Saarbrücken: 10. Todestag von Carlo Giuliani

St. Johanner Markt

Polizeischikane und 13 Festnahmen bei spontanem Demonstrationszug durch die Innenstadt

Am Mittwoch Abend, den 20. Juli 2011, zog eine unangemeldete Demonstration durch die Saarbrücker Innenstadt. Anlass der Demonstrant_innen war der 10. Todestag des italienischen Aktivisten Carlo Giuliani. Dieser wurde während der schweren Auseinandersetzungen, rund um den G8 Gipfel 2001 in Genua von einem Carabinieri ermordet.

 

Kurz nach 18.00 Uhr startete die, etwa 30 Personen große, Spontandemo mit einer Runde durch das Nauwieser Viertel. Neben Parolen (Carlo Giuliani – das war Mord; Carlos Blut auf dem Asphalt – die Bullen ham' ihn abgeknallt etc.) sorgte ein Transparent und massenhaft am Rand des Zuges verteilte Flyer für die nötige Aufmerksamkeit und Information der Passant_innen.

 

Als die Demo sich auf der Bleichstraße, Richtung St. Johanner Markt bewegte, fuhr ein erster Streifenwagen an den Demonstrant_innen vorbei und bremste vor diesem scharf ab, augenscheinlich um den Zug aufzuhalten. Daraufhin bog die Demo in eine Seitengasse ein und erreichte über Umwege den zentralen Marktplatz in der Innenstadt. Von dort aus ging es weiter durch die Fußgängerzone, Richtung Hauptbahnhof.

 

Inzwischen trafen immer mehr Einsatzkräfte der Polizei ein, die zu Beginn jedoch noch umgangen werden konnten, da sie sich aufgrund ihrer anfänglichen, zahlenmäßigen Unterlegenheit zunächst zurück hielten. Auf Höhe des Karstadt löste sich die Demonstration aufgrund immer höherer Polizeipräsenz auf und die Menschen zerstreuten sich in verschiedene Richtungen. Jedoch wurden mehrere Kleingruppen vor der Europa-Galerie von, mitlerweile eingetroffenen Einheiten der Bereitschaftspolizei, gestellt und nach einer kurzen Verfolgungsjagd durch den Konsumtempel überwältigt und mit Handschellen abgeführt.

 

Alle Festgenommenen wurden auf die Innenstadtwache „Karcherstraße“ verbracht, wo sie abfotografiert und durchsucht wurden. Gegen alle wurden Anzeigen, u.A. wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Beleidigung erhoben.

 

Den verteilten Flyer findet ihr als Text hier und als gelayoutete Version zum Herunterladen hier.

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na dann müßt ihr geschickter sein

Wieso werden in letzter Zeit immer die Füße unkenntlich gemacht?

 

Und wieso wusst ich nichts von der Demo.. voll die Frechheit.. ;D 

weil viele leute nur 1 bis 2 paare schuhe besitzen und die auch in ihrer "freizeit" tragen.

Es kommt selten vor, doch manchmal freue ich mich über meine eigenen Irrtümer. So lag ich mit meiner pessimistischen Einschätzung der „Carlo Giuliani-Gedenkdemo“ völlig falsch. Die Demonstration sollte am Samstag in Berlin-Kreuzberg bei Einbruch der Dunkelheit beginnen und ganz bewusst ohne Einwilligung der Polizei stattfinden. Eine sympathische Idee, aber ohne Aussicht auf Erfolg, dachte ich. In der Vergangenheit endete autonomer Verbalradikalismus mit einer Ladung Pfefferspray und anschließender Verbringung in die Gefangenensammelstelle der Polizei. Auch die Berliner Polizei nahm die Sache offenbar nicht allzu ernst und verkündete großmütig am Treffpunkt, dass sich jetzt bitte mal ein Anmelder vorstellen solle. Statt eines einzelnen Verantwortlichen tauchte plötzlich ein vermummter schwarzer Block auf. Als sich Einsatzkräfte der Polizei der unfriedlichen Menge näherten, um eine Begleitung der bewusst ohne Versammlungsanmeldung laufenden Personen zu gewährleisten, wurden sie massiv mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern attackiert, war später in der Pressemitteilung der Polizei zu lesen. Vermutlich von der eigenen Entschlossenheit überrascht, löste sich die Demonstration dann nach nur fünf Minuten etwas voreilig auf. Es folgten kleinere Scharmützel im Kiez. Neben dem Klassiker, den ordinären Kreuzberger Kleinpflastersteinen, wurden auch zwei Molotow-Cocktails in Richtung von Polizeitrupps geworfen. Das bisschen Kiezrabatz und die fünf Minuten unbeaufsichtigtes Demonstrieren verleiten nun einige Autonome zur wilden Selbstüberschätzung. Eine an der Demonstration beteiligte anonyme Gruppe zieht das völlig realitätsferne Fazit: „Wir haben der Staatsgewalt die unsere entgegenzusetzen.“ Auch zehn Jahre nach den Todesschüssen von Genua haben manche Bewegungslinke noch nicht verstanden, dass die frontale Konfrontation mit der Staatsgewalt ein hoffnungsloses Unterfangen ist und fatal endet, sobald man als Gegner ernstgenommen wird.

