Im Herbst 2010 und im darauf folgendem Jahr wurden die Anarchist_innen Alexander Frantskewitsch, Nikolaj Dedok, Artem Propenko, Pawel Syromolotov, Eugenij Waskowitsch und Igor Olinewitsch zu drei, viereinhalb, sieben und acht Jahren Haft verurteilt. Ihnen werden Angriffe auf staatliche Institutionen und kapitalistische Symbole, wie beispielsweise auf Militärgebeude, Polizeistationen, Botschaften, Banken, Abschiebezentren, den KGB (weißrusschischer Geheimdienst) und die Teilnahme an unangemeldeten Demonstrationen vorgeworfen.
Die Aktionen richteten sich nie gegen Menschen, sondern verursachten lediglich Sachschaden. Infolge einer willkürlichen Repressionswelle gegen Igor, Nikolaj, und Alexander wurden zahlreiche andere Personen inhaftiert und über einen längeren Zeitraum psychischenund phsischen Druck ausgesetzt. Daraufhin machten zwei angebliche Mittäter_innen belastende Aussagen und erkauften sich so bedeutend geringere Haftstrafen. Igor wurde in Russland in Kooperation mit den dortigen Behörden vom KGB festgenommen und in ein Untersuchungsgefängnis in Belarus verschleppt. Für den Angriff auf ein KGB-Gebäude 2011 wurden Artem, Eugenij und Pawel zu sieben Jahren Haft verurteilt, was die übliche Strafe für Mord und Vergewaltigung übertrifft*.
Seitdem die Anarchist_innen weggesperrt sind haben sie unter verschärften Haftbedingungen zu leiden, wie beispielsweise unter Verboten und Begrenzungen von Besuchen, Telefonaten, Lebensmitteln, Postzustellungen und Geld, Verlegungen von einen Knast in den anderen bis hin zu Isolationshaft. Somit verschlimmern die autoritären staatlichen Vorgehensweisen der Scheindemokratie Weißrusslands die ohnehin unfassbaren Verhältnisse der Gefangenen.
Derlei staatliche Unterdrückungsmechanismen versuchen jede Opposition, egal ob parteilich oder außerparlamentarisch, einzuschränken und im Keim zu ersticken. Die Betroffenen Anarchist_innen, die noch für Jahre verurteilt sind, werden zudem zum Spielball vom außenpolitischen Druck der EU und Menschenrechtsorganisationen sowie vom innenpolitischen, autoritärem Regierungsstil des weißrussischen Staatschefs Lukatschenko. Europäische NGOs erkennen die Verurteilung der sechs Anarchist_innen als politisch motiviert an, was den Druck der EU auf Weißrussland erhöht, da die EU vom Nicht-Mitgliedsstaat die Freilassung aller „politischen Gefangenen“ fordert. Lukatschenko will zeigen, dass er sich dem Druck der EU nicht beugen wird und ist nur zu einer Begnadigung der Gefangenen bereit, wenn diese Reue zeigen, ihre Schuld anerkennen und ihn persönlich um Gnade bitten. Nicolaj und Alexander wurden dazu gedrängt ein solches Gnadegesuch zu unterschreiben, weigerten sich jedoch sich dieser autoritären Anordnung Lukatschenkos zu unterwerfen.
Die Repression durch den Staat nimmt umso mehr zu je offensichtlicher die Solidarität und Stärke zwischen den Gefangenen wird. Dadurch wird deutlich wie viel Wert Lukatschenko darauf legt, als Bedrohung empfundene, systeminkompatible Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Aus diesem Grund unterstützen wir den internationalen Solidaritätsaufruf von Anarchist Black Cross Belarus um die schreckliche Isolation unser Kompliz_innen zu brechen. In der jetzigen Situation wollen wir die Kritik der Menschenrechtsorganisationen zuspitzen und eine sofortige Freilassung ohne Gnadenersuch erwirken.
Allerdings differenzieren wir im Gegensatz zu EU und NGOs nicht zwischen politischen und sozialen Gefangenen, da wir einen auf Unterdrückung und Ausbeutung basierenden Staat und Gesetzbuch nicht anerkennen und jegliche Form und Ausprägung von Hierarchie und Einsperrung für bekämpfenswert halten.
Wir wollen unsere
Kompliz_innen nicht auf Zahlen reduzieren, die versuchen einen
entstandenen Sachschaden zu ermessen und ebenso Kategorien wie „Schuld“
oder „Unschuld“ nicht aktzeptieren, da wir uns mit den Ideen und
Bestrebungen unser Kompliz_innen solidarisch erklären. Drinnen wie
draußen kämpfen wir zusammen gegen die Mauern, die uns trennen, während
diejenigen, die sie errichten, ihre Angst und Schwäche mit autoritären
Gebärden zu überspielen versuchen.
