Antikapitalistische Walpurgisnacht im Wedding 2012 / 2013
Im letzten Jahr fand die Antikapitalistische Walpurgisnacht
erstmals im Wedding statt. Diese Entscheidung brach nicht nur mit der
„Friedrichshainer Tradition“ der alljährlichen Veranstaltung, sondern
zeigte auch die Möglichkeit auf, auch außerhalb linker Szenekieze viele
Menschen auf die Straße zu bringen. Rund 6.000 Menschen gingen
letztendlich am 30. April 2012 in Wedding auf die Straße. Auf Grund des
großen Zuspruchs entwickelte sich aus dieser Initiative das Bündnis „Hände weg vom Wedding“,
dass in den Folgemonaten bis zum Jahresende Veranstaltungen im
Öffentlichen Raum organisierte um über Ausgrenzung im Alltag und im
stadtpolitischen Bereich zu informieren.
Am 30. April wird in Wedding wieder eine berlinweite Demonstration gegen steigende by CouponDropDown">Mieten, Rassismus und soziale Ausgrenzung stattfinden, so wie eine lange Nacht der linken Locations im Wedding am 19. April.
# 19. April | Weddinger Nächte sind lang | Veranstaltungen
gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung- für eine solidarische
Gesellschaft!
[Infos: HWVW-Blog]
# 30. April 2013, S.-U.-Bhf. Gesundbrunnen | 16 Uhr, Kundgebung | 20.30 Uhr, Demonstration
[Aufruf | Material]
Im Folgenden werden wir die Aktionen des „Hände weg vom Wedding“-Bündnisses des Vergangenen Jahres und den Aufruf für die diesjährige Walpurgisnacht dokumentieren.
# Veranstaltungen des „Hände weg vom Wedding“-Bündnisses 2012
08. Juni 2012 | Sparrplatz | Videokundgebung gegen steigende Mieten
[Bericht: Indymedia]
27. Juli 2012 | Arbeitsagentur Müllerstraße | Kundgebung und „Light-Graffiti“ gegen Ämter-Schikane und soziale Ausgrenzung
[Bericht: Indymedia]
17. September 2012 | Leopoldplatz | Videokundgebung und Live-HipHop. Thema: 21. Jahrestag des Pogroms von Hoyerswerda
[Bericht: Indymedia Linksunten | Video: Youtube]
26.11.2012: | Schulstr. 118 | Kundgebung gegen die drohende Schließung des Seniorentreffs
[Pressemitteilung von HWVM | Infotext vom Soldiner Kiez-Kurier]
# Aufruf zur Antikapitalistischen Walpurgisnacht 2013
Überwachen und Strafen? Nein, sondern den gewinnorientierten Umbau der Stadt stoppen!
Die
Antikapitalistische Walpurgisnacht fand im letzten Jahr zum ersten Mal
im Berliner Bezirk Wedding statt. Entgegen der groß angelegten medialen
und staatlichen Hetze im Vorfeld gingen am 30.04.2012 über 6000 Menschen
auf die Straße. Bei den Anwohner_innen war Angst vor angeblichen bösen
und gewaltbereiten Demonstrant_innen geschürt worden, was dazu führte,
dass einige Geschäfte sich mit Brettern vor den Fenstern rüsteten. Auf
der Demonstration jedoch wurden Rassismus und soziale Ausgrenzung als
Phänomene des Kapitalismus genannt und aufgedeckt.
