Am Montag, den zweiten Mai um ca. 19.45 Uhr wurde ich wegen einer gewaltfreien Aktion zivilen Ungehorsams verhaftet. Zu dieser Zeit führten etwa 500 Stuttgart21-Gegner_innen eine Demonstration unter dem Motto "Baustoppbesichtigung" durch.
Um diese daran zu hindern, den versprochenen Baustopp zu überprüfen,
wurden zwischen der Bahnhofsvorhalle und den Bahngleisen Hamburger
Gitter angebracht. Auf der Höhe dieser Gitter wurde ich von mindestens
drei Polizisten ohne Angabe von Gründen zur Seite gezerrt und auf den
Boden gedrückt. Die Beamten legten mir Handschellen an und fügten mir
Schmerzen zu, indem sie mir die Handgelenke umbogen und meinen Kopf auf
den Boden drückten.
Daraufhin führten sie mich zu einer Polizeistation innerhalb des Bahnhofs, wo die Beamten mich beleidigten und bedrohten. Als ich mich nach der Dienstnummer der Beamten erkundigte, welche jeder Polizist in Deutschland hat, behaupteten sie einstimmig, sie hätten keine Dienstnummer. Stattdessen zog mir einer der Beamten Hose und Unterhose herunter. Nach diesen Schikanen teilten mir die Beamten mit, mich nun auf eine andere Polizeiwache zu bringen und führten mich in Richtung der U-Bahn-Stationen ab.
Währenddessen hatten sich genau an dieser Station rund hundert Demonstrant_innen versammelt um meine Freilassung zu fordern. Nachdem sie erfuhren, dass ich nicht dort war, machten sie sich auf den Weg in unsere Richtung. Als die Beamten die Menge auf uns zukommen sahen, drehten sie sofort um und wollten mich dorthin zurück bringen, wo sie mich anfangs gefangen hielten.
Glücklicherweise bemerkten uns einige Demonstrant_innen und nahmen die Verfolgung auf. Ich verspürte eine unglaubliche Erleichterung und hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein.
Ich fiel auf den Boden, was es den Demonstrant_innen ermöglichte uns einzuholen. Sie umzingelten uns und forderten meine Freilassung. Die Gefühle, die das in mir auslöste, sind unbeschreiblich. Ich war so froh, dass diese Menschen hier waren und mich nicht alleine liessen. Die Beleidigungen der Beamten verloren ihre Wirkung und ich wusste: Ich bin auf der richtigen Seite. Solidarität war keine bloße Worthülse, sondern wurde praktiziert. Es war so gut für mich, dass ich nicht allein war und ich möchte allen Menschen danken, die sich solidarisch zeigten, vor den Polizeiwachen demonstriert haben und sich nicht einschüchtern liessen.
Das Gefühl, welches die Beamten durch ihre Beleidigungen bei mir auslösen wollten, dass ich ein Übeltäter wäre, dass ich "Abschaum der Gesellschaft" wäre, dass ich meine Zukunft "verbauen" würde (wer baut denn hier???), löste sich auf.
Als die Beamten bemerkten, dass sie gegen UNS chancenlos waren, schlossen sie die Handschellen auf und liessen mich gehen. Sie gaben mir ein kleines Stückchen Freiheit zurück. Aber was ist das für eine Freiheit? Ich habe keine Handschellen mehr um meine Gelenke, aber wenn ich wirklich etwas tun will, wenn ich nicht tatenlos zusehen will, wie ein Bahnhof gegen den Willen so vieler Menschen abgerissen wird, wie Atomkraftwerke wieder angeschaltet beziehungsweise nicht abgeschaltet werden, dann werde ich meine Fesseln wieder spüren. Sei es in Form von Polizeiknüppeln oder in der Form, dass wenn ich meinen Job verliere, wenn ich nicht nach der Nase meines Chefs tanze. Oder dass ich dann, wenn ich mir mein Essen aus dem Müll der Supermärkte hole, aufpassen muss, dass mich die Polizei nicht erwischt, weil ich sonst eine Anzeige wegen "Diebstahl" bekomme.
