(Berlin) Stop Trans Pathologisierung 2012

wer bist du, um über mich zu urteilen

Vor der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin-Mitte, Reinhardtstraße 14, fand am 22.Oktober eine Kundgebung im Rahmen der internationalen Kampagne gegen Trans*-pathologisierung "Stop Trans*-Pathologization 2012" statt. Ungefähr einhundert Menschen unterstützten die Forderung nach der "Streichung der Diagnose Geschlechtsidentitätsstörung aus den Krankheitskatalogen!". Die Aktion des Berliner Bündnisses "Stop Trans*-Pathologisierung 2012" wurde von Trans*-Menschen, Queers und Freund_innen aus dem anti-psychiatrischen und Erwerbslosen-Spektrum getragen und von folgenden Gruppen unterstützt: AK Psychiatriekritik, AK Marginalisierte, Support - Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt, Schwarzer Kanal, TrIQ, TGNB, Wigstöckel. Die Irrenoffensive nahm mit eigenen Bannern gegen die Zwangspsychiatrie an der Kundgebung teil.

 

Das Berliner Bündnis "Stop Trans*-Pathologisierung 2012" hatte sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde als Objekt ihres Protestes herausgesucht, da Schwerpunkte des Referats Sexualmedizin dieser "Fach-Gesellschaft" u.a. die Entwicklung von sogen. "Leitlinien zur Behandlung von Trans- und Intersexualität" sind. Der Leiter des Referates, Prof. Briken ist zugleich Chef des Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie in Hamburg. Eine "Spezialambulanz für Störungen der Sexualität und Geschlechtsidentität" preist ihre Dienstleistungen" so an: "Für Patientinnen und Patienten werden diagnostische Abklärungen und ggf. Behandlungen in Einzel-, Paar- und Gruppentherapien angeboten. Gegebenenfalls erfolgt eine medikamentöse Behandlung...Es werden Gerichtsgutachten zu zivil- und sozialrechtlichen Fragen und Gutachten für Vornamens- zu Personenstandsänderungen nach dem Transsexuellengesetz erstellt. Im Rahmen des Forensisch-Psychiatrischen Gutachterdienstes werden Sexual- und andere Straftaten begutachtet."

 

In mehreren Wortbeiträgen wurde auf den besonderen geschichtlichen Hintergrund der deutschen Psychiatrie verwiesen: die Vorläuferorganisationen der DGPPN waren an den Verbrechen des Nationalsozialismus, an massenhaften Ermordungen von Menschen mit "Behinderungen" und "psychisch Kranken" sowie Zwangssterilisierungen aktiv mitbeteiligt. Psychiatrische Diagnosen haben grundsätzlich bis heute einen gewaltförmigen, stigmatisierenden Charakter. Im Rahmen der "Begutachtung" kommt es nicht selten zu übergriffigem und herabwürdigendem Verhalten der selbst ernannten "Experten", die das Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung von Persönlichkeit ihrer "Patienten" verletzen, wie an mehreren Beispielen aus einem Menschenrechtsreport dargestellt wurde. Eine manifeste Ausweitung stigmatisierender Zuschreibungen gegen Trans* durch die Revision der internationalen Krankheitskataloge ist diskriminierend. Schon vor und besonders im dt. Faschismus wurden Obdachlose, Prostituierte, Homosexuelle, Sinti und Roma u.v.a. als "soziale Randgruppen" und "gemeinschaftsfremd" gebrandmarkt. Im Kampf "jede_r gegen jede_n" fördern psychiatrische Normierungen heute die Ausgrenzung "Unangepasster" als "Looser". Diese verschärfte soziale Selektion markiert einen gesellschaftlichen Rechtsruck, dem wir uns entgegen stellen!

