Der Nationalsozialistische Untergrund – eine Baustelle des vom Geheimdienst geführten V-Manns Ralf Marschner

V-Mann Ralf Maschner

Ralf Marschner war Mitglied einer Skinhead-Band und lebte bis 2007 in Zwickau. In den 90er Jahren unterhielt er in Zwickau mehrere neonazistische Szeneläden, u.a. ‚The Last Resort Shop’ und ‚Heaven & Hell’. Marschner gehört zum Umfeld des deutschen Ablegers von ›Blood & Honour‹. Außerdem war er Besitzer eines Zwickauer Bauunternehmens: ‚Bauservice Marschner’.


Der Neonazi mit dem Rufname ‚Manole’ spielte nicht nur in der Neonaziszene eine führende Rolle. Er war seit 1992 V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz/BfV.

Sein Deckname ‚Primus’ ist keine Übertreibung: Marschner wird von seinem V-Mann-Führer mit dem Decknamen Richard Kaldrack beim Bundesamt für Verfassungsschutz als “die einzige wirklich relevante Quelle in dem subkulturellen Bereich in den neuen Bundesländern” (Zeugenvernehmung im Mai 2013 vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss) beschrieben. Laut eines internen Vermerks des BfV sollte der Neonazi Marschner als "Kristallisationspunkt" (Bild am Sonntag vom 17.4.2016) aufgebaut werden.

Das ist ihm – in jeder Hinsicht - gelungen.

In seinem Bauunternehmen ‚Bauservice Marschner’ beschäftigte er Uwe Mundlos von 2000 bis 2002, also in jener Zeit, als Uwe Mundlos für Geheimdienst und Strafverfolgungsbehörden als „untergetaucht“ und nicht auffindbar deklariert wurde.

Dies bestätigte der Bauleiter Ernst, der mit Marschner zusammen Aufträge abwickelt hatte, gegenüber dem Welt-Rechercheteam. Dieses legte dem Bauleiter Bilder von Uwe Mundlos vor, den er sofort und sicher wiedererkannte. Dass er Uwe Mundlos damals nur als „Max-Florian Burkhardt“ kannte, erhärtet seine Aussage, denn Uwe Mundlos nutzte im „Untergrund“ die Identität von Max-Florian Burkhardt.  

Marschner und Mundlos kannte sich aus Zwickau sehr gut:

Im Dezember 2011 hatte sich ein Neonazi bei den Behörden gemeldet und berichtet, dass er Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereits 1998 in Thüringen gemeinsam mit Marschner gesehen habe.“ (Welt am Sonntag, s.o.)

In seiner Firma war Uwe Mundlos die ‚rechte Hand’ des Chefs. Marschner selbst will 2013 in einer Nach-Vernehmung Uwe Mundlos nicht gekannt und eingestellt haben. Der ‚Max-Florian Burkhardt’, der über zwei Jahre sein Vorarbeiter gewesen war, sei ein anderer.

Dass der Neonazi und V-Mann Marschner quasi Arbeitgeber des NSU war, wenn man der Trio-Version folgt, macht ein weiteres Detail deutlich: Er beschäftigte nicht nur Uwe Mundlos als ‚rechte Hand’ seines Bauunternehmens. Er gab auch Beate Zschäpe ein legales Standbein. In seinem Nazi-Laden ‚The Last Resort Shop’ in Zwickau hatte er sie als Verkäuferin beschäftigt. Das hatten Zeugen bereits vor Jahren erwähnt. Nun kommt noch besagter Bauleiter Ernst dazu:

Aufgerüttelt durch diese Berichterstattung, erinnerte sich, wie er aussagte, auch Bauleiter Ernst an eine Begegnung mit Beate Zschäpe. Er habe im Zeitraum 2002 oder 2003, nachdem Marschners Bau-Service pleitegegangen war, Manole in der Zwickauer Kreisigstraße vor dessen Szeneladen ‚The Last Resort Shop’ getroffen und Marschner habe ihn mit hineingenommen. ‚Er wollte mir ganz stolz seinen Laden zeigen’, beschreibt Ernst seine Erinnerungen gegenüber der ‚Welt am Sonntag’, ‚und da stand die Frau, die dann später als Beate Zschäpe durch die Medien ging, hinter der Kasse und hat bedient’." (Welt am Sonntag vom 17.4.2016) 

Wenn die V-Mann-Akten von ‚Primus’, die Treffberichte, die Wertungen des V-Mann Führers eine politische und berufliche Verbindung zu Uwe Mundlos und Beate Zschäpe überprüfbar ausschließen könnten, gäbe es sie heute noch. Aber sie wurden vernichtet.

Dass dies kein „bedauerlicher Zufall“ ist, sondern für alle Akten von V-Männern gilt, die im Nahbereich des NSU aktiv waren, lässt sich mit Systematik besser begreifen. Und dies ist nicht nur systemisch gemeint, sondern auch ganz personell:

„Schon Marschners V-Mann-Führer Kaldrack ist offenbar eine der zentralen Figuren des NSU-Komplexes. Kaldrack war in der BfV-Abteilung Rechtsextremismus/-terrorismus im sogenannten Bereich Beschaffung nicht nur V-Mann-Führer von Ralf Marschner, sondern auch von Mirko Hesse, Deckname "Strontium", und von Thomas Richter, Deckname "Corelli".“ (welt.de vom 6.4.2016)

 

Laut der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfang 2016 gestellten Anfrage von Martina Renner, Mitglied im Innenausschuss, wären die Treffberichte von V-Mann Marschner und seine Personakte bereits 2010 beseitigt worden. Die Aufforderung, die Rekonstruktion der Akten zu betreiben, wurde mit der Begründung abgelehnt, dies zu unterlassen, sei – wieder einmal – zum „Schutz des Staatswohls“ notwendig.

