Anmerkungen zur Etablierung des "Nuit Debout" in Deutschland

Des Linken liebste Beschäftigung: Folgenloses Plenum

Seit knapp über einen Monat kommt Frankreich nicht zur Ruhe. Mehrmals unterhalb der Woche kommt es zu wilden Demos, Schulen und Universitäten werden blockiert, Glasbruch in vielen Städten und Abscheu gegenüber Autoritäten. Eine ganze Schar von zukünftigen Arbeitskraftbehältern verweigert sich der geplanten Einschnitte hin zu einer weiteren Vertiefung einer sinnentleerten Plackerei um die eigene Existenz zu sichern, und weiß sich hierbei an der Seite bereits vorhandener proletarisierter Warenmonaden.

Die mediale Berichterstattung in Deutschland dazu ist auffallend verhalten. Geradezu nichts konnte in den vergangenen Wochen zu den mehrere hunderttausende Individuen fassende Demonstrationen in Paris, Rennes, Nantes und anderswo gelesen werden. Allein die Auflösung (und insofern erst bei Durchsetzung staatlicher Gewalt) der Besetzung des „Platz der Republik“ vor wenigen Tagen ließ einige Schlagzeilen in den üblichen Medien zu.

 

Auch die radikale Linke (jaja, ein Begriff mit viel Interpretationsspielraum) wusste lange Zeit nicht so recht mit dem Aufruhr umzugehen. Dabei blitzt aktuell in Frankreich der soziale Krieg wieder auf und beantwortet soziale Fragen nicht mit der faschistischen Option, wie sie doch zuletzt in Europa massiv an Zustimmung gewonnen hat. Sofern soziale Fragen massenhaft mit klassenlosen Perspektiven beantwortet werden, bleibt die Recht sprachlos. Die vereinzelten Querfront-Quacksalber zu Beginn des Protests scheinen glücklicherweise vertrieben, sodass auch Geflüchtete Teil des Aufruhrs sind.

 

Nun gibt es erste solidarische Zuckungen in Deutschland. Doch es kommt, wie es kommen musste. So dürfte es der radikalen Linken in Deutschland an vielen fehlen, aber vermutlich nicht an der Fülle bloßen Austauschs mit entsprechenden Räumlichkeiten dafür. Trotz der wilden, unangepassten Elemente des Protest in Frankreich wird sich mit Begeisterung gerade auf die Form des „Nuit Debout“ gestürzt, welche einer Occupy-Platzbesetzung vergangener Tage ähnelt und wieder einen Sprechort unter vielen schaffen soll (gewiss, an der frischen Luft). Nun könnten solche Besetzungen auch eine gewisse Sprengkraft enthalten, wenn diese an Orten stattfindet wo der Konflikt tatsächlich evoziert werden könnte. In Berlin und Leipzig, wo die ersten zwei „Nuit Debout“-Veranstaltungen stattgefunden haben, ist dies aber nicht der Fall. Der öffentlich zugängliche Park oder der Campus wird vermutlich von den anvisierten Adressat_innen der Kritik nur mit müden Achselzucken zur Kenntnis genommen. In Paris, wo die Besetzung des „Platz der Republik“ zumindest etwas Kontroverse mit sich brachte, findet sich nach der Räumung das absurde Bild vervollständigt: Mittels Kontrollen und unter den strengen Augen der anwesenden Bullen darf nun munter palavert werden, wobei um Mitternacht Schluss sein muss. Es wird einmal mehr deutlich, dass der folgenlose Austausch unter gegebenen Verhältnissen akzeptiert ist und im Spektakel der Meinungsfreiheit untergeht sofern materielle Gewalt, im Sinne des schlagenden Arguments, nicht als notwendige Folge begriffen wird.

 

Zum Schluss sei auf den kritisch-solidarischen Gehalts dieser Worte verwiesen. Grundsätzlich ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem derzeitigen Aufruhr in Frankreich wünschenswert. Allerdings ist es symptomatisch für eine radikale Linke in Deutschland, wenn der Protest in angepassten Bahnen verläuft und es vermutlich beim üblichen Plausch bleiben wird. Dabei könnten auch ganz andere Zeichen der Solidarität gesendet werden. Repräsentationsobjekte des französischen Staates (z.B. Botschaften) finden sich auch hierzulande und auch die Sachverwalter_innen der allgemeinen Misere (z.B. Arbeitsamt) könnten Ziel farbiger, feuriger oder andersartiger Kreativität werden. Natürlich spricht hier nichts gegen entsprechende Kundgebungen, Demos etc. Aber dann auch gerne mal ohne vorheriges Betteln beim Ordnungsamt und Einhaltung aller auferlegten Auflagen. Es würde der Tristesse des sozialen Kriegs in Deutschland gut tun.

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Um mal das martialische Bild vom "sozialen Krieg in Deutschland" aufzunehmen: Eventuell ist die "Feindlage" in Deutschland ein kleines bißchen anders als in Frankreich. Die dortige Wirtschaft lahmt, 10,5% Arbeitslosigkeit insgesamt, bei jugendlichen bis 25 Jahren sind es sogar fast 25%. Da können nicht mal Leipzig oder Berlin mithalten, daher die entsprechend kleinen "Scharmützel" dort. In Deutschland brummt die Wirtschaft, Arbeitslosenquote insgesamt 4,7%, bei den Jugendlichen 6,9%.

 

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeit...

 

Wenn sich im süddeutschen Raum, in Stuttgart oder München, arbeitslose Jugendliche versammeln würden mit dem Ruf nach Teilhabe und Jobs - dann würden die Firmen ihre Scouts rausschicken, mit Ausbildungsverträgen in der Hand...

wobei sich über den arbeitsfetisch, der sich in der forderung nach "teilhabe und jobs", ohnehin trefflich streiten ließe. letztlich geht es um einen appell, sich doch bitte bitte auch in die mühlen der kapitalistischen verwertungsmaschine werfen zu dürfen.

 

endlich wird die arbeit knapp, freuten sich manche anarchist_innen im deutschland der 1990er jahre.

!

lese:

 

"das recht auf faulheit!"

 

das ist links, lohnarbeit ist ausbeutung und gewiss nicht emanzipatorisch

In frankreich gibt es viel mehr radikalität und zusammenhalt in der comuniti Es lebe der Kommunismus und Marxismus ...

Es lebe die Faulheit! Das Recht auf Faulheit kommt übrigens aus Frankreich.

Die Daten sind richtig, dennoch spiegeln sie nicht die wahren Zustände im Land wieder. Sie wissen doch, um nur ein Beispiel zu nennen, das D. einen großen Niedriglohnsektor seit Schröder hat. Diese Hungerlöhner tauchen nicht in der Statisktik als Arbeitslos/-suchend auf ... und derlei Beispiele gibt es viele. Eine gute Annäherung an die wahren Zahlen wäre eine Verdopplung.

Da die Misere in Frankreich und generell in Südeuropa sehr viel mit einer calvinistischen und parasitären WiPo Deutschlands zu tun hat - beggar they neighbor - und die dt. Wipo. sehr dem mittelalterlichen Merkantilismus gleicht, ist die Sorge der anderen Staaten auch unser Problem. By the way - Frankreich hat sich sowohl was Maastricht-Kriterien, europäischem Inflationsziel und Lohnentwicklung solidarischer verhalten (sowohl seinen Arbeitnehmern als auch den europ- AN gegenüber) als D. und war dazu (trotz besserer Lohnentwicklung) produktiver als die angebliche Lokomotive D.