[MV] Kommentar zu den Mai-Demos in Mecklenburg-Vorpommern

never let the fascists have the streets

Am 1.Mai in Stralsund und am 8.Mai in Demmin gab es Proteste gegen von der NPD angemeldete Demos. Die Gegenproteste umfassten sowohl ein bürgerliches als auch autonomes Spektrum. Uns ist nicht wichtig diese noch einmal im Detail wiederzugeben (dies ist zum Teil schon geschehen), sondern vielmehr unsere Beobachtung zu beschreiben und eine (subjektive) Bilanz zu ziehen. Wir waren als Teilnehmende der Gegenproteste an beiden Tagen vor Ort. Wir waren an unterschiedlichen Orten unterwegs, unsere Beobachtungen und Bewertungen decken sich aber größtenteils.

 

Zuerst wollen wir eine grobe Analyse der von uns beobachteten Polizeieinsätze geben, um darauf aufbauend den Ablauf und den Wirkungsgrad der Gegenproteste aus unserer Sicht zu beschreiben. 

 

Bullen

Am 1.Mai waren etwa 600 und am 8.Mai etwa 800 Bullen am Start. Das ist ´ne ganze Menge. MV hatte alles aufgeboten, was möglich war. Wasserwerfer, Räumpanzer, Hubschrauber, BFE-Einheiten mit Kauer, Drohnen, die räudige Hundestaffel, Polizeiboote und haufenweise Zivis. Zusätzlich gab‘s am 8. sogar noch Unterstützung aus Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Nebenbei bemerkt: Diese waren vermutlich nicht nur wegen uns da. So gefährlich sind wir nicht. Die anderen Landeseinheiten waren wohl auch da, um mal so ein „reales“ Übungsszenario für G20 durchzuspielen.

 

Wir schweifen ab. An den Tagen wurden zwei unterschiedliche Konzepte umgesetzt. Hansestadt Stralsund – knapp 60.000 Einwohner*innen, Weltkulturerbe-Altstadt am Strelasund und damit das Touri-„Tor zur Insel Rügen“. Dort hatten die Cops ein sehr weitläufiges Gebiet zu überwachen, denn die etwa 9km lange Demoroute der Nazis verlief beinahe durch die halbe Stadt. Ein komplettes Raumschutzkonzept war aus diesen Gründen trotz der angekarrten Bullenzahl nicht durchführbar und die Nazidemo wurde eher in einem großen Wanderkessel auf ihrem Weg begleitet. Zusätzlich kontrollierten die Bullen Brennpunkte wie den Bahnhof und den Neuen Markt, sowie Engpässe, die es aufgrund natürlicher Hindernisse wie den Seen gibt. Abgesehen davon verließen sie sich auf die Bündelung möglichst viele Kräfte rund um die Faschodemo, um dann gegebenenfalls spontan zu reagieren (was leider kaum nötig war, aber dazu kommen wir später).


Diese Taktik hatte zur Folge, dass mensch, abgesehen von den schon erwähnten Zivis, bloß etwas abseits der Brenn- und Engpunkte sowie des Faschoaufzugs keine Bullen mehr zu Gesicht bekam. Genutzt wurden diese Umstände allerdings nicht unbedigt. Ohne größere Probleme hätten sich blockadewillige Gruppen frühzeitig anbsetzen können um strategische Engpunkte zu blockieren, ob durch hinsetzen oder ein paar Müllentonnen soll jede*r selbst entscheiden. Stattdessen wurde abseits der Mahnwachen der Kontakt zu Bullen und der Nazidemo größtenteils gemieden und den Bullen somit die Umsetzung ihres Konzepts geschenkt.


Zu Demmin. Ein gut 11.000-Einwohner*innen-Städtchen irgendwo in Vorpommern zwischen den Flüsschen Peene, Trebel und Tollense. Dort haben die Bullen dank der jahrelangen Entwicklung ein stumpfes, aber mitlerweile effektives Rezept: klassischer Raumschutz. Man nehme Hamburger Gitter, Wannen und so viele Bullen wie möglich und positioniere sie entlang der gesamten (hier nur knapp 2km) Route dicht an dicht, vor allem aber an jeder Querstraße dieser. An sich hat das in diesem Jahr vor allem aufgrund des übergroßen Aufgebots ganz gut funktioniert; jede*r hatte seinen*ihren Punkt entlang der Strecke und es gab immernoch genug freie Kräfte, die mobil sein konnten sowie etwa 200 Bullen, die den Trauermarsch anführen durften.


