Die Proteste gegen die Auswirkungen der kapitalistische Krise auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhänigen scheinen nach den Aktionen im Oktober und November 2011 im Frühjahr 2012 wieder an Dynamik zu gewinnen. Gleich mehrere internationale Protestaktionen stehen im Moment an. Am Samstag ruft ein breites Bündnis gemeinsam linken Gruppen und Basisgewerkschaften zu einem europäischen Aktionstag gegen Kapitalismus auf. An diesem Tag sind in vielen europäischen Ländern dezentral Aktionen stattfinden, die darauf abzielen nicht nur die aktuellen Auswirkungen sondern die kapitalistische Produktion als ganzes eine grundlegenden Kritik zu unterwerfen.
In Deutschland wird zu einer zentralen Demonstration in Frankfurt am Main gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika aus EU-Kommision, IWF und EZB aufgerufen. Die Organisation_innen wollen damit ein deutliches Zeichen gegen den maßgeblich von Deutschland betriebenen Versuch unternehmen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem kapitalistischen Weltmarkt auf dem Rücken von Lohnabhängigen und MigrantInnen zu sanieren. Mit dem international koordinierten Protest soll auch ein Zeichen gegen die nationalistische Stimmungsmache gegen die Lohnabhängigen in den südeuropäischen Ländern und die militärische Abschottung der EU-Außengrenzen gesetzt werden. Dagegen setzen die Organisatorinnen und Organisatoren die Perspektive einer grenzübergreifenden Selbstorganisation der von der Sparpolitik und kapitalistischen Ausbeutung betroffenen Menschen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Proteste gegen die Auswirkungen der Krise werden die Aktionen rund um den 1.Mai,
den internationalen Kampftag der Arbeiter_innenklasse sein. In vielen
Städten sollen die traditonellen und revolutionären Mobilisierungen am
1.Mai in den Fokus der Proteste gestellt werden. In Berlin wird
darüberhinaus der 25ste Jahrestag des „Kreuzberger Aufstandes“ vom
1.Mai 1987 und damit ein halbes Jahrhundert Widerstand gegen
Polizeigewalt und staatliche Vereinahmung des 1.Mai begangen. Nach aktuellen Informationen des "Revolutionären 1.Mai-Bündnis" soll die Demo dieses Jahr von Kreuzberg nach Mitte führen. Der
vorläufige Höhepunkt der Protestreihe ist vom 16 - 18. Mai in Frankfurt geplant.
Dort rufen verschiedenste Akteure der sozialen Bewegungen zu internationalen ungehorsamen Massenaktionen
auf. So heißt es in einem Aufruf: »Machen wir Frankfurt dicht,
blockieren wir den Verkehr, die Banken, die ganze Stadt!«. Mit der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB), die zu den bevorstehenden Protesten eine Broschüre zur "Krisenanayse" herausgegeben hat haben wir ein Interview zu den anstehenden Aktionen geführt.
31.März | Europäische Aktionstag gegen Kapitalismus | Frankfurt / Main | 14 Uhr Hauptnbahnhof
1.Mai | Revolutionäre Demonstration | Berlin | 18 Uhr | Lausitzer Platz
16 – 18.Mai | Bloccupy | Frankfurt / Main
Den Druck noch drückender machen!
Interview mit Melsa Hikmet und Jonas Schiesser von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB)
Perspektive: Hey, ihr beiden. Die ARAB hat ja nun eine recht umfassende Krisenanalyse vorgelegt. Lasst uns ein wenig drüber reden, wie es mit dem antikapitalistischen Widerstand der letzten Jahre aussieht…
Melsa: Ja, da geht zumindest international im Moment einiges. Wir leben in ereignisreichen Zeiten. Das Rad der Geschichte scheint sich im Moment schneller zu drehen als sonst. Das Jahr 2011 hat neben den Aufständen in Nordafrika und einem Krieg gegen Libyen auch eine massive Zunahme an Klassenkämpfen rund um den Erdball gebracht. Die ökonomische Krise wird vielerorts zur politischen. „Es herrscht ein großes Chaos unter dem Himmel, aber die Bedingungen sind exzellent.“ wie Mao so schön sagte. Zwar gibt es noch keine weltweite Bewegung, aber die lokalen Kämpfe intensivieren sich und fangen an sich zu vernetzen und gegenseitig zu inspirieren. Neben dem Tahir-Platz ist da die Occupy-Bewegung, vor allem die in Oakland, zu nennen, die Bildungsproteste in Chile, Platzbesetzungen in Madrid, Jugendrevolten in Großbritannien, Streiks und Strassenkämpfe in vielen Ländern Europas. Wenn du dir zum Beispiel ansiehst, wie die griechische Bevölkerung gegen die ihr aufgedrückten Privatisierungen und Kürzungen kämpft, während gleichzeitig in Portugal und Italien Massenbewegungen gegen das autoritäre deutsch-europäische Krisenbewältigungsregime mobilisieren, dann lässt das schon ein bisschen Hoffnung auch für uns hier aufkommen.
