Am 3. Oktober lädt die bayerische Staatsregierung anlässlich des Tages der deutschen Einheit die Fans der Nation zum „fröhlichen Fest in Schwarz-Rot-Gold unter dem weiß-blauen Himmel Bayerns“. Eine Einladung, die wir getrost ausschlagen.
Mit der „Wiedervereinigung“ wurde eines der
offensichtlichsten Hindernisse, sich positiv auf die deutsche
Nation zu beziehen, beseitigt: Die Teilung Deutschlands war
nicht nur eine geopolitische Schwächung, sondern stellte als
unmittelbare Konsequenz des von Deutschland verursachten
Weltkriegs, einen permanenten Verweis auf den
nationalsozialistischen Teil der deutschen Geschichte und
Identität dar.Nach dem industriellen Massenmord der
Nationalsozialist_innen an Jüd_innen, Romni_ja und Sinti_zza
findet jede Bezugnahme auf Deutschland notwendigerweise im
Kontext dieser Vernichtunspolitik statt. Der
Nationalsozialismus gründet auf einer völkischen Idee von
Nation, die auf einem rassistischen Abstammungsprinzip und
Homogenitätsideal beruht und die von Anfang an Jüd_innen,
Sinti_zza, Romni_ja, Schwarze und viele andere von der Teilhabe
ausschließt. Dieses völkische Prinzip war seit jeher im deutschen
Nationalismus prägend und vorherrschend. Die
Vernichtungspolitik der Nazis stellt dabei den Versuch dar,
diesen völkisch-nationalistischen Einheits- und
Homogenitätswahn durch die Vernichtung seines
Nicht-Identischen praktisch durchzusetzen.
Jeder deutsche Nationalismus nach 1945 stand und steht – wenn auch
unbewusst – damit vor der „Aufgabe“ den Wahn dieser Vernichtung
zu rationalisieren (zum Beispiel in der Ausblendung der
Irrationalität des Nationalsozialismus und im bloßen,
empathielosen statistischen Erfassen von Geschichte), zu
relativieren (in der Gleichsetzung nationalsozialistischer
Vernichtungspolitik mit Verbrechen des Stalinismus im Rahmen
der Totalitarismustheorie oder im Vergleichen israelischer
Militäraktionen mit nationalsozialistischen), zu
verdrängen (in Forderungen nach einem Schlussstrich unter die
Vergangenheit) und zu rechtfertigen (im offenen Neonazismus).
All diesen Formen des (Nicht-)Umgangs mit der eigenen
Vergangenheit – so verschieden sie untereinander auch sein
mögen – ist gemein, Empathie für und Trauer um die Opfer nicht in
sich aufnehmen zu können. Empathie und Trauer für die Opfer sind
aber überhaupt erst die Bedingungen der Möglichkeit nach
Porajmos und Shoah1 emanzipatorisch denken und
handeln zu können. Das geschäftige Weitermachen, das nach der
militärischen Niederlage Deutschlands Wirtschaftswunder und
Verdrängungsleistung gleichermaßen bedingte ist dabei das
Gegenteil dessen, was angesichts der Massenvernichtung an der
Zeit war und immer noch ist, das Stilllegen des bewusstlosen
Weitermachens und der radikale Bruch mit aller
gesellschaftlichen und individuellen Gewalt, die in der
nationalsozialistischen Vernichtungspolitik auf die
grausamste und unvorstellbarste Weise kulminierte. Die
Gewaltförmigkeit der Gesellschaft ist dabei allerdings keine,
die sich auf den Nationalsozialismus beschränken lässt.
