[B] Gegen den Aufmarsch der Identitären – Ein Auf-Zwischen-Ruf

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Morgen, am Samstag den 17.06. will die “Identitäre Bewegung” wieder in Berlin aufmarschieren. Zu der europaweit beworbenen Demonstration behaupten die Organisatoren 1000 Teilnehmer zu erwarten. Wahrscheinlich werden es weniger. Die Route beginnt am Bahnhof Gesundbrunnen. Ziel ist der Hauptbahnhof. Der Beginn der Demonstration ist mit 14 Uhr angegeben. Die wichtigen Informationen zum Geschehen auf der Straße finden sich beispielsweise im Aufruf des Berliner Bündnis gegen Rechts.

 

Das Datum des Aufmarsches ist wie im letzten Jahr gewählt um inhaltlich Bezug zum sogenannten “Volksaufstand” vom 17. Juni 1953 in der DDR zu nehmen. Da „die politischen Eliten [...] mit der Lebenslüge der multikulturellen Gesellschaft […]“ die Bevölkerung verraten hätten scheint den Identitären wohl ein neuerlicher Aufstand angebracht.

 

Die Außeinandersetzung mit den Identitären und ihren Spezifika hat in der Linken gerade Hochkunjunktur und so existieren mittlerweile verschiedene Aufrufe sich dem Aufmarsch entgegen zu stellen. Wir freuen uns über die allgemeine Außeinandersetzung wie auch die aktuellen Aufrufe. Neben Gelungenem meinen wir bei Beidem leider oft Mängel zu erkennen. Diese reichen von einer Überschätzung der IB-Organisation und ihres Personenpotenzials bis zu falschen Vergleichen mit der Sturmabteilung (SA) im aufkommenden Nazideutschland.
Da wir glauben, dass gerade auch eine Linke, die momentan stark von Diversitätspolitik geprägt ist, von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Ideologemen der IB profitieren kann, wollen wir an dieser Stelle einen einfachen, einführenden Text über diese dokumentieren. Er entstand in einer etwas anderen Fassung als Beitrag für eine Jugendbroschüre und wird von uns gelegentlich an Orten verteilt an denen gehäuft IB-Propaganda aufgetaucht ist.

 

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Sie wollen „die Grenzen dicht machen“, fahren zu den Pegida-Demonstrationen nach Dresden und posieren mit flüchtlingsfeindlichen Transparenten. Viele Mitglieder der Identitären Bewegung (IB) waren auch in offen rechtsextremen Gruppierungen aktiv. Als Rassisten wollen sie sich nun allerdings nicht mehr bezeichnen lassen. Ihre Sprache hat sich geändert, ist moderner geworden. Der Inhalt ist ähnlich geblieben.

Lange Zeit wirkte die IB hauptsächlich wie ein reines Internetphänomen. Unter dem gemeinsamen Label traten online verschiedene Kleingruppen auf. Die Bilder von ihren meist lediglich für wenige Minuten aufgehängten Transparenten wurden auf Facebook-Seiten gepostet, wo sich die Socialmedia-Nerds dann untereinander feierten. Als Ausdruck einer nach rechts rückenden Gesellschaft treibt es die Grüppchen mittlerweile allerdings vermehrt auf die Straße. Doch trotz tiefer Verbindungen zur AfD und deren Jugendorganisation Junge Alternative (JA) misslingt es ihnen bisher große Menschenmengen für Aufmärsche zu mobilisieren. Diese mangelnde Attraktivität wird versucht durch kleine aber öffentlichkeitswirksamere Aktionen, wie dem posieren auf dem Brandenburger Tor, auszugleichen.

Selbst vor feigen Angriffen schreckt die IB nicht mehr zurück: In Lübeck verletzte kürzlich ein Identitärer einen unbewaffneten Antifaschisten mit einem Messer gefährlich am Hals und Martin Sellner, die inoffizielle Führungsperson der Identitären im deutschsprachigen Raum, schoss in Wien mit einer Gaspistole auf Linke.

 

Das Weltbild der IB basiert maßgeblich auf dem sogenannten Ethnopluralismus. Dieser behauptet die natürliche Zuordnung von Menschengruppen („Völker“ oder „Ethnien“ genannt) zu vermeintlich unveränderlichen kulturellen Identitäten sowie zu Landstrichen auf der Welt (1). Entsprechend ist auch das „identitär“ im Namen zu verstehen. Es steht nicht für eine frei entfaltete und spezifische Identität von Individuen sondern für eine Zwangsidentität, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft zugeordnet wird.

Doch nicht nur die persönliche Emanzipation wird somit verleugnet, auch die Ablehnung jeglicher universellen Werte folgt aus diesem Konzept (2, 3). So wird eine muslimische Kopftuchträgerin in Deutschland zu einer Bedrohung für eine vermeintliche "deutsche Leitkultur" erklärt. Gleichzeitig werden Steinigungen und Kinderehen in anderen Ländern einfach als Ausdruck einer der dortigen Bevölkerung entsprechenden kulturellen Identität gesehen.

