Mehr als hundert Antifaschisten haben am 22.10.2011 mit einer Demo durch Magdeburg-Reform ihren Unmut über rechte Gewalt und das Fehlen von emanzipatorischen Alternativen im Stadtteil Reform zum Ausdruck gebracht. Magdeburger Volksstimme banalisiert das Problem mit rechter Gewalt in Reform.
Von einem großen Polizeiaufgebot begleitet, verlief die Demo friedlich und entspannt und außer Schikanen der Ordnungskräfte gab es keine Übergriffe. In der Nähe der Demoroute sollen sich ca. 30 Rechtsradikale in kleinen Gruppen aufgehalten haben, ihnen wurden Platzverweise erteilt. Die Magdeburger Volksstimme berichtete am 24.10.2011 über unsere Demo sowie auch über die Arbeit des ‚Aktionsbündnis gegen rechte Gewalt in Reform, Magdeburg und überall‘ sowie auch am 25.10.2011. Beide Artikel banalisieren das Gewaltproblem in Reform und zeigen deutlich auf, dass die Volksstimmeredakteure schon im Oktober nicht mehr wissen, was im eigenen Blatt im März geschrieben stand. Zudem wirkt die Berichtserstattung selektiv, denn die Anwesenheit des Stadtrates und Kommunalpolitikers Oliver Wendenkampf wurde in keinem Artikel erwähnt. Auch sein Redebeitrag vor dem KJH Banane fand keine Anerkennung in der Berichterstattung der Lokalpostille. Auf Fragen zur Problematik „Rechte Gewalt in Reform“ gab der Sozialbeigeordnete der Stadt Magdeburg, Hans-Werner Brüning, sowie das Jugendamt Antwort. Niemand will etwas bemerkt haben.
In der Druckausgabe der Magdeburger Volksstimme vom 08.03.2011 ist zu lesen, dass am Vorabend das Geschäft „Döner Royal“ im Handelszentrum „Kosmos“, am Marktplatz im Stadtteil Reform gelegen, „erneut“ von Rechten angegriffen wurde. Dazu ist ein Bild einer zersplitterten Schaufensterscheibe zu sehen und der Hinweis im Text vorhanden, dass die Fassade mit einem Hakenkreuz und der Parole „Stoppt Fremdarbeiter“ beschmiert war. Wie auch der Verwalter des „Kosmos“-Komplexes, Heinz Kröger, glaubt zumindest Jens-Uwe Jahns als Verursacher des Artikels nicht mehr an Zufälle und schreibt diesen Angriff wie auch vorherige, bereits in der Überschrift den „Rechten“ zu. Avci Özgür, welcher den „Döner Royal“ seit 2006 betreibt, erklärt, dass es in den ersten drei Jahren bis auf „Kleinigkeiten“ ruhig blieb, aber innerhalb der letzten zwei Jahre siebenmal die Schaufensterscheiben zu Bruch gingen. In der Nacht vom 30.12.2010 informierte ihn die Polizei, das eine Scheibe zersplittert sei. Vier Stunden später gab es den zweiten Anruf – die Scheibe war nun ganz eingeschlagen. In der darauf folgenden Silvesternacht wurde das Geschäft gezielt mit so genannten „Polenböllern“ (im Polizeijargon „Splitterbomben“ genannt)
angegriffen. Dies hätte im Januar 2011 für Schlagzeilen gesorgt. Zur Beruhigung der besorgten Anwohner, führte die Polizei eine Einwohnermeldeversammlung durch. Für den Verwalter des „Kosmos“-Komplex entwickelt sich Neu-Reform zur „Spielwiese“ von Chaoten und Vandalen. Er stellt schweres Stahl-Rollgitter in Aussicht und erklärt: “Die vielen Übergriffe auf Mieter unseres Objektes werden langsam zur Gefahr.“ Zwar beschäftigt Heinz Kröger vor allem die Angst, verschreckter Investoren, aber wir unterstellen ihm, dass ihm die Gesundheit und Sicherheit der Gäste und des Betreibers und der Angestellten des Döner Royal am Herzen liegen. Im Artikel vom 08.03.2011 ist auch die Auseinandersetzung am 12.02.2011 zwischen 70 Rechten (!) und 30 Linken auf dem Parkplatz vor dem E-Neukauf (direkt am Markt gelegen) erwähnt. Die Mitteldeutsche Zeitung online schrieb über die Ereignisse am 12.02.2011 über eine verhinderte „Straßenschlacht“.
Bereits am 12.09.2010 kam es in Magdeburg zu mehreren brutalen Überfällen auf Punks und Linke, einer davon auch in Reform.
An der Endhaltestelle der Straßenbahn an der Leipziger Chaussee griffen 20-25 Jugendliche eine Gruppe Linker an. Bei diesem Überfall sollen nach Angabe der Angegriffenen mind. zwei „Reformer Jungs“ beteiligt gewesen sein. Im Volksstimme-Artikel vom 25.10.2011 wird der „Landfriedensbruch“ am 12.09.2010 zwar bestätigt, aber die im Umkreis aufgegriffenen „Reformer Jungs“, konnten nach Vorlage von Bildern nicht wieder erkannt werden. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Nach so einem Überfall hat auch kaum jemand Interesse sich namentlich und vor allem mit Anschrift und protokollierter Aussage den Tätern via Akteneinsicht als Zielscheibe für erneute Aktionen anzubieten. Dies tun zu müssen, um die Beteiligung von „Reformer Jungs“ an Überfällen zu belegen, ist eine Zumutung und birgt das Risiko weiterer Überfälle.