 

Derzeit wird in den internationalen Krankheitskatalogen ICD-10 (=Internationale Klassifikation von Krankheiten und anderer Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation). und im DSM-IV (=diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen der American Psychiatric Association) Trans* als psychische Störung angesehen, genannt "Geschlechtsidentitätsstörung." Die Abweichung von einer starren Zwei-Geschlechter-Ordnung wird durch diese Pathologisierung als abnormal und krank dargestellt. Sie gibt zudem der Medizin und dem Staat die Kontrolle über Geschlechtsidentität und Körper. In diesem System haben Trans*-Menschen nur dann ein Recht auf Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität bzw. auf legale Änderung des sog. "Personenstandes", wenn sie sich als psychisch gestört definieren lassen. Noch immer werden auch Intersexen mit Gewalt (u.a. Zwangs-Ops bei Säuglingen) einem binären Geschlecht zugeordnet.

 

Die Diagnose "Geschlechtsidentitätsstörung" ist überhaupt nur im Rahmen einer hetero-normativen Zweigeschlechtergesellschaft denkbar. Die Unterstellung der Psychiatrie, es gäbe nur zwei biologische, zwei sicher durch Genitalien, Chromosomen, Gonaden oder was auch immer ablesbare und voneinander trennbare Geschlechter, wurde als folgenträchtige Lüge zurückgewiesen: "Viele von uns haben weder ihr Geschlecht gewechselt, noch jemals den Wunsch verspürt, irgendeinem Geschlecht anzugehören. Wir sind und waren einfach die, die wir sind, haben uns das nicht ausgesucht, noch haben wir je dem Geschlecht, dem man uns fälschlicherweise bei der Geburt zugeordnet hat, zugehörig gefühlt. Man hat uns falsch zugewiesen, uns mit struktureller, oft auch physischer Gewalt und das meistens von Klein auf gezwungen, eine Geschlechtsrolle zu spielen, rund um die Uhr eine Persönlichkeit zu spielen, die nicht unsere eigene ist."

 

In Deutschland müssen "falsch zugewiesene Menschen, um den Personenstand im Pass zu ändern, zwei psychiatrische Gutachten von sich anfertigen lassen. Die prominentesten und bei Gericht beliebtesten Gutachter sind dabei forensische Psychiater mit dem Spezialgebiet "Sexualstraftäter"...Auch die Prozeduren des deutschen Transsexuellengesetzes scheinen forensisch-psychiatrischem Denken entsprungen zu sein: der lange Prozess der "juristischen Geschlechtsangleichung" liegt in den Händen von Gerichten und gerichtlichen Psychiatern, der gutachterliche Aufwand ist vergleichbar wie bei Sexualtriebtätern vor einer anstehenden Sicherungsverwahrung".

 

Die weltweite Kampagne "Stop Trans-Pathologisierung 2012" zielt auf die Entpathologisierung von Trans*-Identitäten (Transsexuelle, Transgender, Transvestiten u.a.) und deren Streichung aus den Krankheitskatalogen DSM und ICD. Die überarbeiteten Versionen der Kataloge sollen 2014 (im Falle des DSM) bzw. 2015 (ICD) herauskommen. Das Ziel der Kampagne ist, daß im nachfolgenden ICD 11 Trans*-Menschen nicht mehr als psychisch krank denunziert werden sollen. Die Hauptforderung der Kampagne lautet daher:

 

 
"Streichung der Diagnose Geschlechtsidentitätsstörung aus den Krankheitskatalogen!"

 

 

Die Hauptaktionen der Kampagne STP-2012 sind am 22. Oktober 2011 zeitgleiche Kundgebungen und Aktionen in mehr als 67 Städten der Welt. Seit 2007 wurde dazu jeweils im Oktober aufgerufen.

 

Wir fordern:

 

1. Die Streichung der "Geschlechtsidentitätsstörungen" aus den internationalen Krankheits-Handbüchern.

 

2. Die Streichung der Geschlechtsnennung in offiziellen Dokumenten. 

 

3. Die Abschaffung von Behandlungen binärer Normalisierung an intersexuellen Menschen.

 

4. Der freie Zugang zu Hormonbehandlung und Chirurgie (ohne psychiatrische Vormundschaft). 

 

5. Die Prävention der Transphobie: Projekte der Antidiskriminierungs- und Aufklärungsarbeit

sowie soziale und berufliche Förderung von Trans*-Menschen.  

