[L] Rechter soll Bild von L-IZ-Journalist verbreitet haben: 1.250 Euro Geldstrafe

Benjamin B. hofft als einer der Ersten auf fleißiges Teilen einer Verleumdung bei Facebook. Über das Netzwerk verbreitet sich der fingierte Fahndungsaufruf bis hin zu besorgten Müttern und niemand prüft den Wahrheitsgehalt
Erstveröffentlicht: 
08.08.2017

Wie erkennt ein Journalist, dass er Neonazis, Rassisten und sonstigen Extremisten mit seinen Recherchen, zumal als Lokalreporter, so richtig nahe kommt? Wenn sie Kampagnen gegen ihn starten, fingierte Fahndungsaufrufe im Netz platzieren, sein Bild garniert mit flotten Sprüchen verbreiten und sich so auf jede denkbare Weise um Einschüchterung bemühen. Nicht selten versuchen sie ihm nachzustellen, ihn zu bedrohen oder gleich an irgendeiner Ecke zusammenzutreten. Die Motivation ist meist leicht zu erahnen: sie wollen seinen Lebenskreis einengen, ihn einschüchtern und möglichst so unter Druck setzen, dass er sich zurückzieht. Nun ist der nächste Fall eines solchen missglückten Versuchs dieser Art vor Gericht gelandet.

 

Besonders abgesehen hatte es eine Zeit lang gleich eine ganze Gruppierung von stadtbekannten Neonazis auf den L-IZ – Kollegen Martin Schöler. Er arbeitet seit nunmehr 8 Jahren als Reporter für die Leipziger Internet Zeitung und recherchierte unter anderem jahrelang über die lokale und regionale Neonazi-Szene. Das brachte dem heute 31-Jährigen auch eine Menge Nachstellungen und üble Nachreden aus eben dieser rechtsradikalen bis -extremen Szenerie ein: Neben physischen Angriffen und Drohungen wurde der Journalist im März 2015 Opfer eines perfiden Online-Feldzugs, der ihn mit einem gefälschten Fahndungsaufruf der sexuellen Belästigung von Kindern bezichtigte.

Als Täter wurde Benjamin B. (27) aus Wurzen Anfang des Jahres rechtskräftig verurteilt. Möglicherweise machte der Kampfsportler Schöler dafür verantwortlich, dass ihm wegen seiner Verbindungen ins rechtsextreme Milieu ein Profi-Vertrag in den USA versagt blieb. Wahrscheinlicher ist wohl, dass ein Lokaljournalist einfach leichter „greifbar“ war, als viele Kollegen, die bereits über Benjamin B. berichteten.

Just das gleiche Foto von Schöler wie aus dem fingierten Steckbrief bei Benjamin B. tauchte am 10. März 2015 auf dem Facebook-Profil von Thomas P. auf, versehen mit den Worten „Martin Schöler, ein Kämpfer für Weltoffenheit und Toleranz.“ Wie lobend er dies gemeint haben könnte, war nun Gegenstand vor Gericht. Denn auch Thomas P. ist kein Unbekannter: Der 35-Jährige gilt als ein bekannter Akteur der hiesigen Neonazi-Szene, führte unter anderem gemeinsam mit Benjamin B. eine Firma und war Vertreiber von „Front Records“. Eine lange Palette an Vorstrafen durchzieht die Vita des Selbständigen seit 2007, unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Bedrohung, Körperverletzung und Volksverhetzung.

Martin Schöler setzte sich gegen die unerlaubte Verbreitung seines Facebook-Profilbildes zur Wehr und erstattete Strafanzeige. Das Amtsgericht Leipzig verhängte im Dezember 2016 eine Geldstrafe von 1.200 Euro gegen Thomas P., wogegen dieser in Berufung ging.

Runde 2 ohne Thomas P.

Zur Neuauflage des Verfahrens am Dienstag vor dem Leipziger Landgericht erschien Thomas P. nicht persönlich, sondern wurde per Vollmacht von seinem Anwalt Tim Bräuer vertreten. Dieser hatte im ersten Prozess noch versucht, Schöler wegen seiner journalistischen Arbeit zur „Person der Zeitgeschichte“ zu erklären, die eine Verbreitung ihres Fotos ohne Einwilligung hinnehmen müsse.