Trotzdem waren Umsetzungsfehler erkennbar. Die auswärtigen Einheiten waren anscheinend nicht gut in die Kommunikation/ den Befehlsweg eingebunden und hatten folglich so gar keine Ahnung. Beispielsweise waren die Cops damit überfordert den Platz richtig abzuschirmen und einer Gruppe gelang es, ohne große Mühen, eine halbe Stunde vor Beginn auf den Treffpunkt der Nazis zu spazieren. Auch leisteten sich die Bullen Fehler beim „Nachrücken“ von Einheiten. Die meisten Zugänge zur Demostrecke waren durch Gitter – AGGRO BFE mit Pfefferlöscher – Bullenwagen – noch ´ne Kette Bullen gesichert. An manchen Punkten war aber nur eine Reihe frisch aus der Ausbildung kommender Jungbullen positioniert, die aus Gründen der Coolness wohl auch keinen Helm trugen. Chancen, die sich aus unserer Sicht boten, wurden aber nie konsequent genutzt. Und Schwachstellen im eigenen Konzept wurden von den Bullen meist auch bemerkt und dann rasch, teilweise etwas panisch, beseitigt.

 

Gegenproteste 

Erfolgreich gepöbelt haben die Gegenproteste. Immer wieder standen, sowohl am 1. als auch am 8. Mai, größere Gruppen am Rand der Faschodemos, konnten ihren Protest laut kundtun und den Mittelfinger zeigen. Die Frage ist aber, ob das das Ziel ist.

Unser Ziel war es nicht. Wir wollten, dass die scheiß Nazis nicht durch die Städte ziehen. Oder zumindest, dass sie es nicht ungestört tun können und dass sie es sich beim nächsten Mal dreimal überlegen. Die Aufmärsche beeinträchtigende Störungen oder gar Blockaden, sei es durch Menschen oder Materialien, gab es allerdings nicht. Die Faschos konnten bequem ihre geplanten Routen laufen. Klar, nicht zuletzt dank des krassen Bullenaufgebots, vor allem wenn man die Zahlenverhältnisse mit zB Halle vergleicht, wo die Nazis keinen Meter weit kamen, aber sie werden diese Tagen in MV als Erfolg für sich verbuchen können.

Warum konnten wir den 1. und 8.Mai nicht als unseren Erfolg verbuchen? 

 

Unser eigenes Auftreten

Wie schon angedeutet: Totz der Bullenpräsenzen gab es durchaus Möglichkeiten die Nazidemos zu stoppen oder mindestens erheblich zu stören. Es fehlte allerdings an Bereitschaft, sich mit den Cops anzulegen. Das muss jetzt übrigens nicht heißen Steine zu werfen, Mülltonnen anzuzünden oder andere lustige Dinge zu tun. Auch, wenn wir das als legitime Aktionsformen betrachten. Wir finden nur, dass den Bullen zu viel Respekt entgegengebracht wurde. Wenn beispielsweise auf dem Marktplatz in Demmin 200 autonom gekleidete Leute auf eine einzelne, unbehelmte Bullenkette zugehen und dann in drei Metern Entfernung einfach stehen bleiben. Es wäre durchaus möglich gewesen, noch zwei Meter weiter zu gehen. Oder sogar noch etwas weiter. Und in vielen Punkten wäre es so einfach gewesen durch Bullenketten zu fließen, ohne das Risiko, dass dabei alle grün und blau geprügelt worden wären. Dafür sollte man allerdings etwas überlegter vorgehen und nicht ungeschlossen und lautstark rufend um Hausecken herum kommen.


Uns liegt es fern Einzelnen vorzuschreiben was eine sinnvolle Aktion ist und wo ihre Grenzen liegen. Für uns bestand nur eine deutliche Diskrepanz zwischen martialischen Auftritten und handzahmem Verhalten. Das ist eine Sache die wir vertiefen wollen, denn es erscheint uns wirklich bizarr, wie viele wie Hardcore-Autonome aus den Riot-Regionen dieser Welt angezogen waren, zum Teil ja schon vermummt aus den Autos oder Bussen gestiegen sind. Doch hier soll keine Vermummungs-Debatte aufgemacht werden und wir halten es übrigens generell für durchaus richtig, sich zu vermummen. Bunte Schals und oder auffällige Klamotten sind in diesem Fall jedoch eher unklug und liefern der Repressionsmaschine neben dem perfekten Vorwand, euch aufgrund der Vermummung rauszuziehen, sogar noch einfache und eindeutige Wiedererkennungsmerkmale.


Krassen Kontrast boten auch die Sprechchöre, die zu hören waren. „Nazis jagen – unser Sport...“ oder „Schwarz war die Nacht, Rot war der Schnee, von allen Seiten die Rote Armee“ lassen ja eigentlich auf auf eine gewisse Militanz schließen. Sie waren an diesen Tagen aber reine Worthülsen, zur Schau getragener Verbalradikalismus ohne praktische Konsequenzen, die den Tagen sicher gut getan hätten.


