linksunten Archiv

Am Montag morgen wurde im Norditalienischen Susa Tal die unweit der Baustelle für angebliche geognostische Untersuchungen zum Bau eines Tunnels in einem Wald errichtete Hütte der No Tav, den Gegnern der Hochgeschwindigkeitsbahn Turin-Lyon, geräumt und abgerissen. Die Bewegung rechnete erst in der kommenden Nacht mit der Aktion. Ein Aktivist mit guten Ortskenntnissen erreichte die Hütte um sich an deren Verteidigung zu beteiligen. Hierzu kletterte er auf einen unweit der Hütte stehenden Strommast. Polizeikletterern, die ihn holen wollten, hatte er klar mitgeteilt, dass er sich an die Stromkabel hängen würde, wenn sie weiter aufsteigen würden. Seine Absicht war es, zeitlich so lange wie möglich auf dem Mast auszuharren. Einen Dialog versuchten die Polizeikletterer offenbar nicht. Einer begann den Mast zu erklimmen. Luca, Bahngegner und Bauer aus dem Tal, stürzte ab und liegt derzeit im pharmakologischen Koma in einem Turiner Krankenhaus, während Grund und Boden der Talbewohner dem Bauprojekt einverleibt werden.

Am Abend teilten die Ärzte mit, dass Luca überleben wird. Man wird ihn jedoch erstmal 48 Stunden lang im künstlichen Koma belassen. Nebst multiplen Knochenbrüchen besteht wohl noch ein ernstes Problem mit der Nierenfunktion. Weitere Berichte werden folgen, hier für's Erste der Ticker von Radio Blackout. Die Wut im Tal ist immens und auch in ganz Italien erhebt sich massiver Protest. In rund 60 italienischen Städten und in einigen Europäischen kam es bereits zu größeren und kleineren Demonstrationen, Kundgebungen, Straßen- und Gleisblockaden. Die Versammlung der No Tav beschloss am frühen Abend die ständige Mobilisierung und die Blockade sowohl des hohen als auch des niederen Tals. Es ist erst der Anfang - viel wird vom Umfang und vom Grad der Mobilisierung und Solidarisierung abhängen. Für einen Erstüberblick, hier der Ticker von Radio Blackout zum heutigen Tag.

Ticker vom Radiosender Radio Blackout bis 11 Uhr mit Übersetzung des Gesprächs, das Luca vom Mast aus mit dem Radio führte.

8:00 Die Räumung der Clarea-Hütte durch die Ordnungskräfte ist im Gange. Hundere Einsatzkräfte im gesamten Clrea-Tal und auf der Autobahn, wo di Zahl der Einsatzfahrzeuge extrem hoch ist.

8:20 Ein No Tav Aktivist ist auf ein Strommast geklettert, um sich der Räumung zu widersetzen. Er ist gestürzt und in sehr schwerem Zustand.

Irgendwann hat man einen Funken gesehen... Luca ist wie ein toter Körper aus einer Höhe von 15 bis 20 Metern gestürzt und reglos am Boden liegen geblieben. Die Genossen schaffen es nicht, an ihn heran zu kommen. Man hat das Schlimmste befürchtet und man fürchtet immer noch, weil mindestens 10 bis 15 Minuten vergangen sind ABER KEIN KRANKENWAGEN HERBEI GEHOLT WURDE, obwohl es im Inneren der Baustelle mindestens zwei gibt, die zügig anfahren könnten!

9:00 Luca war zur Hütte gekommen und auf 10 Meter hoch auf einen Mast gestiegen. Die Kletterer haben begonnen, aufzusteigen, da hat er mitgeteilt, dass er seinen Aufstieg fortsetzen würde, wenn sie weiter raufgekommen wären und so war es dann auch!

9:15 Die Losung lautet, dass alle nach Giaglione gehen sollen (d.Ü.: Giaglione ist ein kleines Dorf in der Nähe der Baustelle).