Noch vor
einigen Jahren galten Bezirke wie Neukölln, Kreuzberg und Wedding als
„Schmuddelbezirke“ mit niedrigen Mieten. Menschen mit geringem
Einkommen, Migrationshintergrund oder anderen Hintergründen, die nicht
in die schon damals gutbürgerlichen Bezirke oder in die ehemals wilden
Bezirke wie Prenzlauer Berg passten, wurden in diese Stadtteile
abgedrängt. Mittlerweile hat sich vieles verändert und auch der Berliner
Senat hat angefangen, diese Bezirke rein gewinnorientiert zu
vermarkten. Doch wie wird man die bisherigen Anwohner_innen los, die nun
nicht mehr in das erwünschte Bild passen? Ganz einfach: man bedient
sich rassistischer Propaganda. So tut es bei jeder Gelegenheit der
rechtspopulistische Bürgermeister Neuköllns, Heinz Buschkoswky (SPD),
und ist sich nicht zu schade, darüber ein Buch zu schreiben. Parallel
dazu steigen die Mieten einfach wegen der gesetzlichen Möglichkeit dazu
und werden Zwangsumzüge durchgesetzt. Das schafft Platz für
einkommensstärkere Mieter_innen und solche, die mit Wohn- und
Mieteigentum Geld verdienen. Allen anderen bleibt nur der Umzug in die sogenannten Randbezirke oder
die Wohnungslosigkeit. Wenn wir also ein Zeichen gegen Rassismus und
soziale Ausgrenzung setzen wollen, muss es immer auch antikapitalistisch
sein, denn die Gründe liegen nicht in der Mieterhöhung allein.
Außerdem verschärft sich die soziale Situation in der Stadt weiter. Während der wirtschaftlich orientierte Umbau der Stadt durch die
herrschenden Parteien seit Jahrzehnten vorangetrieben wird, soll
zeitgleich ein starker Polizeiapparat aufgebaut werden, um mögliche
soziale Unruhen frühzeitig erkennen und niederschlagen zu können.
"Überwachen und Strafen" ist die Antwort der politischen und
ökonomischen Eliten von Heinz Buschkowsky bis Thilo Sarrazin auf den
Fakt, dass die Situation noch lange nicht so ist, wie es sich
kapitalistische Pläne vorstellen. Passenderweise wird im Februar wieder
der Europäische Polizeikongress in Berlin stattfinden, bei dem auch
dieses Jahr die allumfassende Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt
wird: mehr Kameraüberwachung, systematische und zunehmend willkürliche
Polizeipräsenz, Rechtsfreiheit für die Staatsgewalt.
Nationalismus als Verschleierungszusammenhang
Die
Stadt ist das Feld der sozialen Auseinandersetzungen, unterdrückende
Strukturen und soziale Ausgrenzung sind an allen Ecken der Stadt
anzutreffen. Was in den 1920er Jahren der Weimarer Republik als
"Sozialhygiene" nur angedacht wurde, verwirklicht sich heute schon in
der Realpolitik. Sozialhygiene beschreibt das "Aussieben" der
Gesellschaft, die sytematische Entrechtung und Diskriminierung vieler
Menschen aufgrund ihrer Lebensweise oder sozialer Lebensumstände. Armut
wird als persönliches Versagen verstanden und biologisiert – für
"abweichendes Verhalten" und Armut werden genetische Ursachen erdacht.
Wer sich nicht dem kapitalistischen Alltagsbetrieb fügen kann oder will,
wird aufgrund des immerfort drohenden sozialen Abstiegs als
"Unterschicht" bezeichnet und abgewertet. Bevor man selbst davon
betroffen ist, bleibt immer noch Zeit, auf andere verächtlich
herabzublicken. Sarrazins sogenannte Thesen und das auf allen Ebenen
vorgeschobene Argument "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen" zeigen
eine breite Zustimmung zu einem gefährlichen Sozialchauvisnismus, der
Herabwürdigung anderer aufgrund ihres angeblich niedrigeren sozialen
Standes. Menschenfeindlichkeit getarnt als Meinungsfreiheit.
In
Zeiten des dauerhaften Krisen-Kapitalismus zieht die Bundesregierung
gerade die sogenannte Euro-Krise als erfolgreichen Beleg für den
"deutschen Weg" des kapitalistischen Wirtschaftens heran.
Sozialchauvinismus gegen die Verlierer_innen dieser ökonomischen
Herrschaft wird mit einem Nationalismus verquickt, der sich als Stärkung
des Standorts tarnt und das bestehende System stützen soll. Im
nationalistischen Wahn werden die bestehenden sozialen Widersprüche
verwischt, obwohl die persönliche Situation immer prekärer wird. Unter
Applaus können die Missstände von der Öffentlichkeit abgesegnet werden,
da es ja immer Menschen gibt, denen es noch schlechter geht.
