Ki: Spontandemo gegen EU-Türkei-Deal

Demospitze

Anlässlich der heute begonnen Abschiebungen im Rahmen des „Türkei-Deals“ der EU fand in Kiel eine Spontandemo statt. Etwa 250 Menschen brachten mit andauernden Sprechchören („Mittelmeer, Massengrab – das ist Mord im Staatsauftrag“, „no border, no nation, stop deportation“ u.a.), mit Flyern und Transparenten ihre Wut über den Menschenhandel des „Friedensnobelpreissträger“ 2012, der Europäpischen Union, auf die Straße.

 

Die Demo verlief durch die Kieler Innenstadt, wo sich spontan Menschen anschlossen, und konnte ohne große Zwischenfälle nach etwa einer Stunde mit einer Abschlussrunde im Kieler Hauptbahnhof beendet werden.  


Die Europäische Union trägt einen großen Anteil an den mannigfaltigen Fluchtgründen auf der Welt – nun spielt sie in kolonialer Tradition den Menschenhändler!

Wir werden nicht still zusehen, wie an den Grenzen Europas ein Krieg geführt wird – ein Krieg gegen die Geflüchteten!

Brick by brick, wall by wall. Make the fortress Europe fall!
Bis jede Grenze fällt! Freedom of movement is everybodies right!

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Super Aktion, aber auch krass, dass das nur Kiel packt

 

Open the borders! Gegen das Grenzregime der EU, für bedingungslose Solidarität mit allen Geflüchteten!

 

Anlässlich der Anschläge in Brüssel, zu denen sich der so genannte Islamische Staat bekannt hat, kommentierte Kanzleramtschef Peter Altmaier, dass die „Werte Europas“ stärker seien als Hass und Gewalt. Angesichts des EU-Türkei-Deals, der federführend von Deutschland zum Abschluss gebracht wurde, fragen wir uns, von welchen „Werten“ Altmeier gesprochen hat. Anstatt als Konsequenz aus der verheerenden Lage in den Camps die Grenzen zu öffnen und die Menschen selbstbestimmt weiterreisen zu lassen, werden Geflüchtete nun in griechische Militärcamps und Knäste gesperrt.

 
Im Zuge dieses Deals wurden heute, 04.04.16, die ersten Geflüchteten - ohne jemals ein individuelles Asylverfahren durchlaufen zu haben - in die Türkei abgeschoben werden. Alle Schutzsuchenden, die nach einem bestimmten Datum über die Türkei nach Griechenland gekommen sind, müssen wieder dorthin zurück.

Im Gegenzug gibt es 6 Milliarden Euro sowie ein Kontingent für syrische Geflüchtete, die legal in die EU einreisen
dürfen.

Für 6 Milliarden Euro entledigt sich die EU ihrer Verantwortung für die Schutzersuchen der Geflüchteten. Von den 6 Milliarden Euro wird die Türkei vielleicht ein paar Zelte und Dixie-Klos für die Fernsehkameras aufbauen, der Rest wird gebraucht um einen blutigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung zu führen, um die kritische Presse im Land mit Razzien und Prozessen überziehen zu können, den IS zu unterstützen... Wenig relevant erscheint der EU-Politik dabei auch, dass besonders die Behandlung von Geflüchteten gegen internationales Recht verstößt: Wie die Times unlängst berichtete, schießt die türkische Polizei an der Grenze auf Geflüchtete aus Syrien, in den letzten Wochen wurden dabei 16 Menschen ermordet, unter ihnen 3 Kinder. Auch Amnesty International berichtet, dass die Türkei illegalerweise hunderte Syrier*Innen ins Kriegsgebiet nach Syrien zurückgeschickt hat. Die Türkei als Partner der EU, deren Werte dem IS-Terror überlegen seien, führt somit einen Kampf gegen diejenigen, die u.a. vor dem IS-Terror in Syrien geflohen sind, und damit das Gerede über eben diese europäischen Werte ad absurdum.
 