Bisherige Gesellschaften gründeten und gründen sich
unmittelbar und mittelbar auf Gewalt, von dem – in Deutschland
bis in die radikale Linke hinein verdrängten – Kolonialismus,
dem rassistischen Grenzregime der „Festung Europa“ und der
Abwehr gegenüber Migrant_innen, bis hinein in die persönlichen
Beziehungen untereinander. Dabei darf es nicht darum gehen, die
Spezifik nationalsozialistischer Gewalt und Herrschaft durch
den Verweis auf die fundamentale Gewalt- und
Herrschaftsförmigkeit der Gesellschaft zu verschleiern, sondern
im Gegenteil: darum die Spezifik der nationalsozialistischen
Vernichtungspolitik in ihren historischen und
gesellschaftlichen Bedingungen zu verstehen und eben diese
Bedingungen von Identitätszwang, Herrschaft und Gewalt zu
überwinden.
Nation und Nationalismus ohne den gewaltsamen Ausschluss des
„Anderen“ oder „Fremden“ ist an sich unmöglich, ebenso ist es die
Vorstellung den deutschen Nationalismus von seinem völkischen
und nationalsozialistischen Erbe zu trennen, wie es aktuelle
Diskurse um den sog. „Partypatriotismus“ suggerieren; als
radikale Linke bleibt für uns daher nur die Möglichkeit mit der
Nation im Allgemeinen zu brechen, mit der deutschen aber im
Besonderen.
Die unterschiedlichen deutschen Nationalismen waren dabei, bei
allen Gemeinsamkeiten, niemals ein monolithischer Block, sie
waren immer schon widersprüchlich und von inneren
Auseinandersetzungen und Konflikten geprägt. Gerade in der
Frage des Umgangs mit der eigenen (nationalsozialistischen)
Vergangenheit wird dies deutlich. Während in Westdeutschland die
alten nationalsozialistischen Eliten weitestgehend relativ
nahtlos in die Nachkriegsgesellschaft reintegriert wurden und
die nationalsozialistischen Verbrechen verdrängt und
relativiert wurden, wurde in Ostdeutschland durch die
Theoretisierung des NS als bürgerliches Instrument
antikommunistischer Konterrevolution dessen
antiziganistische und antisemitische Dimension
weitestgehend ausgeklammert; eine Tendenz die sich durch den
stalinistischen Antisemitismus und Antikosmopolitismus,
sowie durch die antizionistische Politik des Warschauer
Paktes noch verstärkte.
Die Versuche, den Nationalsozialismus und die von Deutschland
begangenen unvergleichlichen Verbrechen als „Unfall der
Geschichte“, “dunkle Jahre“, ausgelöst von einigen wenigen
(Ver-)Führern zu erklären, fungieren als
Entschuldungserzählungen, mit denen weite Teile der deutschen
Bevölkerung von ihrer Verantwortung und (juristischer) Schuld
freigesprochen werden sollen.
Diejenigen Geschichtsbetrachtungen, die von Deutschen
erlittene Kriegsgeschehnisse, wie z.B. Bombardements,
besonders hervorheben oder pauschalisierend individuelles
Leid auf allen Seiten betonen, laufen auf eine Verwischung
historischer und politischer Verhältnisse hinaus und
fungieren so auch als Entlastungsstrategien.
Der Nationalsozialismus konnte sich auf eine äußerst breite
Massenbasis stützen, ein Großteil der Bevölkerung hat sich aktiv
beteiligt, hat profitiert, oder mindestens bereitwillig
weggesehen. Zentrale Elemente, wie allen voran der
Antisemitismus in seiner spezifischen, eliminatorischen
Ausprägung, ein preußisch-polternder Militarismus und eine
kadavergehormsame Obrigkeitshörigkeit, oder das
Nationalverständnis, das sich seit seiner Etablierung im Zuge
der gescheiterten bürgerlichen Revolution 1848 völkisch
bestimmte, also die Zugehörigkeiten und Ausschlüsse
biologisch definierte, waren keine exklusiven Preziosen
nazistischer Ideologie, sondern seit langem in weiten Teilen
der politischen Landschaft vorzufinden
geschichte wird gemacht
…es geht voran
Die proklamierte Stunde null bezeichnete
konsequenterweise keinen vollständigen Bruch. Während unter
Anderem die Konfrontation mit den Leichenbergen des
antisemitischen Vernichtungswahns die Deutschen zur
Modifizierung zum sekundären Antisemitismus zwang, konnten
sich so manche Täter_innen im Rahmen der wirtschaftlichen
Wiederaufrüstung und der antikommunistischen Mobilmachung
an der Entnazifizierung vorbeilavieren. Neben Kontinuitäten
wie der Übernahme von Führungspersonal und Aktenbeständen der
„Zigeunerbekämpfung“ in bundesrepublikanische Behörden,
oder etwa des Paragrafen 275 StGB zur Verfolgung
Homosexueller, wurden hohe Ämter und Posten, in Verwaltung,
Politik, Militär und Wissenschaft, wie auch Führungsetagen
deutscher Unternehmen mit alten Eliten besetzt.