 

von Jesse-Björn Buckler, erschienen in Jungle World Nr. 29, 21. Juli 2011

 

Infos und Berichte auch unter: http://rachefuercarlo.blogsport.de/2011/07/22/bisschen-kiezrabatz/

"Eine andere Welt ist möglich."
10 Jahre nach Genua - Bewegung ist ein kollektives Gedächtnis.

Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte

Eine neue Bewegung entsteht…

Vom 19. bis 21. Juni 2001 kamen in Genua rund 200.000 Menschen zusammen, um gegen die Politik der G8-Staaten zu protestieren - ein Protest, der mehr als symbolisch werden sollte. Bereits im September des Vorjahres war es gelungen, durch einen breiten Widerstand in den Straßen von Prag das 55. Jahrestreffes von IWF und Weltbank abzubrechen. Aufgrund der massiven Proteste mussten die Delegierten mit der U-Bahn evakuiert werden. Euphorisiert von diesem und anderen Erfolgen der noch jungen, globalisierungskritischen Bewegung zog es Mitte Juni 2001 ebenfalls Tausende ins schwedische Göteborg, um gegen das rassistische EU-Grenzregime auf die Straße zu gehen. Wie schon in Prag entlud sich die Wut auf Krieg, Unterdrückung und ungleiche Verteilung des Reichtums an den materiellen Gütern und Prestigeobjekten der Leistungs- und Warengesellschaft. Diese von Tausenden geübten Akte der Unversöhnlichkeit in den Straßen der kapitalistischen Metropolen schuf eine Art Selbstbewusstsein in weit
en Teilen der globalen linken Bewegungen, ein Selbstbewusstsein, das sich über die Regeln staatlicher Ordnung bewusst hinwegsetzte. Weit über 30.000 Menschen aus den verschiedenen Ländern waren dazu entschlossen die "Rote Zone", der Bannmeile um die Tagungsstätte der G8, zu überqueren und zu zeigen, dass die Bevölkerung bereit ist politische Entscheidungen selbst zu treffen und dass sie dafür keine Vertreter_innen benötigt.

Der Staat drückt den Abzug

Doch bereits während des EU-Gipfels in Göteborg zeigte sich, nachdem drei
Demonstrant_innen angeschossen wurden, dass der Staat derlei Bestrebungen zu unterbinden wusste und nicht davor zurückschreckte den Abzug zu bedienen. In Genua geschah letzten Endes das tragische Ereignis, das in den Köpfen vieler Linker bis heute untrennbar mit Genua verbunden bleibt: Der Tod Carlo Giulianis. Der Carabinieri Mario Placanica erschoss den damals 23-jährigen Studenten und linken Aktivisten mit einem Schuss in den Kopf. Damit war das Tabu gebrochen, dass die Polizei in Europa nicht so offensichtlich Demonstrant_innen tötet wie auf anderen Kontinenten. Carlos Ermordung, wie auch die Gewalterfahrungen und Erniedrigungen durch die italienische Polizei in der Diaz-Schule, auf den Polizeiwachen und in der
Bolzaneto-Kaserne stellten tiefgreifende und schmerzliche Erfahrungen für viele dar,die in diesen Tagen in Genua waren. Vieles sollte danach nicht mehr so sein wie vorher.