Es gibt keinen Baustopp. Es klingt wie in einem schlechten Film, aber nachts wird Stuttgart21 weiter gebaut. Das Bahnhofsdach über den Bahngleisen wird in der Nacht nach und nach abgetrennt. Tagsüber zeugt ein grosses Stahlgerüst davon, welches das Dach stützen soll. Das hat nichts mit Renovierungsmassnahmen zu tun. Es soll Platz gemacht werden für die Baugrube, die bei der hinteren Hälfte der Bahngleise entstehen soll.
Deshalb müssen wir weiter Widerstand leisten. Und heute hat Mensch gesehen, dass niemand gegen uns eine Chance hat, wenn wir solidarisch sind und uns nicht einschüchtern lassen.
Schade, dass dieser Artikel anonym ist
Schade, dass dieser Artikel anonym ist. Wir würden ihn gerne auf www.bei-abriss-aufstand.de veröffentlichen, aber so wird das schwer. Kein Verfasser, wenig Fakten (z.B. Welche Beleidungen?) usw. Vielleicht nimmst Du mal Kontakt zu uns auf? info(at)bei-abriss-aufstand.de.
Gruß,
Max
interessanter kommentar von de.indymedia.org
auf de.indymedia.org wurde der artikel, der dort leider nur im open-posting ist so kommentiert. halte den kommentar für eine wichtige ergänzung
Solidarität ist eine Waffe
5 Finger = 1 Faust 03.05.2011 - 11:07
um nicht in die Verlegenheit zu kommen, eine Straftat wie z.B. Gefangenenbefreiungo oder Widerstand gg Vollstreckungsbeamte usw. usf. gut zu heißen, und mich damit evtl. selbst strafbar zu machen, bedanke ich mich statt dessen für diesen ermutigenden Bericht und bei allen solidarisch handelnden Menschen für ihren Mut, ihre Standhaftigkeit und Stärke. Gelebte/erlebte Solidarität multipliziert sich. Danke für Eure!
Einen kleinen Hinweis noch an alle Beteiligten:
Trotz der Befreiung des Gefangenen, oder gerade wegen dieser, besteht die Möglichkeit, dass alle Beteiligten sich nun einer Strafverfolgung ausgesetzt sehen könnten. Darum sollten alle an der Aktion Beteiligten sich dringend rechtlichen Beistand und Rat einholen (EA so vorhanden, oder Rechtsanwalt).
Denn scheinbar gibt es leider Bilder auf welchen Gesichter zu erkennen sind, unter Umständen mehr als den Beteiligten lieb und bisher bekannt ist.
Schreibt Gedächtnisprotokolle über die gesamte Situation (am besten über die ganze Demo)!
Dieses nicht unbedingt zu Haus rumliegen lassen.
Sucht für euch selbst Zeugen für die Aktion. Ggf diskreten Kontakt untereinander halten.
Beachtet
§ 52 StPO Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen
(1)Zur Verweigerung des Zeugnisses (Red. Anm. gemeint ist Zeugenaussage) sind berechtigt
1. der Verlobte des Beschuldigten;
2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.
... desweiteren
§53 StPO Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen
...und sehr wichtig für "Zeugen"
§ 55 StPO Auskunftsverweigerungsrecht
(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würden, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidirigkeit verfolgt zu werden.
Wart ihr also evtl. selbst Zeugen, müssen also gegenüber der Polizei oder Staatsanwaltschaft unter den oben genannten Umständen keine Aussagen gemacht werden, ihr könnt dazu nicht gezwungen werden und solltet darum auch keine machen (auch nicht auf Indymedia oder unter Freunden, auch das ist gelebte Solidarität in Fortsetzung). Wer versucht Euch entgegen §§52 oder 55 StPO zu einer Aussage zu zwingen macht sich selbst strafbar.
Für die Zeugen für die oben genanntes nicht zutrifft, bleibt aus Sicht der Polizei oder StA nur zu hoffen das die ganzen Ereignisse nicht in einer großen Erinnerungslücke verschwinden.
in diesem Sinne Anna&Artur usw.
mit solidarischen Grüßen
5Finger =1Faust
videoaufnahme der szenerie auf youtube
http://www.youtube.com/watch?v=fm2LMkglyBw&feature=player_embedded#at=197
am ende sieht man deutlich, wie die ratlose polizei die handschellen des gefangenen aufschliesst und sich zurückzieht.
presse
Junge welt:
www.jungewelt.de/2011/05-04/022.php