Auch bürgerliche französische Politiker stellen sich gegen die Auslieferung einer baskischen Politikerin an den spanischen Staat, wo dem Batasuna-Mitglied zudem Folter droht. Großdemonstration am Samstag in Baiona, wo die Verhaftung durch die "Anti-Terror-Einheit" scheiterte. Mit Bildu hat die linke Unabhängigkeitsbewegung derweil auch die Macht in der zweitgrößten baskischen Provinz übernommen, nachdem sie auch Donostia (San Sebastian) regiert.
Es ist ein Vorgang, wie er sich bisher niemals im französischen Baskenland ereignet hat. Nachdem eine Menschenmenge am Dienstag verhinderte, dass die Baskin Aurore Martin in der Altstadt von Bayonne verhaftet werden konnte, wächst auch der Widerstand im bürgerlichen Lager weiter gegen die Pläne der französischen Regierung, die Sprecherin der Separatistenpartei Batasuna (Einheit) über den Europäischen Haftbefehl nach Spanien zu deportieren, wo sie angeklagt werden soll.
Nun hat am Donnerstag auch der Chef der französischen Sozialisten (PS) im Departement Pyrénées-Atlantiques, zu dem die drei baskischen Provinzen in Frankreich gehören, dazu aufgerufen, gegen ihre Verhaftung und die Auslieferung zu protestieren. Pierre Chéret nannte es einen "schwerwiegenden Vorgang", dass versucht wurde, Martin zu verhaften und nach Spanien zu deportieren. Er sicherte ihr seine "volle Unterstützung" zu. Er wirft der Polizei, "Brutalität" und ein "inakzeptables Vorgehen" vor, durch das er sich an die "dunkelsten Zeiten unserer Geschichte" erinnert fühlt, womit er die Deportationen des Vichy-Regimes an Spanien und Deutschland unter deutscher Besatzung ansprach.
Chéret rief deshalb auf einer Pressekonferenz dazu auf, am Samstag gegen die Auslieferung zu demonstrieren. Zahllose Menschen werden in Baiona, wie Bayonne auf Baskisch heißt, gegen die Vorgänge auf die Straße gehen. Auf der gemeinsamen Presskonferenz machten auch andere Lokalpolitiker darauf aufmerksam, dass der Kollegin sogar "Folter und Misshandlung" in Spanien drohe, wie sie Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen immer wieder anklagen.
Dass auch der Widerspruch im bürgerlichen Lager groß ist, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Wie Chéret versteht es auch Didier Borotra, der Bürgermeister von Biarritz (baskisch Miarritze) nicht, warum Martin für Vorgänge in Spanien als "Terroristin" angeklagt werden soll, die in Frankreich völlig legal sind. Sie hat Artikel (sogar auf Französisch) verfasst und Pressekonferenzen abgehalten hat. Dafür soll auch sie den Weg gehen, den die Batasuna-Führung im spanischen Teil nach dem letzten gescheiterten Friedensprozess gegangen ist. Anders als in Spanien wurde Batasuna aber in Frankreich nie verboten. Die Partei unterhält Büros und die 32-jährige Frau trat für zum Beispiel für die Partei in der Koalition "EH Bai" (Ja zum Baskenland) bei den Kantonswahlen im März an.
In Frankreich könnte sie ohnehin nicht als Mitglied oder Unterstützer der Untergrundorganisation ETA vor Gericht gestellt werden, nur weil sie als Batasuna-Sprecherin aufgetreten ist. Denn nur in Madrid wird stets so getan, als wäre Batasuna ein Teil der ETA, obwohl das nie bewiesen werden konnte. Dass Madrid die Partei dafür sogar auf die EU-Terrorliste setzen konnte, zeigt schon an, was von einer solchen Liste zu halten ist, bei der von ursprünglich 29 Organisationen 21 aus dem Baskenland stammen und alle zur ETA gehören sollen. Bis auf die ETA sind aber bis heute in Frankreich alle diese "Terrororganisationen" legal tätig. Verboten wurde die Batasuna in Spanien 2003 real nur deshalb, nachdem dafür ein neues Parteiengesetz geschaffen wurde, wonach die Parteien die Anschläge der ETA verurteilen müssen.