Perspektive: Das hört sich ja alles ganz toll an, aber in der BRD gab`s ja bisher kaum nennenswerten Widerstand.
Jonas: Das hat mehrere Gründe. Zum einen kann sich der deutsche Imperialismus, als ökonomisch stärkster in der EU, immer noch ganz gut über Wasser halten. Er gehört ja zu den Krisengewinnern.
Die Krise frisst sich zwar von der Peripherie immer mehr ins Zentrum, bis in die kapitalistischen Kernländer, aber in einem mit Griechenland vergleichbaren Ausmaß ist sie hier noch nicht angekommen. Klar, es gibt Kürzungspakete und klar, die soziale Situation der Arbeiter_innen, Prekären, Erwerbslosen und Migrant_innen wird auch nicht besser. Dementsprechend ist viel Unmut da, der sich aber aus verschiedenen Gründen noch nicht zu wirklichem Widerstand formiert. Da darf man zum einen die Schwäche der Arbeiter_innenbewegung und der Gewerkschaften hierzulande im Vergleich mit Ländern wie Griechenland nicht vergessen. Hinzu kommt, dass es – auch vermittelt über die Gewerkschaftsführungen – ja auch in der Klasse selbst noch einiges an Standortnationalismus gibt.
Melsa: Eine Gewerkschaftsbewegung, die auch wirklich mal streikt, wenn es hart auf hart kommt, gibt’s ja hier kaum. Das liegt neben dem Modell der sogenannten Sozialpartner_innenschaft, das in der BRD besonders ausprägt war und das Entstehen einer kämpferischen Arbeiter_innenbewegung mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche erfolgreich verhindern konnte, vor allem auch daran, dass von großen Teilen der radikalen Linken zum Thema Klassenkampf und soziale Frage nur ein ohnmächtiges Schweigen zu vernehmen ist.
Perspektive: Wie kann das sein? Eigentlich müsste das doch ein Kernbereich linker Theorie und Praxis sein?
Melsa: Puh, das ist `ne lange Geschichte. Der Linken in der BRD gelang es – anders als in Frankreich, Italien oder Griechenland – nie sich wirklich in der Arbeiter_innenklasse zu verankern. Das lag neben der Sozialpartner_innenschaft, von der ich eben schon sprach, vor allem auch daran, dass die Kontinuität zur „alten“ kommunistischen Arbeiter_innenbewegung der Weimarer Republik durch den Faschismus gebrochen wurde. Diejenigen die überlebten beteiligten sich überwiegend am Aufbau der DDR. Im antikommunistischen Frontstaat BRD waren die Bedingungen für eine kommunistische Linke ziemlich beschissen, zumindest bis ’68. Und die neue Linke nach ’68 hatte das Thema zumindest theoretisch auf dem Schirm, es gab in bescheidenem Umfang auch eine Betriebsarbeit, aber die politischen Erfolge und öffentlichkeitswirksamen Mobilisierungen gab’s immer bei anderen Themen wie Notstandsgesetze, Vietnamkrieg, Atomkraft oder der Friedensbewegung.
