[H] Offener Brief an die Redaktion der Zeitschrift Saitensprung

Naziwerbung im Saitensprung

Offener Brief an die Redaktion der Zeitschrift Saitensprung, und die ViSdP Prof. Dr. Günter Reus sowie Prof. Dr. Ruth Müller-Lindenberg

Zu unserer Überraschung fanden wir in Ausgabe 3 (Sommer 2011) des Saitensprung, der Zeitschrift des Studiengangs Medien und Musik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, ein ausführliches Interview mit dem bekennenden Neonazi und Rechtsrock-Aktivisten Frank Kraemer, dem Sänger der Band Stahlgewitter.

 

Was in den einleitenden Zeilen des Interviews als "entschiedene Auseinandersetzung mit einem Protagonisten der Rechtsrock-Szene" angekündigt wird, liest sich wie eine redselige Frage-und-Antwort-Runde mit einem deutschen Neonazi: Auf drei Seiten wird Kraemer hier Platz eingeräumt um ausführlich rassistisch über 'richtige' und 'falsche' Deutsche zu schwadronieren, eine Todesstrafe für "Triebtäter" zu fordern, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des deutschen Faschismus als übertriebenen "Schuldkult" abzutun, rechte Straftaten zu verharmlosen, und über den Einfluss "multinationale[r] Logen und Vereine" und der "Systempresse" zu halluzinieren. Die versprochene "entschiedene Auseinandersetzung" beschränkt sich dabei auf einige empörte Proteste von Seiten eines völlig überforderten Interviewers, der scheinbar nicht fassen kann, dass sein Gegenüber diese Dinge wirklich so meint, wie er sie sagt. Der Großteil der menschenverachtenden Aussagen des Rechtsrockers bleibt dabei unkommentiert und unwidersprochen stehen. Obendrein darf der Interviewer noch feststellen, dass dieser Neonazi „keinesfalls den Eindruck“ mache, ein „ungebildeter Mensch“ zu sein.


Wir sind schockiert über die Entscheidung der Redaktion, einem bekennenden Neonazi derart Raum zur Selbstdarstellung einzuräumen. Für uns ist nicht nur die Art und Weise der Interviewführung problematisch, sondern bereits die Entscheidung, sich dem Phänomen rechter Musik in Form eines Interviews zu nähern. Durch die Interview-Situation wird hier einem Protagonisten der Naziszene erlaubt, sich der Redaktion auf gleicher Augenhöhe stellen. Damit wird seinen Ansichten und Ausführungen nicht nur ein außerordentlich prominenter Platz zugedacht, sondern er wird zudem in der Rolle eines vernünftigen Gesprächspartners präsentiert, der zudem Inhalt und Richtung des Gesprächs lenkt. Verschlimmert wird die Situation noch durch die mangelnde Vorbereitung und Vorarbeit der Redaktion, welche sich so jeglicher Mittel entledigt den Inhalt des Gesprächs zu beeinflussen. Damit wird hier wird einem Neonazi die Chance geliefert, seine Ansichten den Leser_innen des Saitensprungs 'ungefiltert' und nahezu unkommentiert darzulegen - dieses öffnet der gesellschaftlichen Akzeptanz offen menschenverachtender Einstellungen und Lebensentwürfe Tür und Tor. Rechte Gewalt gegen Menschen ist in Deutschland nicht nur ein Thema der Geschichtsbücher, sondern alltägliche Realität - trotz dieser Tatsache werden den Leser_innen des Saitensprungs hier die Rechtfertigungen eines Neonazis als diskussionswürdige Aussagen präsentiert, über die man streiten darf und kann. Eine kritische journalistische Distanz ist so nicht möglich; ebenso gut hätte man der Ausgabe Propaganda-Flyer der NPD oder der Autonomen Nationalisten beilegen können. Für uns bleiben rechte Ideologien jedweder Spielart indiskutabel und gehören bekämpft: Ihnen ist aktiv entgegen zu treten und nicht noch mit der höflichen Bitte um ein Interview und dem unkommentierten Abdruck der ekligsten Standpunkte Vorschub zu leisten.


