikel der Mittelbayerischen über den Aktionstag „Die Tür zur Gesellschaft ist verschlossen“ oder des Wochenblatts, welches zwar nur die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts übernahm aber dennoch ein Bild mit dem Fronttransparent der Demo abdruckte und das Motto dieser erwähnte.
Seit den Lagerland Aktionswochen im Mai 2012 ist antirassistische Politik in Regensburg äußert präsent. Diesem folgten von Juli bis September der selbstorganisierte Protest von Geflüchteten am Neupfarrplatz. Seitdem finden immer wieder Vortragsveranstaltungen, Filmvorführen, Kundgebungen und vieles mehr statt. Der Aktionstag „Bleiberecht für Alle!“ hatte hierzu mehrere Funktionen, so gab er dem Aktivisten viel Solidarität und versuchte Öffentlichkeitswirksam dem Thema eine Plattform zu bieten.
Mehr Bilder bei flickr: Klick mich
Solibild für den Aktionstag
Termine für Regensburg
via: strikeregensburg.wordpress.com
Kampagne Fight Racism Now
Aktionstag gegen Ausländerbehörden
16.05.2013 | bundesweit | Infos für Regensburg folgen...
Veranstaltung der JigRA
AfrikaBilder Rassismus im Kinder und Jugendbuch
16.05.2013 | 19:00 Uhr | L.E.D.E.R.E.R. e.V.
Veranstaltungsreihe an der Hochschule "Menschen wie Menschen behandeln"
von: BI Asyl, a.a.a., Forum Sozialwissenschaften
Flyer: Klick mich
Prof. Dr. phil. Anderson, Regensburg
"Gründe für Flucht & Vertreibung"
16.05.2013 | 19:00 Uhr | Raum S322 Hochschule Regensburg
Erich Schneeberger, Vorsitzender des bayerischen Landesverbandes deutscher Sinti
und Roma
"Aktueller Antiziganismus in der BRD und Europa"
05.06.2013 | 19:00 Uhr | Raum S322 Hochschule Regensburg
Isabell Richter, Sozialpädagogin B.A. & Gotthold Streitberger, BI Asyl
"Menschen wie Menschen behandeln"
12.06.2013 | 19:00 Uhr | Raum S322 Hochschule Regensburg
Unterstützer_innenkreis Regensburg
"Selbstorganisierte Flüchtlingsproteste"
19.06.2013 | 19:00 Uhr | Raum S322 Hochschule Regensburg
Film Trailer: Klick mich
“Leben verboten”
19.06.2013 | 19:00 Uhr | Raum S322 Hochschule Regensburg
Schöner Bericht
Daumen hoch für den tollen Bericht - gerne mehr davon!