Arbeitsagenturen und Jobcenter als maßregelnde Einrichtungen sollen das
Märchen vom "Erfolg durch Anstrengung" weitererzählen. In Berlin steigt
die Anzahl der durch die Jobcenter verhängten Sanktionen bei
Hartz-4-Bezügen weiter an. Mehr Menschen ohne genug Geld zum Leben
bekommen noch weniger Geld, kommen dadurch in finanzielle Probleme und
bekommen: noch weniger Geld.
Keine Angst, es ist nur Gentrifizierung!
Gentrifizierung
ist ein Phänomen, welches wegen der Anziehungskraft auf den
spekulativen Immobilienhandel und die folgende Aufwertung die sozialen
Unterschiede in den Städten weiter verschärft. Durch solch eine
Stadtpolitik steigen die Mieten in zahlreichen Innenstadtteilen in
unbekannte Höhen oder werden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen
verwandelt, was großen Bevölkerungsteilen das Leben dort verunmöglicht.
Senat, Bezirksämter, Quartiersmanagements, Wohnungsbaugesellschaften und
Polizei arbeiten Hand in Hand daran, die entstehenden Konfliktherde mit
einer Law-and-Order-Politik aus den Innenstadtbereichen an den
Standrand zu drängen. Es stellt sich die Frage, ob hier gar eine Art
Ghettoisierung fernab der attraktiven, für Investor_innen interessanten
und verwertbaren Innenstadtquartiere verfolgt wird.
Zusehends
entsteht ein Repressionsapparat, welcher auch in Abwesenheit konkreter
Ordnungshüter_innen funktioniert und zur Selbstdisziplinierung anregen
soll: mit scheinbar demokratischen Elendsverwaltungen, allen voran
Quartiersmanagements, sollen demokratische Teilnahmemöglichkeiten
vorgetäuscht und die kritische Auseinandersetzung mit dem Versagen des
Berliner Senats verhindert werden. Ob in Neukölln oder Wedding:
Bestrebungen zur Disziplinierung werden von Bezirksbürgermeistern wie
Buschkoswky genauso gefordert wie eine umfassende soziale Kontrolle der
Bevölkerung. Die Ideen reichen bis zu "Kiezläufern", die Überwachungs-
und Kontrollfunktionen übernehmen und für eine immer engere
Kooperationen zwischen Behörden und der Polizei stehen, die jedes auch
nur mögliche Vergehen gegen einen wahnwitzigen Ordnungskatalog verfolgen
und bestrafen will.
Doch es geht auch anders. So konnte in den
vergangenen Monaten in Berlin-Kreuzberg eine Zwangsräumung verhindert
werden. Eine Familie sollte ihre seit mehreren Jahrzehnten bewohnte
Wohnung durch Polizeigewalt verlassen, was durch Freund_innen,
Anwohner_innen und Unterstützer_innen vorerst durch Blockaden verhindert
werden konnte. Dies ist ein Zeichen der Solidarität als Antwort auf
staatliche Repression.
Diskriminierung als Hintergedanke
Der
Prozess der Gentrifizierung arbeitet mit Rassismus gut zusammen. Nicht
nur Rechtspopulist_innen wie von "Pro Deutschland", sondern auch weit in
die sogenannte gesellschaftliche Mitte sorgt sich die deutsche
Mehrheitsgesellschaft um ihr Überleben. Befürchtet wird eine angebliche
"Überfremdung" durch muslimische Einwander_innen, was als mediale Hetze
ganz klar rassistische Strukturen aufweist und dank des Mangels an
Argumenten gut ankommt. Glücklicherweise scheitern die tragenden
Strukturen dieser Kampagne wie die Partei "Die Freiheit" immer wieder an
verschwindend geringen Wahlstimmen und dem unprofessionellen Auftreten
ihrer bekannten Figuren.