Dennoch konnte nicht alles wie gewohnt weitergehen; die
Verdrängungsleistungen der Nachkriegsgesellschaft standen
einer allzu offenen Bezugnahme oft genug im Weg. Offen zur Schau
gestellter Nationalismus war tabuisiert. Deswegen und auch in
Reaktion auf Kritik von Opfergruppen und antifaschistischen
Bewegungen waren letztlich einige Anpassungen notwendig, um
deutschen Nationalismus wieder salonfähig zu machen.
Eine strategische Leistung war der Versuch der Etablierung des
sog. Verfassungspatriotismus, bei dem sich die affirmative
Bezugnahme auf die Nation über die als positiv aufgefassten
(Freiheits-)Rechte des Grundgesetzes definieren sollte, im
Gegensatz zur reinen Herleitung aus der
Abstammungsgemeinschaft. Eine weitere Leistung war die
Neubewertung der nationalsozialistischen Geschichte, die –
spätestens seit den Paradigmenwechseln der Berliner Republik –
heute i.d.R. nicht mehr verdrängt oder geleugnet, sondern
miteinbezogen wird. Wo in den 80ern noch manch ein Martin Walser
forderte endlich mit der Vergangenheit in Ruhe gelassen zu
werden, wird heute die Auseinandersetzung damit gerade begrüßt
und gefördert – mit dem Effekt, dass diese Aufarbeitungsleistung
den Deutschen einen Neugewinn als geläuterte und nunmehr
besonders befähigte Nation zukommen lässt. Hieraus leitete
etwa Joschka Fischer das moralische Mandat ab, ein zweites
Auschwitz zu verhindern, wie er es zur Begründung der deutschen
Teilnahme am Krieg gegen Serbien zu Protokoll gab.
Der dritte deutsche Angriffskrieg gegen Serbien im
20.Jahrhundert hatte dabei zumindest mittelbar die
Unterstützung jener albanischern Nationalist_innen zur Folge
die neben Serb_innen auch tausende Romni_ja umbrachten. Gerade
diese Bevorteilung antiziganistischer Mörder_innenbanden
steht dabei in ungebrochener deutscher Tradition. Auch nur das
geringste Bewusstsein darüber, was Auschwitz war, nämlich der Ort
an dem auch tausende Romni_ja von den Deutschen in Gaskammern
ermordet wurden, verbietet es einen solchen Vergleich
anzustellen. Dieses Nicht-Bewusstsein über den Porajmos
verdeutlicht den instrumentellen Umgang mit und die selektive
„Aufarbeitung“ der nationalsozialistischen Vernichtung und
den immer noch offenen Antiziganismus in der deutschen
Öffentlichkeit. Während offener Antisemitismus in weiten
Teilen der Gesellschaft tabuisiert ist, dauert die
antiziganistische Tradition fast ungebrochen fort. Diese
Tabuisierung des offenen Antisemitismus ist keine Aufklärung
sondern stellt oft eine Verschiebung auf sekundären und
Schuldabwehrantisemitismus dar. Die antiziganistischen
Ressentiments hingegen können sich meist noch unverblümter und
offener zeigen. Ein kritisches Bewusstsein dem
Antiziganismus gegenüber ist in weiten Teilen der deutschen
Gesellschaft nicht vorhanden. Das drückt sich nicht nur in den
offenen Anfeindungen und der materiellen Gewalt gegenüber
als „Zigeunern“ stigmatisierten Menschen aus, sondern auch im
Verdrängen, Verleugnen und Vergessenmachen der Geschichte und
Gegenwart des Antiziganismus. Während reeducation,
antifaschistische Arbeit und die bloße Existenz Israels zur
oberflächlichen Bezugnahme auf den Antisemitismus „zwingen“,
gelang es der deutschen Mehrheitsgesellschaft die Vernichtung
von Sinti_zza und Romni_ja fast vollständig aus dem Bewußtsein
fernzuhalten.
