Der Verfassungsschutz in Bayern entdeckt die Musik

Wie schlechte linke Reime den Verfassungsschützern die nötige Vorlage für ihre Totalitarismus-Theorie geben - Eine der zentralen Ideologiefragmente im deutschen Staatswesen ist das vom Totalitarismus. Diese Ideologie drückt sich im Hufeisenschema aus, nach dem es im politischen Leben die gute Mitte gibt, rechts und links aber Extrempositionen, die sich wie bei den beiden Enden eines Hufeisens fast wieder berühren, also irgendwie ganz nahe beieinander stehen. Um diese Ideologie von der guten Mitte und den schlechten sowie sich so unheimlich ähnlichen Extremen aufrecht zu erhalten, müssen gelegentlich auch Winkelzüge gemacht werden, die an die Quadratur des Kreises erinnern.

So werden zum Beispiel im Verfassungsschutzbericht 2015 für Bayern, der vor Kurzem herausgegeben wurde, aus genau diesem Grund auch zwei linke Musikgruppen erwähnt: Kurzer Prozess und vor allem Sans Frontières. Es lohnt sich, eine Stelle im Bericht über den Song „Revolte!“ genauer anzusehen. Denn dort wird ein offenbar beim Abhören eines Videoclips mitgeschriebener Textausschnitt so interpretiert:

 

18null3 Blockupy waren wir dabei, dort konnte man gut leben, heben Steine auf Bullenschwein. Wir ziehen auf die Straße um was zu verändern. Vermummt, autonom, wir sind nicht zu erkennen.

 

Was ich an gleicher Stelle höre:

 

18 03, Blockupy,

waren wir dabei.

Dort konnte man gut leben,

heben Steine auf.

Bullenschwein, wir zieh´n auf die Straße,

um was zu verändern.

Vermummt, autonom -

wir sind nicht zu erkennen.

 

Tatsächlich macht „heben Steine auf Bullenschwein“ noch weniger Sinn als die Drohung „Bullenschwein, wir zieh´n auf die Straße, um was zu verändern“. Ich finde also die zweite Version erheblich wahrscheinlicher. Allerdings wollte der VS wohl genau das haben, was er selbst interpretierte: Einen linken Aufruf, der sich nicht für Sachbeschädigung ausspricht, sondern für den Angriff auf Menschen (hier: Polizeibeamte). Genau damit kann die Gleichheit von linker und rechter Musik wieder glaubhaft imaginiert werden. Es bleibt aber eine Tatsache, dass sich rechte Szenemusik vor allem gegen konkrete Menschengruppen oder gar einzelne Personen richtet, die es zu vertreiben, zu schädigen, zu vernichten, zu ermorden gilt. Links ist die Sachbeschädigung gegen Banken, Bauzäune, Bundeswehrfahrzeuge, das (künftige) schönere Leben oder das Ende des Falschen der Inhalt der Kampfgesänge. Das macht einen Unterschied ums Ganze. Der VS weiß das und muss daher immer auf der Suche sein, auch Gewalt gegen Menschen in die Lieder der radikalen Linken hinein zu interpretieren. Nur dann kann er an dieser Stelle das Dogma von der Gleichheit der Linken und der Rechten aufrecht erhalten, die Ideologie von der guten Mitte und den bösen linken und rechten Rändern. Nur so kann er den Totalitarismus der Mitte verneinen, kann leugnen, dass z.B. die Übergriffe auf Flüchtlinge nur deshalb in so großer Zahl möglich sind, weil sie nicht nur von Nazis kommen, sondern auch bei denen Mittäterschaft oder zumindest Beifall finden, die sich sonst eher in der Mitte verorten – als Wählerinnen und Wähler von CDU/CSU und SPD, als Anhänger des nationalliberalen Flügels der FDP, als AfD-Fans (ja, auch die sehen sich in der Mitte der Gesellschaft) oder gar als SED-Romantiker in der Linkspartei, die das Homogene der DDR gerne wieder hätten.