Auch der Angriff auf den „Döner Royal“ am 31.12.2010 konnte bis jetzt von der Polizei keiner Gruppe oder politischen Motivation zugeordnet werden. Es wurden lt. Aussage der Polizei in den Jahren 2010 und 2011 lediglich fünf Anzeigen werden Sachbeschädigungen aufgenommen. Das eingestellte Verfahren wegen des Überfalls vom 12.09.2011 (Tatvorwurf:„Landfriedensbruch“) findet in dieser Liste schon allein wegen der Beschränkung auf den Tatbestand „Sachbeschädigung“ keine Erwähnung. Allerdings ist der Angriff auf den „Döner Royal“ in der Silvesternacht, bei dem schwarz gekleidete Personen wohl mehrere „Silvesterknaller“ auf anwesende Personen im Imbiss warfen, auch nur ein Fall von
„Sachbeschädigung“. Auf der Krisendemo im Juni 2010 war ein „Polenböller“ nicht nur ein „Silvesterknaller“ und das Werfen auf Personen in geschlossenen Räumen eine „Sachbeschädigung“, sondern eine „Splitterbombe“ auf offener Straße und das Werfen eines (!) solchen Silvesterknallers – allerdings nur auf bestens ausgestattete Polizisten - ein „Mordversuch“ .
Aus der Banalisierung des Vorfalls in Reform ist zu schließen, dass im Imbiss keine Polizisten feierten und die Anwesenden schockresistent und extrem robust sind.
Dass in Neu-Reform eine besondere Situation aus Überfällen, Nazipropaganda und Ignoranz der Polizei und Kommunalverwaltung ein gefährliches Klima schafft, wird vor allem anhand der Ereignisse am 12.02.2011 erkennbar. Dort kam es nicht, wie die MZ berichtet, zu einer verhinderten „Straßenschlacht“, sondern zu einem Überfall einer Meute Rechter auf eine antifaschistische Kiezdemo. 70 Rechte liefern sich mit 30 Linken (Angaben lt. Artikel vom 08.03.2011) keine „Straßenschlacht“, die von der Polizei zu verhindern gewesen wäre, sie planen deren Hinrichtung.
Im Artikel der MZ handelte es sich zwar lediglich um 50 Rechte und 25 Linke, aber von einem ausgewogenen Kräfteverhältnis kann auch da nicht gesprochen werden. Erschreckend an den genannten Zahlen ist vor allem das kurzfristige Mobilisierungspotenzial der Rechten, die es in einem Stadtteil, von dem es in der Volksstimme vom 24.10.2011 heißt, dass es„nicht mehr Rechtsradikale als in anderen Stadtteilen“ gibt, O-Zitat des Leiters des Sachgebietes politisch motivierte Straftaten Frank Schwitzer.
Während die Polizei sich am 13.02.2011 in der MZ rühmt, mit „starken Polizeikräften“ ein Zusammenprallen der Gruppen „weitgehend“ verhindert zu haben, wird die stundenweise Unterbringung in Polizeigewahrsam den Angegriffenen mit folgender Begründung in Rechnung gestellt: „Ungerechtfertigtes Alarmieren der Polizei“ .Obwohl nach Meinung des Staatsschutzes wie auch des Jugendamtes und nach Rücksprache des Sozialbeigeordneten der Stadt Magdeburg Hans-Werner Brüning, der mit vier von den RJ gesprochen hat, eben diese vier versicherten, keine rechten Symbole und Parolen zu verbreiten und auch keine Gewalt auszuüben, konnten sich in Reform auch am 22.10.2011 rund 30 Rechtsradikale zusammenrotten, darunter – nach Augenzeugenberichten – auch Reformer Jungs. Angeblich sind diese aber „nicht politisch interessiert.“
Es bedarf keines offenen Bekenntnis, ein Nationalsozialist zu sein oder eines Nachweises gewalttätiger Praxis gegen Linke und Migranten, um als „Rechter“ in die Kritik zu geraten. Nicht zu wissen, was ein martialisches Auftreten mit Sportjacke, Kurzhaarschnitt und Schriftzug in „Old English“ und die Heroisierung von Männlichkeit sowie eine „Identifikation mit dem Stadtteil“, zu bedeuten hat, entschuldigt nichts. Das Fehlen einer hierarchischen Organisation oder die Weigerung der Angegriffenen, die Polizei einzuschalten und auf eigenes Risiko bei der Ermittlung der rechten Schläger hilfreich zu sein, sind keine Belege für die Harmlosigkeit der „Reformer Jungs“.