 

6. Asylrecht und gleiche soziale Rechte für Trans*-Flüchtlinge! Anerkennung von Verfolgung aus Gründen sexueller u. geschlechtlicher Identität als Fluchtgrund! Weg mit Lagerunterbringung, Residenzpflicht u.a. Sonderstatus für Flüchtlinge.

 

Die Kampagne "Stop Trans-Pathologisierung 2012" des Trans Entpathologisierungs-Netzwerkes wird von mehr als 300 Gruppen mit Aktionen und Kundgebungen in Europa, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika unterstützt. Mehr als 100 europäische Gruppen beteiligen sich an der Kampagne.

 

In den letzten Jahren ist in vielen Ländern ein Anstieg transphober Gewalt zu beobachten. Im September 2011 zählt das Trans Murder Monitoring Projekt 681 Berichte von ermordeten Trans*-Menschen seit dem Januar 2008 in 50 Ländern aus allen Kontinenten. Die meisten Ermordungen von Trans*-Menschen werden aus Mittel- und Südamerika gemeldet (80%), aber nicht weniger als 43 Hass-Tötungen wurden in Mitgliedstaaten des Europarates von Januars 2008 bis September 2011 registriert.

 

Die Pathologisierung von Trans-Identitäten ist eine der Grundlagen einer weltweit verbreiteten Transphobie. Der Menschenrechtskommissar des Europa-Rates erklärte bereits 2009, daß die Pathologisierung von transgeschlechtlichen Menschen der Verwirklichung ihrer Menschenrechte im Wege steht.

 

 

 

Mehr Informationen über die Kampagne "Stop Trans Pathologisierung 2012":  

http://www.stp2012.info/old/de

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

STP 2012 Press Release:

*Actions for trans depathologization in 70 cities of 32 countries*

**

*The International Campaign STP 2012 organizes the International Day of Action for Trans* Depathologization – STP 2012 denounces the detentions of activists in Moscow.*


****

On Saturday, October 22nd 2011, International Day of Action for Trans* Depathologization, demonstrations and other actions took place in 70 cities of 32 countries. The mobilizations were carried out in the context of a call to action organized by the International Campaign Stop Trans Pathologization 2012, with the intent of fighting for the depathologization of trans* identities.

The main demands of STP 2012 are the withdrawal of the 'Gender Dysphoria' / 'Gender Identity Disorder' categories from diagnostic manuals -the American Psychiatric Association's Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) and the World Health Organization's International Classification of Diseases (ICD)- in the next editions with expected release dates for 2013 and 2015, as well as the guarantee of healthcare rights for trans* people, including public coverage of trans-specific medical attention of the highest quality possible and the substitution of the current external evaluation model for a focus based on autonomy and informed decision. With a goal of facilitating public coverage, STP 2012 proposes a non-pathologizing mention of trans-specific medical attention in the ICD, as a health process not based on disease.

Every month of October, the International Campaign STP 2012 calls for mobilizations for trans* depathologization. While in 2010 actions took place in 61 cities, in 2011 the number of cities involved increased to 70. In total, during 'Trans* October 2011' over 120 activities took place for trans* depathologization in various regions around the world, among them, demonstrations, rallies, conferences, workshops, film forums and performances. In addition, to this date over 300 groups, organizations, networks and federations from Africa, Latin America, Asia, Europe, Oceania and North America have declared their support to the STP 2012 Campaign.

STP 2012, International STP 2012 Campaign denounces the detentions of activists in Moscow during the political rally for trans depathologization and demands the withdrawal of all charges against the arrested individuals.

*STP 2012, International Campaign Stop Trans Pathologization*, October 22nd 2011

To access more information about the STP 2012 Campaign, please go to:_www.stp2012.info <http://www.stp2012.info>_

E-mail:_contact@stp2012.info <mailto:contact@stp2012.info>_