Mutbürger in uniform
Wenn Bundespräsident Gauck heute Respekt und moralische
Unterstützung für die im Ausland eingesetzten deutschen
„Mutbürger“ in Uniform einfordert, die Bundeswehr zunehmend im
öffentlichen Raum um Anerkennung und Kanonenfutter wirbt, so
zeigt das vor allem eines: Der global player Deutschland kann und
muss seine Ansprüche und Interessen endlich konsequent mit allen
Mitteln der Politik durchsetzen, auch wenn es dabei knallt und
raucht.
Die Zeiten von „Kniefall“ und der Lehre des „Nie wieder Krieg“, die
Deutschland einst aus seiner Geschichte gezogen haben will, sind
vorbei. Seit 1998 führt Deutschland ganz offiziell wieder Krieg.
Das neue Selbstbewusstsein und die moralische Überlegenheit mit
dem der Aufarbeitungsweltmeister Deutschland seine Freiheit am
Hindukusch und seine Handelswege vor Somalia verteidigt,
schließt durchaus die Möglichkeit mit ein, sich den
Bündnispartner_innen bei bestimmten Wünschen zu verwehren. In
beiden Fällen weiß Deutschland seine Deutschen hinter sich.
Kaum verwunderlich, dass der Krieg in Jugoslawien nur einen
Bruchteil der öffentlichen Empörung hervorrief, die sich auf
deutschen Straßen, in deutschen Leitartikeln und deutscher
Popkultur gegen den Irak-Krieg artikulierte, als sich
Schröder-Deutschland selbstbewusst dem Mitkämpfen verweigerte
und sich gegen einen US-Amerikanischen „Weltsheriff“ in Stellung
brachte, dem es bei aller Bomberei doch stets nur um Öl und
keineswegs um die proklamierten westlichen Werte ginge. Bei
Deutschland indes stellen sich solche Fragen nicht und allzu
tollpatschiges Geplaudere über die kriegerische Wahrung
deutscher Interessen (Köhler) können dementsprechend auch schon
mal ein beschädigtes Amt des Bundespräsidenten (Köhler) nach
sich ziehen.
Gerade bei all jenen, einst postkolonial gegen den
Realsozialismus in Stellung gebrachten, Regimen, Diktatoren
und Banden, deren unübersehbare killing fields bislang nichts
auf deren Status als verlässliche Partner der demokratischen
Menschenrechtskrieger_innen kommen ließen, bedarf es so doch
zuweilen noch einiger rhetorischer Verrenkungen
militärische Interventionen zu legitimieren. Während etwa
mit den mörderischen Regimes in Saudi-Arabien oder dem Jemen
eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich ist, kann es anderen
Diktaturen im Zweifelsfall schnell an den Kragen gehen.
Bei einem allzu peniblen Pochen auf Menschenrecht und Demokratie
hätte sich Deutschland schließlich „in 40, 50 anderen Staaten
einzumischen“ wie bereits Feldherr Karl Theodor zu Guttenberg in
seinen besseren Tagen noch einzuwenden hatte.
