Schokoladen vielleicht gerettet! Freiräume verteidigen?

Wir kämpfen zusammmen!

Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich zunächst folgendes festhalten: Ich freue mich von Herzen für den Schokoladen, dass er sein Kulturprojekt im sonst so hochglanzsanierten Mitte wahrscheinlich weiterführen kann. Auch geht es mir in keinster Weise darum, den Protest und Widerstand von Projekten gegen ihre Verdrängung zu diffamieren oder mich mit ihnen zu entsolidarisieren. Auch unterscheidet sich der Schokoladen nicht grundsätzlich von anderen Projekten, die um ihren Erhalt kämpfen oder gekämpft haben. Dass ich mich in diesem Text auf den Schokoladen beziehe, hat lediglich mit der Aktualität zu tun. Mir geht es vielmehr um ein kritisches hinterfragen einer reinen „Freiraumpolitik“.

 

Nach einigen Jahren Freiraumkämpfen in Berlin bin ich, wie viele vor mir, reichlich zynisch geworden, die Zweifel an der Politik wurden immer schwerwiegender.

Wenn man ein wenig in der Geschichte der Häuserkämpfe stöbert, kommt man recht bald zu der Erkenntnis, dass nicht nur ich irgendwann an eben jenem Punkt des Zynismus stecken blieb, sonder die Freiraumpolitik im Großen und Ganzen seit 30 Jahren immer wieder in den selben Sackgassen stecken bleibt, und wir in 30 mehr oder weniger bewegten Jahren tatsächlich keinen einzigen Schritt weitergekommen zu sein scheinen:

In einem Kapitel in Geronimos Buch „Feuer und Flamme“ über die Hausbesetzerbewegung in West-Berlin 1980-83 zitiert er aus damaligen Texten:

    „Wir unterstellen einem großen Teil aus der Alternativszene, daß es ihnen nur darauf ankommt, ihr Leben anders zu organisieren, nicht aber gegen das System zu kämpfen. Sie richten sich in ihren Nischen ein und kriegen den Arsch nur hoch, wenn sie direkt bedroht werden. Unsere Formen von Selbstorganisation sollten für uns zum Selbstverständnis und nicht zum politischen Ziel erklärt werden.“

30 Jahre später könnte ich diese Sätze immer noch unterschreiben.Was haben wir politisch vom Schokoladen mitbekommen, bevor sie akut bedroht waren? Welche Rolle haben sie in der Organisation des Widerstandes gegen die Liebig 14 Räumung gespielt? Wie oft sind sie auf Vernetzungstreffen aufgetaucht, welchen Beitrag haben sie dazu geleistet, Strukturen aufzubauen, andere Kämpfe aktiv zu unterstützen und das Thema mit langem Atem im öffentlichen Bewusstsein zu halten? Ohne diese Fragen öffentlich im Detail diskutieren zu wollen: viel wars nicht. Und aller Wahrscheinlichkeit sind sie spätestens in ein paar Monaten auch wieder von der politischen Bühne verschwunden, und wenn andere Projekte um Hilfe rufen, wird auf einmal alles andere wichtiger sein, als selbstverständlich das zurückzugeben, was der Schokoladen gerade erfahren durfte: wie großartig Solidarität ist, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.

Selbstverständlich bezieht der Schokoladen sich auf den politischen Druck, den der Widerstand gegen die Räumung der Liebig 14 aufgebaut hat.So liest man in ihrem Aufruf zur Aktionswoche:

    „Die Proteste vor und nach der Räumung der Liebig 14 in Berlin und dem Bundesgebiet im letzten Jahr waren ein starkes und vor allem kostspieliges Zeichen der Solidarität – Solidarität die den Angriff auf ein Haus als Angriff auf alle begreift (über eine Million Sachschaden bundesweit). Wir verstehen das Aufbegehren gegen die Bedrohung des Schokoladens darum nicht bloß als Protest gegen dessen Räumung, sondern sehen es in einer Reihe vieler Stadtteilkämpfe um günstigen/kostenfreien Wohnraum und alternative Freiräume. Die Ordnung der Stadt nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien geht uns gehörig gegen den Strich und die explodierenden Mietpreise haben wir schon lange satt. Wir werden nicht zulassen, dass uns Gentrifizierungs-Gewinner_innen, Senat und Bullen nach und nach die letzten umkämpften Häuser abnehmen und unsere Freiräume zubetonieren“

    (Quelle: schokoladenverteidigen.blogsport.eu)

So schön sich das liest: wo ist der Schokoladen in diesen gemeinsamen Kämpfen aktiv, wenn ihm gerade nicht selber das Wasser bis zum Hals steht?