 

Allerdings ist es mit den Kampfliedern – und um ein solches handelt es sich bei „Revolte!“ unleugbar – so eine Sache. Sie sind halt immer Scheiße, meist schlecht gemacht, literarisch wertlos, musikalisch belanglos, selbst die Besseren darunter leiden unter hohlem Pathos und nur mäßig gezügeltem Größenwahn, wenn sie „dem Feind“ alles nur Erdenkliche androhen. So ist es auch hier. Und wir können der Band bestenfalls ihre jugendliche Ungeduld und die entsprechend ungestüme Veränderungsabsicht zugute halten. Denn der pubertäre Gestus des Songs ist kaum aushaltbar, das Wort „Bullenschwein“ einfach unerträglich, steht es doch in der faschistischen Tradition, die Anderen, die selbst definierten Feinde zu Tieren herab zu würdigen, seien es Ratten, Schmeißfliegen, Heuschrecken oder eben Schweine. Wenn das von einer sich bewusst antifaschistisch gebenden Band kommt, dann stehen Anspruch und Realität in einem krassen Missverhältnis. Das ist das Problem an diesem Lied. Aber genau das interessiert den Verfassungsschutz nicht. Er instrumentalisiert den Song, weil er einfach nichts für ihn Besseres im linken Liedgut finden konnte.

 

Daraus aber lernen wir: Die Linke ist in ihren Songs nicht wirklich gewalttätig, sonst hätte der bayerische VS wahrlich bessere Beispiele finden müssen.

 

Links

Sans Frontières mit „Revolte!“: https://www.youtube.com/watch?v=yoWeBf8Q16k

VS-Bericht Bayern 2015:

 http://www.verfassungsschutz.bayern.de/mam/anlagen/vsb_2015_pressefassung.pdf

Der Autor:

 http://mapec.blogsport.de/

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Another Stein for the bullenschwein, basta!

bullshit,

 

gewalt gegen sachen ist in der linken (zum glück) nicht als universelle grenze anerkannt.

 

manchmal muss es auch gegen konkrete personen gehen. der unterschied zu rechter gewalt liegt jedoch darin, dass hier vor allem akteure in ihrem handeln gestoppt, aber nicht vernichtet werden sollen. außerdem richtet sich die eliminatorische gewalt der nazis in den allermeisten fällen nach 'unten', also gegen randgruppen, anstelle von autoritäten.

 

was kann man denn da machen, es geht mir auf den sack!

 

verbreite deinen ahnungslose hippiescheiss bitte nicht hier, vielen dank!

Daraus aber lernen wir: Die Linke ist in ihren Songs nicht wirklich gewalttätig

 

da kennst du aber linke musik nicht, oder du definierst sie einfach nach draußen, wenns nicht in dein altklug-moralisches raster passt (finde deine ausführungen auch "schlecht gemacht","wertlos","belanglos"). ;)

finds okay

... oder wie man mit meinen doppelten Standards Hass und Zwietracht säht.

 

Dürfte ich mal kurz die Frage stellen, wieso man mit offensichtlich doppelten Standards nichts bessers zu tun hat, als über andere Menschen zu richten, die ebenfalls nicht unfehlbar sind? Ich zitiere aus dieser Veröffentlichung, weshalb das Lied und die darin enthaltene Wortwahl so unerträglich, pubertär und faschistisch sei:

 

Denn der pubertäre Gestus des Songs ist kaum aushaltbar, das Wort „Bullenschwein“ einfach unerträglich, steht es doch in der faschistischen Tradition, die Anderen, die selbst definierten Feinde zu Tieren herab zu würdigen, seien es Ratten, Schmeißfliegen, Heuschrecken oder eben Schweine. Wenn das von einer sich bewusst antifaschistisch gebenden Band kommt, dann stehen Anspruch und Realität in einem krassen Missverhältnis. Das ist das Problem an diesem Lied.

