kritisch-lesen.de Nr. 5 - "Fem(me)_initäten"

Fem(me)_initäten

Heute erschien die fünfte Ausgabe der Online-Rezensionspublikation kritisch-lesen.de. Schwerpunkt sind diesmal Fem(me)_initäten. Sie sind sichtbar_unsichtbar: auf Higheels, in Baggies, im Rock, mit Glatze, im Korsett und langem Haar…

Es geht in dieser Ausgabe um Fem(me)_ininitäten und damit um Sichtbarkeiten, um Politiken, um queere Gender, um radikale und lustvolle Aneignungen weiblich konnotierter Attribute und gleichzeitig wieder um ihren Bruch. Es geht um Begehren und Aufbegehren: Begehren außerhalb der heterosexuellen Matrix und Aufbegehren gegen patriarchale Strukturen, (Hetero)Sexismus, Trans*phobie und die Reduktion auf passive Rollenklischees. Es geht darum, dass Fem(me) einer „Kampfansage an die traditionellen Vorstellungen von Femininität als schwach, hilflos und unbedeutend“ (Sabine Fuchs, Siegessäule 10/09, S. 26) gleichkommt und damit ein „Ort des Widerstands” (Joke Janssen in Fuchs 2009, S. 68) ist. Und um viel mehr!

 

Die Selbstorganisation von Fem(me)s in der BRD ist eine junge Bewegung. Aber sie wächst! Fem(me)s erobern sich Räume, erste deutschsprachige Filme entstehen, Homepages und Foren, Workshops werden organisiert, Shows, Gruppen gründen sich… Wir haben uns daher ganz bewusst dafür entschieden, Fem(me)s in den Mittelpunkt der ersten kritisch-lesen-Ausgabe zu einem Gender-Schwerpunkt zu stellen.  

 

Aber, Moment! Sind Fem(me)s ein eigenes Gender? Unabhängig vom Geburtsgeschlecht lebbar? Auch ohne Butch denkbar (Butch wird oft als begehrender Gegenpart – der_die sich männlich konnotierte Attribute aneignet – zu Fem(me) konstruiert)? Einfach feminine Lesben? Was ist denn nun eine Fem(me)?

Die einzige Antwort, die wir darauf geben können ist: Fem(me) ist eine Selbstidentifikation. Das mag unbefriedigend klingen, öffnet aber den Raum für Selbstverortungen und Diversitäten. Selbstverständnisse von Fem(me)s sind widersprüchlich. Die Rezensionen zum femtastischen Schwerpunkt beschäftigen sich daher mit zwei Büchern und einem Magazin, die Möglichkeiten eröffnen, viel über Fem(me)s, ihre Widersprüchlichkeiten und gemeinsame Widerstands-, Organisations- und Inszenierungsformen zu erfahren. Lola bespricht in ihrer Rezension Femmepowerment, Queer_Femmeinismen und femmemose Fragen das erste und bisher einzige deutschsprachige Femme-Buch: „Femme! Radikal – queer – feminin“. Jorane Anders rezensiert die sechste Ausgabe des Magazins hugs and kisses, die nicht nur Femmes, sondern allgemein queere Femininitäten in den Mittelpunkt stellt. Fragen nach Privatem, Wissenschaft und Politischem stellt Ilka Borcherdts in ihrer Rezension I’m so glad I kissed a girl zu dem Band „Femmes of Power: Exploding Queer Femininities” von Del LaGrace Volcano und Ulrika Dahl.

 

Unter den aktuellen Rezensionen findet sich eine Kritik an dem 2010 erschienenen Lexikon der Vertreibungen von Ismail Küpeli, der zu dem Schluss kommt, dass die Publikation „politisch fragwürdige Tendenzen in den deutschen Geschichtsdebatten“ fördere. Regina Wamper konstatiert nach der Lektüre von Mädelsache! Frauen in der Naziszene von Andrea Röpke und Andreas Speit, dass die aktive Rolle extrem rechter Frauen auch ein aktives „Eintreten für die eigene Unterwerfung“ bedeutet.

 

Anlässlich des achtzigsten Geburtstags von Erasmus Schöfer haben wir die Besprechung zu seinem vier Bände umfassenden Werk Die Kinder des Sisyfos von Fritz Güde aus dem Archiv ausgesucht. Eine Akteurin der darin dargestellten Bewegung ist Ulrike Meinhof, an deren 35. Todestag vor einem Monat wir mit einer Rezension der Meinhof-Biographie von Jutta Ditfurth erinnern wollen.

 

Wir danken an dieser Stelle außerdem allen, die bei den Linken Buchtagen dabei waren, für den solidarischen Austausch.

 

Viel Spaß beim (kritischen) Lesen!

 

--

 

REZENSIONEN ZUM SCHWERPUNKT

Femmepowerment, Queer_Femmeinismen und femmemose Fragen
Sabine Fuchs (Hg.): Femme!. radikal - queer - feminin

Ein Text darüber, wie Femme! radikal – queer - feminin mein femmeinistisches Denken und Handeln beeinflusst hat und wie das Ganze weiterging.
Von Lola | 9. Juni 2011

http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/femmepowerment-queer_femmeinismen-u...