9:20 aus Repubblica.it: "Am heutigen Morgen hat in Chiomonte die Erweiterung der TAV-Baustelle der Maddalena begonnen. Auf Grundlage einer Anordnung des Präfekten, in der die Erweiterung der Baustelle im Eilverfahren befohlen wird, haben Arbeiter und Ordnungskräfte damit begonnen, den Umfang der Zaunanlagen hin zu den Privatgrundstücken auszuweiten. Das gesamte Areal ist seit Januar Nationales Gebiet von strategischem Interesse (d.Ü.: und damit militärisches Sperrgebiet. Bei Betreten droht die sofortige Verhaftung und eine Haftstrafe).

Die Arbeiten müssten am Abend enden. Die Ordnungskräfte lassen aber wissen, dass der Baustellebereich jetzt schon vollständig umgrenzt ist. Der Präfekt hat das Betreten des Areals verboten, sowohl von der Seite Chiomontes aus (d.Ü.: ein unterhalb der Baustelle gelegenes Dorf) über die Via dell'Avaná d.Ü.: Eine schmale Straße, die zu den Weinbergen in der Umgebung führt), als auch von der Seite Giagliones (d.Ü.: ein schräg oberhalb der Baustelle gelegenes Dörfchen) über den Weg, der zur Hütte führt, wo sich jedoch gerade einige No Tav sammeln. Ein Dutzend hat dort die Nacht verbracht, einge andere treffen in diesen Minuten ein"

Direktübertragungenvia Radio Blackout:

9:40 Luca ist per Hubschrauber auf dem Weg in Traumatologische Zentrum Turion CTO unterwegs.

9:50 Ein Aktivist hat sich in der Hütte eingeschlossen, drumherum stehen 15 von den Ordnungskräften umzingelte No Tav. Die Bagger arbeiten weiter.

Radio blackout sendet gerade die Aufnahme von Lucas Live-Korrespondenz.

lucanotav: höre den Livebericht Lucas vor dem Sturz. Die Übertragungsaufmahme endet damit, dass Luca sagt, ich grüße Euch, weil ein Kletterer gerade hochkommt und ich mich gerade organisere, um mich zu verteidigen. #notav [Übersetzung: siehe weiter unten]

10:30 Verkehrslage: Auf der Seite von Chiomonte blockieren die Militärs die Brücke, die zum Elektrizitätswerk führt und von seiten Ramat (ein winziges Dorf oberhalb der Baustelle, d.Ü.) ist die Staße zum Elektrizitätswerk durch Zaungitter auf Beton gesperrt.

10:45 Luca ist in sehr kritischem Zustand. Er liegt im Operationssaal. Aus La Repubblica: "So das inoffizielle Lagebild des Krankenhauses: 'Er erlitt einen Stromschlag mittlerer Spannungsintensität, er bewegt die Beine, ist bei Bewusstsein und Orientierungsfähig. Verdacht auf innere Verletzungen mit Erguss, ausgedehnte innere Blutung, wahrscheinliche Frakturen des Brustbeins und der Rippen, Verbrennungen zweiten Grades".

TREFFEN um 11:30 in Bussoleno

*

*

*

[d.Ü.: Vorläufige Unterbrechung der Tickerübersetzung - Übersetzung von Lucas letzem Bericht vor dem Sturz via Radio Blackout]

RBO Moderator 1: Wir verbinden uns mit dem Clarea-Tal, um zu hören, was läuft

RBO-Moderator 2: Ja, wir werden mit Luca sprechen. Hallo Luca, wie geht's?