 

Und schaue mir dann den Blog des Autors an, in dem er mit seinem heutigen Blog-Posting im gleichen Zusammenhang auf das in seinen Augen ungerechtfertigte "Auslösen des Beißreflexes" durch vergangene Indymedia-Veröffentlichungen hinweist. In eben jenem Blog-Post zitiert er, der Autor, eine ihm offenbar gelegen kommende Zuschrift, die ihn erreicht habe. Sie beginnt mit folgenden Worten:

 

Hallo Mapec,

das Rudel Wölfe ist nun mal über Deinen Text hergefallen und Wölfe im Adrenalinrausch zerfleischen alles, was nach Beute aussieht. Willst Du wirklich noch einmal in den Kreis springen?(...)

 

Und das soll jetzt kein unerträglicher Tiervergleich in faschistischer Tradition sein, der dazu berechtigt, den Autor und jene, die ihn weiter verbreiten mit allerlei negativen Attributen zu versehen? Faschistisch, pubertär, unerträglich (an anderer Stelle spart der Autor nicht). Nur sind es offensichtlich immer die anderen, oder weshalb wurde diese Zuschrift, die offenbar in seinem Sinne war, nicht gleichermaßen rund gemacht, sondern auf dem eigenen Blog noch prominent wiedergegeben?

 

Ganz ehrlich, ich kenne diesen Blog nicht, habe nach diesem Posting hier auf Linksunten aber auf den Blog des Autors geschaut, weil sich solche Theorieköppe oft richtig wichtig nehmen und meinen andere Leute damit richtig übel belegen zu müssen. Man muss nicht einer Meinung sein, was seine Auslegung der Militanzdebatte angeht (Gewalt gegen Sachen = Links, Gewalt gegen Menschen = Rechts / Schmu), doch bei so einer Vorgehensweise: Texte zu schreiben, die im Endeffekt nach willkürlichen Standards andere Mitstreiter denunzieren und das Klima untereiner mit derart vielen Anwürfen vergiften, sind ihm die Beissreflexe auch weiterhin sicher. Nicht gegen Reflexion, doch Arschlöcher mag einfach niemand! Auch nicht, wenn sie das Internet nutzen, um Leute nicht persönlich konfrontieren und auf Widersprüche hinweisen zu müssen. Und wer hat überhaupt gesagt, dass wir keine Widersprüche aushalten können müssen? Er solltest nicht den Fehler machen und Resonanzen weiter als Reflex abtun.

 

Schönen Tag noch.

„Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden. Denn wir haben nicht das Problem, daß das Menschen sind, insofern es ihre Funktion ist beziehungsweise ihre Arbeit ist, die Verbrechen des Systems zu schützen, die Kriminalität des Systems zu verteidigen und zu repräsentieren.“  – Ulrike Meinhof

Eine Erwiderung zu einigen Kommentaren


Es ist berechenbar gewesen, dass es wütende Reaktionen auf meinen Beitrag „Der Verfassungsschutz in Bayern entdeckt die Musik“ geben wird, da darin eine der linken Dummheiten angegriffen wurde, jene vom Staatsbüttel als „Schwein“. Erstaunlich ist, dass eher wenige Reaktionen kamen. Auf drei mag ich doch noch antworten.

Zum Beispiel auf die Bezugnahme auf meinen Blog. Denn dort steht bei einem älteren Beitrag und wird entsprechend zitiert: „Hallo Mapec, das Rudel Wölfe ist nun mal über Deinen Text hergefallen und Wölfe im Adrenalinrausch zerfleischen alles, was nach Beute aussieht. Willst Du wirklich noch einmal in den Kreis springen?“ Darauf fragt der zitierende Kommentator: „Und das soll jetzt kein unerträglicher Tiervergleich in faschistischer Tradition sein, der dazu berechtigt, den Autor und jene, die ihn weiter verbreiten mit allerlei negativen Attributen zu versehen?“ Wohlgemerkt hatte ich in meinem Blog nur zitiert, was auch der Kommentator bemerkte; ich selbst würde so einen Wolf-Vergleich nicht verwenden. Aber die literarische Bezugnahme auf den sprichwörtlichen Satz vom „unter die Wölfe fallen“ ist letztendlich dann doch etwas anderes als das hasserfüllte Bezeichnen von Menschen als Schweine oder anderes Getier, dem eher weniger Edles und Starkes als dem Wolf zugesprochen wird.

