Dachau: Antirassistische Demonstration für Flüchtlingsrechte

Dachau: Grenzenlose Solidarität

Am Samstag, den 6. Oktober 2012, demonstrierten in Dachau 200 Menschen unter dem Motto GRENZENLOSE SOLIDARITÄT für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen. Damit sollten die aktuellen bundesweiten Kämpfe von Flüchtlingen aktiv unterstützt, die immer noch unhaltbare Situation im Dachauer Flüchtlingslager in der Kufsteinerstraße weiter angeprangert, und die Menschen dort in den Kontext der Kämpfe mit einbezogen werden. Gefordert wurde die Abschaffung sämtlicher staatlicher Schikanen und Demütigungen – Abschaffung von Essenspaketen und Residenzpflicht, freie Wohnungswahl statt Lagerzwang, Beendigung von Abschiebungen und ein konsequenter Kampf gegen alle Formen von Rassismus.

 

Des weiteren bezog sich die Demo auf die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durch den „Asylkompromiss“ vor 20 Jahren und sollte an die rassistischen Pogrome in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und vielen anderen Orten in der BRD erinnern. Äußerungen des bayerischen Innenministers über „Asylmissbrauch“ wenige Tage vor der Aktion gaben diesem Anliegen eine erneute Aktualität.

 

Vorfeld
Das Demo-Bündnis bestand aus dem selbstverwalteten JUZ Freiraum, dem Dachauer Arbeitskreis Asyl, autonomen Gruppen und dem Verein Move Together, der das Benefiz-Festival Riding Higher organisiert. Unterstützung fand sich später noch von der Dachauer Amnesty International-Gruppe. Die SPD Dachau machte sich in einer Presseerklärung und einer Saalveranstaltung drei Tage vor der Demo ebenfalls das Thema zu eigen, ohne aber Bezug auf das Bündnis oder die Demo zu nehmen. Im September musste das Dachauer Straßenbild auch einer permanenten Reinigung von neonazistischen Aufklebern des „Freien Netz Süd“ unterzogen werden.

 

Das Dachauer Flüchtlingslager...
in der Kufsteinerstraße, außerhalb der Stadt, besteht seit über 20 Jahren. Noch immer müssen die Menschen dort in Holzbaracken auf engstem Raum leben. Die Baracken sind gegen Hitze wie Kälte unzureichend isoliert. Kinder spielen zwischen Rattenködern. Die Zustände dort können nur als katastrophal bezeichnet werden. Ein Absicht zur Änderung der Lebensbedingungen war über all die Jahre nicht in Aussicht. Im Juli wurde bekannt, dass Ende des Jahres die Baugenehmigung ausläuft. Die Stadt Dachau äußerte, an Stelle der Baracken ein Haus errichten zu wollen. Genaueres sollte noch verhandelt werden bzw. es gab noch keine konkreten Beschlüsse, wo die Betroffenen dann vorübergehend wohnen sollen. Der Bürgermeister der Gemeinde Hebertshausen, Michael Kreitmeir (FW), lehnte eine Aufnahme von Flüchtlingen bereits ab. Begründung: 160 Flüchtlinge in einem Ort mit 2300 Einwohner_innen wären 7-8% der Bevölkerung. Das sei „unverhältnismäßig“, zeigt aber die Notwenigkeit einer antirassistischen Aktion. Eine geforderte dezentrale Unterbringung, also Leben in Wohnungen, ein Recht das jedem Menschen zustehen sollte, wäre in Dachau nicht möglich, so Dachauer Politiker_innen, da es weder ausreichend Sozialwohnraum noch überhaupt bezahlbaren Wohnraum gibt. Letzteres ist durchaus zutreffend. Die Kleinstadt Dachau zählt bundesweit zu den Städten mit den höchsten Mieten.

 

