Berlin: »Der 1. Mai ist für alle da« - Interview mit Aktiven

Erstveröffentlicht: 
30.04.2016

Linksradikale und Gewerkschafter diskutieren über die Verstetigung sozialer Kämpfe über den 1. Mai hinaus


Hannah Schuster, David Fischer und Marko Lorenz über den Revolutionären 1. Mai, die Gewerkschaften und die Frage, ob sich der Arbeiterkampftag zum popkulturellen Event ohne Verstetigung entwickelt hat.

 

Herr Lorenz, wird es knallen?
Lorenz: Das weiß ich nicht.

Halten Sie es für politisch legitim, wenn am 1. Mai Steine gegen Polizisten fliegen?
Lorenz: Wir leben in Verhältnissen, die auf Gewalt aufbauen. Wenn es dagegen Widerstand gibt, ist das zu begrüßen. In welcher Form auch immer. Die Diskussion um fliegende Steine ist aber ein Nebenschauplatz. Unser Ziel ist eine kraftvolle Demonstration mit einem starken politischen Ausdruck.

Schuster: Der Block der Interventionistischen Linken ist offen. Wir wollen darin die Vielfalt der Kämpfe zeigen. Wie Menschen ihre Wut artikulieren, ist aber ganz unterschiedlich. Das wissen auch wir.

Wie artikuliert die DGB-Jugend ihre Wut?
Fischer: Im Jugendblock auf der DGB-Demo wird unsere Kritik am System etwas radikaler formuliert als bei den »Erwachsenen«. Aber es wird auch getanzt und gefeiert.

Warum beteiligt sich der DGB nicht an der Revolutionären Demonstration?
Fischer: Gewerkschaften sind nun einmal nicht revolutionär, sondern reformistisch. Das ist ein legitimer Ansatz. Auch jeder Kampf um eine Betriebsvereinbarung über bessere Arbeitsbedingungen ist eine Klassenauseinandersetzung, und Kompromisse müssen stets aufs Neue erkämpft werden.

Mehr Arbeiter sind beim DGB organisiert, nicht in der radikalen Linken. Wer aber ist der bessere Klassenkämpfer?
Fischer: Es gibt verschiedene Arten, zu kämpfen, und verschiedene Orte. Die einen kämpfen im Kiez gegen steigende Mieten, die anderen in den Betrieben. Wir versuchen, Prekarität über Tarifverträge zu beseitigen. Man muss allerdings selbstkritisch eingestehen, dass wir in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren haben.

Lorenz: Das hat aber Gründe. Unser System heißt Kapitalismus, weil das Kapital regiert! Das sitzt am längeren Hebel - solange die Gewerkschaften das akzeptieren.

Sie halten also nicht viel von Gewerkschaften?
Lorenz: Damit Gewerkschaften funktionieren, braucht es den Druck von der Basis, den Klassenkampf weiter zu forcieren. Wie der »Klassenkämpferische Block« auf der DGB-Demo, den wir seit Jahren unterstützen. Ein Tarifvertrag ist eine gute Sache, aber revolutionäre Politik muss darüber hinaus gehen.

Schuster: Gewerkschaften sind unterschiedlich. Teils sind sie für uns verlässliche Partner, teils geht uns ihre Politik nicht weit genug. 2006 waren sie auf eine Sozialpartnerschaft aus, die für den Wettbewerbsstandort Deutschland gekämpft hat. Prekarität wurde hingenommen. Wir haben uns selbst organisiert. Zum Beispiel im Mayday.

Und wieso haben Sie den Mayday 2010 wieder fallen gelassen?
Schuster: Unser Ziel war eine Organisierung der Prekären, über die Mayday-Parade hinaus. Wir wollten das Ritual der 18-Uhr-Demo aufbrechen, aber nach einigen Jahren wurde der Mayday selbst zum Ritual.

Lorenz: Der Mayday war ein popkulturelles Ereignis, das sich nur um die Umformung des Arbeitsmarktes hin zu Werkverträgen drehte. Es wurde sich aber nicht getraut, den nächsten Schritt zu gehen, und zu sagen: Die Organisierung muss innerhalb der Gewerkschaften stattfinden.

