Im Sommer 2015 beteiligten wir uns, als Projekt der kleinbäuerlichen, solidarischen Landwirtschaft, an der Mobilisierung für globale Klimagerechtigkeit im Vorfeld des Weltklimagipfels in Paris. Als uns am 20. Juli die Fahrradkarawane „Alternatiba“ besuchte, bekamen wir ebenfalls Besuch von zahlreichen Streifenwagen und einer Hundestaffel, die das Dorf in Aufruhr versetzten (Pressemitteilung vom 25.07.2015).
Ohne rechtliche Grundlage und ohne jegliche Gesprächsbereitschaft kamen die Polizisten in großer Zahl auf das landwirtschaftliche Betriebsgelände, um wegen vermeintlicher Verkehrsbehinderungen nahe dem AKW-Fessenheim alle Anwesenden zu kontrollieren. Im von uns angestoßenen Beschwerdeverfahren gegen die verantwortliche Freiburger Staatsanwaltschaft vor dem Amtsgericht entschied nun Ermittlungsrichter Klein zugunsten des Beschwerdeführers. Wenigstens wurden keine Daten an französische Behörden weitergegeben. Damals behaupteten die deutschen Polizisten fälschlicherweise, dass sie aufgrund eines französischen Rechtshilfeersuchens handeln würden. Die Polizeiaktion entbehrte tatsächlich jeglicher rechtlicher Grundlage – die Beamt_innen hätten unsere Rechtsbelehrungen ernst nehmen sollen.
Was war passiert?
Zur Erinnerung: Auf ihrer 5.000 Kilometer Radtour machte die Klimaorganisation "Alternatiba" auch einen Stop in Tunsel, um das solidarisch-landwirtschaftliche Hofprojekt GartenCoop zu sehen. Die Region Freiburg war damit die einzige Etappe östlich des Rheins. Auf der Route von Mulhouse am 20. Juli letzten Jahres befindet sich auch das Uralt-Atomkraftwerk Fessenheim, vor dem eine kleine Kundgebung abgehalten wurde. Das Anprangern "falscher Lösungen" und die Kritik an Frankreichs ältestem AKW missfiel den BeamtInnen, die die "illegale Versammlung" kontrollierten und eine zweifelhafte internationale Kettenreaktion der Justiz- und Polizeibehörden lostrat.
So sah sich die Freiburger Staatsanwaltschaft Freiburg gedrungen aufgrund einiger Telefonate mit Colmarer Behörden, alle in der Provinz verfügbaren Polizeikräfte mitsamt Hundestaffel zu uns nach Tunsel zu schicken. Die Staatsanwaltschaft legte die Anfrage der Polizeibehörden aus Frankreich als Ankündigung eines Rechtshilfeersuchens der Justiz aus, was sich im Nachhinein als Fehlinterpretation herausstellte. Im von uns eingeleiteten Beschwerdeverfahren gegen die Maßnahme wurde nun festgestellt, dass die Erhebung der Personalien der 38 kontrollierten Personen auf dem Hof rechtswidrig war und die Staatskasse die Kosten des Verfahrens trägt. Für einen Teil der Personen bestand nicht einmal ein ausreichender Anfangsverdacht. Es gab keine Grundlage für die Anordnung der Staatsanwaltschaft, was dem Polizeieinsatz als Ganzes die Grundlage entzieht.
Unter illegalem Filmen betraten am 20. Juli einige der Polizisten das Gelände, nicht ohne zuvor auf die Notwendigkeit eines juristischen Beschlusses hingewiesen worden zu sein. Das interessierte die Polizei, die nichts dergleichen vorweisen konnte, reichlich wenig. Sie lehnte es ab, mit unserer Anwältin zu kommunizieren, ignorierte den Verweis auf die einzuhaltende Hausordnung auf dem landwirtschaftlichen Betrieb und eskalierte mit ihrem spektakulären Einsatz die völlig harmlose Veranstaltung. Einzig von der vermeintlichen Notwendigkeit an Daten (teils völlig unbeteiligter Personen) zu kommen und der Annahme folgend: "Was der Chef in der Staatsanwaltschaft will, wird schon seine Richtigkeit haben", getrieben, setzte sie einen willkürlichen Einsatz durch, der nun gerügt wurde.