Nicht nur jetzt, sondern zu jeder Zeit wollen wir den Kampf gegen
Grenzen, Knäste und die Welt, die sie benötigt, gemeinsam fortführen.
Auf dass der Wind der Freiheit weht…
Solidarität mit Alexander, Nikolaj, Artem, Pawel, Eugenij und Igor!
Freiheit für alle Gefangenen!
eaamuc [at] riseup.net
* Mit diesem Vergleich wollen wir keinen Anschluss an bürgerlich Vorstellungen von „gerechter Strafe“ suchen, sondern lediglich die Radikalität der Repressionsmaßnahmen veranschaulichen.hierarchie
INFOS:
Die Kundgebung ist am Samstag, den 30.06.12 umd 15.00 Uhr in der Nähe des Weißrussischen Generalkonsulats, Schwanseestr. 92.
U-Bahn: Giesing Bahnhof, erreichbar mit U2, S3 und S7 außerdem mit der Tram 17 und den Bussen 54/139/144
Anarchistischen gefangenen in der Türkei
wie bekannt sein dürfte, gab es von einigen anarchist_innen aus dem anarchistischen block am ersten mai 2012 angriffe auf einige banken und firmen im istanbuler stadtteil mecidiyeköy-şişli.
wir, neun der 60 menschen, die durch die polizeibehörde in gewahrsam genommen wurden, wir, neun anarchistische gefangene, die durch die entscheidung des neunten strafgerichts gefangen genommen und in das tpy-t-gefängnis in metris gesperrt wurden, schreiben diesen brief.
die meisten von uns wurden von antiterror-einheiten um 5 uhr am morgen des 14. mai in gewahrsam genommen und einige am folgenden tag. unsere computer, telefone, festplatten, bücher und viele andere persönliche dinge wurden von der polizei beschlagnahmt. es waren zwischen zehn und 20, die in unser haus kamen. die polizeibehörde warf uns „zerstörung öffentlichen eigentums im namen einer terroristischen organisation“ vor.
die gefangenen, die sehr unterschiedliche auffassungen der anarchistischen idee und die sich zum ersten mal im polizeigewahrsam gesehen haben, wurden der bildung einer terroristischen organisation beschuldigt und einige wurden während der befragung durch die polizei gezwungen, zuzugeben, deren führer_innen zu sein. auch wenn führerschaft total im gegensatz zur anarchistischen idee steht und dadurch unmöglich ist, war es die absicht der polizei dieses zu beweisen, genauso wie „die mitgliedschaft der gleichen terroristischen organisation“. diese unterstellungen sind tragisch-komische dummheit.
die menschen, die von der polizei beschuldigt werden, mitglieder einer terroristischen organisation zu sein, hatten keine waffen oder munition zu hause. allerdings wurden in der befragung durch die polizei bücher von autor_innen wie kropotkin, die in jeder buchhandlung gefunden werden können, als beleg für eine organisation herangezogen. die artikel, die sie gelesen hatten und die videos, die sie in sozialen netzwerken geteilt hatten, wurden dem gericht von der polzei als beweise vorgelegt. auch die mitgliedschaften der leute in einer rechtshilfe-organisation, die zu tierbefreiung, menschenrechten und ökologischen fragen arbeitet, mussten als beweise, vorgelegt durch die polizei, herhalten.
all der psychische druck, der auf die leute ausgeübt wurde: sie waren vier tage in gewahrsam und es war ihnen nicht erlaubt, ihre familienmitglieder zu sehen. es war ihnen nicht einmal erlaubt, jemanden anzurufen, auch nicht ihre anwält_innen. einer unsere lgbt-freunde wurde durch verbale gewalt angegriffen. alle wurden dazu gezwungen, die existenz einer terroristischen organisation zuzugeben und falschaussagen über die mitgefangenen zu machen. auch tätigten zwei menschen, die mit 15-20 jahren gefängnis wegen mitgliedschaft in einer terroristischen organisation bedroht wurden, falschaussagen über leute, über die sie gar nichts wussten. unter dem druck der polizei, beschuldigten sie einige leute, gegen die die polizei keine beweise hatte, sei es durch telefongespräche, internet- oder irgendeine andere kommunikation mit anderen, führer_innen der organisation zu sein und „identifizierten“ sie als angreifer_innen.