Die Frage ob und wann eine „humanitäre Intervention“ von Nöten
ist, kann dabei auch unter den Bündnispartner_innen durchaus
umstritten sein. So waren es im Falle Libyen allen voran
Großbritannien und Frankreich, die ein Eingreifen dringend
geboten sahen, während sich etwa Deutschland nicht an den
Luftangriffen beteiligen wollte und sich nicht unbedingt
begeistert von einem Eingriff zeigte. Schließlich verdiente
Deutschland bislang ganz gut an millionenschweren Deals mit dem
libyschen Militär und wusste in einem seiner relevantesten und
zuverlässigsten Öllieferanten auch einen willfährigen
Unterstützer in der Flüchtlingsabwehr2. 300
Kilometer Seeweg liegen zwischen Tripolis und Lampedusa.
Gaddafis Flüchtlingslager bildeten vor dem Krieg hier eine
hochwillkommene Barriere auf außereuropäischem Boden.
Da sich Deutschland und seine europäischen Verbündeten in der
Flüchtlingsabwehr nicht allein auf die Hilfe skurriler
außerkontinentaler Diktatoren verlassen können, hat sich ein
umfassendes System zur militärischen Abschirmung der
europäischen Grenzen etabliert. Vor allem auf dem Mittelmeer
sorgt die Grenzschutz-Agentur Frontex dafür, dass Flüchtlinge eher
den Tod als ein Schlupfloch in die europäische Union finden.
Ein nicht zu verachtender Mehrwert aus der Illegalisierung
flüchtender Menschen ergibt sich dabei aus der Ausbeutung dieser
als völlig rechtlose Arbeitskräfte zum kleinen Preis, ohne die
ein reibungsloser ökonomischer Ablauf vielerorts schwer
möglich wäre.
Integration als Gate-Keeper nationaler Vergemeinschaftung
Spätestens im Zuge der seit den 60er Jahren einsetzenden
Arbeitsmigrationsbewegung in die BRD ließ sich die
Anwesenheit und das Bleiben von Migrant_innen als Fakt
innerhalb der deutschen Gesellschaft nicht mehr ohne Weiteres
leugnen. Als Folge dieses Prozesses kam es zu deutlichen
Verschiebungen der Art und Weise wie damit umzugehen sei. War das
Leitbild bis ca. in die 80er Jahre das der „Gastarbeiter“, deren
Isolation begrüßt und von denen erwartet wurde, dass sie
irgendwann auch wieder verschwinden würden, ist das heutige
dominante Motiv, das der Integration. Dieser Begriff gilt
allgemein hin als begrüßenswert und ist positiv konnotiert.
Dahinter verbirgt sich allerdings eine modernisierte Politik
systematischer Ausgrenzung, Auslese und (letztlich)
rassistischer Platzzuweisung.
Ende der 90er Jahre wurde die Chance bewusst vertan, wenigstens die
Homogenitätsvorstellung innerhalb des deutschen
Staatsbürgerrechts aufzugeben. Stattdessen war die Einführung
der sog. „Doppelten Staatsbürgerschaft“ mit all ihren
Einschränkungen eine letztlich notwendige Minimal-Adaption
der Vorstellungen eines auf Abstammung basierenden
Nationenverständnis‘, um diese überhaupt im Kern weiter
behalten zu können.
Spätestens seit dem 11. September wird die Anwesenheit von
Migrant_innen im Zuge der Bedeutung des Konzepts der
Integration auf neuartige Art und Weise problematisiert.
Kernverständnis von Integration ist ein essentialistisches
Verständnis von Kultur, das sowohl Migrant_innen als auch
deutsche Mehrheitsgesellschaft als jeweils homogene Einheiten
begreift und hierarchisiert. Das Innen und das Außen stehen von
vornherein fest, es ist klar wer die Integration zu erbringen
und wo hinein sich integriert werden soll. Die Forderung nach
Integration basiert auf rassistischen Vorstellungen und ist
in ihrer Begrifflichkeit schief, bspw. Wird sie nie von Dän_innen
oder Brit_innen, die in Deutschland leben, eingefordert – wenn
diese überhaupt als Migrant_innen wahrgenommen oder
problematisiert werden. Im Integrationsdiskurs werden
Migrant_innen dazu verpflichtet, zugeschriebene und
vermeintliche „Defizite“ selbst ausräumen, um erst nach
erfolgter Anerkennung ihrer Leistung, basierend auf von der
Mehrheitsgesellschaft festgesetzten Maßstäben, Zugang
erhalten. Integration erhält so auch den Rang einer Art von
Glaubensbekenntnis, dass von Migrant_innen immer wieder
öffentlich eingefordert werden kann und wird.