Statt eines positiven Menschenbildes also, in dem sich Menschen gemeinsam und solidarisch von rückschrittlichem Brauchtum emanzipieren können, bestimmt ein kaum verschleierter Rassismus das Denken der Identitären. Unter dem Stichwort der „Remigration“ träumen sie dann auch von der zwangsweisen Ausweisung hier lebender nicht-weißer und somit in ihren Augen nicht-deutscher Menschen in deren vermeintliche Heimat. Empathielos gegenüber dem Leid von Mitmenschen ist offensichtlich nicht das gute Leben für alle ihr Ziel, sondern eine Welt als Zoo der rein gehaltenen Kulturen.

 

Bei ihrer Selbstdarstellung versucht die IB sich als moderne Jugendbewegung zu inszenieren. Dafür gehen sie beispielsweise nachts vor Schulen ihr Logo sprayen (4) und vermeiden es gemeinsam mit klassischen Neonazis gesehen oder fotografiert zu werden. Gleichzeitig verwenden sie aber auch immer wieder eine typisch rechte Bildsprache: Sie posieren vor Denkmälern für Soldaten, die im 2ten Weltkrieg für Nazi-Deutschland gekämpft haben und verbreiten Bilder in denen blonde, blauäugige Menschen von vermeintlich feindseligen Geflüchteten umringt sind.

Während also mit dem Auftreten meist versucht wird der eindeutigen politischen Zuordnung zu entgehen bleibt ihre Ideologie so klar rückwärts gewandt und menschenfeindlich, wie man es von Faschisten schon immer gewöhnt war. Den Versuchen eine rechte Jugendbewegung aufzubauen gilt es sich entgegen zu stellen!

 

(1) Menschengruppen wechselten ihren Siedlungsraum über die Jahrhunderte beständig und Kulturen beeinflussten sich. Eine feste Zuordnung ist also historisch nicht haltbar und auch wünschenswert ist sie nicht: Viele Menschen wurden ermordet, weil Andere sich als Teil eines rein zu haltenden Kollektivs und nicht als individuelle Menschen begriffen.


(2) Emanzipation bedeutet in etwa „Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit“ oder „Selbstermächtigung“. Es kann sich auf gesellschaftliche wie auch individuelle (gedankliche) Prozesse beziehen. Die Entwicklung eigener Moralvorstellungen jenseits der von Eltern vorgegebenen und die Umsetzung dieser Vorstellungen kann als „Emanzipation vom Elternhaus“ bezeichnet werden.


(3) Universell bedeutet hier soviel wie „für alle“ und „überall gültig“. Als Vertreten von universellen Werten bezeichnet man zum Beispiel schon die Überzeugung, dass es überall und von allen scheiße ist Mitmenschen zur eigenen Belustigung Leid zuzufügen.


(4) Das Logo der Identitären ist der griechische Buchstabe Lambda in einem Kreis.

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"So wird eine muslimische Kopftuchträgerin in Deutschland zu einer Bedrohung für eine vermeintliche "deutsche Leitkultur" erklärt. Gleichzeitig werden Steinigungen und Kinderehen in anderen Ländern einfach als Ausdruck einer der dortigen Bevölkerung entsprechenden kulturellen Identität gesehen."

 

Die Propaganda der Identitären funkltioniert, weil man sich unfreiwillig zum Verteidiger reaktionärer Kulturzeichen wie Kopftücher macht. Als ob deutsche Muslima früher Kopftuch getragen hätten. Was hardcore Identitäre Kultur heissen kann, das sieht man an den Jesiden. Dort werden die Mädchen die vom IS vergewaltigt werden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Jede Form der Vermischung mit der "fremden" Kultur ist tabu.

 

Komisch, dass der Österreicher Sellner meint zu uns zu gehören. So sind se die Österreicher, kennen wir alles schon...

Also Tenor vom Text ist ja klar universalistisch und find ich gut. Aber stimmt natürlich das Kopftücher nicht cool sind... lese ich da aber auch nicht so wirklich.

Danke für deinen Kommentar. Du hast Recht, dass es hier vielleicht den Anschein erwecken könnte, dass wir religiöse Ideologien verteiden wollten. Das war nicht unsere Absicht und wird ggf. Anpassungen an der nächsten Flyerauflage zur Folge haben. Primäre Intention hinter dem Abschnittes ist konzeptuelle Grundlagen zu kritisieren und menschenfeindliche Folgen aufzuzeigen: Das Kopftuch stellt im Gegensatz zu Steinigungen in sich nicht zwangsläufig eine direkte Bedrohung für Menschen dar. Ersteres, da in Deutschland anzutreffen, wird aber dramatisiert (oder gar zur Rechtfertigung rassistischer Angriffen missbraucht). Zweiteres hingegen, folgt man der ethnopluralistischen Logik, völlig verharmlost.