Nachdem dies bereits gescheitert war, schien im zweiten Termin keine klare Verteidigungsstrategie mehr erkennbar: Erst befragte Bräuer Schöler, der als Nebenkläger und Belastungszeuge auftrat, nach angeblichen Verbindungen in die linke und linksextremistische Szene. Ein sonst beliebtes Mittel bei Verteidigern von Rechtsextremen, da so der Anschein einer Gegnerschaft und somit eine Rechtfertigung für Attacken gegen Journalisten versucht wird. Anschließend nahm Rechtsanwalt Bräuer jedoch den ermittelnden Polizeibeamten Sven S. (41) ins Visier: Wurden die Screenshots, die Schöler als Beweismittel einreichte, auf eine Verfälschung hin überprüft? Und könne sich nicht jeder unter irgendeinem Namen bei Facebook anmelden?

Hatte es zunächst den Anschein, als wollte der Verteidiger die Täterschaft seines Mandanten in Zweifel ziehen und Schöler unglaubwürdig erscheinen lassen, überraschte er dann mit einem Zitat aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Facebook. Jeder Nutzer des sozialen Netzwerks erteile mit seiner Anmeldung eine Lizenz für die Verbreitung von Bildmaterial, argumentierte Bräuer.

Damit stieß er auf entschiedenen Widerspruch von der Richterbank: Nicht das einfache Teilen eines zur Verfügung gestellten Fotos auf Facebook stünde zur Debatte, sondern dessen unerlaubte Bearbeitung und Weiterverwendung für eigene Ziele. „Ich darf mit fremden Bildern nichts ohne Erlaubnis machen,“ stellte der Vorsitzende Richter Klaus Kühlborn klar.

Davon unbeirrt hielt Verteidiger Bräuer am Ziel des Freispruchs für Thomas P. fest, unterstellte unserem Kollegen Martin Schöler Belastungseifer und der Polizei lasche Ermittlungen. So sei weder die Authentizität der Screenshots noch das Urheber-Profil auf Facebook überprüft worden.

Staatsanwältin Anne-Kristin Meier sah das völlig anders. Ein falsches Konto auf Facebook über lange Zeit zu betreiben, nur um einmal Schaden zuzufügen, sei lebensfremd, Schölers Einlassung zudem sachlich und nachvollziehbar gewesen. Nicht zuletzt auch die unter dem Profil Thomas P.s getätigte Aussage „Ich hab‘ den bei Facebook reingemacht“ in einem Chat mit Benjamin B. hätten einen Tatnachweis erbracht.

Der Angeklagte räume seine Tat ja quasi ein, wenn er diese mithilfe der AGB von Facebook plötzlich für legal erklären ließe, fügte Schölers Anwältin Doreen Blasig-Vonderlin hinzu. Und versuchte etwas, was für extreme Mitmenschen so verdammt schwer zu verstehen ist – das Dasein als Journalist zu erläutern. So verwies sie auf die Anfeindungen gegen ihren Mandanten auch vom linken Rand, denen sich Schöler aufgrund seiner journalistischen Arbeit in der Vergangenheit bereits ausgesetzt sah. Für die Aussage des Verteidigers, der im Foto eingearbeitete Spruch sei lobend und nicht sarkastisch, zeigte sie kein Verständnis.

Das Gericht folgte diesen Argumenten und verhängte eine Geldstrafe von insgesamt fünfzig Tagessätzen. Wegen eines den Betrag mindernden Härteausgleichs – Thomas P. hatte zwischenzeitlich noch eine weitere Geldstrafe wegen anderer Delikte kassiert – kommen im Gesamtergebnis 1.250 Euro Geldstrafe für das Verbreiten des Fotos auf ihn zu. Zudem trägt er nun die Verfahrenskosten und die Honorare für zwei Anwälte.

Gegen das Urteil ist noch eine Revision möglich.

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