 

 

Die Generalbundesanwaltschaft als dritter Mann der „Trio-Version“

Aufgrund der Fülle bekannt gewordener Fakten, dass der Neonazi und V-Mann Marschner nicht nur Autos an den NSU verliehen, sondern Uwe Mundlos und Beate Zschäpe auch beschäftigt hatte, wollte die Nebenklage diesen V-Mann im Prozess in München als Zeugen laden.

Angesichts der Dichte der Zeugenaussaussagen eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nicht für die Generalbundesanwaltschaft. Diese lehnte das Ansinnen der Nebenanklage ab. Das ist mehr als verständlich, denn sie möchte ihre Verschwörungstheorie, die aus dem NSU – einem „Netzwerk von Kameraden“ - ein Trio kreierte, nicht weiter gefährden. Die Begründung ist nicht nur politisch, sondern auch verfahrenstechnisch unhaltbar: Der Neonazi und V-Mann Marschner sei als Zeuge für das Verfahren in München irrelevant. Das Gegenteil ist der Fall. Erst eine öffentliche Zeugenvernehmung könnte die Fragen beantworten: Lügt der V-Mann Marschner, wenn er bis heute behauptet, die drei namentlich genannten NSU-Mitglieder nicht gekannt zu haben?

Wenn diese Ahnungslosigkeit nicht haltbar ist, dann stellt sich die Frage: Warum hat ein V-Mann zwei Jahre lang abgetauchte Neonazis beschäftigt, ohne dass dies vonseiten des Geheimdienstes dazu genutzt wurde, diese festzunehmen?

Die Generalbundesanwaltschaft weiß um die Gefahr, die mit einer tatsächlichen Aufklärung einherginge. Reif für ‚die Anstalt’ behauptet diese am 20.4.2016 in München – unter Zeugen:

"Wenn ein V-Mann an den Taten beteiligt gewesen wäre, hätten wir ihn eingesperrt und angeklagt. Wir haben überhaupt keinen Anlass, Angehörige anderer Behörden zu schützen, wenn sie in strafrechtlich relevanter Weise tätig waren. Es gibt keinen Grund, etwas zu vertuschen." (Bundesanwalt Diemer, sueddeutsche.de vom 20.4.2016)

 

Man kann es auch proaktiv auflösen: Es geht bei dem V-Mann Marschner wie bei vielen weiteren V-Männern, die den Untergrund des NSU mit ausgestattet und versorgt hatten, um „eine kausale Mitverursachung der Tat durch staatliche Stellen“. Wenn dies der Fall wäre, dann würde das sehr wohl auf das Verfahren in München Einfluss nehmen: Es könnte und müsste sich strafmildernd auf die Angeklagten auswirken.

Dass dies nur ein unerfreulicher Nebeneffekt wäre, weiß die Generalbundesanwaltschaft nur zu gut. Würden die Zeugenaussagen des V-Mannes, des Bauleiters und anderer Zeugen in den Prozess in München einfließen, und das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass der V-Mann Marschner wissentlich ein Mitglied des NSU beschäftigt hatte, dann stände das Gewährenlassen des Geheimdienstes im Mittelpunkt:

Lässt man die vielen anderen „heißen Spuren“ beiseite, die seit 1998 zu den abgetauchten Neonazis führten, so hätte der Geheimdienst über das Abschöpfen des V-Mann „Primus“ die Möglichkeit gehabt, Uwe Mundlos und ggf. Beate Zschäpe festzunehmen.

Dass dieses Geheimdienstwissen seit Beginn der Mordserie im Jahr 2000 den Tatbestand der Beihilfe zu Mord erfüllt, wissen die Führungsetagen im Geheimdienst sehr wohl.

 

Wolf Wetzel

Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund - wo hört der Staat auf? 3. Auflage, Unrast Verlag 2015

 

All das sollte ein Grund mehr sein, die politische Recherche selbst zu betreiben, um die Frage beantworten zu helfen: Gibt es Fotos von Naziaufmärschen, auf denen Marschner, Uwe Mundlos bzw. Beate Zschäpe zu sehen sind? Gibt es andere Dokumente, die belegen helfen, dass sie sich kannten?

All das kann übers Postfach des Blogs (ggf. mit Verschlüsselung) geschickt werden: www.wolfwetzel.wordpress.com

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Lässt man die vielen anderen „heißen Spuren“ beiseite, die seit 1998 zu den abgetauchten Neonazis führten, so hätte der Geheimdienst über das Abschöpfen des V-Mann „Primus“ die Möglichkeit gehabt, Uwe Mundlos und ggf. Beate Zschäpe festzunehmen.

 

Eben nicht. Geheimdienste dürfen in der Bundesrepublik niemanden festnehmen, das ist Aufgabe der Polizei. Wir sollten vorsichtig sein, den Geheimdiensten polizeiliche Befugnisse zu wünschen, oder umgekehrt der Polizei geheimdienstliche.

Nicht zu vergessen: wir reden hier von 1998-2002, zu einer Zeit also, als der Datenaustausch zwischen Geheimdienst und Polizei noch erheblich eingeschränkter war als heute.

 

Die einzig richtige Konsequenz aus der Mitwirkung des VS am Entstehen des NSU ist die - ersatzlose - Auflösung der so genannten Verfassungschutzämter.