Luca: Na, es ist so: ich bin gerade angekommen, um die Hütte ist ein Aufgebot von Polizisten in Aufstandbekämpfungsmontur, um die 20 Personen wurden angehalten und ich bin auf den Mast gestiegen. Sie kommen gerade rauf, um mich zu holen, ich bin auf diesem Mast genau vor der Hütte. Es ist mir gelungen, den Kontrollen zu entgehen, und jetzt klettere ich gerade rauf. Ich organisiere mich gerade, um mit Seilen aufzusteigen, das heißt, na ja, versuchen wir, ihre Arbeit auf diese Weise in die Länge zu ziehen. Ich bin bereit. Ich bin hier... [Luca redet jetzt offenbar mit den Polizeikletterern] und ich bin bereit, mich an die Stromkabel zu hängen, wenn ihr nicht aufhört, Ok? [Ende der ansage an die Polizeikletterer] Jetzt müssen wir sehen, wie sich die Situation entwickelt. Momentan ist die Situation ruhig. Es gibt keine Spannungssituationen und ich sehe keine Gewalt, logischerweise gibt es aber ein außerordentliches Polizeiaufgebot. Ich bin hier, am Mast angeklammert, ich habe es geschafft, dutzenden Polizisten, die mich nur noch völlig belämmert ansahen zu entwischen. Sehen wir jetzt, wie es weiter geht.

RBO: Hör mal, den Berichten der Genossen nach, die von der Hütte entfernt wurden - oder zumindest den Erklärungen der Polizisten nach, die sie vertrieben haben, wollen sie sich nicht nur die Hütte nehmen, sondern auch alle umliegenden Grundstücke. Bis gestern konnte man nicht so richtig verstehen, welche, sagen wir, die neue Grenze sein würde. Verstehst Du anhand dessen, was Du siehst etwas?

Luca: Zu diesen Details kann ich Dir gerade nichts sagen, weil ich mit niemandem gesprochen habe sondern direkt auf den Mast bin. Ich bin hier in 10 Metern Höhe auf Höhe der elektrischen Kabel. Unten sind die Kletterer, die sich mit den Seilen bereit machen. Sehen wir mal, wie lange es mir gelingt, auszuharren. Ich werde versuchen, irgendwie zu gucken, dass sie lange brauchen. Ich hoffe... Die Aufforderung lautet jetzt, hierher zu kommen, und Druck zu machen. Die Situation ist noch handhabbar, wenn als Leute dutzend- oder Hundertfach hierher kommen könnten, wäre es nicht schlecht. Es ist klar, dass die Spielräume extrem dünn sind, ein wenig Druck können wir ihnen vielleicht doch noch bereiten.

RBO: Ja, Luca. An den Mast kann ich mich aber nicht erinnern. Wo ist er denn, ungefähr?

Luca: Gegenüber von der Hütte, an dem Weg, der rauf zu den Brunnen führt`

RBO: Ach, ja, ich habe verstanden, OK.

Luca: Dreißig Meter von der Hütte, Ok?

RBO: Hör mal, Luca: um Leuten Hinweise zu geben, die hinkommen wollen... Genossen, die gerade bei Genio sind, dem Restaurant in Giaglione, haben uns um Hinweise gebeten, um sich dort sammeln zu können, ohne unterwegs aufgegriffen zu werden. Bist Du, der Du den Weg von dort bis zu Deinem jetzigen Standort gerade gegangen bist auf Kontrollstellen gestoßen?

Luca: Nein, ich bin nicht über die Straße hierher gekommen (die Hütte und die Baustelle liegen in einem Wald im Gebirge, d.Ü.), ich bin einen ganz eigenen Weg gegangen, daher kann ich Dir dazu nicht sagen. Ich rate dazu, sich anderweitig organisieren, sprich, der Berg ist groß, es gibt viele Räume...

RBO: Gut. Wir greifen Deinen Hinweis auf, während wir zuvor gesagt hatten, dass man in Giaglione bleiben sollte, um sich wieder zu sammeln. Wir laden alle ein, die können, über Trampelpfade da unten hin zu kommen (Die inzwischen niedergewalzte No Tav Hütte lag unterhalb des Dorfes Giaglione, d.Ü.).

Luca: Ok, ich höre auf, weil gerade ein Kletterer hochkommt und ich mich organisieren muss, um mich zu verteidigen.

RBO: Ja, tschüss, verletz'Dich nicht, Tschüsss, Luca!

*

*

*

[Rest des Tickers wird in den Kommentaren nachgetragen]

Bei Tippfehlern wird aufgrund der Umstände um Nachsicht gebeten.