War der Mayday ein popkulturelles Ereignis, Frau Schuster?
Schuster: Die Form einer Parade haben wir gewählt, weil sie dem großen Teil der Menschen außerhalb der linken Szene zugänglicher war als die 18-Uhr-Demo. Es gab aber nicht nur Party, sondern auch Aktionen des zivilen Ungehorsams. Zum Beispiel sind 2009, als die Krisen- und Sparpolitik der Regierung voll zuschlug, Farbbeutel gegen das Finanzministerium geflogen.

Fühlen sich Prekarisierte nicht in der Gewerkschaft aufgehoben?
Fischer: Für die Gewerkschaften ist Prekarisierung durchaus ein Thema. Vor allem seit der Agenda 2010 kämpfen wir gegen Zersplitterung, Vereinzelung, fehlenden Zusammenhalt und die Deregulierung am Arbeitsmarkt. Aber unsere Erfahrung ist, dass sich gerade Prekarisierte oft gar nicht organisieren.

Zuwachs verzeichnet trotzdem die 18-Uhr-Demo, während die DGB-Demo schrumpft. Wieso ist das so?
Lorenz: Weil die Revolutionäre Demo einen klaren radikalen Anspruch hat. Die Verhältnisse haben sich zugespitzt, und die Leute suchen nach einem Ort, der immer konsequent antikapitalistisch war. Das hat die Demo so attraktiv gemacht.

Ist das der Grund, warum die IL jetzt auch mitmacht?
Schuster: Wir machen mit, um der Demo einen neuen Ausdruck zu geben: Offener, zugänglich für Menschen außerhalb der linken Szene.

Lorenz: Aber wo war unsere Demonstration in den vergangenen Jahren nicht zugänglich für andere Leute?

Fischer: Zum Beispiel letztes Jahr: Die Demo geht los, der Schwarze Block stürmt in einem Mordstempo voran...

Lorenz: Das ist die revolutionäre Ungeduld!

Fischer: Die Demo zog sich dadurch auseinander. Manche fragten sich, ob es überhaupt sinnvoll ist, dem Block hinterher zu rennen. Es gehen schon viele Kollegen auf die 18-Uhr-Demo. Aber viele fragen sich hinterher auch, ob es sich gelohnt hat.

Schuster: Wenn man selbst aus der Szene kommt, erkennt man eine gewisse Öffnung der Demo. Es gibt nicht mehr den großen Schwarzen Block, nicht mehr die Straßenschlachten. Aber die Demo ist noch immer ausschließend. Organisierte Linke laufen in ihren Blöcken, mit Organisationsfahnen und Transparenten an den Seiten. Die Massen laufen rechts und links nebenher und sind enttäuscht.

Sie organisieren aber auch einen Block, den Sie »Für Alle« nennen. Funktioniert der anders?
Schuster: Der »Für Alle«-Block ist offen und zugänglich. Er ist bunt und hat keine Transparente an den Seiten. Es sollen alle mitmachen: Alle, die auf die Unsicherheit nach der Krise oder auf die rassistische Hetze mit Solidarität antworten.

Um Solidarität geht es auch beim DGB. Der Aufruf »Zeit für mehr Solidarität« meint vor allem Geflüchtete.
Fischer: Die eisige Kälte, der Hass, der Geflüchteten entgegenschlägt, entsetzt auch die Kolleginnen und Kollegen. Viele engagieren sich in Willkommensinitiativen. Es ist Zeit für ein progressives soziales Projekt, in dem eine demokratische und solidarische Gesellschaft im Mittelpunkt steht. Für alle müssen gleiche Rechte gelten, Ausnahmen im Mindestlohn akzeptieren wir weder für Flüchtlinge noch für Langzeitarbeitslose.