Nicht wenig Menschen schlagen sich immer noch mit der Repression herum, die im Rahmen der Liebig 14 Räumung entstanden ist. Wo hat der Schokoladen diesen Angriff auf einige als ein Angriff auf alle und damit auch auf sich selbst verstanden? Wieviele Soliparties hat der Schokoladen dafür organisiert?

Ein weiteres Zitat, das heute immer noch genauso aktuell ist wie vor 30 Jahren:

    „Wir kritisieren nicht unsere relativen Freiräume an sich, sondern Freiräume als Ziel. Für uns sind sie Ausgangspunkte in unserem Kampf. „Freiräume erobern, absichern … das ist klassicher Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken – auch das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: Freiräume können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft – Spielwiesen.“

In einem Interview der taz mit Christian Hanke vom 15.02.2012 ist ziemlich zutreffend beschrieben, wie gut der Kapitalismus Freiräume integrieren und verwerten kann:

    „taz: Herr Hanke, Sie bespielen den rechten Flügel der SPD, jetzt entwickeln Sie Sympathien für linke Freiräume. Wie kommts?

    Christian Hanke: Ich vertrete pragmatische sozialdemokratische Politik. Und ich vertrete eine Politik der sozialen Stadtentwicklung, die vielfältige Räume in der Stadt erhält. Die Zukunft Berlins kann nur in einer guten Mischung liegen, im Wohnen wie im Kulturbereich.

    Sie fechten für den Erhalt des akut räumungsbedrohten Schokoladens. Warum braucht Berlin dieses Kulturprojekt?

    Weil der Schokoladen exemplarisch für eine Entwicklung in den letzten 20 Jahren steht, in der immer mehr experimentelle Räume verschwunden sind. Diese Subkulturen und Brüche haben aber zu der enormen Attraktivität Berlins geführt. Deshalb ist es unabdingbar, dass wir in durchgentrifizierten Regionen der Innenstadt wie Mitte-Nord gentrifizierungsfreie Inseln bewahren.

    …

    Der Finanzsenator warnt bereits vor der Verschwendung von Steuergeldern.

    Auch ich will keine Steuergelder verschwenden. Aber ich glaube, dass wir auch volkswirtschaftlich rechnen müssen. Berlin braucht Orte fürs Großbürgertum genauso wie für den Clubgänger aus Madrid. Sonst werden wir die Konkurrenz zu anderen Städten verlieren. Wir haben ja keine Gewähr, dass die Szene nicht in ein paar Jahren in Warschau oder anderswo ist. Und das hätte mehr als nur touristische Folgen. „

    (Quelle: taz.de)

Danke für die Aufklärung, Herr Hanke. Berlin braucht Großbürger und Clubgänger, für die muss Platz sein, und dafür kann man dann auch mal ein paar alternative Kunstprojekte gnädig „retten“, aber kein Wort von Hartz IV Empfängern, illegalisierten Migrant_innen etc. Selbstorganisierte, unkommerzielle, alternative Kultur als Standortvorteil. Mir wird schlecht.

Ich will an dieser Stelle nicht unterschlagen, dass sich der Schokoladen dessen durchaus bewusst ist . So ist in ihrem Aufruf zu lesen:

    „So waren die, mit massivem Polizeiaufgebot durchgesetzten, Räumungen der Liebig 14 und der Brunnenstraße 187, nicht nur Dienstleistungen für die „Hauseigentümer“, sondern vor allem auch eine Machtdemonstration gegenüber dem „Gesindel“ dieser Stadt. Die politische Entscheidung wer nun „Gesindel“ und wer „Berliner Kultur“ ist, ist variabel verschiebbar und richtet sich unter anderem nach dem touristischen Mehrwert, der sich aus dem jeweiligen Ex-Besetzten Haus und seinen Macher_innen pressen lässt. „

    (Quelle: schokoladenverteidigen.blogsport.eu)

So richtig diese Analyse auch ist, liest sich der nächste Absatz schon etwas kritischer, in dem sich der Schokoladen empört, nun auch nicht mehr zu den „Guten“ zu gehören.

