Damals wie heute – rechten Konsens
brechen
In den letzten drei Jahren fanden im Landkreis
Saalfeld-Rudolstadt mindestens 22 Konzerte der rechten Szene statt.
Die Nazis verfügen mit dem „Alten Labor“ in Unterwellenborn, dem
„Ostfeld 0“ in Schmiedefeld und der „Schwedenschanze“ in
Deesbach über mehrere Locations, um regelmäßig Veranstaltungen
durchführen zu können. Wäre es nach den Wählerinnen und Wählern
im Landkreis gegangen, säße die NPD im Thüringer Landtag. Sie
erzielte bei der Wahl 2009 hier das beste Ergebnis. Das Auftreten vom
Freien Netz Saalfeld und der NPD wurde in der Vergangenheit immer
offensiver und gipfelte schließlich am 03. März 2012 in den
Spontandemonstrationen durch die Saalfelder Innenstadt und den
Stadtteil Gorndorf.
Saalfeld nazifrei
Anstoß wird an
diesen Umständen kaum genommen. Die meisten der Saalfelder
Klubbesucher_innen und Partygänger_innen unter 20 haben vermutlich
noch nie bei einem Besuch der zentral gelegenen Kneipen oder des
„Klubhauses der Jugend“ Probleme mit Nazis erlebt. Konnten solche
alltäglichen Aktivitäten in den 1990er Jahren noch in Schlägereien
auf dem Heimweg oder Überfällen eines Nazi-Mobs enden, hören sich
diese Vorfälle für die meisten Jugendlichen heute eher wie
Räuberpistolen an. Sorgte früher eine starke linke Szene durch eher
handfestes Vorgehen dafür, dass sich Faschos schon aus
Eigeninteresse eher auf umliegende Städte und Dörfer verteilten,
ist die Situation heute größtenteils von entpolitisierten
Jugendlichen geprägt.
Mit dem Wegfall der Selbstbetroffenheit
durch rechte Übergriffe und einem Erschlaffen der Naziszene
verschwand auch die Einsicht, sich mit Nazis auseinanderzusetzen und
gegen sie aktiv zu werden. Teile des Publikums, das an einem Tag mit
Linken in Saalfeld feiert, klatscht am nächsten mit Faschos in der
Disco ab. Mensch versteht sich und hat keine Probleme miteinander.
Politik nervt sowieso und hat beim Party machen nichts verloren.
Außerdem kennt mensch sich ja von früher aus der Schule und so übel
ist der oder die in dem „Ruhm und Ehre der Wehrmacht“-T-Shirt
auch nicht.
Solange Nazis keinen Stress bereiten und nicht gerade
den nächsten Bekannten tätlich angreifen, gibt es keine Probleme.
Sich über die menschenfeindliche Einstellung dieser Personen
Gedanken zu machen, erscheint abwegig. Selbst in alternativen
Locations reicht es mitunter, wenn der oder die rechtsoffene
Dorfbewohner_in seine oder ihre Thor Steinar-Jacke zurück zum Auto
bringt, um am Einlass durchgewunken zu werden.
Wenn Personen etwas
gegen Nazis haben, geschieht dies eher selten aus der Einsicht, dass
deren Verhalten ein Angriff auf die Einzigartigkeit jeder Person ist,
sondern weil es Teil eines allgemeinen Grundverständnisses ist, dass
„Nazis schon doof sind“ und mensch die ja nicht gut finden kann.
Daraus resultiert dann auch, dass sich homophobe Beleidigungen wie
„Schwuchtel“, sexistisches Verhalten und autoritäre
Charaktereigenschaften quer durch alle Jugendszenen ziehen.
Nichts
hat sich geändert
Von der lokalen Politik und Presse werden Nazis
und ihre Aktionen so gut wie nicht wahrgenommen. Journalismus
beschränkt sich im örtlichen Zonenblatt OTZ auf das Kopieren von
Pressemitteilungen der Polizei. Ist sonst kein Anlass nichtig genug,
um mit ihm die nächste Seite im Lokalteil zu füllen – sei es ein
umgeworfener Blumenkübel auf dem Markt oder die neusten
Brötchensorten beim Bäcker in Dorf XY – grenzt es an eine
unlösbare Aufgabe nachzufragen und Öffentlichkeit zu schaffen, wenn
es ständig zu Nazi-Veranstaltungen im Landkreis kommt. Ob dies aus
fehlendem Interesse, Absicht oder schlichter Unfähigkeit geschieht –
man befindet sich auf einer Linie mit den lokalen Parteien und
Behörden. Es wird verschwiegen und wenn möglich, nicht
wahrgenommen, was hier passiert.