Obendrein dreht das Integrationsgefasel die inhärenten
Machtverhältnisse gesellschaftlicher Teilhabe einfach um,
indem diese nicht mehr im Zusammenhang mit rassistischer
Ausgrenzung seitens der Dominanzgesellschaft, sondern als
Problem individuell zu erbringende Leistung seitens der
Migrant_innen aufgefasst werden. Somit fungiert die Forderung
nach Integration auch als Entschuldungsmechanismus der
deutschen Mehrheitsgesellschaft, schließlich stellen dieser
Logik nach „unintegrierte“ Migrant_innen das Problem dar und
nicht rassistische Zustände.
Neben der zu erbringenden kulturellen Anpassungsleistung – die
bei aller geäußerter Befürwortung zugeschriebener, oft
stereotyper Eigenarten der Migrant_innen am Ende nicht weit von
der Assimilation an die „Leitkultur“ entfernt ist – genießt
die ökonomische Seite der Integration besonderes Gewicht. Oft
genug wurde auch gerade ihre wirtschaftliche Notwendigkeit für
den Standort als Argument ins Feld geführt. Stichwort
Fachkräftemangel. Darüber hinaus gilt die „Integration in den
Arbeitsmarkt“ als elementarer Gradmesser des (Miss-)Erfolgs,
respektive als absolute Notwendigkeit für das Gelingen des
Anliegens, frei nach dem Motto: Wenn schon Migration dann auch
bitte ökonomisch verwertbare!
Die Deutschen und die Krise
Die Flucht in das sinnstiftende nationale Kollektiv bietet
Schutz und Trost vor den unverstandenen Zumutungen des Marktes,
Konkurrenzprinzip und Verwurstungslogik denen sich das
vereinzelte Individuum ausgeliefert sieht. An dieser
Zugehörigkeit kann sich „der Deutsche“ selbst hochziehen und sich
gleichzeitig ein gewisses Gefühl der Geborgenheit in einer
unübersichtlichen Welt abholen.
Dabei verdeckt die Nation Widersprüche und
Herrschaftsverhältnisse indem sie ein gemeinsames Ganzes allen
Unterschiedlichkeiten überordnet. Der Besitz der
Staatsangehörigkeit macht uns zu Deutschen, egal ob wir
Produktionsmittel oder nur unsere Arbeitskraft besitzen, ob
wir mit Champagner die Feier der Nation begießen können oder mit
Löwenbräu vorlieb nehmen müssen. Dahingegen schließt das „Wir“
(Deutsche) automatisch „die anderen“ (Nicht-Deutsche) aus und
verstellt damit den Blick auf mögliche Gemeinsamkeiten,
geteilte Interessen, Erfahrungen und Bedürfnisse.
Die Verbundenheit mit der „eigenen“ Nation spielt sich
allerdings nicht allein auf der ideellen Ebene ab: Die
Konkurrenzfähigkeit des Staates im globalen Hauen und Stechen
des Weltmarktes wirkt unmittelbar auf das Leben der
Staatsbürger_innen. So hängen etwa die Chancen auf dem
Arbeitsmarkt, die Teilhabe am Bildungssystem oder der Zugang zu
staatlichen Transferleistungen eng damit zusammen, wie
erfolgreich sich der eigene nationale Standort im globalen
Wettbewerb bewährt.