die meisten unserer freunde wurden eingesperrt, nur weil sie ähnliche taschen, schuhe, gürtel etc. hatten (wie sie millionen menschen haben können) wie die menschen, die während des angriffes gefilmt wurden. natürlich wird mit diesen mangelhaften und irrationalen beweisen nicht bewiesen, dass eine anarchistische terrororganisation existiert. darum wurden wir beschuldigt, öffentliches eigentum zerstört zu haben.
wir wollen deutlich machen, dass es uns, als anarchist_innen, die alle gesetze und authoritäten ablehnen und die alle staaten als mörder ansehen, egal ist, ob der staat uns als terrorist_innen bezeichnet oder nicht. der gleiche staat, der in „roboski“ dutzende von menschen umbringen ließ, der den elf jahre alten uğur kaymaz mit 13 kugeln ermordete und die täter_innen nicht bestrafte. der staat, der 1977 34 menschen umgebracht hat und dafür nicht eine person in gewahrsam nahm, aber kein problem damit hatte, 60 menschen in gewahrsam zu nehmen und einzusperren für 3-5 zerbrochene bankschaufenster.
zwei der eingesperrten freund_innen konnten nicht an den abschlussexamen ihrer universitäten teilnehmen. es besteht die möglichkeit einer untersuchung durch die universitäten und die beiden könnten suspendiert oder entlassen werden. eine_r unserer freund_innen bereitet sich auf die aufnahmeprüfung der universität vor. es ist klar, dass es nicht möglich ist, im gefängnis dafür genug zu studieren. eine_r unserer freund_innen, der/die m.a./m.s. studiert, wird die diplomarbeit nicht weiterschreiben. wir erhielten die nachricht, dass drei freund_innen nach ihrer festnahme, entlassen wurden.
seit wir in gewahrsam genommen wurden, machten wir unsere erfahrungen mit dem rechtssystem, von dem der staat immer behauptet, dass es so großartig sei: in wahrheit ist es nichts anderes, als ein unterdrückungs- und normierungswerkzeug. ideen wie gerechtigkeit und recht gibt es nur in der theorie.
wir wollen jetzt draußen sein. aber lasst uns klarstellen, dass wir weder darum bitten, noch darum betteln werden.
wir wissen, dass wir nur wegen unserer politischen ideen im gefängnis sind. darum bereuen wir auch nicht, was wir getan oder nicht getan haben. der grund, diesen brief zu schreiben, ist einzig der, der öffentlichkeit die wahrheit zu erzählen. er soll sie dabei unterstützen, zu erkennen, was vor sich geht.
wir wissen, dass diejenigen, die uns eingesperrt haben, nicht nur bezwecken, uns für die teilnahme an einer aktion zu bestrafen. sie wollen uns in diejenigen verwandeln, die angst davor haben, ihre ureigenen rechte wahrzunehmen. aber eines wissen sie nicht: die gefängnisse ihrer abscheulichen zivilisation können unsere ideen nicht unterdrücken und wir fühlen uns stärker als jemals zuvor.
wir begreifen alle anarchist_innen der welt als unsere genoss_innen und schicken unsere grüße, unsere liebe und unseren ruf nach solidarität an alle aufständischen der welt, die das feuer der freiheit in ihren herzen tragen und die aus athen, amed, chiapas, gaza, toronto oder seattle kommen… ihr müsst wissen, dass ihr nicht alleine seid und dass menschen in diesen orten auch kämpfen.
wir danken allen diesen für die solidarität und für die aktionen, die uns unterstützen.
es ist unmöglich, unsere gefühle für die örtlichen anarchist_innen, die uns unterstützen und aktionen für uns machten (wie der rest der welt), zu beschreiben. diese seiten sind zu kurz für unseren dank an sie.
wir umarmen sie mit unseren sehr innigen grüßen.
lasst sie wissen, dass wir wissen, dass sie bei uns sind und dass wir uns nie alleine fühlen, nicht einen einzigen moment.
mit wünschen von uns für viele lange tage der aufstände und solidarität.
Anarchistische gefangene:
Beyhan Çağrı Tuzcuoğlu
Burak Ercan
Emirhan Yavuz
Hasan Savcı
İshak Tayak
Savaş Düzdaş
Sinan Gümüş
Oğuz Topal
Murat Gümüşkaya
Tayfun Kılıç
Tugay Serin
Umut Çelik
Ünal Can Tüzüner
Yenal Yağcı
Adresse:
Metris T Tipi Kapalı Ceza İnfaz Kurumu
Eski Edirne Asfaltı Üzeri Beşyüzevler 34200 Esenler/ İSTANBUL / TÜRKEI
A7 Koğuşu
https://operationblackscare.wordpress.com/category/deutsch/
Freiheit für alle Gefangenen!