Bewegung als kollektives Gedächtnis

Auch wenn der "Summer of Resistance" untrennbar mit den tödlichen Schüssen auf dem Piazza Gaetano Alimonda verbunden bleibt, so war er auch eine Zeit des Aufbruchs,euphorisiert vom Zusammenkommen der verschiedenen Aktivist_innen und ihrer Kämpfe und inspiriert durch die zapatistische Bewegung, die 1994 „eine andere Welt ist möglich“ ausrief.

Pink and Silver, Rhythms of Resistance, die Sozialforen, das Indymedia-Netzwerk, Medienaktivismus und eine stärker gewordene Kritik am Kapitalismus innerhalb der Gesellschaft haben ihren Ursprung in diesen Jahren. Vieles von dem, was wir derzeit als Selbstverständlichkeit oder „gewohntes Hintergrundrauschen" linker Bewegung wahrnehmen, hätte es ohne Prag, Seattle, Genua oder Porto Alegre in dieser Form vielleicht gar nicht gegeben.

Bewegung bedeutet auch immer die Entstehung und Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses. Erfahrungen werden geteilt, die gemeinsam gemacht wurden - und auch wenn nicht jede_r einzelne Teil hatte, so bilden sie trotzdem kollektive Erinnerung,aus denen sich die Ideen und Strategien in unseren täglichen Kämpfen speisen. Wir finden es darum wichtig, uns über diese Erfahrungen auszutauschen.

Am 29. Juli werden Menschen, die 2001 an den Anti-G8-Protesten teilnahmen, über die Geschehnisse in Genua wie auch über die Bewegung an sich berichten. Zu Wort kommen Medienaktivist_innen und Menschen, die in Genua direkt mit Repression konfrontiert
waren.

Im Anschluss zeigen wir den Film „OP-Genua 2001“, der anhand akribischer Recherchen die gezielten und gewalttätigen Provokationen der Polizeikräfte belegt. Außerdem werden Aktivist_innen vom Besuch des 10 Jahre Genua-Treffens in Italien berichten.

Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte

Freitag, 29. Juli 2011, 19.00 Uhr
Bunte Kuh, umsonst und draußen
Bernkasteler Straße 78, Berlin-Weißensee
(Bei schlechten Wetter findet die Veranstaltung drinnen statt)

Anfahrt: Tram: 12, 27: Berliner Allee / Rennbahnstraße | M4: Buschallee
Bus: 156, 255, N50: Berliner Allee / Rennbahnstraße | 155, X54, 259: Rathaus Weißensee

Präsentiert von:
Gipfelsoli, North East Antifascists (NEA), AK Kraak, Rebel Disorder - Store, Antifa Initiative Nordost (AINO), Berlin against G8, Medienwerkstatt Weißensee

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Filmbeschreibung: „OP Genua 2001 - öffentliche Sicherheit und Ordnung“

Der G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001 machte durch Ausschreitungen und massive Polizeigewalt von sich reden. Der Gipfel selbst geriet schnell in Vergessenheit, die juristische Aufarbeitung der Ereignisse dauert dagegen bis heute an. Im Rahmen der Verteidigung von 25 Aktivist_innen wurden die Ereignisse des 20. Juli 2001 akribisch rekonstruiert. Anwält_innen und Mitarbeiter_innen des Rechtshilfebüros in Genua (Segreteria Legale) haben in mühsamer Recherche u.a. Videoaufnahmen sowie Mitschnitte des Polizeifunks ausgewertet. Der Film stellt die Dokumentation dieser
Aufbereitung dar und zeigt die Angriffe der Polizeieinheiten auf die Großdemo in Genua am 20. Juli 2001, in deren Folge Carlo Giuliani erschossen wurde. Der Film verdeutlicht das Ziel der Anwält_innen, nämlich zu beweisen, dass die Demonstrant_innen von ihrem legitimen Recht auf Notwehr Gebrauch machten.

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komisch, dass ich davon nichts mitgekriegt hab, war an dem abend in der stadt..

 

wäre auf jeden fall dabei gewesen

"Alle Festgenommenen wurden auf die Innenstadtwache „Karcherstraße“ verbracht, wo sie abfotografiert und durchsucht wurden. Gegen alle wurden Anzeigen, u.A. wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Beleidigung erhoben."

 

Yeah !! Die Polizei kann sich auf eine Aktualisierung ihrer Daten freuen... Manchmal sind solche prinzipiellen pseudo-rebellische Aktionen (unangemeldete: "wir scheisse auf den Staat") einfach nur Selbstgefährdung.

 

Eine organisierte Linke agiert anders.