"Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen." - Theodor W. Adorno
Wieder jährte sich der Tag der Auschwitz-Befreiung, wieder galt es, an die Schrecken des Holocaust zu erinnern und wieder muss an den noch immer herrschenden Antisemitismus erinnert werden.
Das diesjährige Gedenken wurde erstmals von einer Veranstaltungsreihe begleitet. Diese fand unter der Losung „Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung“ statt und stellte einen überaus gelungenen Rahmen rund um das Gedenken dar. So wurden insgesamt 8 verschiedene Veranstaltungen organisiert, darunter auch Führungen durch das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen und durch das Jüdische Museum in Berlin. Den Abschluss der zwei Wochen bildete schließlich die zentrale Gedenkkundgebung am 27.01., dem Tag der Befreiung Auschwitz'.
Fast 100 Menschen sind gekommen, um den Opfern der Shoah zu gedenken -
den Menschen, die nicht in das nazistische Weltbild passten und in den
Konzentrationslagern, aber auch an anderen Orten, ermordet wurden. Neben
dem Gedenken spielt auch das Mahnen der heutigen Generationen eine
zentrale Rolle auf dem antifaschistischen Gedenken: Eine Gesellschaft,
in der Antisemitismus noch immer auf breite Zustimmung stößt und auch
andere Ausgrenzungsmechanismen wie Antiziganismus oder Rassismus in den
Köpfen vorhanden sind, kann nicht davon sprechen, sich der deutschen
Schuld bewusst zu sein und Konsequenzen aus dieser zu ziehen. Ebenso
wenig zielführend kann die sogenannte Totalitarismustheorie sein, die
versucht jegliches antifaschistisches Engagement durch die Gleichsetzung
mit Neonazis zu diffamieren.
Statt weiterhin zu versuchen,
sich der Schuldannahme zu verweigern, sollte die Prämisse sein,
jegliches Handeln, das ausgrenzende Denkmuster bestärkt, aktiv zu
bekämpfen und somit dafür zu sorgen, dass Auschwitz sich nie wiederholt.
Ergänzend noch ein Text vom Internationalen Auschwitz-Komitee, der die Situation in Auschwitz am Tag der Befreiung von eben diesem beschreibt:
Die Front hat in dieser Nacht Auschwitz erreicht. Schon seit Tagen fliegt die Rote Armee Luftangriffe. Für die Wehrmacht ist nur noch ein einziger Fluchtweg offen: der nach Süden in Richtung Bielsko.
Am Morgen sprengen die Deutschen die Brücken über die Sola, an deren Ufer auch das Konzentrationslager von Auschwitz liegt.Das Lager ist wie ausgestorben. Etwa siebentausend Häftlinge befinden sich in Auschwitz, es sind die Kränksten und Schwächsten, die die SS zurückgelassen hat. Viele von ihnen haben die neun Tage seit der Evakuierung nicht überlebt. Überall liegen Leichen auf dem Boden.
Die SS lässt sich nur noch sporadisch im Lager blicken. Doch wenn, dann geschieht es in tödlicher Absicht. Auch an diesem Morgen betritt eine Abteilung der SS das Nebenlager von Auschwitz Fürstengrube. Sie erschießen über hundert Häftlinge und zünden den Häftlingskrankenbau an. Seine Insassen, etwa hundertdreißig Häftlinge, kommen kläglich in den Flammen um.
Am Nachmittag wird es plötzlich still in Auschwitz. In den letzten Tagen war der Geschützdonner immer lauter geworden. Jetzt schweigen die Kanonen. Die Häftlinge wissen: Es geschieht etwas. Aber sie können noch nicht einschätzen, ist es gut oder schlecht für sie? Haben die Deutschen die Russen zurückgeschlagen, ein letztes Mal, oder kommt sie nun endlich - die Befreiung?