Da nähern wir uns auch dem Kernproblem. Offensichtlich ging es den meisten mehr um die Szenen-Präsentation als um tatsächliche Aktionen und die Be- oder Verhinderung der Verbreitung von Nazipropaganda. Wir haben kein Interesse an der Zurschaustellung eines AntiFa-Lifestyles. Es reicht halt nicht, nach Stralsund, Demmin, irgendeine andere Stadt in MV oder sonstwo hin zu fahren, sein*ihr 161-T-Shirt zu präsentieren und dann mit dem Gefühl „Mensch hat ja heute wieder was gegen die Nazis gemacht, aber die blöden Bullen haben uns einfach nicht durchgelassen“ nach Hause zu fahren und abschließend in der Zecken-Stammkneipe ein Bier zu trinken.


Klar ist, dass immer ein Risiko besteht Verletzungen oder eine Anzeige zu bekommen. Klar ist auch, dass es Menschen gibt die das aus persönlichen Gründen nicht riskieren können_wollen. Außerdem ist klar, dass nicht alle Protestierende den gleichen Erfahrungsstand haben. Aber jede*r Einzelne von uns ist in der Verantwortung, das eigene Wissen mit Unerfahreneren zu teilen. In dieser Position könnten Situationseinschätzungen weitergegeben, mögliche Aktionsformen aufgezeigt, und dadurch erfolgreichere Gegenproteste ermöglicht werden. Und die Unerfahreneren (und nicht nur die) sollten sich organisieren und aktiv werden, örtliche Stukturen und Angebote nutzen sowie Wissens- und Praxisweitergabe erfragen und sich dabei nicht von möglicherweise elitärem oder konspirativem Auftreten abschrecken lassen. Es gibt keine dummen Fragen und mensch lernt niemals aus.


Auch ist es uns wichtig Militanz nicht nur auf einer persönlichen Ebene zu verhandeln. Nicht umsonst haben wir Antirepressionsstrukturen und Freund*innen die uns unterstützen. Es ist sicher nicht angenehm die eigene Komfortzone zu verlassen. Aber mal ehrlich: Wo in Deutschland oder in anderen Ländern ist es denn für linke Aktivist*innen wirklich angenehm? Und gab es jemals einen Punkt in der Geschichte wo es einfach war links* zu sein?


Motivation kann nicht sein, dass wir uns einfach in unserer Szene so wohl fühlen und wir aus so einer Art Gruppenzugehörigkeit die zwei großen, festen Nazidemos in MV mitnehmen. Sondern weil wir uns als politische Menschen verstehen, die was gegen die Gesamtscheiße haben. 

 

@Orga-Struktur 

Bestimmt gibt es Dinge, die ihr besser machen könnt. Wir vertrauen euch aber mal, dass ihr die Ergebnisse selbst ganz gut evaluiert bekommt. An dieser Stelle wollen wir deshalb einfach mal ein „Danke!“ aussprechen. Danke, für die Strukturen an diesen Tagen und davor; für die vielen Plakate, die die Städte verschönert haben, die Mobi-Veranstaltungen, die organisierten Busse und Ticker-Accounts, die uns auf dem Laufenden gehalten haben. Das alles ist nicht selbstverständlich und das alles muss organisiert werden. Und wir nehmen mal an, dass ihr keine Festanstellung beim AntiFa e.V. habt. Wir schreiben das, weil eigentlich immer, auch aus eigener Erfahrung, viel negative Kritik zurückkommt. Da hat sich dann der Ticker bei den Nazis verzählt und es waren 221 und nicht 222, die geschmierten Brötchen hatten nicht den Lieblingsaufstrich oder die Aktionskarte war nicht in Farbe gedruckt. Oft, und das bezieht sich auf den gesamten Szenekontext, wird die Arbeit hinter all der Infratuktur nicht gesehen oder als selbstverständlich wahrgenommen.


Trotz all der Vorbereitungen kann aber auch die beste Orga-Struktur Naziaufmärsche nicht im Alleingang verhindern. Dazu braucht es sehr viele mehr, die sich informieren, vorbereiten, und am Tag selbst entschlossen handeln. Alles kann euch nicht abgenommen werden, ein wenig muss dann doch jede*r Einzelne dazu beitragen. 

