Zum Tod von Abu Anas Nizar Jaith

Syrien

Im wesentlichen verteilt über 12 Flüchtlinglager leben eine halbe Million PalästinenserInnen in Syrien. Die offizielle Propaganda des syrischen Regimes gibt sich "antizionistisch", der Mythos vom "letzten Frontstaat" gegen Israel wird immer wieder wiederaufgelegt, wiewohl die israelische Regierung mit diesem "vertrauten Feind" in den letzten Jahren gut leben konnte.

 

Das Verhältnis des syrischen Regimes zu dem "palästinensischen Befreiungskampf" war jedoch immer ein zutiefst taktisches.


Splitterruppen wie PFLP-Generalkommando bekommen seit Jahrzehnten logistische und finanzielle Unterstützung aus Damaskus, sind mit dem Regime mittlerweile so verschmolzen, dass sie nicht mehr als eigenständige politische palästinensische Organisation kenntlich sind.

Historisch, wie auch aktuell, werden diese "Kettenhunde" gegen andere palästinensische Gruppen und unabhängige Organisierungsansätze eingesetzt. So war es historisch nach dem Bruch des syrischen Regimes mit der PFLP von George Habash, so ist es heute in den Lagern in Syrien.

Auch an den unzähligen Massakern in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon war Syrien beteiligt.

 
Als 1987 die Amal Miliz in den Kämpfen mit den Milizen der Kommunistischen Partei Libanons und den fortschrittlichen Drusenmilizen von Walid Dschumblat in die Hinterhand geriet, marschierte Syrien im Libanon ein.

Das Palästinenserlager Chatila, in dem falangistische Milizen 1982 unter den Augen des israelischen Militärs ein grausames Massaker angerichtet hatten, wurde im Zuge der Kämpfe um Beirut, über Monate von Amal -Milizen belagert, beschossen und ausgehungert, dieses mal unter den Augen des syrischen Militärs.

Der syrische Aufstand findet mittlerweile unter Beteiligung vieler palästinensischer AktivistInnen statt.

Das syrische Regime versuchte Mitte 2011 noch, mit provozierte Protesten an der Grenze zu Israel, bei denen das israelische Militär zahlreiche Unbewaffnete erschoss, die PalästinenserInnen in Syrien auf seine Seite zu ziehen.
Schon das ging nach hinten los. In zahlreichen palästinensischen Lagern kam es zu Protesten gegen dieses durchsichtige Manöver und gegen die eigenen, korrupten Organisationen.

Auch die Hamas hat mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt. Lange Zeit hatte sie ihr Hauptquartier in Damaskus, dieses ist mittlerweile aufgelöst.
Im Februar dieses Jahres erfolgten mehrere gleichlautende politische Positionierungen von führenden Repräsentanten gegen das Assad Regime. Die Tage des Assad Regimes sind gezählt, das macht es für die Hamas notwendig, sich grundsätzlich nach anderen Verbündeten umzusehen.


In der Nacht zu Donnerstag ist nun Abu Anas Nizar Jaith, ein ranghoher Hamas Funktionär, der sich noch in Syrien aufgehalten hat, ermordet worden.
Die Hamas selber hat diesen Anschlag natürlich sofort beim Mossad verortet, schlachtet seinen Tod aus, würdigt ihn als "Märtyrer im Kampf gegen den Zionismus".

Eine andere Version liefern die Lokalen Koordinierungskomitees (LCC), die die Urheberschaft beim syrischen Regime sehen, wir dokumentieren die von uns übersetzte Erklärung:

"Erklärung der Lokalen Koordinierungkomitees (LCC)

Damaskus, den 27.06.2012

In einem weiteren Versuch, eine Spaltung in das Verhältnis zwischen Syriern und Pälestinensern zu treiben, haben Regierungstruppen und Angehörige der Shabbiha Milizen Kamal Ghannajeh, Kampfname Abu Anas Nizar Jaith, in seinem Haus ermordet.
Sie folterten ihn zu Tode, und versuchten anschliessend das Haus, in dem er gelebt hatte, niederzubrennen, um Beweise für das Verbrechen zu vernichten.
Die LCC erklären ihre Anteilnahme gegenüber ihren palästinensischen Brüdern und Schwestern, die seit Beginn der syrischen Revolution gemeinsam mit uns gekämpft haben.
Die LCC verurteilen diesen kriminellen Akt gegen die Palästinenser in Syrien."

Wir teilen nicht das Bedauern der LCC über den Tod des Funktionärs der reaktionären Hamas, außer im dem Sinne, das wir uns grundsätzlich nicht (und auch nicht stellvertretend) zum Herren über Leben und Tod machen.

Wir halten die Einschätzung der LCC zur Urheberschaft der Ermordung allerdings für richtig. Das syrische Regime greift derzeit nach jedem Strohhalm, die Funktionalisierung der palästinensischen Diaspora hat Geschichte...
Und im Untergang befindliche Systeme neigen dazu, "verräterische" ehemalige Verbündete abzustrafen.

Für Israel hat der Tod von Abu Anas Nizar Jaith derzeit keine Funktion, eine Urheberschaft erschliesst sich uns deshalb nicht.

Da wir an dieser Stelle die ganze Dynamik der Situation der PalästineserInnen in Syrien nicht darstellen können, verweise wir noch auf einige Hintergrundartikel.

 

(Das verwendete Foto stammt von einer Solidaritätskundgebung mit dem syrischen Aufstand in Gaza)

recherchegruppe aufstand für linksunten

 

http://uprising.blogsport.de/



Bericht zur Lage palästinensischen AktivistInnen in Syrien auf adopt a revolution

https://www.adoptrevolution.org/palastinensische-aktivisten-in-syrien/

Zur Positionierung der Hamas im Februar ein Beitrag auf Telepolis

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151496

Die Neuorientierung der Hamas, Beitrag auf alsharq

http://www.alsharq.de/2012/01/hamas-sucht-die-neue-achse.html

Zu den Protesten unter den Palästinenserinnen in Syrien

http://jungle-world.com/artikel/2011/24/43405.html

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"Das Palästinenserlager Chatila, in dem falangistische Milizen 1982 unter den Augen des israelischen Militärs ein grausames Massaker angerichtet hatten, wurde im Zuge der Kämpfe um Beirut, über Monate von Amal -Milizen belagert, beschossen und ausgehungert, dieses mal unter den Augen des syrischen Militärs."

unter den augen des israelischen militärs ist echt ein schöner euphemismus. die phalange-milizen waren verbündete des israelischen militärs, in dessen planungen eingebunden und es waren die israelis die das lager hermetisch abriegelten, die aktionen der miliz absicherten und das massaker überhaupt erst ermöglichten, indem sie z.b. die ganze nacht leuchtraketen abfeuerten. verantwortlich damals: ariel sharon.

http://en.wikipedia.org/wiki/Sabra_and_Shatila_Massacre#Israeli_role

 

"Eine andere Version liefern die Lokalen Koordinierungskomitees (LCC), die die Urheberschaft beim syrischen Regime sehen"

hier sollte man schon wissen, dass die LCC's die schuld ziemlich grundsätzlich beim syrischen regime sehen.

http://en.wikipedia.org/wiki/Local_Coordination_Committees_of_Syria

 

"Für Israel hat der Tod von Abu Anas Nizar Jaith derzeit keine Funktion, eine Urheberschaft erschliesst sich uns deshalb nicht."

http://en.wikipedia.org/wiki/Public_diplomacy_%28Israel%29