Der Berliner Hauptbahnhof ist seit Februar 2016 eine der Spielwiesen für die Erprobung eines neuen Gadgets für Bundespolizist_innen, sogenannten Bodycams. Auf der Schulter der patrouillierenden Beamt_innen montiert, sollen sie zukünftig Belege für polizeiliche Einsätze liefern. Kommt der Videobeweis für Platzverweise, Rucksackdurchsuchungen und Verkehrskontrollen?
Bodycam vs. Smartphone
Die Idee polizeiliches Handeln aus Sicht der Polizei zu filmen, stammt aus den USA. Sie ist als direkte Reaktion auf die Präsenz von Smartphones zu verstehen, denn in den USA mehren sich Fälle, in denen Menschen die Polizei bei Einsätzen filmen. Zum Beispiel dürfte der ein oder anderen wohl noch das Video aus einer texanischen Kleinstadt im Kopf sein, das per Smartphone gefilmt den grausamen Einsatz eines Polizisten gegen Teenager in Badekleidung im letzten Jahr zeigte.
Die Reaktionen aus dem Netz waren verständlicherweise voll von Erschütterung, Frustration und Zorn gegen die blind wütende Staatsgewalt. Das Video reihte sich zudem in die Serie rassistisch motivierter Polizeieinsätze ein, die seit einigen Jahren in den USA an die Öffentlichkeit gelangen und eine breite Thematisierung erfahren.
Da die Polizei natürlich keine Lust hat, in Gerichtsprozessen gegen ihre eigenen Mitglieder immer nur die Beweise von möglicherweise unbeteiligten Dritten vor die Nase gehalten zu bekommen, startete die US-Regierung eine Initiative in der sie rund 50.000 ihrer Beamt_innen mit den Bodycams ausstattete. Sie sollen ausdrücklich die Sichtweise der Beamt_innen wiedergeben.
Testbetrieb im Hauptbahnhof
Diese Argumentation ist eindeutiger als die hierzulande verbreitete Honig-ums-Maul Faselei. Im Berliner Hauptbahnhof und den anderen Teststandorten in Deutschland wolle man lediglich die Gewaltbereitschaft gegenüber den Patrouillen dämpfen. Zwar wüssten die Behörden um die datenschutzrechtlichen Probleme, wiesen die aber naturgemäß als unbedenklich zurück, bzw. forderten Änderungen an bestehenden Polizeigesetzen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse beschnitten werden.
Dramatische Sequenzen harmloser Situationen
Hinter der Idee, die Situation polizeiliche Einsätze aus der first-person Perspektive mitzuschneiden, steckt vornehmlich die Annahme unbestechlicher Beweiskraft von bewegtem Bild und Ton. Details einer US-amerikanischen Studie über den Nutzen von Bodycams aus 2012, die erst später veröffentlicht wurden, nähren allerdings erhebliche Zweifel an dieser Annahme.
Dabei geht es um folgenden Effekt: Dieses Gefühl, sich mit der Digitalkamera von Aldi wie eine Hollywood-Kamerafrau zu fühlen, weil das Video auf dem winzigen Kameradisplay ziemlich scharf und ruhig wirkt. Schaut man sich das gleiche Video auf dem PC-Bildschirm an, schrumpft dieses Gefühl allerdings schnell zusammen. Zudem interpretiert das menschliche Auge schnelle Ruckler des Bildes als bedrohlich, sodass Amateurfilmer_innen ungewollt überdramatische Aufnahmen produzieren.
Ähnlich verhält es sich mit den Ergebnissen von Bodycam-Videos. Die Ergebnisse lassen meilenweite Interpretationsspielräume offen, wie man per Selbstversuch auf einer Seite der NYtimes eindrücklich nacherleben kann. Die Videos zeigen alltägliche Situationen von Streifenpolizist_innen und der_die User_in soll ihre Einschätzung zur Bedrohungslage des Polizisten im Einsatz anhand der durch seine Bodycam gefilmten Bilder geben. Anschließend werden Videos aus dritter Perspektive gezeigt, die oftmals die ganze Harmlosigkeit der Situation zeigen, aus der der Polizist seine (gewaltvolle) Handlung ableitete.