 

Fazit 

Ganz kurz. Bullen sind scheiße und sie werden es bleiben. Sie werden auch in der Zukunft Konzepte entwickeln um Naziveranstaltungen zu schützen. Es werden vermutlich nicht weniger und sie werden auch nicht ihre Ressourcen und Ausrüstung zurückfahren. Daran können wir vermutlich in naher Zukunft nichts ändern. Aber der wichtige Punkt: Sie machen Fehler. Und die Lücken in ihren Konzepten können wir ausnutzen. Könnten wir ausnutzen wohl eher. Zuerst einmal müssen wir uns wohl noch über unsere eigenen Komfortzonen unterhalten und was es eigentlich bedeutet, zu Anti-Nazi Protesten zu fahren.


Wir haben diesen Text bewusst pöbelig und polemisch geschrieben, um eine Debatte anzustoßen. Einen Diskurs, der übrigens nicht nur in MV geführt werden darf. Fühlt euch bitte nicht zu sehr angegriffen. Aber auch nicht zu wenig. Wir wollen hier keine apokalyptischen Szenarien heraufbeschwören, aber angesichts des sogenannten „Rechtsrucks“ ist es enorm wichtig, handlungsfähig zu bleiben und alles aufzubieten, was wir neofaschistischen Tendenzen entgegenzusetzen haben. Sonst ist ein „nie wieder“ zwar schön dahingesagt, aber wie wahrscheinlich ist dann die Durchsetzung dessen?

 

Mehrere Antifaschist*innen.

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Erstmal danke für den in großen Teilen absolut richtigen und gut formulierten Text. Aber leider bleibt der nächste Schritt nebulös. Wie schaffen wir es Strukturen zu schaffen,

 

in denen Menschen nicht event-mäßig anpolitisiert werden (wie bei der IL), sondern wirklich tief in Diskurse und Arbeit einsteigen,

 

die gewährleisten, dass auf Demos wirklich konsequent und dabei solidarisch agiert wird,

 

die auch abseits von Grossaktionen kontinuierliche Arbeit leisten (im Bereich Antifa vor allem Recherche und Aktion)?

 

Da wird leider ein Appell (so richtig er ist) nicht ausreichen. Dieses Problem ist wohl gerade das drängenste der deutschen Linken. Wenn darauf eine Antwort gefunden werden würde, würden viele Probleme gelöst werden können. Außerdem hätte es dann das Potential sich endlich von einer Szene zu verabschieden und in eine ernsthafte gesellschaftliche (Gegen-) Bewegung einzusteigen.

Vielen Dank für diese wichtige Kritik!

 

Jetzt gilt es diese Kritik in unsere Strukturen zu tragen um gemeinsam zu überlegen, was wir ändern können.

In eurer guten Kritik habe ich doch das Gefühl, ihr verkennt einige Ausgangspunkte oder zeichnet an mancher Stelle ein zu romantisches Bild. Zunächst zu eurer Publikumsbeschimpfung: in einem Bundesland wie MV halte ich jede_n Nicht-Rechten, welche_r bereit ist, sich einem Naziaufmarsch entgegenzustellen, und sei es nur pöbelnd am Rande, sei es nur mit dem schicken Szeneshirt für einen Gewinn. Denn, eurer These eines Rechtsrucks kurz folgend, das ist doch schon Ausdruck von Haltung.

Zudem fehlt es hier an breiter Zivilgesellschaft, an Menschen, die bereit sind, Haltung zu zeigen, oder deren Bereitschaft Haltung zu zeigen, unter massiver Polizeigewalt erstickt wurde. Ihr schreibt wissend davon, dass es ein Problem mit der Polizei gibt in diesem Bundesland, dennoch zeichnet ihr zugleich eine sehr romantische Vorstellung von Auseinandersetzungen. Besonders fehlt aber eine Erkenntnis in eurer Kritik, nämlich das die Verhinderung von Naziaufmärschen in diesem Bundesland weder politisch noch polizeilich gewollt sind.

Und das bringt die Frage ins Spiel welchen Mehrwert würde es bedeuten, wenn die wenigen mit Haltung, motivierter an die Sache gehen würden? Über andere Wege zu reden, hieße eben auch, sich zu fragen, ob gerade im Mai dieses traditionelle Geschehen noch zeitgemäß ist. Ist die massenhafte Mobilisierung, die vielleicht dazu führen kann, dass ein Naziaufmarsch zu einem höheren Preis durchgesetzt wird (und die Frage wäre noch, wer eigentlich den höheren Preis am Ende zahlt), wirklich die Antwort? Fallen uns wirklich keine anderen Möglichkeiten mehr ein als Gegenproteste? Gerade die beiden Tage im Mai bieten auch Raum für eigene Inhalte, und die Nazis leben auch an allen anderen Tagen in diesem Bundesland, eine Auseinandersetzung mit ihnen braucht also nicht zwingend ihre Demonstrationen. Zu fragen wäre also, ob ein anderer Weg nicht heißen kann, das Hamsterrad der Gegenproteste zu verlassen