[Saalfeld] Antifa-Demo 10.03.12

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Damals wie heute – rechten Konsens brechen
In den letzten drei Jahren fanden im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mindestens 22 Konzerte der rechten Szene statt. Die Nazis verfügen mit dem „Alten Labor“ in Unterwellenborn, dem „Ostfeld 0“ in Schmiedefeld und der „Schwedenschanze“ in Deesbach über mehrere Locations, um regelmäßig Veranstaltungen durchführen zu können. Wäre es nach den Wählerinnen und Wählern im Landkreis gegangen, säße die NPD im Thüringer Landtag. Sie erzielte bei der Wahl 2009 hier das beste Ergebnis. Das Auftreten vom Freien Netz Saalfeld und der NPD wurde in der Vergangenheit immer offensiver und gipfelte schließlich am 03. März 2012 in den Spontandemonstrationen durch die Saalfelder Innenstadt und den Stadtteil Gorndorf.

 

Saalfeld nazifrei
Anstoß wird an diesen Umständen kaum genommen. Die meisten der Saalfelder Klubbesucher_innen und Partygänger_innen unter 20 haben vermutlich noch nie bei einem Besuch der zentral gelegenen Kneipen oder des „Klubhauses der Jugend“ Probleme mit Nazis erlebt. Konnten solche alltäglichen Aktivitäten in den 1990er Jahren noch in Schlägereien auf dem Heimweg oder Überfällen eines Nazi-Mobs enden, hören sich diese Vorfälle für die meisten Jugendlichen heute eher wie Räuberpistolen an. Sorgte früher eine starke linke Szene durch eher handfestes Vorgehen dafür, dass sich Faschos schon aus Eigeninteresse eher auf umliegende Städte und Dörfer verteilten, ist die Situation heute größtenteils von entpolitisierten Jugendlichen geprägt.
Mit dem Wegfall der Selbstbetroffenheit durch rechte Übergriffe und einem Erschlaffen der Naziszene verschwand auch die Einsicht, sich mit Nazis auseinanderzusetzen und gegen sie aktiv zu werden. Teile des Publikums, das an einem Tag mit Linken in Saalfeld feiert, klatscht am nächsten mit Faschos in der Disco ab. Mensch versteht sich und hat keine Probleme miteinander. Politik nervt sowieso und hat beim Party machen nichts verloren. Außerdem kennt mensch sich ja von früher aus der Schule und so übel ist der oder die in dem „Ruhm und Ehre der Wehrmacht“-T-Shirt auch nicht.
Solange Nazis keinen Stress bereiten und nicht gerade den nächsten Bekannten tätlich angreifen, gibt es keine Probleme. Sich über die menschenfeindliche Einstellung dieser Personen Gedanken zu machen, erscheint abwegig. Selbst in alternativen Locations reicht es mitunter, wenn der oder die rechtsoffene Dorfbewohner_in seine oder ihre Thor Steinar-Jacke zurück zum Auto bringt, um am Einlass durchgewunken zu werden.
Wenn Personen etwas gegen Nazis haben, geschieht dies eher selten aus der Einsicht, dass deren Verhalten ein Angriff auf die Einzigartigkeit jeder Person ist, sondern weil es Teil eines allgemeinen Grundverständnisses ist, dass „Nazis schon doof sind“ und mensch die ja nicht gut finden kann. Daraus resultiert dann auch, dass sich homophobe Beleidigungen wie „Schwuchtel“, sexistisches Verhalten und autoritäre Charaktereigenschaften quer durch alle Jugendszenen ziehen.