Finden am 1. Mai viele junge Leute »Revolution« attraktiver als ein »progressives soziales Projekt«?
Fischer: Die abendliche Demo scheint erst einmal radikaler. Aber auch Gewerkschafter kämpfen hart in den Betrieben. Man fasst uns nicht gerade mit Samthandschuhen an. Betriebsräte werden gemobbt bis hin zu körperlichen Übergriffen.

Es gibt seit ein paar Jahren ein neues Ritual am 1. Mai: Das Myfest. Die RLB sieht das nicht gerne. Warum?
Lorenz: Das Myfest ist eine von Senat und Bezirk veranstaltete Gegenveranstaltung zum revolutionären 1. Mai.

Darf am 1. Mai nicht gefeiert werden?
Lorenz: Doch, der 1. Mai ist Kampf- und Feiertag, beides muss seinen Platz haben. Aber als Kiezfest, bei dem die lokale Bevölkerung ihren politischen Ausdruck finden kann und respektvoll miteinander umgeht. Und nicht als Ballermann.

Fischer: Das Myfest ist ein einziges Saufgelage geworden. Aber es gibt auch noch das Fest auf dem Mariannenplatz, das von politischen Initiativen organisiert wird. Das ist auch für Gewerkschaften interessant.

Wieso beteiligt sich die DGB-Jugend an keiner der Veranstaltungen in Kreuzberg?
Fischer: Das scheitert schlicht am personellen Aufwand. Wir organisieren sowohl die DGB-Demonstration in Mitte mit, als auch das Maifest auf der Straße des 17. Juni. Da müssen alle mit anpacken.

Würde sich die DGB-Jugend bei genug Personalstärke an der 18-Uhr-Demo beteiligen?
Fischer: Nein. Aufgrund des militanten Rufs der Demo ist das nicht vermittelbar. Aber es gibt immer wieder Diskussionen. Die ver.di-Jugend hat sich ja mehrmals mit einem eigenen Lautsprecherwagen beteiligt. Ob und inwieweit man mit Linksradikalen zusammenarbeitet, diese Diskussion ist ja so alt wie der DGB selbst.

Hätte die Revolutionäre 1. Mai Demonstration die DGB-Jugend denn gerne dabei?
Lorenz: Der 1. Mai ist für alle da. Wenn der DGB sich entschließt, verstärkt auf Klassenkampf zu setzen und sich für eine sozialistische Gesellschaft einzusetzen, die ohne Privateigentum und nicht auf der Grundlage des Verkaufs der Arbeitskraft funktioniert, dann wäre unsere Demo für den DGB der normalste Platz der Welt. Aber das ist nun einmal nicht so.

Sind die Veranstaltungen am 1. Mai nicht auch ein popkulturelles Event ohne Verstetigung?
Lorenz: Es spricht doch nichts dagegen, am 1. Mai - das Wetter ist schön - gemeinsam auf die Straße zu gehen. Und zwischen den 1. Maien findet ja auch eine politische Auseinandersetzung statt.

Fischer: Für die Gewerkschaften gibt es eine Verstetigung des politischen 1. Mai - in den Betrieben, für andere in den Kiezen, in Bündnissen, Initiativen.

Schuster: Revolutionäre Kämpfe hängen nicht an einem Datum. Aber die Tradition hilft uns, an einem Tag das zu finden, was uns eint. Unsere Stärke zu finden. Das ist Sinn und Zweck des 1. Mai.

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Gutes Gespräch. Von allen drei Teilnehmer*innen.

Und alle heraus zum 1. Mai in Berlin. Spannend wird es pünktlich um 18 Uhr auf dem O-Platz in Berlin-Kreuzberg, wo sich alle versammeln sollen, um gegen das Demoverbot zu protestieren. Der Revolutionäre 1. Mai in Berlin stellt 2016 nämlich die Demokratiefrage!

 

https://erstermai.nostate.net/wordpress/

Twitter: @Rev1MaiBerlin

Hashtag: #R1MB

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hier wurd eetwas vergessen, nämlich die gewerkschaft, ja genau die gewerkscht:

 

FAU

 

100 Jahre GDB tuen dem Kapital nich weh!