Die Demo...
startete am Ortseingang von Dachau, in der Nähe des Flüchtlingslagers. Von den aktuell 160 dort zwangsweise untergebrachten Menschen beteiligte sich gut ein Viertel. Die Demo lief über die große Münchner Straße und schob sich dann zick zack durch die Stadt, über den Papierfabrikberg in die Altstadt. Am Rathaus wurde eine Kundgebung abgehalten. Die gut einstündige Demo wurde auf alle Fälle wahrgenommen. Es wurden reichlich Flugblätter verteilt, sowie die Forderungen des Protestmarsches von Flüchtlingen von Würzburg nach Berlin verlesen. Dieser kam am Vortag in Berlin an. Immer wieder wurde über die Zustände in der Kufsteinerstraße informiert. Im Verlauf schlossen sich auch einige Passant_innen der Demo an. Zum Teil konnten aus der von nur wenigen Polizeifahrzeugen begleiteten Demo die letzten Reste neonazistischer Propaganda ungestört entfernt werden. Provokationen von Neonazis oder anderen Rassist_innen blieben aus. Lediglich einzelne Passant_innen zeigten ihre Abneigung gegen „Ausländer“, von denen es „hier viel zu viel“ gäbe. Von einem deutlichen Großteil aber gab es Zuspruch oder positives Interesse. Auf der Abschlusskundgebung gab es Redebeiträge der autonomen Gruppen, der Karawane München, welcher noch einmal auf die zentralen Forderungen einging, des Mietervereins Dachau, wo die bereits erwähnte lokale Wohnsituation thematisiert wurde und vom Pfarrer der Versöhnungskirche. In seiner Rede kamen viele staatliche Diskriminierungen, gesellschaftlicher Rassismus und neonazistische Gewalt zur Sprache und machte seine Kritik auch für Nicht-Christ_innen interessant.

 

Presse
Die Dachauer SZ war gleich so begeistert, dass sie ihn zum „Hauptredner“ erklärte und in einem Artikel nahezu ausschließlich seine Rede zitierte, statt auf die Inhalte des Aufrufs, alle Forderungen oder auch die Inhalte der anderen Redebeiträge einzugehen. Die Beiträge der autonomen Gruppen lea[m] und aaud gingen um gesamtgesellschaftlichen Rassismus bzw. um lokale rassistische und rechte Vorfälle, die weder Konsequenzen noch Skandale verursachten. Hier war für die Dachauer SZ nur ausschlaggebend und erwähnenswert, dass die Reden vom Band kamen. Das wurde im Kommentar zum Artikel als „Feigheit und lächerliche Paranoia“ bezeichnet, obwohl sich die Teilnehmer_innen nicht daran störten, sondern es mit ebenso großem Beifall wie bei den Vorredner_innen bekundeten. Die Tatsache, dass man „Anti-Antifa Kameraden“ nicht die Arbeit erleichtern wollte und man auch im Vorfeld nicht genau einschätzen konnte, ob es zu Störungen seitens Neonazis kommen könnte, scheint dabei wohl egal zu sein. Die konservativen „Dachauer Nachrichten“ erwähnten in ihrem Artikel weder den Grund, Inhalt noch die Forderungen der Demo. 200 Leute haben halt für Flüchtlingsrechte demonstriert – das war's.

Drei Tage nach der Aktion, am 9.10., beschloss der Sozialausschuss im Dachauer Stadtrat die auslaufende Baugenehmigung für die Kufsteinerstraße um ein Jahr zu verlängern. Da der Grundstückseigentümer das Gelände nicht verkaufen möchte, ist der Hausbau erst mal gescheitert. Die Verlängerung wurde vom Oberbürgermeister Peter Bürgl (CSU) damit begründet, dass diese sonst von der Regierung von Oberbayern erteilt worden wäre, was eine Verlängerung um fünf Jahre bedeutet hätte. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sich rein gar nichts ändert. Die Stadt wolle aber nach einer Alternative suchen. Fest steht also, dass gar nichts fest steht. Als das Ganze am 11.10. in der Lokalpresse veröffentlicht wurde versammelten sich am Abend des selben Tages noch einmal knapp 20 Leute spontan vor dem Rathaus, um dagegen zu protestieren und ihr Anliegen samt Forderungen erneut öffentlich kund zu tun.

 

Einschätzung
Auch wenn das mediale Echo besser hätte sein können, tat es dem Erfolg der Demonstration keinem Abbruch. Alle Beteiligten konnten ihre Sichtweisen offen zur Sprache bringen. Es wurde ein deutliches Statement gesetzt – von einem breiten Spektrum, das sich an seinen Gemeinsamkeiten, nicht an den Gegensätzen, orientierte. Außerdem ist es schön zu sehen, dass es in einem konservativen Umfeld wie Dachau praktischen Widerspruch gibt. Teilweise Schwächen, die es zweifelsohne auch gab, müssen in einer Nachbereitung besprochen werden. Das Positive überwog jedoch. Am meisten, dass sich viele Flüchtlinge beteiligten. Nun gilt es dran zu bleiben und auf verschiedenste Weise weiter politischen Druck aufzubauen, um eine tatsächliche Änderung schleunigst herbeizuführen.

 

KEIN RUHIGES HINTERLAND


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