Das Interview mit Frank Kraemer hat in der Presselandschaft bereits überregional Wellen geschlagen. So setzt sich etwa das Zeit-Blog "Störungsmelder" kritisch mit der letzten Ausgabe des Saitensprungs auseinander. Auf die Frage, ob es richtig oder falsch sei, einem Neonazi eine derartige Plattform zu bieten, wird der ViSdP Günter Reus mit den Worten zitiert, dass "das nur die Leser entscheiden" könnten. Nicht nur angesichts dessen fordern wir die Redaktion der Zeitschrift Saitensprung auf, zur Sache Stellung zu nehmen:


Inwiefern wird das Interview mit Stahlgewitter den Ansprüchen eines guten Journalismus gerecht? Wie verhalten Sie sich zu der (auch von anderer Seite) geäußerten Kritik an besagtem Interview? Wie verhalten Sie sich zu der Problematik,dass hier ein bekennender Neonazi die Gelegenheit zur Selbstdarstellung erhält und seine menschenverachtende Ideologie den Leser_innen Ihrer Zeitschrift nahe bringen kann? Warum entschied sich die Redaktion dafür, die Aussagen Kraemers abzudrucken ohne sie weitergehend kritisch zu kommentieren, kontextualisieren oder zu hinterfragen (insbesondere im Hinblick auf seine Aussagen über angeblich wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse bezüglich einer biologisch begründeten Unterschiedlichkeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft, eine angeblich gleichgeschaltete deutsche "Systempresse", über Ausländerkriminalität, angeblichen "Schuldkult" und politisch motivierte Gewalttaten)? Wie stehen Sie dazu, dass die deutschsprachige Neonazi-Szene eine ungekürzte Version des Interviews auf einschlägigen Internetseiten als Propagandasieg feiert und dabei mit dem Namen Ihrer Zeitschrift Werbung für ihre menschenverachtenden Ansichten machen kann? Welche Konsequenzen ziehen Sie für dieweitere journalistische Tätigkeit im Rahmen der Zeitschrift Saitensprung?


Bündnis kritischer Studierender der Hochschulen Hannovers

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Meiner Meinung nach sollte es noch viel mehr solcher Interviews geben, denn nur durch Diskussion lässt sich was erreichen. Dass die Fragensteller entsprechend vorbereitet und rethorisch begabt sein sollten (also das Gegenteil der Redaktion dieser Studentenzeitung) sollte natürlich klar sein. Nur durch eine klare und öffentliche Argumentation gegen die ideologischen Grundpfeiler rechtsextremer Ideologien kann man den Bürgern bewusst machen, wie gefährlich der Rechtsextremismus ist.

Von daher finde ich den Brief mehr als lächerlich. Klar, die Redaktion war einfach nicht fähig solch ein Interview in angemessener Form zu führen und hat sich schlichtweg übernommen und einen großen Fehler begangen. Aber dieser Brief ruft zum generellen Boykott solcher Gespräche auf und liefert damit nur neuen Zündstoff für Lügen über eine "gleichgeschaltete Systempresse". Durch Stillschweigen können die Rechtsextremen doch erst recht ihr Bild vom "armen, unterdrückten Nazi" in die Köpfe unserer Jugend brennen. Wer keine Argumente hat, meidet die Diskussion - genau dieser Eindruck darf nicht entstehen! Warum sollte man als normal denkender Bürger Angst vor solchen Interviews haben? - Vernünftige Argumente und Fakten gegen Rechts gibt es schließlich mehr als genug!

Ich sehe es auch so, dass eine Diskussionsplattform geschaffen werden muss, um gerade Jugendliche für das Thema Rechtsextremismus zu sensibilisieren. Denn Unwissenheit kann auch dazu führen, dass man die schleichenden Propaganamaßnahmen der Rechten nicht früh genug erkennt und zum Beispiel mitansehen muss, wie das eigene Kind Mitglied der NPD wird.

Das Interview selbst ist sicherlich nicht professionell genug geführt worden. Dennoch sollte dies zum Anstoss genommen werden, nicht weiter die Augen zu verschließen und die rechte Szene schlicht zu meiden, sondern hinzusehen und zu handeln. Wie dieses Handeln aussieht, muss freilich wohl überlegt werden.