Die Polin Wanda, die seit dem Warschauer Aufstand im August 1944 in Auschwitz gefangen ist und wegen ihrer Schwangerschaft von der SS zurückgelassen wurde, beschreibt diesen Moment so:
"Wir wissen ganz genau, dass etwas vorgeht, wir spüren es. Und dann sehen wir von Ferne über die Schneedecke Männer auf uns zukommen. Wir fürchten uns, weil wir nicht wissen, ob es Deutsche sind. Aber dann begrüßten sie uns mit "strastwutje". Das heißt guten Tag auf russisch. Wir fragten sie, wo die Deutschen sind, ob sie noch einmal zurückkommen. Aber sie sagten: Nein, sie kommen nicht mehr."Es ist fünfzehn Uhr. Die ersten Aufklärungstrupps der Roten Armee haben das Lager erreicht. Wanda ist frei. Was fühlt sie in diesem Moment?
"Das ist, als ob sich alles auf den Kopf stellt, ich kann das schwer erklären. Plötzlich ist alles weg. Ich bin nicht mehr hungrig, mir ist nicht mehr kalt. Ich habe keine Schmerzen. Alles ist weg. Das ist der Schock, der große Freudenschock."
Die 60. Armee der 1. Ukrainischen Front marschiert in Auschwitz ein.
Siebentausend Häftlinge von Auschwitz sind frei. Tatsächlich frei, viele von ihnen nach vier und mehr Jahren Haft.Aber die anderen dürfen nicht vergessen werden. Für alle Auschwitzhäftlinge, die auf die Evakuierungsmärsche gezwungen wurden, geht das Martyrium weiter. An diesem 27. Januar wird ein letzter Transport von 2000 Häftlingen das Frauenlager Ravensbrück erreichen. Dort verbringen sie die ersten 24 Stunden ohne Nahrung unter freiem Himmel. Nein, Auschwitz, und alles was es symbolisiert ist noch immer nicht vorbei. Die Nationalsozialisten und die SS-Schergen wüten und morden weiter.
Emanzipatorisches Jugendkollektiv Potsdam
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Solidarische Kritik
Der internationale Holocaust-Gedenktag war ja heute – der Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz. In der Wahl des Tags drueckt sich der Wunsch aus, irgendetwas Troestliches zu finden. Ausserdem sind an diesem Tag die Befreier Helden, die Nicht-Beteiligten ruecken an diesem Tag ins Licht. Darum macht es dieser Tag auch leichter, allgemeine Lehren zu ziehen, wie in vielen typischen Holocaust-Tags-Gedenkreden. Ein Appell, dass der Mensch an sich besser sein sollte, keine Diskriminerung, kein Hass mehr — Worte, denen jeder zustimmen kann. Das sind die Lehren, die die Welt aus der Shoah gezogen hat.
In Israel ist ein anderes Datum fuer den Shoah-Gedenktag gewaehlt worden. Der Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstands. Auch dieses Datum zeugt vom Wunsch, einen Lichtpunkt in der totalen Finsternis zu finden. Der Tag ist auch nicht den Opfern allein gewidmet, sondern auch den Helden des Aufstands – verzweifelte, hoffnungslose Gegenwehr, und ein Tod im Kampf, nicht in der Wehrlosigkeit. Dementsprechend erwaehnen die Reden in Israel die Lehren, die das Volk Israel aus dem Holocaust gezogen hat: sich wehren ist besser als stillhalten, lieber kaempfend untergehen als dahingeschlachtet werden, Warnungen ernstnehmen, ein Auge auf antisemitische Drohungen und Taten haben.
Die Welt hat allgemeine Lehren gezogen (und ein Teil der Welt bestreitet, dass es die Shoah ueberhaupt gegeben hat, bedauert ihr vorzeitiges Ende, und moechte beim naechsten Versuch die Sache zu Ende bringen – von denen rede ich hier nicht). Israel hat spezifische Lehren gezogen.
Die verschiedenen Daten bringen das glasklar zum Ausdruck. Wer wissen moechte, wo sich der Westen und Israel unterscheiden (die doch so vieles gemeinsam haben), der findet hier einen Ansatzpunkt. Amerikaner und Europaeer begehen den Tag, an dem sie die Opfer befreit haben. Israelis und Juden begehen den Tag, an dem sie Widerstand geleistet haben.
So oder so – unertraegliche Abgruende.
Quelle: http://rungholt.wordpress.com/2013/01/27/gedenktage/