Jonas: Und nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder gab´s dann überhaupt erstmal eine große Desillusionierung bei vielen Linken, was die Möglichkeit revolutionärer gesellschaftlicher Veränderung und die Rolle der Arbeiter_innenklasse darin angeht. Dazu kamen die rassistischen und nationalistischen Mobilisierungen gegen Flüchtlinge und Migrant_innen im Zuge der Wiedervereinigung, die dazu geführt haben das Teile der radikalen Linken das Konzept des „Klassenkampf“ auch theoretisch über Bord geworfen und in der hiesigen Klasse nur noch den reaktionären „deutschen Mob“ gesehen haben. Andere sind glücklicher Weise nicht ganz so weit gegangen, haben ihre Schwerpunkte jedoch auch eher im Themenbereich Antifa gehabt. Alles in Allem hat dies dazu geführt , dass sich die radikale Linke immer mehr in ihre subkulturellen Nischen zurückgezogen hat und heutzutage kaum mehr einen Zugang zu Menschen außerhalb des VoKü-Kolletivs besitzt.
Perspektive: Das klingt ja ziemlich düster …
Melsa: Ja, die Möglichkeiten der Intervention sind im Moment in diesem Land in der Tat beschränkt. Das wird durch die politische und organisatorische Zersplitterung der radikalen Linken, in viele sich gegenseitig bekämpfende Kleinstgrüppchen, noch verstärkt. Deshalb müssen wir als radikale Linke realistischer Weise eingestehen das wir seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kaum in der Lage waren für die Öffentlichkeit überhaupt wahrnehmbar zu sein, obwohl die Fragen nach gesellschaftlichen Alternativen zum herrschenden System in der Bevölkerung wieder lauter werden.
Perspektive: Und wo sehr ihr dann die Perspektiven?
Jonas: Die Situation ist scheiße, aber nicht hoffnungslos. Wir sehen schon die Möglichkeit, dass die radikale Linke mittelfristig wieder zu einer gesellschaftlichen Kraft werden kann. Sonst würden wir uns ja den ganzen Stress nicht geben. Die mangelnde Verankerung der radikalen Linken in der Arbeiter_innenklasse, hatte ja auch durchaus objektive Ursachen und lag nicht nur an der Blödheit der Linken. Das System der Sozialpartner_innenschaft wurde jedoch durch die Agenda 2010 von Seiten der Herrschenden aufgekündigt. Seitdem gewinnt die soziale Frage auch innerhalb der radikalen Linken wieder an Bedeutung. Damals hatte die überwiegend mit sich selbst und dem Nah-Ost-Konflikt beschäftigte Linke die sogenannten Montagsdemonstration gegen HartzIV komplett verschlafen, aber seitdem versuchen verschiedenste Gruppen auf diesem Feld eine Theorie und Praxis zu entwickeln – was jedoch nicht so einfach ist. „In der Klasse verankern“ ist komplizierter, als einen Naziaufmarsch zu blockieren oder ’ne fette Demo gegen die Scheiß-Bullen zu machen.
Jonas: Wir in der ARAB versuchen ja seit unserer Gründung 2007 Formen zu finden mit antikapitalistischen Inhalten in soziale Kämpfe zu intervenieren. Bei den Bildungsprotesten zum Beispiel haben wir dabei auch eine Menge positiver Erfahrungen gemacht. Seit dem Ausbruch der Krise 2007/2008 gab es auch eine Menge Versuche verschiedener linker Kräfte, zum Beispiel in den Krisenbündnissen, gemeinsam wieder handlungsfähig zu werden. Die Tendenz zum Sektentum nimmt glücklicher Weise ein wenig ab. Auch wenn viele der gemeinsamen Aktionen wie die Krisendemos 2009, die Bundestagsbelagerung und die ausgefallene Frankfurter Bankenblockade 2010 unter den Erwartungen blieben und es nicht gelang Impulse für einen breiteren Widerstand zu setzen, finden wir die allgemeine Entwicklung innerhalb der radikalen Linken in den letzten Jahren schon positiv.
Perspektive: Ihr habt ja schon erwähnt. Die bisherigen Großmobilisierungen der radikalen Linken gegen die Krisenauswirkungen waren – ähhh- nicht so geil. 2012 soll sich das ändern. Erzählt mal.
