[Gifhorn] Asylbewerber tötet sich selbst

Erstveröffentlicht: 
04.03.2011

Ein Flüchtling aus Nepal lässt sich von einem Zug überrollen. Er lebte in einem Heim, dessen Bewohner seit Langem über Schikanen der Ausländerbehörde klagen.

 

BREMEN taz | Den zwei Schülerinnen bot sich ein grausiges Bild: Am Dienstagnachmittag beobachteten die beiden 14 und 15 Jahre alten Mädchen am Gifhorner Bahnhof, wie ein Mann vom Bahnsteig herabstieg und langsam seinen Kopf auf die Schienen beugte.

Sie versuchten ihn zu warnen, doch er verharrte auf den Gleisen, bis ihn der herannahende Güterzug aus Hannover überrollte.

 

Bei dem Toten handelt es sich um einen 40-jährigen Nepalesen. 1996 kam er nach Deutschland, sein Asylantrag wurde abgelehnt.

 

Seither lebte er als Geduldeter in verschiedenen Asylbewerberheimen. Die Behörden verweigerten ihm ein Aufenthaltsrecht, doch weil er keinen Pass hatte, konnten sie ihn nicht abschieben.

 

Fast 15 Jahre ging das so, zuletzt wohnte er in einem Heim in Meinersen nahe Gifhorn.

Der dortigen Ausländerbehörde gelang es kürzlich, bei der Botschaft Nepals ein so genanntes Passersatzpapier für ihn zu beschaffen. Es ermöglicht einen Grenzübertritt - und somit die Abschiebung.

 

"Als er von der Abschiebung erfahren hat, wusste er sich nicht mehr anders zu helfen", sagt eine Sprecherin der Heimbewohner zur taz. Sie hätten der Ausländerbehörde und den Politikern schon vorher gesagt, dass so etwas passieren würde.

 

Die Heimbewohner klagen seit Langem über eine schikanöse Behandlung durch das Ausländeramt. "Wir werden vom Rest der Gesellschaft isoliert und haben keine Privatsphäre", heißt es in einem offenen Brief, den sie im Oktober verfasst haben.

 

Es gebe ständige Kontrollen und Gängeleien, sie müssten sich jahrelang enge Zimmer mit mehreren Personen teilen. Auch von Suizidgefahr war die Rede.

 

Die Bewohner forderten eine Unterbringung in Wohnungen, die nach Auffassung der niedersächsischen Grünen auch erheblich billiger wäre.

 

Am Mittwoch schrieben die Bewohner einen neuen Brief: "Manche von uns müssen alle drei Tage zur Ausländerbehörde, um unsere Duldung zu verlängern. Jedes Mal wird uns die Abschiebung angedroht. Es ist wie eine Bestrafung."

 

Der Landkreis weist die Vorwürfe zurück. "Ein Zusammenhang zwischen dem Suizid und der von einigen Heimbewohnern kritisierten Unterkunft in Meinersen wird ausdrücklich zurückgewiesen", heißt es in einer Erklärung des Kreises.

 

Man bedaure den Suizid "außerordentlich". Doch die Behörde sei verpflichtet gewesen, den Nepalesen abzuschieben. Hinweise auf eine Suizidgefährdung habe es keine gegeben. "Die Gründe für den Suizid sind im persönlichen Umfeld zu suchen."

 

Der niedersächsische Flüchtlingsrat hält es hingegen für "glaubhaft", dass der Mann sich tötete, weil die Abschiebung ihn in Verzweiflung stürzte. "Klar ist, dass der Landkreis Gifhorn nicht zimperlich mit den Leuten umgeht", sagt Geschäftsführer Kai Weber.

 

Die Schikanen, über die die Flüchtlinge aus Meinersen klagen, seien bekannt. "Die werden auch diesmal nicht besonders sensibel mit dem Mann umgegangen sein."

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Erschreckend regelmäßiges Geschehen

KOMMENTAR VON CHRISTIAN JAKOB

 

Die Regelmäßigkeit ist erschreckend: Es vergehen meist nur wenige Wochen zwischen den Meldungen, dass sich einmal mehr ein Flüchtling in Deutschland getötet hat.

 

Die Suizidrate unter Geduldeten und abgelehnten Asylbewerbern dürfte unter allen Bevölkerungsgruppen am höchsten liegen - zusammen mit jener unter Strafgefangenen.

 

Zufall ist dabei nicht im Spiel: Es liegt auf der Hand, dass die Art, wie mit ihnen umgegangen wird, viele dieser Menschen in die Verzweiflung treibt.

 

Die Reaktion der Behörden ist stets dieselbe: Erhängt sich ein Gefangener im Abschiebeknast, springt ein Familienvater aus dem Fenster oder lässt sich ein Mann von einem Zug überrollen wie jetzt in Gifhorn - fast immer heißt es, die Gründe seien privater Natur, der Umgang des deutschen Staates mit ungewollten Einwanderern sei jedenfalls nicht Schuld.

Dabei hatten die Heimgenossen des toten Nepalesen aus Meinersen die Behörden vorher gewarnt.

 

Die Umstände, unter denen sie leben müssen, sind zermürbend: Isolation, Perspektivlosigkeit, Enge, Arbeitsverbot und Ausländerbehörden, die ihnen mit ihrer Haltung meist vor allem eines zu verstehen geben: Du bist hier nicht erwünscht, und sobald wir können, werden wir dich aus diesem Land entfernen.

 

Dem hält nicht jeder auf Dauer Stand.