Deshalb kann sich auch der Zentrumspolitiker (UC) Borotra hinter Martin stellen. Er gewährte ihr am Samstag Schutz, als sie erstmals wieder in der Öffentlichkeit auftrat. Sie saß mit ihm und anderen Teilnehmern auf dem Podium einer internationalen Konferenz, wo wurde über die Möglichkeiten einer friedlichen Lösung des Konflikts debattiert wurde. Denn nachdem ein Gericht die Auslieferung bestätigte, hatte sich die junge Frau versteckt gehalten. Sie will sich aber nicht in die Illegalität drängen lassen und ist über die Konferenz in die Legalität zurückgekehrt. Dort wurde auch die Idee geboren, über eine "Menschen-Mauer" ihre Verhaftung zu verhindern.
Deshalb gelang es der mit Sturmhauben maskierten Anti-Terroreinheit zwar, die Tür zur Wohnung ihrer Schwester in der Altstadt Baionas einzutreten und Martin nach draußen zu schleifen, doch dann ging es nicht mehr weiter. Es war Alarm ausgelöst worden und zunächst eilten "Empörte" herbei, die auch auf einem nahegelegenen Platz kampieren. Die Menge wuchs schnell auf mehrere hunderte Personen an, darunter auch Gemeinderäte und Gewerkschaftsvertreter, die den schwer bewaffneten Polizisten eindringlich deutlich machten, dass ihnen die Verhaftung nur unter Einsatz ihrer Waffen gelingen würde. Daraufhin zogen sie unverrichteter Dinge ab.
Angesichts des geballten Unmuts, der sich über das Pariser Vorgehen anstaut, darf abgewartet werden, ob die Sarkozy-Regierung ihre Ankündigungen umsetzt. Innenminister Claude Guéant hatte nach der gescheiterten Polizeiaktion erklärt, der Europäische Haftbefehl werde umgesetzt, weil es "die Verpflichtung der Polizei ist, ihn umzusetzen." Nun erstmals zu versuchen, französische Staatsbürger an Spanien auszuliefern, stößt auch auf größtes Unverständnis im Baskenland, weil Batasuna sich längst von der Gewalt der ETA distanziert hat. Die Partei setzt allein auf friedliche Mittel, um ihre politischen Ziele zu erreichen.
In einer Koalition mit anderen Linksparteien hat sie die ETA zur bisher längsten Waffenruhe in deren Geschichte gezwungen. Die dauert nun schon fast zwei Jahre an und kann erstmals von einer internationalen Kontaktgruppe überwacht werden, hinter der auch Friedensnobelpreisträger stehen. Bei den Regional- und Kommunalwahlen wurde die Koalition "Bildu" (Sammeln), die aus dieser Aktionseinheit hervorging, von den Basken für ihre Friedensbemühungen belohnt. Die Formation wurde auf Anhieb zweitstärkste Kraft im spanischen Baskenland, nachdem das spanische Verfassungsgericht den Verbotsversuch der spanischen Regierung gekippt hat. Bildu fehlten nur 14.000 Stimmen, um die große Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) an der Spitze abzulösen.
In der zweitgrößten Provinz Gipuzkoa gaben fast 35 Prozent der Wähler ihre Stimme der Koalition. Erstmals regiert die linke Unabhängigkeitsbewegung mit dem Seebad Donostia-San Sebastian damit eine der baskischen Metropolen. Seit Donnerstag regiert die Formation mit Martin Garitano nun auch der produktiven Provinz mit den großen Kooperativen vor, die deshalb im abstürzenden spanischen Staat abgeschlagen mit 8 Prozent die geringste Arbeitslosenquote hat. Erstmals steht auch der bedeutsamen Provinz, die wie alle baskischen Provinzen in Spanien auch eine eigene Steuerhoheit hat, ein Vertreter der linken Unabhängigkeitsbewegung vor. Bildu will einen "Wandel" im Baskenland vorantreiben und sich auch über das Provinzparlament vor allem für die friedliche Konfliktlösung einsetzen. Als zentrales Mittel soll dafür die Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen dienen.
© Ralf Streck, den 25.06.2011
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