Leipzig: Antifa-Jugendinfo …und die Rezension des Verfassungsschutzes

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Prädikat “linksextrem” – Was der VS vom “Antifa-Jugendinfo” aus Leipzig hält. Der sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat seine Expertise bei der Verfolgung abweichender Meinungen in Anschlag gebracht und die Zeitschrift ausführlich rezensiert – und zwar gleich mehrfach. Ob das für oder gegen den Inhalt des Heftchens spricht oder nur Ausdruck einer obsessiven Fixierung auf angebliche “Linksextremisten” ist, vermögen wir nicht zu beurteilen. Vorenthalten wollen wir euch die staatliche Literaturkritik aber auch nicht:

26. Mai: “linksextremistische Bestrebungen”

Das LfV hat bereits mehrfach über “Fence Off” berichtet – und war sich ziemlich schnell sicher, dass die Kampagne “linksextremistische Bestrebungen” verfolge und “maßgeblich von Autonomen initiiert” worden sei (siehe Kampagnen-Update #08). Das wollten wir genauer wissen und erbaten höflich, Belege für diese ehrenrührige Behauptung vorzulegen. Tatsächlich bekamen wir Ende Mai eine E-Mail-Antwort eines VS-”Beauftragten für Bürgeranliegen” (siehe Kampagnen-Update #08).

Angehangen war ein bemerkenswertes VS-”Gutachten”, das wir hier erstmals veröffentlichen (PDF-Datei). Bemerkenswert war daran weniger, dass das Dokument auf der Briefpapier-Vorlage des LfV-Präsidenten ausgestellt wurde; verwunderlicher war, dass mit der darin getroffenen Einschätzung des “Antifa-Jugendinfos” nachträglich ein Beleg für eine frühere Behauptung konstruiert wurde. Und dieser Beleg sieht so aus:
In der von der Kampagne herausgegebenen „antifa jugendinfo“-Broschüre veröffentlichen linksextremistische Bestrebungen („Leipziger Antifa“ [LeA], „Antifaschistischer Frauenblock Leipzig“).
Das ist zunächst sprachlogisch unmöglich: Die benannten Gruppen könnten zwar allerhand “Bestrebungen” verfolgen, sich also diese und jene Handlungsziele setzen, die in Wort und Tat Ausdruck finden mögen. Aber eine “Bestrebung” an sich kann nicht selbst handeln und insbesondere nichts “veröffentlichen”. Eine “Bestrebung” ist schließlich nicht selbst HandlungsträgerIn, sondern charakterisiert lediglich (zutreffend oder falsch) die Handelnden.

Nun ist sich das LfV dennoch sicher, dass die Gruppen “Leipziger Antifa” (LeA) und “Antifaschistischer Frauenblock” (AFBL) nicht nur “linksextremistische Bestrebungen” verfolgen, sondern selbst welche sind. Bliebe man beim LfV bei den Fakten, wären die keinesfalls ein Beleg dafür, dass die Kampagne “Fence Off” ebenfalls “linksextremistisch” sei. Die Fakten sind doch nach wie vor diese: In der Zeitschrift der Kampagne sind zwei Beiträge enthalten, die von Gruppen stammen, denen das LfV “linksextremistische Bestrebungen” nachsagt, was zuerst zu prüfen wäre. Aber über den Inhalt der Beiträge, den Charakter der Zeitschrift und letztlich die “Bestrebungen” der Kampagne sagt das gar nichts aus.

Das LfV lässt sich an den Grenzen des logisch Erlaubten nicht aufhalten und bedient sich eines sprachlichen Kniffs, der so funktioniert: Wenn LeA und AFBL nicht nur “linksextremistische Bestrebungen” verfolgen, sondern selbst solche Bestrebungen sind und dann in der Kampagnen-Zeitschrift auftauchen – genau dann hätte sich die Kampagne diese “linksextremistischen Bestrebungen” zu eigen gemacht und wäre folglich selbst so eine “Bestrebung” geworden. Das Verfahren, nach dem das LfV hier geurteilt hat, ist die Kontaktschuld: Wenn “Fence Off” und eine “linksextremistische Bestrebung” im selben Kontext auftauchen, wird “Fence Off” identisch mit der “linksextremistischen Bestrebung”. Was immer das sein soll…

30. Mai: “extremistischer Inhalt”

Wenige Tage nach dem E-Mail-Schreiben erschien auf der Website des LfV ein Kurzbericht mit dem Titel “Kampagne ‘Fence Off’ veröffentlicht ‘antifa jugendinfo’ mit extremistischem Inhalt”. Aus der früheren Behauptung, die schon unhaltbar war, hat das LfV prompt eine Schlagzeile gemacht und damit eine eigene Wahrheit konstruiert. Und statt nun wirklich zum versprochenen “Inhalt” zu kommen, wird nur jene banale “Wahrheit” als Beweisstück gegen die Kampagne “enthüllt”: Die Zeitschrift beinhaltet Beiträge der “linksextremistischen Bestrebungen” LeA und AFBL.

Während sich die übrigen Beiträge mit “Aspekten, die die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten betreffen” beschäftigen würden, gehe es insbesondere im Text der LeA “nur vordergründig” um diese Auseinandersetzung. Vielmehr werde sich in deren Beitrag eines “gängigen Argumentationsmusters von Linksextremisten” bedient. Der Vorwurf, diesem “Argumentationsmuster” zu folgen, besagt also lediglich, dass noch andere “Aspekte” außer “Rechtsextremismus” betrachtet werden.