Eine Ursache für den zunehmenden
Rassismus lässt sich im jahrelangen Absinken des Reallohns und
gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten vor allem für Mieten
finden, da es am leichtesten scheint, die sowieso schon an den Rand
gedrängten Bevölkerungsteile wie Migrant_innen weiter aus dem
gesellschaftlichen Leben zu drängen, wenn sich die eigene Situation
verschärft. Zeitungen wie BZ, Bild und Kurier klatschen Beifall und
fordern mehr Kameras, mehr Polizei, härtere Strafen – nicht nur gegen
als "kriminell" bezeichnete Menschen, sondern am besten gegen alle, die
nicht von sich aus den ganzen Tag ihren Wert beweisen, in Deutschland
leben zu dürfen. Unter dem Deckmantel der Sicherheit oder besser: der
Absicherung gegen politische Aktionen entsteht eine totale Überwachung
und Bestrafung der Gesellschaft. Das wird in Zukunft auch den letzten
Freiraum in der Stadt beseitigen.
Ganz im Sinne der rassistischen
Zuschreibungen und dem Abwälzen eigener Probleme ist in vielen von der
Polizei willkürlich als "Kriminalitätsschwerpunkt" bezeichneten
Stadtteilen die Strategie des "racial profiling" Wirklichkeit geworden.
Menschen, die als abweichend von irgendeinem Muster angesehen werden,
geraten ohne Vorwarnung auf Straßen und Bahnhöfen in
"verdachtsunabhängige Kontrollen" und werden Stück für Stück entrechtet.
Anlass kann die äußere Erscheinung, die Kleidung oder die Bewegungsart
sein, Betroffene werden manchmal sogar mehrmals hintereinander
kontrolliert. Rassismus tritt dabei als gesellschaftliches und
institutionelles Problem auf – aufgrund der Zustimmung in der
Mehrheitsgesellschaft können die Behörden sich viele Rechtsbrüche
erlauben. Auch im Jahr 21 nach der faktischen Abschaffung des
Grundrechts auf Asyl sind offensichtlich keine Lehren aus der Geschichte
gezogen worden, es sei nur an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und
Hoyerswerda erinnert. Erst kürzlich warnte Innenminister Friedrich, aus
deutscher Tradition und ganz klar antiziganistisch, vor "Asylmissbrauch"
durch Menschen aus Serbien und Mazedonien.
If the kids are united...
Schon
in den ersten Lebensabschnitten wird den Menschen vom Staat vermittelt:
gefördert wird nur, was Gewinn verspricht. Senioren- und
Jugendeinrichtungen werden geschlossen und die Sozialhaushalte immer
weiter verknappt. Ursprünglich staatliche Aufgaben wie zur Versorgung
Armer und Obdachloser werden an marktwirtschaftlich orientierte
Unternehmen verscherbelt, damit diese selbst daraus noch Profit ziehen
können. "Public-Private-Partnership" (Zusammenarbeit
öffentlicher/staatlicher und privater Firmen) heißt das Zauberwort, mit
dem auch soziale Dienstleistungen gewinnträchtig werden.
Dagegen
wehren wir uns! Die Frage "Wem gehört die Stadt?" wollen wir einmal mehr
stellen. Die zunehmenden Zahl von Stadtteilinitiativen,
Mieter_innenbewegungen und anderen sozialen Protestbewegungen stehen für
eine Entwicklung, die Stadt nicht als Ort des Profitgewinns, sondern
als Lebensraum zu begreifen. Die Hausbesetzung in der Stillen Straße,
das Refugee Camp am Oranienplatz und die erfolgreiche Besetzung der
Schule in der Ohlauer Straße zeigen Möglichkeiten des Widersetzens und
des Widerstandes auf. Nun gilt es, die verschiedenen sozialen,
antirassistischen und antifaschistischen Kämpfe zusammenzuführen.
Wir,
die von Häuserräumungen und Verdrängung, von Rassismus und sozialer
Ausgrenzung, von polizeilichen Kontrollen und Schikane durch das
Jobcenter betroffen sind, lassen uns nicht einschüchtern!
Für eine antikapitalistische Perspektive – ohne rassistische Diskriminierung und ökonomische Ausbeutung!
Darum: am 30.04. auf die Straße – für eine solidarische Gesellschaft! Nimm, was dir zusteht!