    „Im Fall des Schokoladens zeigt sich, dass auch Kultur, mit der sich das Land Berlin so gern schmückt, kein ausreichendes Argument mehr ist, wenn die Stadt dafür tatsächlich selbst noch bezahlen muss. „

Seit dem schreiben des Aufrufes hat sich einiges getan, die Räumung des Schokoladens wurde aufgeschoben und eine Lösung zur Rettung scheint in Sicht. Vor diesem Hintergrund wird der nächste Absatz fast zur Satire:

    „Damit ist wieder einmal bewiesen, dass Freiräume, so unterschiedlich sie auch sein mögen, immer wieder gegen die Interessen der herrschenden Politik erkämpft werden mussten und müssen. (Dies hält einmal mehr vor Augen, dass Freiräume, in all ihrer Unterschiedlichkeit, Räume sind die nicht von, sondern gegen die Interessen, der herrschenden Politik immer wieder durchgesetzt werden mussten und durchgesetzt werden müssen.“

So, wie sich die Situation inzwischen verändert hat, zeigt das vielmehr, dass es durchaus Unterschiede zwischen Freiräumen gibt. Und auch wenn man den Verhandlungs“erfolg“ der breiten, solidarischen Unterstützung und dem durch die Aktionen gegen die Räumung der Liebig 14 erneuerten Bedrohungspotential zuschreiben kann, wird deutlich, dass eben dieser politische Druck letztendlich ein Ergebnis liefert, dass von dubiosen Politikern noch wahrheitsgemäß als Gewinn in der Konkurrenz der Standorte gefeiert werden kann.

Und um der taz hier nicht mehr kritisches Potential zu unterstellen, als sie noch hat, ist sie sich in einem anderen Artikel auch nicht zu schade, den Verhandlungserfolg als erfolgreiche Befriedung abzufeiern:

    „Das, was am Freitag zwischen Senat, Schokoladen und dessen Hauseigentümer eingefädelt wurde, kann man wohl als Win-Win-Situation bezeichnen. Da wird ein innovatives, selbstverwaltetes Kulturprojekt in einem langweilig durchgeschniegelten Kiez gerettet. Und gleichzeitig ein Sparpaket geschnürt: Erinnert sei an die Räumung der linken Liebigstraße 14 vor einem Jahr. 1,6 Millionen Euro kostete der Polizeieinsatz, obendrauf kamen Randaleschäden durch die Autonomen.“ (Quelle: taz.de)

Alles super also, tolles Kulturprojekt gerettet, Standortvorteil gesichert, und Frieden in der Stadt ist auch noch, der kapitalistische Normalzustand nicht weiter gestört, da können wir ja alle ein Bier trinken gehen und dann morgen früh aufstehen, um zur Arbeit zu gehen. Friede, Freude, Eierkuchen, „Ghettos ohne Sprengkraft – Spielwiesen.“

Ist es das, wofür wir kämpfen wollen?

Ohne Frage bin ich glücklich über die Spielwiesen, und ich möchte mir das Elend einer glatt durchsanierten Stadt ohne sie nicht vorstellen. Ohne sie wäre ich auch nicht der Mensch geworden, der ich heute bin, hätte nicht die Möglichkeit gehabt, zu experimentieren, Selbstorganisation zu lernen, mich zu streiten, und letztendlich so etwas wie eine Ahnung von politischer Handlungsfähigkeit zu erfahren. Ich hätte nie die überwältigende Solidarität erlebt, und nicht den bitteren Zynismus.

Es scheint aber, dass die Einschätzung von vor 30 Jahren nichts an Wahrheit verloren hat. Der Kampf um „Freiräume“ hat kaum politische Sprengkraft, längst hat die Politik und der Kapitalismus gelernt, ihn zu entschärfen, zu integrieren, zu vereinnahmen und damit gegen die antikapitalistischen Interessen der meisten Protagonist_innen zu verdrehen.