Das ist so dermaßen unverwerflich und naheliegend, dass das LfV in seinem öffentlichen Bericht die Schlusfolgerung vermeidet, laut der die Kampagne selbst “linksextremistisch” sei. Der neue Vorwurf lautet, “extremistische Inhalte” publiziert, also scheinbar “unerlaubte” Aspekte beleuchtet zu haben.

Auch das ist Nonsens: Erstens sagt die Ähnlichkeit zu bestimmten “Argumentationsmustern” über die Argumentation selbst nichts aus, und insbesondere nicht, ob es sich um einen “extremistischen Inhalt” handelt. Zweitens kann insbesondere dies nicht für den Artikel des AFBL gelten – der sich mit einer Kritik des Antiamerikanismus beschäftigt. Drittens setzt sich im ganzen Heft überhaupt nur ein einziger Artikel mit “Rechtsextremismus” auseinander – und zwar in Gestalt einer Kritik der Extremismus-Theorie. Insbesondere dem LeA-Text kann daher nicht vorgeworfen werden, mit einem “gängigen Argumentationsmuster” auf einen anderen Aspekt “abgelenkt” zu haben und deswegen “linksextremistisch” zu sein – weil es eben an keiner Stelle um die “Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten” ging.

Wenigstens ein Lob hat das LfV für die Zeitschrift parat:
Die Broschüre richtet sich gezielt an Jugendliche und versucht, mit geeigneten sprachlichen und gestalterischen Mitteln das Anliegen der Kampagne dieser Zielgruppe zu vermitteln.
Im Unklaren lässt das LfV das Publikum aber über die aufgeworfene Frage, ob “Fence Off” bzw. die “Anliegen der Kampagne” nun “linksextremistisch” sind oder nicht.

6. Juni: “Kampf gegen das System”

Das ausstehende Urteil holte die Leipziger Volkszeitung (LVZ) nach. Tenor: “Geheimdienst sieht Antifa-Kampagne zunehmend kritisch”. Dem verantwortlichen Redakteur lag die Zeitschrift als Corpus Delicti offenbar nicht vor. Stattdessen vermengte er die früheren Einschätzunges des LfV über die Kampagne und die Zeitschrift einerseits mit der ebenso wackligen Einschätzung bezüglich der LeA und ihres Zeitschriftenbeitrags andererseits:
In dem Heft, das sich gezielt an Jugendliche richte, werden der Eindruck vermittelt, “dass nicht der Rechtsextremismus der Gegner sei, sondern die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, die das Entstehen des Rechtsextremismus erst möglich mache”, so der Verfassungsschutz. […] Für den Verfassungsschutz steht fest: “Der Antifaschismuskampf wird somit zum Bestandteil des Kampfes gegen das System.”
Wo man sich auf “Eindrücke” (!) verlassen muss, erweckt der LVZ-Artikel einen solchen, indem der einmal identifizierte “extremistische Inhalt” mit Belieben auf die Zeitschrift und letztlich die Kampagne übertragen wird. Und zum “Eindruck” gehört, dass dem Urteil des LfV sogar eine inhaltliche Widerlegung der Kampagne zugrunde liege: “Fence Off” gehe fälschlich davon aus, dass “die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland […] das Entstehen des Rechtsextremismus erst möglich mache.”

Wir würden von einer regionalen Qualitätstageszeitung ganz sicher zu viel verlangen, wenn wir zurückfragten, welche Ordnung denn sonst aktuellen Denk- und Handlungsweisen innerhalb der Gesellschaft zugrunde liegen soll. Eine andere Ordnung gibt es ja nicht – und wer die bestehende kritisiert oder eine andere in Erwägung zieht, ist “Extremist”.

Auch wegen dieses offenen Widerspruchs beim LfV haben wir oben noch einmal das Editorial der Zeitschrift wiedergegeben. Darin enthalten ist zwar tatsächlich das Plädoyer für eine Gesellschaft, “in der jeder Mensch nach seinen eigenen Bedürfnissen leben kann.” Wenn das allerdings “linksextremistisch” sein soll, haben wir nichts zurückzunehmen. Diesen Vorwurf können nämlich nur Leute erheben, die das Gegenteil verteidigen – eine Gesellschaft also, die den Menschen schadet, die Zwangs- und Gewaltverhältnisse hervorbringt und unter anderem nazistischem Denken und Handeln Räume zubilligt.

Daran kann man ablesen, was für eine “Bestrebung” der Verfassungsschutz selbst ist, wie ernst man dessen Handeln nehmen muss und wie fragwürdig dagegen seine Ansichten sind.

Download

Selbstverständlich könnt ihr das Heft auch als PDF-Datei downloaden (1.8 MB). Die Weiterverbreitung ist erwünscht!

Feedback

Die Artikel im Jugendinfo sind keine niedergeschriebenen Selbstgespräche, sondern Ergebnisse politischer Diskussionen und vorläufig insofern, dass sie zu weiteren Auseinandersetzungen anstiften sollen. Am Ende jedes Artikels findet ihr Kontaktmöglichkeiten zu den Gruppen der AutorInnen – sie freuen sich über eure Meinungen, über Lob und Kritik.
 
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voll gut...bin begeistert! vor allem von design und text. könnte mir vorstellen, dass die bröschüre noch weiter verbreitung finden könnte....

soligrüße aus dem hinterland

Super Broschüre, bin begeistert! Sehr lesenswert und top Aufklärungsarbeit!

 

Ich bitte ebenfalls um Weiterverbreitung.