Im Zuge der Ermittlungen gegen Tobias P., dem Brandstiftung an Fahrzeugen der gehobenen Klasse vorgeworfen wird, behauptete die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlussplädoyer, es sei nötig, ein besonders hartes Strafmaß zum Zwecke der Generalprävention zu verhängen. In der Anklageschrift heißt es, einige Bürger_innen mieden aufgrund ihrer Verunsicherung bestimmte Stadtteile. Diesem Trend müsse Einhalt geboten werden. Eine Generalprävention bzw. ein erhöhtes Strafmaß soll mögliche Nachahmungstäter_innen abschrecken.
Wer verdrängt hier wen?
Die Wortwahl der Staatsanwaltschaft ist skandalös. Es findet eine klare Verdrehung der Tatsachen statt. Die linksradikale Argumentation gegen die Verdrängung von finanziell schwächeren Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Bezirken wird modifiziert und manipuliert und so werden aus Profiteur_innen plötzlich Betroffene. Die Staatsanwaltschaft verdreht die Argumente der Gentrifizierungsgegner_innen um sie so für ihre eigene Klientel zu nutzen und nun ihrerseits zu behaupten, die „armen“ Luxusschlitten-Besitzer_innen seien genötigt, bestimmte Gebiete zu meiden.
Diese sind jedoch nicht Opfer, sondern Symptom eines Prozesses der
Verdrängung, der durch stadtpolitische Entscheidungen zugunsten von
Kapital und zu Ungunsten vieler hier lebender Menschen hervorgerufen
wurde.
Fernab von jeder wissenschaftlichen Grundlage?!
Die Unterfütterung ihrer Behauptung mittels empirisch erhobenem Datenmaterial wird die Staatsanwaltschaft uns wohl schuldig bleiben. Als Vertreter_innen des Staates und somit befangen, verwundert uns das zu keinem Zeitpunkt.
An anderer Stelle sind jedoch Zahlen bekannt geworden, die die negativen
Auswirkungen der steigenden Mieten belegen: Laut aktuellen Statistiken
der Agenturen für Arbeit werden Hartz IV-Empfänger_innen aus den
Innenstadtlagen an die Randbezirke verdrängt. So sind 2011 nach
Marzahn-Hellersdorf 776 mehr Hartz-IV-Empfänger_innen gezogen, als den
Bezirk verlassen haben. Die Zuzügler_innen kommen vor allem aus Mitte,
Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow, wo sie für den vom Jobcenter
gezahlten Mietzuschuss von 378 € keine Wohnung mehr finden.
sich in Anbetracht dieser Situation um eine nicht nachgewiesene
Verdrängung der Besitzer_innen verkohlter Edel-Klumpen zu sorgen, kommt
einer Verhöhnung der von tatsächlicher Verdrängung Betroffenen gleich.
Gefühlte Unsicherheiten
In der Anklageschrift wird behauptet, die Brandstiftungen führten in der „Bevölkerung“ zu „Verunsicherung“. Aber wer fühlt sich eigentlich unsicher? Es sind Menschen, die Geld in die klammen kommunalen Kassen spülen könnten, Investor_innen, die die Stadt nach den Bedürfnissen des Kapitalismus umgestalten möchten. Diese machen jedoch nur einen kleinen Teil der in Berlin Lebenden aus und sind keinesfalls repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Gefühlte Unsicherheit in kapitalstarken Kreisen beeinträchtigt allerdings das Geschäft und dies erhöht wiederum den Druck auf die Politik, eine geeignete Atmosphäre für optimale Verwertung in der Stadt zu schaffen. Die Frage nach den Gefühlen oder Lebensängsten der von Verdrängung Betroffenen wird in der Diskussion komplett ausgeblendet.
Wer von Sicherheit spricht, darf von sozialer Sicherung nicht schweigen.
An dieser Stelle sei nochmals darauf verwiesen, dass Verdrängung aus
dem Innenstadtbereich ein stetig wachsendes Problem für viele Menschen
darstellt. Auch der Zusammenhang von Bildung und Einkommen sowie die in
einer Untersuchung festgestellte niedrigere Lebenserwartung in Berliner
Bezirken mit ungünstigen sozialen Bedingungen müssen in diesem
Zusammenhang erwähnt werden. Traditionell ist die parlamentarische
Politik jedoch in erster Linie nicht um die Lösung solcher Probleme
bemüht, sondern es handelt sich um eine Legitimations-Profession. Die
Inszenierung räumlicher Sicherheit dient somit als Ersatz für die
fehlende soziale Sicherheit.
Der Kriminologe und Stadtforscher Jan Wehrheim hat den Mechanismus folgendermaßen beschrieben:
„Wenn die soziale (Sicherheit) nicht mehr gewährleistet ist, wird die
physische umso vehementer gefordert. (…) Die Politik wiederum kann ‘law
and order’ als Option präsentieren und Handlungsfähigkeit beweisen, die
ihr auf dem Feld der sozialen Sicherheit fehlt bzw. die auf diesem Feld
vielleicht gar nicht mehr gewollt ist.“
Politisch motivierte Justiz
Dass bei Tobias Prozess ein besonderes politisches und hartes Strafmaß angelegt wird verwundert nicht. Schließlich verbuchte die Operation Feuerschein seine Verhaftung als ersten Erfolg. Hinzu kam enormer medialer Druck, was eine Unvoreingenommenheit des Gerichts unmöglich machte. Und so wurde Justizias Waagschale mal wieder anders geeicht.
Jegliche Kritik und soziale Komponenten wurden nicht beachtet, nicht
bewertet und die sozialpolitischen Auswirkungen werden verkannt. Wer
diese Menschen tatsächlich sind, die beinahe Nacht für Nacht das Dekor
der zu edlem Stumpfsinn transformierten Straßen Berlins abfackeln, und
welche verschiedenen Gründe und Ursachen, welche stadtpolitische
Prozesse/Ungerechtigkeiten sie dazu bewegen, wurde in dem
Gerichtsprozess nicht einmal angeschnitten. Die sozialen Ursachen des
„Volkssports Autosanzünden“ wird nicht weiter erörtert – ist dem Gericht
aber offensichtlich auch egal.
Eines macht der Prozess aber deutlich: abgeschreckt werden sollen die jenigen, die sich über das politische Geschehen in der Stadt informieren, die aus diesen Informationen ihre Schlüsse ziehen und diese weitergeben, Diskussionen anregen, gnadenlos kritisieren und bloßstellen, und vielleicht in letzter Konsequenz auch mal nachts losgehen.
Denn es sind eben diese gut informierten Menschen, die registrieren
werden, welche politisch motivierten Aussagen die Staatsanwaltschaft
macht und welche Entscheidung das Gericht trifft und welche politische
Linie dieses verfolgen wird. Dass es vorrangig um die Inszenierung eines
starken Staates und die Legitimation desselben geht und kaum der
Abschreckung möglicher Nachahmer_innen dient, ist offensichtlich.
Eher Versailles als Jalta
Das ist durchaus schauprozessverdächtige Anstiftung zum Geschichtsrevisionismus, mit einem Begriff der zur Begründung unmittelbarer Intervention geschaffen ist nachträgliche Bestrafung rechtfertigen zu wollen