--

(Un-)eindeutig sichtbar werden
Hugs and Kisses: Issue #6 - Queer Femininities.

Mit seiner sechsten Ausgabe legt das Hugs and Kisses-Magazin einen Schwerpunkt auf die gerade im deutschsprachigen Raum nur selten thematisierten Potentiale queerer Konzepte von Weiblichkeit.
Von Jorane Anders | 9. Juni 2011

http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/wer-hat-angst-vor-weiblichkeit/

--

I’m so glad I kissed a girl
Del LaGrace Volcano / Ulrika Dahl: Femmes of Power. Exploding Queer Femininities

Femmes ohne Butches? Als Mann Geborene Femmes? Ein Buch, das nicht nur diese und andere Fragen (wieder) stellt, sondern auch noch Kunst, Wissenschaft und Lust an der Dekonstruktion verbindet...
Von Ilka Borchardt | 9. Juni 2011

http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/i%E2%80%99m-so-glad-i-kissed-a-girl/

--

AKTUELLE REZENSIONEN

Deutsche Opfer, sowjetische Täter
Detlef Brandes / Holm Sundhaussen / Stefan Troebst (Hg.): Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts

Die deutsche Geschichtsschreibung ist vielfach von Ethnozentrismus geprägt – auch dann, wenn HistorikerInnen eine breitere Perspektive proklamieren. Eine Darstellung der Vertreibungen und Massaker wird zu einer Erzählung über deutsche Opfer und sowjetische Täter, einschließlich blinder Flecken und Leerstellen.
Von Ismail Küpeli | 9. Juni 2011

http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/deutsche-opfer-sowjetische-tater/

--

Von der freiwilligen Unterwerfung
Andrea Röpke / Andreas Speit: Mädelsache!. Frauen in der Neonazi-Szene

Die AutorInnen verdeutlichen kenntnisreich die aktive Rolle, Inhalte und Widersprüche extrem rechter Akteurinnen.
Von Regina Wamper | 9. Juni 2011


http://www.kritisch-lesen.de/2011/06/von-der-freiwilligen-unterwerfung/

 

--

REZENSIONEN AUS DEM ARCHIV

Die Kinder des Sisyfos
Erasmus Schöfer: Die Kinder des Sisyfos. 4 Bände

Schöfer bietet innerhalb von mehr als 2000 Seiten keinen Roman, aber eine Reihe sehr guter Reportagen aus den Kämpfen von 1967 bis 1989. Der Autor schüttet uns damit Ergebnisse und Erlebnisse als Material der Verarbeitung vor die Füße.
Von Fritz Güde | 1. März 2009

http://www.kritisch-lesen.de/2009/03/die-kinder-des-sisyfos/

--

Ulrike Meinhof
Jutta Ditfurth: Ulrike Meinhof. Die Biographie

Jutta Ditfurth gelingt es, in ihrer Biographie Ulrike Meinhofs immer noch unbekannte Details aus dem Leben der politischen Kämpferin auszugraben und mitzuteilen.
Von Fritz Güde | 1. Januar 2008

 

http://www.kritisch-lesen.de/2008/01/ulrike-meinhof/

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

oh, lustig, das femme-Buch hatte ich gerade erst zuende gelesen. Es ist großartig !

Ihr habt Sorgen...

Als könnten wir mit solchem Wissen eine soziale Revolution erreichen.

hat deine soziale revolution nichts mit geschlechterverhältnissen zu tun oder hast du schon alles gecheckt, was andere erst noch lesen müssen?

sicherlich hat "meine" soziale revolution auch etwas mit geschlechterverhältnissen zutun - keine frage. nur, sehe ich dass viele menschen sich dann nur noch ausschließlich (sic!) mit dekonstruktion der geschlechterverhältnisse auseinandersetzen, diese möglicherweise auch auslebt, gleichzeitig aber das "gesamte" vergisst.

doch die soziale revolution ist ein schritt der eben nicht darauf aufbaut dass wir zu fachidioten werden, sondern stattdessen sollten wir alle faktoren berücksichtigen - eben dies schlägt jedoch oftmals fehl.

 

es ist einfacher sich in seinem hausprojekt (z.b.) einzuzecken, und dort seine utopie auszuleben, und sich in gewisser hinsicht von der gesellschaft abzugrenzen. wir sind ein teil der gesellschaft und dürfen deshalb solche themen nicht nur in die linke reintragen sondern sollten für eine gesellschaftliche relevanz sorgen.

eine linke die sich abgrenzt, sei es doch den blac bloc (das auftreten) oder auch durch hausprojekte die nicht jedem offen stehen hat in bezug der sozialen revolution keine zukunft. es bleibt stattdessen ein versuch der in jämmerlicher resignation zerfällt und sich dann oftmals in unreflektierter militanz niederschlägt.