Der Kampf der Europäischen Union richtet sich aber nicht nur gegen diese Geflüchteten, sondern gegen alle. Erst wurde die griechisch-makedonische Grenze, aber auch viele weitere Grenzen entlang der Balkanroute, für alle Geflüchteten bis auf die „SIA refugees“ (Geflüchtete aus Syrien, Irak oder Afghanistan) geschlossen, so dass es an der Grenze zu einer rassistischen Segregation kam, die auch gemäß der divide et impera-Strategie zu Spannungen zwischen den Geflüchteten aus verschiedenen Herkunftsländern führen sollte, um die Menschen gegeneinander auszuspielen und den gemeinsamen Widerstand zu schwächen. Diese Strategie wurde in der Folge ausgebaut, so dass – bevor die griechisch-makedonische Grenze komplett für Geflüchtete geschlossen wurde – auch Menschen aus Afghanistan an der Grenze aussortiert wurden. Aber auch jetzt wird die rassistische Segregations- und Spaltungspolitik weiter perfektioniert, in dem beispielsweise nur Menschen aus Syrien und dem Irak Zugang zum Relocationprogram haben, einer Möglichkeit "legal" in ein anderes europäisches Land reisen ziehen zu können.

Viele Geflüchtete sind sich dieser Spaltungsversuche bewusst und versuchen in selbstorganisierten Plena, Spannungen zu entschärfen und gemeinsame Gegenstrategien zu entwickeln. Da aber über die Kriminalisierung der Geflüchteten und die Verschärfung ihrer Verfolgung im Rahmen des EU-Türkei-Deals zusätzlichen Druck ausgeübt wird, kam es in den vergangenen Wochen mehrfach zu Kämpfen zwischen Geflüchteten verschiedener Herkunftsländer. Einige Geflüchtete sind so verzweifelt, dass sie sich schon selbst in Brand steckten – beide Beispiele sind von der EU, die 2012 den Friedensnobelpreis erhielt, durchaus erwünschte Nebenwirkungen ihrer Maßnahmen, genau so wie die Tatsache, dass das Schließen der Balkanroute die Geflüchteten wieder verstärkt in die Hände von Schleppern und auf den „Friedhof Mittelmeer“ zwingt, und dass die Abschiebungen für viele Geflüchtete die Rückkehr in Krieg, Folter und bittere Armut bedeuten.

 
Trotz aller widrigen Umstände gelingt es Geflüchteten immer wieder, sich zu vernetzen und selbst organisierte Proteste durchzuführen, wie etwa die Straßenblockade an der griechisch-makedonischen Grenze (wir berichteten), die Demonstration in Thessaloniki oder aber zuletzt die Proteste auf Chios und viele weitere, die leider gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Chios ist eine der Ägäis-Inseln, die als Abschiebelager fungieren soll, im Camp Vial, das eine Kapazität von 1200 Plätzen hat, waren 1500 Geflüchtete inhaftiert. In der von Ausschreitungen im Camp ausgelösten Unruhe nutzten bis zu 700 der Inhaftierten, die bald in die Türkei abgeschoben werden sollen, allerdings die Gunst der Stunde, durchschnitten den Zaun und machten sich zu Fuß auf in die einige Kilometer entfernte Hafenstadt Chios, um hier die Fähre zu nehmen. In Sprechchören forderten sie „Freedom“, „No Turkey“ und das Recht, nach Athen fahren zu dürfen, auf Schildern stand „People of Europe, help us“, aber auch „Better to die here than go back to Turkey“. Mehrere hundert besetzen noch immer den Hafen und demonstrieren dort gegen die Abschiebungen. Ob sie ihre Forderungen durchsetzen können, sofern sich nicht noch andere Menschen praktisch mit ihnen solidarisieren, ist angesichts der Übermacht der Polizei allerdings fraglich – auf der Nachbarinsel Lesbos sind gerade französische Spezialkräfte eingetroffen, um die dortigen Proteste zu unterdrücken und die Abschiebungen mit Gewalt durchzusetzen. Aber auch Deutschland will etwa 100 Asylbeamte nach Griechenland entsenden, um den geregelten Ablauf der Abschiebungen zu sichern.

 
Wir können nicht länger still zusehen, wie an den Grenzen Europas ein Krieg geführt wird – ein Krieg gegen die Geflüchteten! Wenn Deutschland in Griechenland für law & order und für geregelte Abschiebungen sorgen will, müssen wir anfangen, in Deutschland den geregelten Alltag durcheinanderzubringen.  

No nation, no border – fight law & order!

Weitere Infos: facebook.com/Dublin.kiel/ oder http://antiravernetzungsh.noblogs.org/

Aktuelle Infos zu Aktionen in Kiel und zur Lage in Idomeni und in Militärcamps bzw. Abschiebeknästen in Griechenland bei twitter unter #naraontour oder folgt @no_border_kiel!