Die Aktion war weder legal, noch zweckmäßig: "Weder gab es eine juristische Genehmigung den Haus- und Betriebsfrieden auf dem Hof der solidarischen Landwirtschaft zu stören, nicht mal der Anlass war gegeben, da die Personalien der ach so gefährlichen Radkarawane schon in Fessenheim von der französischen Polizei aufgenommen worden waren", so Bixente Notreterre von der Klima-Radtour. "Hätte es eine weniger lächerliche Straftat gegeben als nur eine spontane Demonstration, hätten in Grenznähe sogar die französischen Gendarmen selbst intervenieren können. Was die deutsche Polizei wirklich wollte bleibt rätselhaft", meint Sabina Gauer aus der Nachbarschaft.
Es ist bedenklich, dass die Polizei, ohne sich der rechtlichen Grundlage ihres Einsatzes zu versichern, mit Kontrolle und Festnahmen droht, freizügig filmt und Hausfrieden bricht. Zwar lassen dies die mittlerweile in Kraft getretenen neuen Sicherheitsgesetze in Frankreich zu, nicht aber das Grundgesetz. Es geht der Polizei und möglicherweise auch der Staatsanwaltschaft darum, ihre Befugnisse in der Praxis über den rechtlichen Rahmen hinaus auszuweiten. Zu befürchten ist hierbei, dass auch eine rechtliche Niederlage im Nachhinein nicht genügt, um willkürliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern.
Neben dem einfachen Erlangen von Informationen über Personen im Rahmen der Klimaproteste in der Region 1 | 2 dient die Maßnahme eines solch unverhältnismäßigen und grenzüberschreitenden Einsatzes vor allem der Einschüchterung und Diskreditierung sozialer Bewegungen in der Gesellschaft. Die Begegnung der Klima- und Atombewegten auf unserem Hof soll auch in Zukunft möglich sein, denn die weit gereisten Aktivist_innen tragen mit sich die Hoffnung, dass eine andere klimagerechte Welt möglich ist. Der Besuch war für uns ein Zeichen grenzüberschreitender Solidarität. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen beim Aufbau der solidarischen Netzwerke, die eine Welt jenseits der aktuellen Katastrophe möglich machen.
„Wir verurteilen die polizeiliche Willkür und die Sheriff-Manier, mit der versucht wird gegen Initiativen für einen gerechten sozialen und umweltpolitischen Wandel vorzugehen“ meint abschließend Lioba Polyphemus von der Alternatiba. „Wir lassen uns nicht einschüchtern, auch wenn willkürliche Machtüberschreitungen der Staatsgewalt in Europa sich häufen“. Es kann nicht sein, dass eine kleine, internationale Veranstaltung von Umweltaktiven ohne jegliche Grundlage von der Polizei gestürmt und kontrolliert wird. Das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung bleibt ein hohes Gut, das in der Region und darüber hinaus verteidigt werden muss.
Die Einschränkungen der Freiheitsrechte in den vergangenen Jahren geben uns besonders anlässlich des Rechtsrucks in Europa zu denken. Die Primitiven und Konservativen schreien Tag ein Tag aus nach mehr Polizei und eskalieren damit eine Gewaltspirale, die besonders im Hass gegen alles "Fremde" seinen Ausdruck findet. Bei der Verfolgung der Übeltäter_innen kam die Polizei besonders in Baden-Württemberg nicht selten mit erschreckend wenig Fingerspitzengefühl daher.
"Anstatt sich um die Schikane fortschrittlicher Bewegungen zu bemühen sollte endlich gegen das soziale und umweltpolitische Unrecht vorgegangen werden", sagt Julius Pflug von der GartenCoop. Das hieße "die Angriffe auf solidarische Strukturen beenden und dabei helfen, den Mafiosi in der Wirtschaft und den Zerstörer_innen unserer Lebensgrundlagen das Handwerk zu legen".
Gegen die Willkür von Polizei und Justiz!
Freie Fahrt für die Energie- und Umweltbewegung!
Für eine solidarische und dezentrale Wende!