Gerade unter dem Eindruck der Bedrohungen durch die Krise heißt es
für die Deutschen sich sowohl für die Fitness des nationalen
Kapitals abzustrampeln als auch vornehmen Verzicht zu üben.
Das partnerschaftliche Zurückstecken der Gewerkschaften etwa –
und die darüber ermöglichte Senkung der Lohnstückkosten –
konnte so dem Standort erhebliche Wettbewerbsvorteile
gegenüber den europäischen „Gegenspielern“ auf dem Exportmarkt
sichern.
Zwar ist es natürlich in erster Linie der Zwang, Geld zu verdienen
um das eigene Leben, das der Familie etc. zu bestreiten und nicht
der bloße Wunsch sich um die Nation verdient zu machen, der
werktäglich die Wecker stellt. Über die Vorstellung aber, dass es
uns gut geht wenn es Deutschlands Wirtschaft gut geht (Merkel),
stellen Schinderei und Verzicht für die als „natürlich“
empfundene Schicksalsgemeinschaft mit dem Staat eine rosige
Zukunft für das Individuum in Aussicht.
In diesem Zusammenhang erlaubt die Identifikation mit dem
nationalen Kollektiv, den verächtlichen Blick über den
deutschen Tellerrand auf ein pleitegriechisches Außen, das im
Zweifelsfall aus kulturell begründeten Defiziten nicht
mithalten kann oder will; sich lieber den sonnengebräunten Wanst
mit mediterranen Vorspeisentellern vollstopft, anstatt die
Ärmel hochzukrempeln und sich am eigenen Schopf aus dem
Schlamassel zu ziehen3. Schlimmer noch: statt an der
Adaption der erfolgreich vorgelebten asketischen
Leistungsbereitschaft zu genesen, zeigt sich man sich auch noch
renitent. Zwar lässt sich mit der medial vermittelten
Gegenüberstellung der einsichtigen Freund_innen des sozialen
Friedens hier und der generalstreikenden Heißsporne da,
trefflich die Überlegenheit des eigenen, des deutschen Modells
zelebrieren, doch bleibt dem Ausstechen des Kontrahenten ein
bitterer Beigeschmack anhaften:
Da die offen zutage tretende Unterlegenheit der
südeuropäischen Pleitegeier im innereuropäischen Wettstreit
ärgerlicherweise die Gemeinschaftswährung, und damit auch
Deutschland zu blessieren droht, schnürt der
Export-Europameister Rettungspakete. Diese sind natürlich
keiner selbstlosen Menschenfreundlichkeit geschuldet, sondern
an klare Bedingungen geknüpft. Als Gegenleistung soll der Staat
endlich für eine verschärfte Ausbeutung der Staatsbürger_innen
Sorge tragen, die schon viel zu lange „über ihre Verhältnisse
gelebt haben“.
So kann die deutsche Machtposition weiter ausgebaut werden. Der
Platz auf dem Siegertreppchen bleibt reserviert, während die
staatsbürgerliche Parteinahme für Deutschland den Stolz auf die
eigene erbrachte Leistung einschließt, weshalb jede Kritik von
Außen von den Individuen auch als Angriff auf sie selbst
empfunden wird.
Genau diesen Affront gegen die Nation und ihre Nationalist_in haben wir uns auf die Fahnen geschrieben.
und deswegen machen wir jetzt hier diesen tisch mal kaputt
Anlässlich der Marketingveranstaltung für ein
unverkrampftes Aufgehen im nationalen Kollektiv zum 22. „Tag
der deutschen Einheit“ wird sich der Norden der Innenstadt in eine
gigantische Feiermeile verwandeln. Während in den Bierzelten –
knappe vier Kilometer südwestlich – das jährliche
Massenbesäufnis bei Tracht und Hendln zelebriert wird, sollen
sich gleichzeitig eine halbe Million Menschen zwischen Siegestor
und Odeonsplatz an Deutschland berauschen. Zwischen diesen
Agglomerationen des Stumpfsinns wollen wir am dritten Oktober
für eine kritische Intervention sorgen.
