Mehrmals durchsuchte die Berliner Polizei im Jahr 2010 die linken Info- und Buchläden M99, Schwarze Risse und OH★21. Meist ging es dabei um das linksradikale Szeneblatt Interim (Download), aber auch der Aufruf zur Massenblockade des Naziaufmarsches in Dresden im Februar 2010 und ein Flugblatt einer anti-militaristischen Gruppe wurden schon als Begründung zur Durchsuchung der Läden herangezogen.
Der erste Prozesstermin gegen den Geschäftsführer des OH★21 findet am Freitag, den 18.02.2011 um 9:00 Uhr im Raum 455 des Amtsgerichts Tiergarten statt.
Im Gegensatz zu vergangenen Durchsuchungen & Ermittlungen, bei welchen bisher immer gegen vermeintliche Autor_innen, also oftmals gegen Unbekannt ermittelt wurde, sollen nun die Geschäftsführer_innen der Info- und Buchläden für die Inhalte, der in den Läden erhältlichen Flugblätter, Bücher und Zeitschriften verantwortlich gemacht werden. Mit den Vorwürfen “Aufforderung zu Straftaten” und “Verstoß gegen das Waffengesetz” soll nun gegen die Buchhändler_innen vorgegangen werden, statt wie bisher gegen die Redaktionen der entsprechenden Zeitschriften etc. zu ermitteln.
Mit dem von der Staatsanwaltschaft angestrebten Verfahren soll die bisherige Rechtsprechung revidiert werden. Bisher ist diese davon ausgegangen, dass die Buchhändler_innen nicht den Inhalt aller von ihnen angebotenen Schriftstücke kontrollieren und beurteilen können.
Kommt alle! zum Prozesstermin am Freitag, den 18.02.2011 um 9:00 Uhr in Raum 455 des Amtsgerichts Tiergarten.
Mehr Infos auf unzensiert-lesen.de
Im folgenden wollen wir die Audiomitschnitte der Veranstaltung “Tatort Buchladen” vom 17. November 2010 dokumentieren:
"Bombenbauanleitungen" und "Zaubertrickregel"
Entweder einer der Redner sagte oder in der Zuschauer- und Zauschauerinnendiskussion wurde gesagt, dass es nicht um die "Bombenbauanleitungen" in der Interim gehe, und (sinngemäss), dass wenn jemand sowas suche, das auch im Internet finden würde. Die Überbewertung des eigenen Mediums und die fast völlkommene Ignoranz anderer Repression zu diesem Themenfeld hat mich schon sehr besorgt gemacht.
Im Internet werden ebensolche Anleitungen, oder was dazu gemacht wird, zensiert und deren Urheber sehr krass staatlich verfolgt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch dazu etwas vom Podium aus gesagt wurde - Doch selbst von den Leuten, die sich rund um das Internet auskennen, sagten nichts. Sinngemäss wurde dem von mir angesprochenen Satz noch angefügt, dass es bedeutsamer wäre eine Militanzdebatte zu führen Dass die Militanz- und Organisationsdebatte seit einigen Ausgaben der Zeitschrift Radikal im Internet stattfindet, mehr Personen über das Internet erreicht werden und dass Anonimität im Internet leichter möglich ist, wurde augeblendet.
Zu dem Prozess am 18. Februar 2011 kann ich mal eine Zaubertrickregel nennen:
"Zeige nie den gleichen Zaubertrick einem Publikum zweimal (oder mehrmals) hintereinander!" Was hat das mit dem Prozess zu tun? Wahrscheinlich das Gleiche was das Finanzamt damit zu tun hat. Die Solidaritätserklärung von "unzensiert lesen" war stellenweise durch Ideologie verblendet. Jedem und jeder mit logischen Verstand wird bemerken, dass Zeitschriften keine Flügel haben. Die Polizei notiert bei jeder Durchsuchung (und ganz sicher auch bei operativen/verdeckten Massnahmen) die Namen der angetroffenen Personen. Dem Finanzamt werden durch kommerzielle Betrieben die Mitarbeiter und Mitarbeiter gemeldet. Wenn nun mehrmals die gleichen Personen bei Durchsuchungen wegen der Interim angetroffen wurden, dann wird im Gerichtssaal die "fahrlässige Tat" bestand haben.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrl%C3%A4ssigkeit
Es kann sich noch so gut selbst in die Tasche gelogen werden, aber auch der dümmste Richter und die dümmste Richterin kennen grob kommunikative Abläufe in Betrieben und auch kommunikative Abläufe nach Durchsuchungen. Im Kapitalismus wird der Vorfall dem Chef oder der Chefin gemeldet, im Kollektiv werden solche Vorfälle kollektiv besprochen. Daneben trägt sich auch der Anwalt oder die Anwältin der beschuldigten Person(en) auf der jeweiligen Ermittlungsakte ein.
