Deutsche Burschenschaften
Von Sarah Maria Deckert
Sie vertreten konservative Werte, duellieren sich mit scharfen Waffen und pflegen ihre ganz eigene Tradition: deutsche Burschenschaften. Nach einem Eklat auf dem Jahrestag des Dachverbands in Eisenach droht nun die Spaltung zwischen liberalem und radikal-konservativem Lager. Eine Reportage aus Braunschweig
Am Rebenring, unweit der Oker, liegt das Haus mit der Nummer 36. Schwarz-rot-goldene Fahnen wehen an einem Mast vor der großbürgerlichen Villa, auf dem Dach und aus den Fenstern. Eine vor dem Haus beidseitig aufsteigende Freitreppe lenkt den Blick auf eine Stiftungstafel, darauf ein Schriftzug aus roten Lettern: „Germania“.
„In Braunschweig erleben wir keine Anfeindungen.“, erklärt Markus Schuchardt. Er steht im Altherrenzimmer des Germanenhauses. Was einst als repräsentatives Prunkzimmer gedacht, ist in die Jahre gekommen. Die Wände sind fahl, ein schwarzer Abzug erinnert an den kalten Rauch, der nach lauten Kneipabenden hier schneidend im Raum gestanden haben mag. 400 kleine gerahmte Porträts „Alter Herren“ prangen in Reih und Glied an der holzvertäfelten Stirnseite des Raumes; angefangen bei den Gründungsvätern des Bundes von 1861, den Ahnen, reichen sie bis heute. Schuchardt tippt auf ein Bild in der obersten Reihe: „Das bin ich.“
Seit Beginn seiner Studienzeit gehört der Maschinenbauer der Burschenschaft an, sie ist die älteste am Ort. 23 Aktive zählt sie zurzeit und etwa 150 Alte Herren, in deren Kreis Schuchardt in wenigen Tagen nach seiner „Inaktivierung“ aufgenommen werden soll. Er ist 26 Jahre jung. „In der medialen Diskussion müssen wir derzeit viel Kraft aufwenden, um den Eindruck zu widerlegen, wir wären alle ganz schlimm. Ja, wir vertreten konservative Positionen. Jemand, der sich auf die Straße stellt und brüllt ‚Deutschland, verrecke!‘, der wird das hier nicht mögen.“ Er lächelt bemüht, auf seiner Stirn stehen Schweißperlen.
Grund für Schuchardts angestrengte, weil nicht ganz freiwillige, Hausführung ist die Schadensbegrenzung, die Studentenverbindungen wie die Germania nach dem desaströsen Eklat auf dem Burschentag in Eisenach zu betreiben versucht. Die Deutschen Burschenschaften (DB) waren massiv unter Druck geraten, als auf dem Jahrestreffen im Juni ein Abwahlantrag gegen den Chefredakteur, Norbert Weidner, gescheitert war. Ende 2011 hatte er den NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer in einem Pamphlet als Landesverräter bezeichnet, dessen von Hitler angeordnete Hinrichtung als „juristisch gerechtfertigt“. Der Wirtschaftsjurist gehört der Bonner Burschenschaft Raczeks an. Deren radikal-konservative Linie ist gemeinhin bekannt, zuletzt durch das Anliegen befüttert, die deutsche Abstammung als Aufnahmekriterium innerhalb der DB festzulegen. Selbst bei der mittlerweile verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei FAP und einer Hilfsorganisation für nationalistische Strafgefangene engagierte er sich.
Mehrere Vorstandsmitglieder traten in Eisenach zurück, darunter auch Pressereferent Michael Schmidt, entsetzt, erschüttert und traurig zugleich, weil es nicht gelungen war, die Vormachtstellung der nationalistischen Verbandsbrüder im Dachverband zu brechen. Andere Teilnehmer reisten desillusioniert ab. Der abendliche Festakt der DB, denen derzeit etwa 100 studentische Verbindungen und 10.000 Mitglieder angehören, die Wanderung auf die altehrwürdige Wartburg samt Fahnen, Fackeln und Musik wurde zur Farce.
Zur Causa Weidner Stellung nehmen, sich von den kruden Aussagen distanzieren, können die Germanen in Braunschweig derweil nicht, sie befänden sich mitten in einem schwebenden Verfahren, beschwichtigt Schuchardt. Kritik am eigenen Bundesbruder zu üben, sei außerdem alles andere als burschenschaftlich. Dass sie die Konfrontation mit den Raczeks fürchten, ist wohl auch, wenn nicht der eigentliche Grund für ihr Schweigen. Denn obwohl sich der Verband deutlich in zwei Lager spaltet, ein Zerfall damit drohend bevorsteht, teilen liberale als auch radikal-konservative Kräfte denselben Namen, der sie zuallererst der Burschenschaft und damit allen Bundesbrüdern verpflichtet.
