Der Berliner Staatssekretär Andrej Holm machte bei einer Bewerbung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität falsche Angaben: Er verneinte, für die Stasi tätig gewesen zu sein.
Von Dirk Banse, Martin Lutz, Uwe Müller
Der Regierende Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) greift schon vorsichtig nach der Reißleine. Offiziell stellt er sich zwar noch hinter das umstrittenste Mitglied seiner Regierung: Andrej Holm, den die Linkspartei als Müllers Koalitionspartner als Staatssekretär für Wohnen durchgedrückt hat. Der 46-Jährige steht in der Kritik, weil er im September 1989 hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geworden war. Da sei doch nichts weiter, „was man ihm vorwerfen kann“, sagte Müller. Und sichert sich ab: „Wenn es dabei bleibt, was wir bisher wissen.“
Bleibt es aber nicht. Wie die Humboldt-Universität am Mittwoch auf eine Anfrage der „Welt“ mitteilte, hat Holm in einem Personalfragebogen geleugnet, einst für die Stasi tätig gewesen zu sein. Aus seiner von der Stasi-Unterlagen-Behörde an die Presse herausgegebenen Kaderakte geht jedoch eindeutig hervor, dass er hauptamtlicher MfS-Angehöriger der Bezirksverwaltung Berlin gewesen war.
Damit konfrontiert, lud Holm am Mittwochnachmittag überraschend die Presse ein. Er teilte mit, dass er erst kürzlich Einsicht in seine Kaderakte genommen habe. In einer zeitgleich verteilten Stellungnahme heißt es über Holm: „Mit den dort gegebenen Informationen zu seiner damaligen Zuordnung als Offiziersschüler und Dienststelle hat er umgehend sowohl die Humboldt-Universität und den Senat informiert und entsprechend angepasste Lebensläufe übermittelt.“
Eine klare Kehrtwende. Fakt ist: Plötzlich steht der Verdacht des Anstellungsbetruges im Raum. Von diesem Vergehen ist die Rede, wenn sich ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag aufgrund falscher Tatsachen erschleicht. Dazu zählt auch, wenn er bei seiner Bewerbung Fakten unterschlägt, die möglicherweise gegen seine Anstellung sprechen. Der Arbeitgeber – das ist im Fall von Holm die Berliner Humboldt-Universität. Und der Vorwurf falscher Angaben bezieht sich auf den früheren Umgang des frisch gekürten Staatssekretärs mit seiner Stasi-Biografie.
Holm schwindelte offenkundig beim Stasi-Check
Nach seiner Zeit beim SED-Geheimdienst, dem Holm fünf Monate lang als Offiziersschüler diente, studierte er zunächst Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität. Dort promovierte der Ostdeutsche 2005. In diesem Jahr reichte er seine Bewerbungsunterlagen als wissenschaftlicher Mitarbeiter ein. Die Berliner Universität verlangt von ihrem Personal, einen Bogen auszufüllen, in dem Fragen nach einer Stasi-Mitarbeit beantwortet werden müssen. Die Selbstauskünfte müssten „wahrheitsgemäß“ erfolgen: „Falsche oder unvollständige Angaben können zur Anfechtung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.“
Bei diesem Stasi-Check hat Holm offenkundig geschwindelt. Das legt eine Auskunft der Universität nahe. Am 15. Oktober 2005 beantwortete Holm laut Humboldt-Universität die Frage, ob er für das MfS tätig gewesen sei, mit Nein. Ebenfalls mit Nein beantwortete er die Frage, ob er eine Verpflichtungserklärung zur Zusammenarbeit mit der Stasi unterschrieben habe. Beide Fragen hätte er wahrheitsgemäß mit Ja beantworten müssen. Doch Holm gab stattdessen eine Grundausbildung beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ an. In der DDR war es nicht unüblich, dass junge Männer einen dreijährigen Wehrdienst statt in der NVA beim MfS-Wachregiment leisteten.
Doch das trifft laut den Stasi-Dokumenten zweifelsfrei nicht auf Holm zu. Demnach war Holm Offiziersschüler in der MfS-Bezirksverwaltung Berlin. Seine Diensteinheit dort war die sogenannte Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG), die Informationen auch über Oppositionelle bündelte und daraus Handlungsempfehlungen ableitete. Später sollte Holm im MfS-Auftrag in die Redaktion der FDJ-Zeitung „Junge Welt“ eingeschleust werden und unter dieser Legende das Studium der Journalistik aufnehmen.
FDP bringt Abberufung ins Spiel
Die Universität teilte der „Welt“ weiter mit, dass Holm seine Angaben aus dem Jahr 2005 erst jüngst in einem Punkt entscheidend korrigiert hat. Am Dienstag reichte er eine veränderte Passage seines Lebenslaufs nach. Danach will er nun doch „Dienst als Offiziersschüler in der Berliner Bezirksverwaltung des MfS“ geleistet haben.
„Wenn sich bei Andrej Holm der Verdacht eines Anstellungsbetruges oder einer arglistigen Täuschung erhärtet, dann ist das ein weiterer Grund, ihn als Staatssekretär abzuberufen. Holm macht in seiner ganzen Vita deutlich, dass er das Wertesystem und die Grundordnung der Bundesrepublik ablehnt“, sagte der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja der „Welt“. Der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu sagte der „Welt“: „Die Aussage, Andrej Holm sei mit seiner Vergangenheit immer transparent umgegangen, trifft offenbar auf das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber nicht zu.“
Unterdessen hat die Humboldt-Universität die Stasi-Unterlagen-Behörde um Auskunft zu Holm gebeten. Aktuell ist der Soziologe noch Angestellter der Hochschule und wegen seiner politischen Funktion lediglich beurlaubt. Holm hat am Dienstag seine Ernennungsurkunde als Staatssekretär bei der Senatorin Katrin Lompscher (Linke) erhalten.