Nichts hat sich geändert
Von der lokalen Politik und Presse werden Nazis und ihre Aktionen so gut wie nicht wahrgenommen. Journalismus beschränkt sich im örtlichen Zonenblatt OTZ auf das Kopieren von Pressemitteilungen der Polizei. Ist sonst kein Anlass nichtig genug, um mit ihm die nächste Seite im Lokalteil zu füllen – sei es ein umgeworfener Blumenkübel auf dem Markt oder die neusten Brötchensorten beim Bäcker in Dorf XY – grenzt es an eine unlösbare Aufgabe nachzufragen und Öffentlichkeit zu schaffen, wenn es ständig zu Nazi-Veranstaltungen im Landkreis kommt. Ob dies aus fehlendem Interesse, Absicht oder schlichter Unfähigkeit geschieht – man befindet sich auf einer Linie mit den lokalen Parteien und Behörden. Es wird verschwiegen und wenn möglich, nicht wahrgenommen, was hier passiert.
Jede Form von Öffentlichkeit könnte der Stadt, Gemeinde und den Tropfsteinen im Touristenmagnet Feengrotten schaden. Wenn kritische Stimmen aufkommen, werden diese schlicht ignoriert oder als Panikmache von linken Chaoten_innen abgetan. Was die Familienministerin Kristina Schröder und konservative Kräfte mit ihrem Geschwätz vom Extremismus und der Gleichheit von links und rechts propagieren, ist bei der normalen Bevölkerung im Landkreis ohnehin Common Sense.
Wo NPD-Kader auf Kirmsen und Dorffesten seit Jahren anerkannte Bestandteile der Organisation und Dorfgemeinschaft sind, ist die Sensibilität für politische Themen generell nicht vorhanden. Eine rassistische und nationalistische Grundstimmung zeigte sich unter anderem, als die Pfarrersfamilie Neuschäfer an die Öffentlichkeit trat und die alltäglichen Zustände im Landkreis als Grund für ihren Wegzug nannte. Reflexartig reagierte die öffentliche Meinung mit bestem Volksgemeinschaftsverhalten und schob der Familie die eigentliche Schuld unter. Alltäglicher Rassismus, Hass auf Fremdes und Zustimmung zu Positionen eines Thilo Sarrazin sind, wie in anderen ostdeutschen Städten, Normalität. Weil nicht sein darf, was nicht sein kann, wird es weiterhin an linken Chaoten_innen hängen bleiben, Kritik an diesen Verhältnissen zu üben.

Damals wie heute
Unser Motto „Damals wie heute – rechten Konsens brechen!“ ist an jenes der verbotenen antifaschistischen Demonstration vom 11. Oktober 1997 angelehnt. 1997 sollte ebenfalls auf die Etablierung von faschistischen Strukturen im Landkreis aufmerksam gemacht werden. Auch wenn die Situation damals ungleich schlimmer war als heute, zeigen sich dennoch Parallelen. Nicht nur sind immer noch rechte Kader aus dieser Zeit aktiv, geändert hat sich auch das Verhalten der Bevölkerung nicht.
Die von Tino Brandt in den 1990ern maßgeblich mit Geldern des VS aufgebaute rechte Szene zieht ihre Spuren bis heute – sei es durch die Morde der NSU, welche aus dem „Thüringer Heimatschutz“ hervorging oder Nazikader, die inzwischen als Geschäftsleute gesellschaftlich akzeptiert sind und so Logistik und Geldmittel für die Szene bereitstellen. Die kritische Auseinandersetzung mit der rechten Ideologie und den faschistischen Strukturen wurde und wird mit Repression überzogen und die bürgerliche Gesellschaft wollte und will davon erst recht nichts wissen.

Jetzt mal ehrlich
Eine Demonstration wird die Verhältnisse hier nicht auf den Kopf stellen oder dauerhaft ändern. Dies wäre nur zu erreichen mit radikaler Gesellschaftskritik, die sich nicht mehr, wie die Feuerwehr, an den neuesten Schwelbränden neonazistischer Gruppen abarbeitet, sondern sich aus einer Position von marginalen Kleingruppen und Einzelpersonen löst, um gegen Staat und Kapitalismus zu arbeiten.
Solange dafür keine Perspektive besteht, darf es ein legitimes Ziel sein, dauerhaft Ruhe vor Nazi-Demos und deren Kadern zu haben. Dafür soll unsere Demonstration der Startschuss sein und den Winterschlaf in Saalfeld beenden.

Endlich wieder in die Offensive gehen!

 

Antifaschistisches Jugendbündnis Saalfeld

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Ende der 1990er Jahre erschien in der westdeutschen Presse die Kurzmeldung die 14jährige Punkerin Jana sei in Saalfeld von einem Nazi durch Messerstiche ermordet worden. Das wird ca. 1997 gewesen sein. Warum findet der Mord keine Erwähnung?