Zwischen Kampf und Ehrerbietung
Auf der anderen Seite teilen sie auch nur denselben Namen: „Eigentlich haben wir ja nichts mit denen zu tun. Wir sehen diese Burschenschaft drei Tage im Jahr“, ringt Schuchardt nach Gründen. Das Verhör, das keins ist, ist ihm sichtlich unwohl. Weidners Verlassen der DB würde den liberalen Kräften jedenfalls nicht helfen. Warum, das sagt er nicht. Vielleicht, weil er insgeheim weiß, dass rechtextreme Funktionäre längst die Oberhand im Dachverband gewonnen haben, also werden sie geduldet. Es scheint ihm jedenfalls nicht all zu Übel aufzustoßen. Die imaginären Scheuklappen stehen ihm nicht gut zu Gesicht. Diese Ignoranz, sie ist ein Armutszeugnis für eine ganze Generation junger Burschenschafter, denen das eigene kritische Bewusstsein im Verbindungsleben irgendwo zwischen bierdurchtränkten Kneipabenden und Vomitorium (dem hauseigenen Spuckbecken) verloren gegangen zu sein scheint.
Zwischen Kampf und Ehrerbietung
Vorbei an den Korporationsräumen ist aus dem Paukboden im Keller das markante „tick, tick, tick, tick, tick“ schnell aufeinanderfallender Fechtwaffen zu hören. Der letzte Mensurtag des Niederdeutschen Waffenrings liegt schon ein paar Tage zurück, doch zwei Paukstunden pro Woche sind Pflicht auf dem Haus. „Hoch bitte! Fertig! Los!“ Björn Gräfer (23) und Stefan Czyz (21) stehen sich in einem Abstand von gut einem Meter gegenüber. Beide tragen einen Helm und einen gepolsterten Armschutz. Sie führen die letzten Hiebe aus. Im Wechsel lassen sie dabei die für Übungszwecke stumpfen Klingen immer wieder in gleichmäßigen Schwüngen auf ihr Gegenüber niedersausen. 40 Gänge à fünf Hiebe dauert eine gewöhnliche Mensur. „Halt!“, ruft Schuchardt. Die Waffen ruhen. Er steht den beiden Paukanten als Sekundant zur Seite, sorgt also dafür, dass die Fechthiebe dem „Comment“ entsprechend, also ordnungsgemäß ausgeführt werden.
Der Großteil der Burschenschaften in Deutschland ist schlagend. Fakultativ schlagende Verbindungen wie die Germanen verpflichten ihre Mitglieder, das Mensurfechten zu erlernen, stellen ihnen das scharfe Fechten von Mensuren jedoch frei. Niemand würde hier dazu gezwungen, versichert Schuchardt, die meisten entscheiden sich (auch nach möglichen anfänglichen Berührungsängsten) ganz von alleine dafür. Schließlich nehme man ja auch nicht am Fußballtraining teil, um dann beim Spiel auf der Bank zu sitzen. „Es ist ein bindendes Erlebnis, ein Sport wie jeder andere – nur ohne Gewinner“, sagt Gräfer. Es gehe nicht darum, seinen Gegner in die Knie zu zwingen, oder „Schmisse“, also Narben wie Trophäen im Gesicht zu sammeln, sondern darum, den Kampf (heil) zu überstehen.
Auch wenn die Mensur heute nicht mehr dazu dient, persönliche Fehden unter einzelnen Bundesbrüdern auszutragen, so sehen Kritiker in ihr dennoch ein überholtes Ritual, ein Rudiment atavistischer Konfliktbewältigung. Bereits Kurt Tucholsky empfand das studentische Fechten als Fortsetzung des Duells, das Gewalt sozial kanalisiere und „junge Füchse zu brauchbaren Burschen und damit Mitgliedern der herrschenden Kaste“ machen sollte. Immer wieder wird im Dachverband darüber diskutiert, die Pflichtmensur wiedereinzuführen. Als liberaler Bund lehnt die Braunschweiger Germania dies jedoch ab. Die Möglichkeit, sich als Verbindung frei als fakultativ oder pflichtschlagend auszurichten, sei Teil des historischen Kompromisses. Diesen aufzukündigen, würde die Autarkie des Bundes untergraben.
„Burschenschafter zu sein, bedeutet, eine gewisse Ehrfurcht davor zu haben, was hier seit über 150 Jahren existiert“, so Gräfer. Sein aschblondes Haar ist sorgfältig gescheitelt, die Trikolore seines Brustbandes, das obligatorisch auf dem Haus getragen wird, weist ihn als ordentlichen Burschen aus. „Ein zusammengewürfelter Bund ohne klare Linie oder gemeinsamen Nenner kann nie geschlossen auftreten“, erklärt er weiter. Czyz nickt zurückhaltend.