Bessere Qualität keine Frage der Zeit
Die Action-Wackelei, schlechte Qualität und verzerrte Bildwiedergabe liegt nicht am Entwicklungsstand der Technik und es ist keine Verbesserung der Qualität zu erwarten. Sie ist vielmehr das Resultat des Kompromisses aus Anbringung an Kleidung, möglichst geringem Gewicht und möglichst langer Akkulaufzeit bei gleichzeitig möglichst großem Blickwinkel. Würde es den Behörden tatsächlich auf wackelfreie Bilder ankommen, müssten sie alle ihre Streifenbeamtinnen mit ca. 5kg schweren Skeletten voller Stahlfedern ausstatten, eine mehrere tausend Euro teure Filmkamera draufpflanzen und die obendrein wasserdicht (Wasserwerfer) und stoßfest (Hooligans) einpacken - und dann hätten sie noch nichtmal das obligatorische "Jetzt bleiben'se mal ruhig!" der Beamtin aufgezeichnet. Auf Demonstrationen ist zu diesen Zwecken oftmals ein eigene Filmeinheit der Polizei vor Ort, die vor allem Übersichtsaufnahmen anfertigt und nicht Teil der Prügelei ist.
Der Polizei geht es um ihre eigenen Leute
Bei den Bodycams der Polizei handelt es sich um die Einführung des Videobeweises für Streifenpolizist_innen. Sie sollen die Sicht der Beamt_innen wiedergeben und so gewaltvolles Handeln von Polizist_innen rechtfertigen; auch als Konkurrenz zu kurzen Videoclips von Beobachter_innen der Situation. Vor Gericht werden dann in medial wenig beachteten Fällen hunderte Stunden Rohmaterial von Bodycams liegen, die aufgrund der Zwänge, denen auch Gerichte unterliegen, in den seltensten Fällen ausgewertet werden. Ein vergleichbarer Umgang findet bisher mit dem Material von Demokameras bereits statt. In brisanten Fällen dürfte andererseits mit dem Zusammenschneiden von Szenen zu rechnen sein, die die Position polizeilicher Mitarbeiter_innen stärkt. Technische Kompromisse der Kameras auf der Schulter führen zu Fehleinschätzungen der Situation, wenn sie die einzig belastbaren Beweismittel sind oder schlicht politischer Druck auf Prozesse in den unteren Gerichtsinstanzen dieser Welt fehlt. Auch die PR-Abteilungen der Polizei hierzulande können sich die Hände reiben: Veröffentlichte Bodycam Videos, wie die vom NYTimes-Versuch verbreiten sich in den USA per Internet bereits rasend schnell und geben eine solide Argumentationsgrundlage für alle "Law-and-Order"-Freaks.
Die Konsequenz für Zivilistinnen
Durch Einschnitte in individuelle Freiheitsrechte sollen die Kameras deeskalativ wirken und Gewalt gegen Polizistinnen verhindern. Die Kameras erhöhen allerdings für den Großteil der Menschen die Hemmschwelle, Polizeigewalt zu hinterfragen und sich gegen den massenhaften Missbrauch von Macht zur Wehr zu setzen. Die Polizei erweitert ihre Befugnisse aufgrund von Konflikten, die durch unktrollierbare Befugnisse ausgelöst wurde. Das können wir also salopp als ein weiteres Beispiel für die Schizophrenie staatlicher Gewalt nennen.
Weiterführende Links:
Zur rechtlichen Lage beim Bullen fotografieren, einschließlich Zitaten aus BVfG-Urteilen
Kommunikationsguerilla mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP)
Polizeigewalt als Teil demokratischer Herrschaft
Warum die Polizei “Gewalttäter” am Banner erkennen kann
Auch am Ostbahnhof
tragen sie diese Teile.