Viel interessanter aber zwei andere Reaktionen. In der einen wird angemerkt: „manchmal muss es auch gegen konkrete personen gehen.“ Die durchgehende Kleinschreibung, an die frühen Jahre der Roten Armee Fraktion erinnernd, verweist ggf. ungewollt auf den nächsten Kommentar, der einfach Ulrike Meinhof zitiert und damit die Tradition dieser gewalttätigen Geisteshaltung aufzeigt: „Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden. Denn wir haben nicht das Problem, daß das Menschen sind, insofern es ihre Funktion ist beziehungsweise ihre Arbeit ist, die Verbrechen des Systems zu schützen, die Kriminalität des Systems zu verteidigen und zu repräsentieren.“

Der Mensch in Uniform ist kein Mensch. Nicht reden, sondern schießen. Revolutionäre Gewalt im selbst ausgerufenen antiimperialistischen Kampf ohne Massen und ohne Klasse. Bei dieser entmenschten Klarheit dürfen dann auch irgendwelche Vertreter des Systems bis hin zum einfacher Soldaten (Edward F. Pimental 1985) erschossen oder es dürfen wieder Juden selektiert werden (Entebbe 1976). Das ist der Geist, der eine Grundvoraussetzung für den Stalinismus ist. Zur Strafe und zur Besserung ist dies bitte sofort von allen zu lesen, die das mit der Gewalt so schön problemfrei sehen: Gestern Morgen von Bini Adamczak.

Noch ein Wort zu Sans Frontiéres: Ich kann wirklich nichts über das Gesamtwerk der Gruppe sagen. Auch nichts darüber, wie die Musiker sich im realen Leben verhalten, wenn sie keine martialischen Texte in Umlauf bringen. Tatsächlich wurden sie mir von Menschen, die im Rahmen eines Konzertes mit ihnen zu tun hatten, als ausgesprochen nett geschildert, in keiner Weise der zur Schau gestellten Pose entsprechend. Das allerdings ist seltsamerweise sehr typisch für eine bestimmte Musikkultur. Unechtheit als Prinzip? Extremismus des Wortes statt radikales Denken? Maskuline Kämpferattitüde als Abgrenzung zu den sanften Hippies? Warum? Da das mit dem Verfremdungseffekt von Bert Brecht nichts zu tun hat und auch sonst nicht positiv zu wenden ist, steht diese Band, die bei mir Erwähnung fand, da genau sie vom Verfassungsschutz zitiert wurde, einfach für eine bestimmte ungute Tradition innerhalb linken Kunstschaffens. Und muss sich diese Kritik eben auch gefallen lassen.

Übrigens: Dass auf das eigentliche Thema meines Beitrags – die Musik und der Verfassungsschutz (wie schon im Titel zu lesen!) – gar nicht eingegangen wurde … ach, Schwamm drüber.

 

http://mapec.blogsport.de/2016/04/20/entmenschung-des-gegenuebers/

der vorwurf, die (wenigen, angesichts der relevanz doch stattlichen) resonanzen enthielten keine inhaltlichen kritikpunkte, zeugt von selektiver wahrnehmung, wie schon die kontextualisierung der wesntlichen text-analyse mit älteren blogposts  des autors aufgezeigt hat. so wurden die angenommenen abgrenzungsmerkmale zwischen rechter und linker gewalt als sachlich falsch und ideologisch zurückgewiesen, ohne dass der autor darauf eingeht, an einem diskurs scheint er nicht interessiert zu sein. und wie er nun den von ihm zitierten tiervergleich nachträglich damit zu entkräften versucht, indem er das darin erwähnte rudel wölfe aka seine kritiker mit "edel und stärke" asoziiert, anstelle mit einem triebgesteurerten lynchmob, auf den die zitierte mail jedoch im weiteren abhebt, trägt schon satirische züge. perfektes beispiel dafür, wie theoreme verbogen und willkürlich ausgelegt wird, wie es eben passt.

 

ps diese erwiderung wurde  in durchgängier kleinschreibung verfasst, um den autor zu weiteren projektionen und analogien zur verkürzten geschichte der raf zu animieren (was für eine lächerliche analyse).