Über ein Leben in der Gemeinschaft
Das Leben auf dem Haus ist eine Wahl, eine Wahl für ein Leben in der Gemeinschaft nach dem Lebensbundprinzip der Urburschenschaften. Und eine Wahl für ein Leben in strenger Hierarchie, in der zwei oder drei Farben auf dem Brustband über den Status auf dem Haus bestimmen. In der junge „Leibfüchse“ den Unrat der Älteren, ihrer „lieben Bundesbrüder“, ergeben, ja wahrscheinlich noch mit einem Lächeln auf den Lippen aufwischen. Wie die meisten hier, so suchten auch Gräfer und Czyz eine Wohngemeinschaft in Braunschweig und fanden die Germania. „Die Freundschaften, die du hier knüpfst, halten ein Leben lang“, sagt Schuchardt. „Im besten Fall“, fügt er zögerlich an. 250 Anfragen erhält die Verbindung durchschnittlich pro Jahr zum Wintersemester, zwölf Zimmer stehen zur Verfügung. Aufgenommen wird, wer an der TU Braunschweig immatrikuliert ist und „ernsthaftes Interesse“ an der Gemeinschaft zeigt. Auch Wehrdienstverweigerer, auch Studenten mit Migrationshintergrund, das versichert er auf Nachfrage.
Die Germanen sind sichtlich stolz auf ihre lange Tradition. „Ehre, Freiheit, Vaterland!“ – der Leitspruch, dessen Anfangsbuchstaben sich im großen Burschenschaftszirkel wiederfinden, ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Mit der deutschen Geschichte gehen sie nach eigenen Angaben „relativ unbefangen“ um. Unbefangener als noch die Nachkriegsgeneration, die sich für das Leben in den Burschenschaften vor den alliierten Mächten beispielsweise das Recht erst zurückerkämpfen mussten, wieder in Vollcouleur durch die Straßen zu ziehen. „Vielleicht sind wir nicht sentimental genug“, sagt Gräfer mit ernster Miene. „Unsere Generation hat nichts verschuldet, nichts gemacht. Wir wollen einfach nur ganz normal leben. Das bedeutet ja nicht, dass wir kein Bewusstsein für die Vergangenheit haben.“
Dass mit dieser Vergangenheit auch eine historische Verantwortung einhergeht, scheint hier niemand begriffen zu haben. Wie selbstverständlich tragen sie die deutschen Landesfarben zur Schau und ärgern sich gleichzeitig über den saisonal bedingten Party-Patriotismus während der Fußball-Europameisterschaft. Sie brüsten sich mit ihrem „gesunden Nationalstolz“, singen das Lied der Deutschen, ja, auch die ersten beiden Strophen. Es seien die Medien, die die Deutschen Burschenschaften dann unaufhörlich in die rechte Ecke drängen würden, rechtfertigt sich Gräfer. Sie hätten ja schließlich keine Möglichkeiten sich gegen eine verdrehte Berichterstattung zu wehren, die sie als Sammelbecken für Rechtsextreme ausweise. Dass nicht die Berichterstattung sondern ihre Wahrnehmung verdreht sein könnte, kommt ihm dabei aber nicht in den Sinn. Sicher, bekanntlich schreien die, die am (rechten) Rand stehen, meist am lautesten, lenkt Gräfer ein. Doch es seien eben auch die Stimmen, die man am deutlichsten hört. Der Mund – das zeigt das Beispiel Weidner – wird ihnen dennoch nicht verboten.
Hinterfragt wird das Leben in der Burschenschaft, gehüllt in samtene Prunkkleidung, durchzogen von codiertem Vokabular und reglementierten Ritualen, von den Bundesbrüdern nicht. „Unsere Art zu denken, muss nicht überdacht werden“, behauptet Schuchardt schließlich. Die konservativen Werte, für die sie einstehen, seien keiner Mode unterworfen. Rechtsextreme Tendenzen sehr wohl. Dass darin ein nicht ganz unwesentlicher Unterschied besteht, das scheint hier auch niemand begriffen zu haben.
Bis Ende des Jahres wird sich zeigen, ob es dem Dachverband und damit auch der Braunschweiger Germania gelingt, sich zu den rechtsradikalen Strömungen in den eigenen Reihen klar zu positionieren. Vielleicht reicht es dann ja für mehr als nur ein Lippenbekenntnis.
Ausgetreten
Die Germania Braunschweig ist übrigens ausgetreten aus der Deutschen Burschenschaft.