Wenn auch nicht alle an Überfällen auf Linke und Migranten beteiligt gewesen sind, während andere Reformer Jungs es waren, und sich dabei auf das Fehlen einer Organisationsstruktur zu berufen, verweist auf die politische Blindheit gegenüber rechter Symbolik und die Bedeutung eben jener Politik, die auf ein „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“-Gefühl und „echte“ Männlichkeit setzt. Die über Symbole und gemeinsame Aktionen inszenierte Verbundenheit über Lebenszusammenhänge und kameradschaftliche Beziehungen werden auch ohne Mitgliedsausweis Basis für Angriffe auf Linke und Objekte wie den „Döner Royal“.
Kampfbünde wie die „Reformer Jungs“ brauchen keinen Verein und kein offenes Bekenntnis zu neonazistischer Politik, keinen Nachweis ihrer Organisiertheit und auch keine bekennenden Nazis in ihren Reihen, sie bieten auch so alles, was eine faschistische Politisierung beinhaltet und wenigstens ein Teil der Reformer Jungs sind bereits bekennende Nazis und an Überfällen und Migranten beteiligt gewesen. Dass es bisher zu keiner Verurteilung eines „Reformer Jungen“ kam, liegt vor allem daran, dass Antifaschisten den Ermittlungsmethoden und der Diskretion der Polizei und Staatsanwaltschaften nicht vertrauen.
Beim Weggucken und Leugnen wollen wir es aber nicht belassen:
Wir werfen den Reformer Jungs fehlende Abgrenzung gegen rechte Politik vor, ihren Fokus auf das männliche Geschlecht, die Blindheit gegen die Anschlussmöglichkeit für Rechte und deren Politik sowie die fehlende Auseinandersetzung zum Vorwurf, dass bei Überfällen auf Linke und Migranten deren Jacken getragen werden.
Wir werfen der Stadtverwaltung, dem Jugendamt Magdeburg und der Polizei vor, sich chronisch in Widersprüche zu verwickeln und auf dem rechten Auge blind zu sein. Die Reformer Jungs sind keine neonazistische Organisation, sondern ein Kampfbund mit personellen Überschneidungen zur rechten Szene und sie bieten Anschlussmöglichkeit für rechte Politik. Die unregelmäßige Nutzung des KJH Banane als Treffpunkt, im Besonderen die Angebote im „Bereich der Computer- und Sport“, durch ca. 15 von geschätzten 40 RJ (Stellungnahme des JA MD vom 22.09.2011) vermittelt auch den Rechten und Gewalttätern bei den RJ ein Gefühl der Akzeptanz und des Angenommenseins durch Anwohner und Sozialarbeiter. Das Verteilen von Bekleidung mit eben jenem Schriftzug in der Schriftart „Old English“ in einer kommunalen Einrichtung ist schon allein darum zu kritisieren, weil es die Ausgrenzung von Mädchen bedeutet.
Das fehlende Problembewusstsein seitens der Mitarbeiter des KJH „Banane“ bzgl. sexistischer Ausgrenzung und das Warten auf Erfolge polizeilicher Ermittlungen zum Nachweis der Gewaltbereitschaft, geben den Reformer Jungs, die Möglichkeit sich zu entfalten. Die als harmlose und folgsame junge Männer beschriebenen Reformer Jungs bieten als sportorientierter Kampfbund die Basis für eine rechte Politisierung. Die konkrete Zuordnung von Gewalttätern und Gedankenverbrechern zu den Reformer Jungs muss schon daran scheitern, da sie sich eben nicht als Organisation verstehen, sondern vielmehr als loser Kampfbund aus jungen Männer, Sportlern, Fußballfans und Kameraden, die als „nicht politisch interessiert“ wahrgenommen werden wollen.
Der angebliche Zuspruch der RJ zum Prinzip der Gleichberechtigung – wie in der Volksstimme vom 24.10.2011 zu lesen war- ist in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den Reformer Jungs tatsächlich nur um Jungs handelt, hingegen blanker Zynismus.
Wir fordern, dass den Reformer Jungs beim Tragen ihrer Symbole und entsprechender Kleidung das Betreten des KJH Banane untersagt wird. Bei einem verbalen Outing als RJ erwarten wir die kritische Diskussion bzgl. politischer Bedeutung eines solchen Kampfbundes seitens der Mitarbeiter_innen des KJH Banane mit eben jenen jungen Männern. Wir fordern, dass der Leiter der KJH Banane sich selbstkritisch mit seinem Anspruch an Jugend- und Sozialarbeit auseinandersetzt und sich um Bildungs- und Vortragsangebote im Rahmen antifaschistischer und antisexistischer Angebote bemüht. Wir fordern zudem, dass es sich die Nutzer_innen des KJH Banane zur Aufgabe machen, den Stadtteil Reform von der massiven Präsenz rechter und neonazistischer Symbolik zu befreien.
Aktionsbündnis gegen rechte Gewalt in Reform, Magdeburg und überall
aarmd.blogsport.de
Volksstimmeartikel:
http://www.volksstimme.de/nachrichten/magdeburg/624184_Polizei-und-Stadt...
http://www.volksstimme.de/nachrichten/magdeburg/628685_Polizei-widerspri...