Frankfurt am Main: Kämpfe für ein selbstbestimmtes Studium

Gegen Anwesenheitslisten im Studium

"Der Fachbereichsrat des Fachbereichs Sozialarbeit empfiehlt die Studierenden an ein selbständiges und eigenständiges Studium heranzuführen und deshalb auf Anwesenheitslisten zu verzichten." So lautete der Beschluss des Fachbereichsrat des FB Sozialarbeit der Fachhochschule Frankfurt am Main vom 25.11.1998. Fortschrittliche Professor/innen und Student/innen des Fachbereichs haben diese Entscheidung erwirkt, nachdem einige jüngere Professorinnen stillschweigend in ihrem Seminaren das Führen von Anwesenheitslisten eingeführt haben.

 

Die FH Frankfurt hatte auf dem Gebiet der sozialen Arbeit einen hervorangenden Ruf. In den 1970er Jahren kamen viele fortschrittliche Professor/innen an den Fachbereich. Auf Wunsch der Student/innen haben übrigens viele von ihnen (im Bereich "Wirtschaft und Gesellschaft") Marx-Lektürekurse im Lehrplan angeboten. Zu Zeiten des Widerstands gegen die Startbahn-West in den 1980er Jahren, so lautet eine Legende, sollen Student/innen auch mal einen Schein für ihren Kampf an der Stadtbahn erhalten haben. Bis Anfang der 2000er Jahre konnte man an der FH Frankfurt Sozialarbeit studieren - und das Studium mit einem Diplom abschließen. Dafür war kein Vordiplom notwendig. Lediglich ein Schein (Hausarbeit, Referat, Fachgespräch) in den vier Bereichen Sozialarbeit, Psychologie und Gesellschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, Recht führte nach zwei Jahren ins Hauptstudium. Die erste mündliche Prüfung gab es erst nach der Diplomarbeit: Es war die Abschlussprüfung, in der man seine Themen und seine Prüfer/innen relativ frei wählen konnte. Viele der Studienanfänger hatten eine Lehre, ein anderes (abgebrochenes) Studium hinter sich, hatten sich ihrer Familie gewidmet und so sehr viel Lebenserfahrung mitgebracht. Dann, in den 2000er Jahren, viele alte Professor/innen gingen in den Ruhestand, begann es auch in Frankfurt am Main mit dem Bachelor-Schmalspurstudium - und der Einführung von Anwesenheitslisten als Regel. Heutige Absolvent/innen sind teilweise erst 22 Jahre alt und werden schon in Sozialrathäusern auf Familien, die Hilfe benötigen, losgelassen. Die Familien werden fast von Kindern beraten, hört man heute entsetzt.

Es lohnt sich für heutige Kämpfe, in die Geschichte zurückzublicken, wie früher - nach der 1968er Revolte - vieles fortschrittlich organisiert wurde. Natürlich war auch das nicht alles das Gelbe vom Ei, aber es macht eine Perspektive auf, was einmal möglich war und was auch wieder möglich werden kann.

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An der FH Frankfurt am Main gab es auch Professor/innen, die frühere Gefangene aus der RAF gefördert haben, weil ihnen sonst ein Studium nicht möglich gewesen wäre. So hat zum Beispiel die Rosa-Luxemburg-Stiftung um das Jahr 1999 herum ein Sonderkonto bei der Berliner Sparkasse eingerichtet, um einem Menschen, der 13 Jahre unter Sonderhaftbedingungen inhaftiert war, den Abschluss des Studiums zu ermöglichen. Zu Spenden hatte neben FH-Professor/innen auch ein MdB der PDS aufgerufen. Heute würde man daraus einen Skandal machen können. Damals war so etwas üblich und zumindest für einzelne selbstverständlich.