Landgericht Freiburg: Angeklagter Polizist erscheint nicht zum Prozess – Haftbefehl

Erstveröffentlicht: 
29.03.2016

In Freiburg sollte der Prozess gegen den 55 Jahre alten Kriminaloberkommissar beginnen, der wegen vielfältiger krimineller Taten angeklagt ist. Doch die Anklagebank blieb leer.

 

Von Wulf Rüskamp

 

Das Landgericht hatte schon zehn Verhandlungstermine bis in den Mai hinein angesetzt für einen der umfangreichsten Strafprozesse, die in Freiburg gegen einen Polizeibeamten geführt werden sollte. Doch am Dienstagmorgen blieb die Anklagebank im großen Gerichtssaal leer, und auch der Verteidiger des Kriminaloberkommissars hat seinen Mandaten zuletzt vor 14 Tagen persönlich gesprochen.

Nachdem die vom Gericht angeordnete polizeiliche Vorführung erfolglos geblieben war, wurde am Mittag die Verhandlung bis auf weiteres ausgesetzt.

Die Vorwürfe gegen den 55 Jahre alten Freiburger Kriminalpolizisten sind heftig: Bestechlichkeit, Verletzung von Privat- und Dienstgeheimnissen, Betrug, Urkundenfälschung, Strafvereitelung im Amt und Hehlerei – zusammen weit mehr als 50 Taten, die er laut Anklage in den Jahren zwischen 2008 und 2012 begangen haben soll.

Ist der Angeklagte abgetaucht?

Viele stehen in engem Zusammenhang mit dem Rotlichtmilieu – und meist soll der Polizist die Hand offengehalten haben, um abzukassieren. Was gerade für Polizisten schwer wiegt, ist der Verrat von mindestens sechs V-Leuten der Freiburger Kriminalpolizei und des Landeskriminalamtes an Dritte, darunter auch Mitglieder eines – laut Staatsanwaltschaft – "Motorradclubs". Zudem hat er seine Komplizen in der Rotlichtszene vor Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen gewarnt und damit die Arbeit seiner Kollegen zunichtegemacht.

Ist der Angeklagte angesichts der massiven Vorwürfe vor Prozessbeginn abgetaucht? Schon für die offizielle Ladung Mitte Februar war er fürs Gericht nicht zu erreichen; das Schreiben wurde in seinem Brieffach abgelegt. Doch von dem anstehenden Verfahren wusste er sicherlich, hatte er doch mit seinem Anwalt danach noch gesprochen. Im Gerichtssaal gab man sich am Dienstag eher gelassen. Die Staatsanwältin stellte einen Haftantrag. Nun muss die Polizei nach dem Flüchtigen fahnden. Taucht er wieder auf, können die öffentlichen Verhandlungen vor dem Landgericht beginnen.

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1. Dienstag, 29.03.2016, 9:00 Uhr, Landgerichtsgebäude, Salzstr. 17, Freiburg, Saal IV, 2 KLs 620 Js 34915/11 - AK 15/14
Fortsetzungstermine sind vorgesehen für 31.03., 14., 15., 18., 26. und 28.04., sowie 02., 10. und 12.05.2016, jeweils 9:00 Uhr

Vor einer Großen Strafkammer des Landgerichts wird verhandelt gegen einen inzwischen 55 Jahre alten deutschen Staatsangehörigen wegen Vorwurfs der Bestechlichkeit in 49 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Verletzung von Privatgeheimnissen und in 47 Fällen in Tateinheit mit Verletzung von Dienstgeheimnissen, wegen gemeinschaftlichen Betrugs in mehreren Fällen, Urkundenfälschung, Strafvereitelung im Amt in mehreren Fällen, wegen Hehlerei, versuchter Hehlerei und wegen mehrfacher Verletzung von Dienst- sowie Privatgeheimnissen.


Der Beschuldigte soll - obwohl Polizeibeamter und VP-Führer bei der Kriminalpolizei Freiburg - sich mit dem Inhaber einer marokkanischen Firma zusammengetan und diesem Daten aus polizeilichen Beständen zur Verfügung gestellt haben. Die Firma sei darauf spezialisiert gewesen, entwendete Luxusfahrzeuge und Maschinen, die in Marokko sichergestellt waren, in die europäische Union und insbesondere nach Deutschland zurück zu überführen. Für den wirtschaftlichen Erfolg der marokkanischen Firma sei es dabei wichtig gewesen, möglichst frühzeitig den rechtmäßigen Eigentümer der Fahrzeuge in Erfahrung zu bringen. Der beschuldigte Polizeibeamte soll deshalb zwischen März 2011 und Mai 2012 in zahlreichen Fällen die ihm von dem marokkanischen Firmeninhaber übermittelten Fahrzeugdaten an seiner Dienststelle in Freiburg über die polizeilichen Informationssysteme abgefragt haben. Für jeden sich daraus ergebenden erfolgreichen Rückholauftrag soll der Polizeibeamte eine Provision erhalten haben.