Dabei geht es uns nicht nur um eine Abfuhr an jegliche Art des
Nationalismus, wie auch immer diese sich verkauft: Eine radikale
Kritik am Nationalismus muss sich notwendig an eine
fundamentale Kritik am Konzept der Nation selbst wagen. Wenn wir
uns gegen die Nation im Allgemeinen und Deutschland im
Speziellen wenden, wollen wir uns dabei weder von den
zwangsläufigen widerlichen Gemeinsamkeiten
kapitalistischer Nationalstaaten für die Spezifika einer
deutschen Nation blind machen lassen, noch umgekehrt. Im Kampf
gegen Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung setzen wir nicht
auf fromme Wünsche partikularer Befreiung sondern auf die
Umwälzung aller Verhältnisse für die diese konstitutiv sind. Uns
geht es nicht allein darum, die Verhältnisse irgendwie
erträglicher zu gestalten. Uns geht es um nicht weniger als die
befreite Gesellschaft: The only good nation is imagination!
__________
1 Shoah (hebräisch: ha‘Schoah „die Katastrophe“) und
Porajmos (romanes „das Verschlingen“) bezeichnen die
Massenmorde an als Juden und als „Zigeuner“ Verfolgten in der
Zeit des Nationalsozialismus.
2 Ähnlich verhält es sich beispielsweise bei den außenpolitischen Beziehungen von Deutschland mit dem Iran und Syrien. Deutsche Unternehmen, die mit Hermesbürgschaften (Absicherung von Ausfällen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen durch den Bund) ausgestattet in Krisengebiete exportieren können, unterstützen damit autoritäre Regime und Diktaturen. So unterstützte beispielsweise die Münchner Firma trovicor die iranischen regimetreuen bassidji-Milizen mit Überwachungsutensilien aller Art zur brutalen Aufstandsbekämpfung.
3 In der eigenen unterdrückten Sehnsucht nach einem anderem, einem genussvollem Leben und der freien Verfügbarkeit der Zeit, die aufgrund der absoluten Delegitimierung des bloßen Gedankens an eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse, nur noch über romantische Projektionen auf ein imaginiertes Anderes („ der Zigeuner“, „der faule Südländer“) zu haben ist, ist die Forderung an dessen Unterwerfung angelegt.
Aktuelles, News & Termine findet mensch auf:
nation & imagination
The only good nation is imagination?
Dabei ist doch jede Nation eine "imagined community" (Anderson), der Gegensatz den ihr hier aufmacht mithin frei erfunden.
Aber so mag ich meine 'antinationale' Linke - nicht mal die Klassiker auf dem Schirm bzw. nicht zu Ende gedacht, aber Text produziert als gins um die Semesterendnote.
Das Gegendere von Sinti und Roma ist auch frei erfunden, oder?
p.s.: https://en.wikipedia.org/wiki/Imagined_communities
erfindung
nationen sind keine bloße erfindung, kein konstrukt, das man nur denkonstruieren müsste. sie sind ganz objektiv da. das glaubst du nicht? dann versuch mal ohne pass über die us-amerikanische (oder europäische oder sonsteine) grenze zu kommen. da werden dir dann breitschultrige grenzbeamte mit gewalt beibringen, dass es die nation gibt und manche dazugehören, und andere eben nicht.
schon,
... aber das macht ide Gegenüberstellung böse Nation - Gute Imagination nicht richtig. Weil du eine Teilmenge der Menge gegenüberstellst, deren Teil sie ist.
JL
Nationen sind bloß ein Konstrukt. Das was du meinst sind Institutionen und Strukturen, welche sich auf das Konstrukt Nation berufen. Es ist nämlich nicht die Nation die Gewalt ausübt, sondern jene Menschen welche an die Nation glauben. Gott ist ja auch nicht real, bloß weil ein paar Fanatiker in seinem Namen reale Morde begehen oder reale Institutionen bestehen, welche sich auf Gott berufen.