Melsa: Ja, wir hegen die Hoffnung, dass dieses Jahr etwas Schwung in die Kiste kommt. Für das Frühjahr 2012 sind eine Menge vielversprechender Aktionen geplant, eine wahre Choreographie des Widerstands. Los geht’s am 31. März in Frankfurt am Main. Da ruft ein europaweites Bündnis aus linken Gruppen und Basisgewerkschaften zu einem „European Day of Action against Capitalism“ auf. An diesem Tag sollen in vielen europäischen Ländern dezentral Aktionen stattfinden, die darauf abzielen nicht nur die aktuellen Auswirkungen, sondern die kapitalistische Produktion als Ganzes einer grundlegenden Kritik zu unterwerfen. In Frankfurt soll es eine bundesweite Demonstration geben, deren Ziel es ist die Baustelle der Europäischen Zentralbank stillzulegen und damit ein Zeichen gegen deren autoritäre Krisenpolitik zu setzen.
Jonas: Dann kommt der 1. Mai, da ist geplant die traditionellen und revolutionären Demos und Kundgebung auch in den Kontext der Proteste gegen die kapitalistische Krise zu stellen. In Berlin begehen wir darüber hinaus den 25sten Jahrestag des „Kreuzberger Aufstandes“ vom 1. Mai 1987 und damit ein Vierteljahrhundert Widerstand gegen Polizeigewalt und staatliche Vereinnahmung des 1. Mai. Der vorläufige Höhepunkt der Proteste ist im Mai wiederum in Frankfurt geplant. Ziel ist es, mit international mobilisierten massenhaften Aktionen des zivilen Ungehorsam die Frankfurter Bankenmetropole für einen Tag komplett lahmzulegen. Es geht uns bei diesen Mobilisierungen vor allem darum, die Rolle des deutschen Imperialismus herauszustellen, der die Krise nutzt um seine Vormachtstellung in Europa auszubauen und sich auf Kosten der griechischen, portugiesischen, italienischen und spanischen Arbeiter_innenklasse zu sanieren.
Melsa: Wenn du dir das Projekt ansiehst, das die herrschende Klasse in Deutschland im Moment verfolgt, dann zielt das ja genau darauf ab, diesen Status weiter auszubauen. Sie sagen ja mittlerweile ganz offen, dass Deutschland die Rolle der führenden europäischen Macht einnehmen muss. Die Rhetorik ist mittlerweile offen nationalistisch, Tenor: „Wir sind die ökonomisch stärkste Macht in Europa, es ist ganz natürlich, dass wir die Führung innehaben.“ Wir möchten den Widerstand gegen diese autoritäre deutsch-europäische Krisenpolitik in diesem Frühjahr ins Herz der Bestie tragen, ins politische und ins finanzielle Zentrum, nach Berlin und Frankfurt. Wir tun dies auch in Solidarität mit den Kämpfenden in Griechenland und anderen Opfern des deutschen Imperialismus.
Perspektive: Im Mai sind ja auch die nächsten „großen“ weltweiten Aktionen unter dem Label „Occupy“ geplant. Wie steht ihr zu dieser Bewegung?
Jonas: Das lässt sich nicht verallgemeinern. In den USA, vor allem in Oakland, haben die Occupy-Proteste wichtige Impulse für den Widerstand gesetzt. Hier in Deutschland blieben die Proteste sehr begrenzt und – ähhhh – manchmal etwas krude. Trotzdem haben wir uns in der ersten Bewegungsphase von „Occupy“ zwischen Oktober und November 2011 stark bei den Aktionen engagiert und versucht unsere Inhalte reinzutragen. Wir sehen trotz aller Kritik schon Potentiale für eine Weiterentwicklung und sind im Gegensatz zu anderen Teilen der Linken nicht der Meinung, dass wir die schon abschreiben sollten. Die Proteste in Frankfurt Mitte Mai sollen auch mit den Occupy-Aktionen zusammenlaufen. Wir halten auch überhaupt nichts davon solche, vielleicht etwas naiven, Bewegungsansätze vom warmen Sofa als „reaktionär“ und „verkürzt“ abzuurteilen, sondern versuchen mit antikapitalistischen Inhalten zu intervenieren. Nur vom Meckern wird die Linke auch nicht schlagkräftiger. Man muss da, wie Marx das einmal formuliert hat, „den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt“.
Melsa: Bis die Wurst platzt!
Perspektive: Danke für das Gespräch, viel Spass in Berlin und Frankfurt.
1.Mai Mobi-Video
http://www.youtube.com/watch?v=V5ykPbQ9hik