Jede Form von Öffentlichkeit
könnte der Stadt, Gemeinde und den Tropfsteinen im Touristenmagnet
Feengrotten schaden. Wenn kritische Stimmen aufkommen, werden diese
schlicht ignoriert oder als Panikmache von linken Chaoten_innen
abgetan. Was die Familienministerin Kristina Schröder und
konservative Kräfte mit ihrem Geschwätz vom Extremismus und der
Gleichheit von links und rechts propagieren, ist bei der normalen
Bevölkerung im Landkreis ohnehin Common Sense.
Wo NPD-Kader auf
Kirmsen und Dorffesten seit Jahren anerkannte Bestandteile der
Organisation und Dorfgemeinschaft sind, ist die Sensibilität für
politische Themen generell nicht vorhanden. Eine rassistische und
nationalistische Grundstimmung zeigte sich unter anderem, als die
Pfarrersfamilie Neuschäfer an die Öffentlichkeit trat und die
alltäglichen Zustände im Landkreis als Grund für ihren Wegzug
nannte. Reflexartig reagierte die öffentliche Meinung mit bestem
Volksgemeinschaftsverhalten und schob der Familie die eigentliche
Schuld unter. Alltäglicher Rassismus, Hass auf Fremdes und
Zustimmung zu Positionen eines Thilo Sarrazin sind, wie in anderen
ostdeutschen Städten, Normalität. Weil nicht sein darf, was nicht
sein kann, wird es weiterhin an linken Chaoten_innen hängen bleiben,
Kritik an diesen Verhältnissen zu üben.
Damals wie heute
Unser Motto „Damals wie heute – rechten Konsens brechen!“
ist an jenes der verbotenen antifaschistischen Demonstration vom 11.
Oktober 1997 angelehnt. 1997 sollte ebenfalls auf die Etablierung von
faschistischen Strukturen im Landkreis aufmerksam gemacht werden.
Auch wenn die Situation damals ungleich schlimmer war als heute,
zeigen sich dennoch Parallelen. Nicht nur sind immer noch rechte
Kader aus dieser Zeit aktiv, geändert hat sich auch das Verhalten
der Bevölkerung nicht.
Die von Tino Brandt in den 1990ern
maßgeblich mit Geldern des VS aufgebaute rechte Szene zieht ihre
Spuren bis heute – sei es durch die Morde der NSU, welche aus dem
„Thüringer Heimatschutz“ hervorging oder Nazikader, die
inzwischen als Geschäftsleute gesellschaftlich akzeptiert sind und
so Logistik und Geldmittel für die Szene bereitstellen. Die
kritische Auseinandersetzung mit der rechten Ideologie und den
faschistischen Strukturen wurde und wird mit Repression überzogen
und die bürgerliche Gesellschaft wollte und will davon erst recht
nichts wissen.
Jetzt mal ehrlich
Eine Demonstration wird
die Verhältnisse hier nicht auf den Kopf stellen oder dauerhaft
ändern. Dies wäre nur zu erreichen mit radikaler
Gesellschaftskritik, die sich nicht mehr, wie die Feuerwehr, an den
neuesten Schwelbränden neonazistischer Gruppen abarbeitet, sondern
sich aus einer Position von marginalen Kleingruppen und
Einzelpersonen löst, um gegen Staat und Kapitalismus zu arbeiten.
Solange dafür keine Perspektive besteht, darf es ein legitimes
Ziel sein, dauerhaft Ruhe vor Nazi-Demos und deren Kadern zu haben.
Dafür soll unsere Demonstration der Startschuss sein und den
Winterschlaf in Saalfeld beenden.
Endlich wieder in die
Offensive gehen!
Antifaschistisches Jugendbündnis Saalfeld
Jana hieß sie
Ende der 1990er Jahre erschien in der westdeutschen Presse die Kurzmeldung die 14jährige Punkerin Jana sei in Saalfeld von einem Nazi durch Messerstiche ermordet worden. Das wird ca. 1997 gewesen sein. Warum findet der Mord keine Erwähnung?