Es stimmt, dass beim § 130a Abs. 2 Nr.1 StGB - http://dejure.org/gesetze/StGB/130a.html - der Buchhändler und die Buchhändlerin nicht bestraft wurden! Allerdings handelt es sich dabei um Fälle wo keine Fahrlässigkeit vorlag oder wo der Inhalt nicht gross auf dem Cover erkennbar war. Ein Beispiel: Wenn ein Buchhändler ein Buch vertreibt, wo auf dem Cover ein nacktes Kind zu sehen ist und das Buch den Titel "Sex mit Kindern" trägt, dann wird der Buchhändler ganz sicher nach dem § 130a Abs. 2 Nr.1 StGB bestraft. Auch bestraft wird er, wenn das Buch mit dem gleichen Inhalt und ohne eindeutigen Cover "Text X - Nr.1" heisst, und er von einer Behörde in Kenntnis gesetzt wird, dass die Buchreihe "Text X" verbotene Abbildungen enthält. Wenn er dann noch dabei erwischt wird, wie er das Buch "Text X - Nr. 4" und einige Wochen später "Text X - Nr.7" vertreibt, dann ist dieses Verhalten in der Rechtssprache fast schon "vorsätzlich".
Bei den betroffenen Buchläden handelt es sich ja auch nicht um irgendwelche Läden, sondern um läden mit exklusiven Sortiment. D.h. im Klartext, dass jemand das Verkaufte nach Inhalten ankauft und dann in den Präsentationsräumen sortiert ausstellt. Im Gerichtssaal wird ganz sicher die Frage danach kommen: "Wie kann ich etwas sortieren, ohne den Inhalt zu kennen?"
Und wie schon geschrieben, Zeitschriften haben keine Flügel. Da wurde sich schon an behördlicher Stelle überlegt nach § 129 StGB zu ermitteln und anzuklagen. Doch dann kam ein gelber Engel angeflogen und hat die Idee verworfen. Ich freue mich mit den Betroffenen, dass viele Bücher und Zeitschriften mit der Post verschickt werden, und wirklich niemand aus den Buchläden mit der Verteilungsstruktur der bösen Zeitschriften in Berührung gekommen sein konnte! Diesbezüglich ist auch die Uhrzeit der Durchsuchungen relevant. Da meinen manche doch echt, dass die Post ihre Monopolstellung verlor, wäre schlecht.
Was haben Uns denn die § 129b StGB-Prozesse gezeigt? Und schon wieder wird eine Frage zum Komplex sichtbar. Wer Kriminalistik studiert, erhält das in den ersten Stunden des Studiums als Arbeitsblatt: Zum Tatort wird etwas gebracht und vom Tatort etwas weggenommen. Später im Studium wird diese relative Aussage dann z.B. mit dem Weg des Geldes konkretisiert. Zum Glück ist ja die Interim kostenlos!
Wo Wir auch schon wieder beim Thema Hotspots (Informationsknotenpunkte) wären. In den linken Szenen sind extrem viele Fälle bekannt, wo sogenannte Hotspots ihrer kriminalistischen Bedeutung wegen (es fliessen dort sehr viele Informationen) infiltriert wurden. Angefangen von der Kneipenkultur der 1970er Jahre, den anwaltlichen Kollektiven in den 1980er Jahren, bis zu den Medien in den 1990er Jahren. Auch hier scheint die Ignoranz gross zu sein, wenn es darum geht zu sehen, wie leicht es die Behörden haben. Vor einigen Jahren wurde so z.B. öffentlich, dass der Verfassungsschutz gezielt nach V-Personen im Umfeld des Mehringhofs sucht. Dort wo ein betoffener Buchladen sitzt und auch das Postfach der Interim zu finden ist. Und die Betroffenen schlafen ja nicht erst seit ein paar Monaten mit diesem Wissen. Schon vor 10 Jahren wurde es gewusst. (Stichwort: RZ)
Ich wümsche mir, dass mehr Menschen zu realitätsnahen Analysen kommen und dass die Betroffenen sehr viel Unterstützung erhalten!
Zu den Link-Disclaimer
In der Diskussion am Anfang wird der Link-Disclaimer erwähnt. Dieser Disclaimer ist vollkomener Unsinn, da das Urteil von 1998 genau bestimmte, dass die Verlinker und Verlinkerinnen verantwortlich für die Links und die Inhalte der der verlinkten Inhalte sind. Ich würde sogar sagen, dass dieser Disclaimer ein "Running-Gag" ist, der Unwissenheit kennzeichnen und verdeutlichen soll.
Wer mehr wissen will:
http://www.e-recht24.de/muster-disclaimer.htm (nur mit Proxy besuchen)