Dazu kommt die fragwürdige Rolle als Pioniere der Gentrifizierung, die alternative Projekte oft hatten und immer noch haben können. (Nachzulesen z.B. hier: gentrificationblog.wordpress.com)

Ist das alles jetzt ein Grund, zu Hause zu bleiben und zuzuschauen, wie einige Projekte, die sich seit langem in ihren Nischen versteckt haben und kaum auf der politischen Bühne auftauchten, verschwinden und auch noch das letzte bisschen unkommerzielle Kultur verschwindet? Sicher nicht, Aber vielleicht ist es nach 30 Jahren mal an der Zeit, die eigene Freiraumpolitik kritisch zu hinterfragen und Wege zu finden, in anderen Begriffen als Freiräumen zu denken und Politik zu machen, aufzuhören, Ansprüche hochzuhalten, die sich bei genauerem Hinschauen als hole Phrasen entlarven, und Wege zu finden, sich gegen die Vereinnahmung zu wehren. Und vor allem aufzuhören, uns selber in die Tasche zu lügen.

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leider hast du den schokoladenverteidigen.blogsport.eu mit dem schokoladen verwechselt. sämtliche zitate stammen somit nicht vom schokoladen, sondern von dem unterstützungsbündnis.

ganz so schwarz würde ich die situation nicht malen, aber du hast viele dinge angesprochen, die zum nachdenken und antworten rausfordern.mal sehen ob andere gruppen drauf antworten

ansonsten sehen wir uns hoffentlich morgen auf der demo um 17:30 Uhr, U-Bahnhof Eberswalder Str.

ursprünglich als Vorabenddemo zur (jetzt abgesagten, evt. verschobenen) Räumung des Schokoladens gedacht.

Jetzt als Demo zur Erhaltung von (haus)projekten und für Erkämpfung von neuen Freiräumen (war eh schon teil der ursprünglichen Demoplanung).

den  "schokoladen" jetzt vorzuverurteilen, zu denken, dieser würde sich nun mit gewissheit,  nachdem er so viel solidarische unterstützung, vor allem auch  durch und über das bündnis "schokoladen verteidigen" erfahren hat, selbstgefällg, glücklich und zufrieden in die  hoffentlich erfolgreich verteidigte ackerstraße zurückziehen, ist nicht richtig. vorverurteilungen aufgrund von bisherigen möglichen subjektiven erfahrungswahrnehmungen halte ich für recht kleinkariert und eigentlich spießig. ich wage auch zu bezweifeln, dass sich der "schokoladen" vor februar 2012  immer völlig unpolitsch verhalten hat, sich zb die demoberichte rund um die liebig 14 nur in der "abendschau" angesehen hat. ich glaube das nicht. aber selbst wenn es so wäre und das sollte für alle gelten, kann man es ja in zukunft besser machen und vor allem aus dem großartigen erfolg rund um das bündnis "schokoladen-verteidigen" lernen und  sehen, dass solidarität sich lohnt.  diese solidarität hat doch gezeigt, dass ees in  "sich lohnen"  nicht im sinne einer kapitalistischen verwertungslogik gibt;-)

 

ansonsten gibt dein text auch mir viel zum nachdenken und ja, bis morgen bei der demo um 17:30.

wenn projekte, die gemeinschaftlich erkämpft wurden und die ihr überleben dem solidarischen einsatz vieler menschen verdanken, beginnen, sich auf sich selbst zurückzuziehen und unpolitisch werden, ist das zu kritisieren, aber dies sollte möglichst passieren, lange bevor diese sich in einem räumungskampf gegen ihre eigentümer befinden.

 

generell sollten 'freiräume' innerhalb der szene nicht pathetisch überhöht werden, das schafft auch eine unrealistische erwartungshaltung. freiräume bestehen nunmal aus den menschen, die sie tragen und organisieren. sie können, indem dort vielerlei infrastruktur bereitgestellt, innerhalb einer linken bewegung eine wichtige und nützliche funktion erfüllen, nicht mehr und nicht weniger. damit dort widerständige politik betrieben werden kann, braucht es engagierte gruppen und individuen, aus den projekten und von außerhalb, die sich einbringen. das klappt bei einigen projekten besser und bei andern schlechter, ebenso wie das erfüllen der eigenen ansprüche. im falle der brunnen183 gab es ja den (leider viel zu spät begonnenen) versuch, aus einem in jeder hinsicht gescheiterten projekt wieder ein projekt mit emanzipatorischen charakter zu machen.