Im Juni 2011 soll eine junge Frau im Freiburger Umland Opfer eines Sexualdelikts geworden sein. Der Beschuldigte soll in seiner dienstlichen Eigenschaft Kenntnis von Ermittlungen gegen einen Tatverdächtigen erhalten haben. Diesem soll er sodann mehrfach angeboten haben, gegen Zahlung mehrerer tausend Euro die polizeilichen Ermittlungen zugunsten des Tatverdächtigen zu manipulieren und so eine Einstellung des gegen diesen geführten Verfahrens herbeizuführen. Der damalige Tatverdächtige sei inzwischen gleichwohl wegen der von ihm begangenen Sexualstraftat rechtskräftig verurteilt worden.

Im September 2011 soll eine Vertrauensperson dem Beschuldigten mitgeteilt haben, dass ein Mann in Freiburg Kokain im Wert von 2.500 € erwerben wolle. Der Angeklagte und seine Vertrauensperson sollen vereinbart haben, von dem Kokaininteressenten Vorkasse zu verlangen. Den so erlangten Kaufpreis sollen der Angeklagte und seine Vertrauensperson untereinander aufgeteilt und dem Kaufinteressenten vorgetäuscht haben, Geld und Kokain seien von der Polizei beschlagnahmt worden. Der beschuldigte Polizeibeamte soll es darüber hinaus unterlassen haben, Ermittlungen gegen den Betäubungsmittelerwerber bzw. -händler zu veranlassen.

Im August 2011 soll der Beschuldigte in einem anderen Fall einen der Automatenmanipulation verdächtigten mutmaßlichen Täter vor einer bei diesem geplanten Durchsuchung gewarnt und auch über eine wegen eines weiteren Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz laufenden Telefonüberwachung unterrichtet haben. Auch in diesem Fall soll der Beschuldigte angeboten haben, gegen Geldzahlung die Ermittlungen zum Erliegen zu bringen.

In weiteren acht Fällen soll der Beschuldigte unter Verletzung seiner Dienstpflichten Informationen aus verschiedenen polizeilichen Datenbeständen - insbesondere Halterdaten von Fahrzeugen - an einen in Freiburg ansässigen Abschleppunternehmer weitergegeben haben. Als Gegenleistung soll der Beschuldigte einen gelegentlichen Rückholauftrag als Nebenverdienst erwartet haben.

Darüber hinaus soll der Beschuldigte zwischen Juli 2010 und April 2012 an einen rechtskräftig verurteilten Mann Personendaten übermittelt haben, die dieser als Kunden gewinnen wollte. Im Gegenzug habe der Polizeibeamte u.a. Fahrzeuge zur kostenlosen Benutzung, Eintrittskarten für eine Messe und andere Vergünstigungen bzw. Gegenleistungen erhalten.

Zwischen 2008 und 2012 soll der Beschuldigte Dritten gegenüber die Namen und Identitäten von mindestens sechs Vertrauenspersonen, die für die Kriminalpolizei Freiburg und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg tätig gewesen seien, preisgegeben haben. Dabei soll er auch den Prokuristen eines Freiburger Unternehmens dazu veranlasst haben, einen wahrheitswidrigen Sachverhalt über eine Diebstahlshandlung zu verfassen. In einem Fall soll der Beschuldigte die Identität einer Vertrauensperson an Mitglieder eines Motorradclubs weitergegeben haben.


In einem weiteren Fall soll der Beschuldigte gegen Zahlung mehrerer tausend Euro teilweise mündlich, teilweise schriftliche Informationen aus internen Ermittlungsunterlagen an Personen weitergegeben haben, gegen welche wegen Verdachts der Zuhälterei und des Menschenhandels ermittelt wurde. Zwei Tatverdächtigte hätten sich aufgrund der erlangten Informationen durch die Flucht ins Ausland absetzen können.


Darüber hinaus soll der Beschuldigte in mehreren weiteren Einzelfällen durch Verrat von Dienstgeheimnissen, insbesondere durch Verrat bevorstehender Durchsuchungsmaßnahmen und anstehender Telefonüberwachungen im Rotlichtmilieu polizeiliche Ermittlungen erschwert oder gar vereitelt haben.


Ab Januar 2012 soll der Beschuldigte sich entschlossen haben, gemeinsam mit seinem Sohn von verschiedenen Personen im Raum Freiburg Diebesgut - darunter neuwertige Kleidung, Schmuck u.a. - anzukaufen (Hehlereitaten).