Social Center for Burkhard Jung – ein soziales Zentrum für den Oberbürgermeister

"Social Center for all": Besetzte ehemalige Führerscheinstelle in Leipzig, 7. März 2016

Seit November 2015 fordert ein “selbstorganisiertes Bündnis” ein soziales Zentrum in Leipzig. Nach dem vergangenen Wochenende kann von einem gescheiterten Projekt gesprochen werden. Eine linke Sicht auf die Irrungen und Wirrungen der letzten Tage und Monate.

 

Worum geht es eigentlich?


Im Aufruf zum Projekt wird die Situation wie folgt beschrieben:

  • “Aus zahlreichen Unterkünften wird berichtet, dass es an den grundlegendsten Dingen wie Verpflegung oder an medizinischer Versorgung mangelt – ein würdevolles Leben ist hier nicht möglich! Isoliert von der restlichen Bevölkerung, ohne jede Möglichkeit, die Sprache zu lernen, zu arbeiten oder ihre Zeit selbst zu gestalten, verbringen die Menschen ihre Zeit in Lagern, die sie sowohl seelisch als auch körperlich zermürben und krank machen. Dies gilt auch für Leipzig. Es ist ein Skandal, dass zurzeit mehr als 22.000 Wohnungen leer stehen.”

Beim angestrebten sozialen Zentrum ging es dann jedoch gar nicht mehr um ein würdevolles Leben und den Leerstand in Leipzig, wie sich im Folgenden zeigen wird.

 

Nach einer Reihe von “Utopia Workshops”, bei denen viele Menschen irgendwas zu einem neuen Zentrum träumen sollten, folgte Mitte Dezember die erste “symbolische Besetzung” von Räumen der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Die Universität lobte nach der reibungslosen Räumung die “ordentlichen und sauberen Besetzer”, und alle waren mit der Aktion zufrieden. So konstatiert danach ein Mitstreiter im Interview mit dem Kreuzer:

  • “Bei der ersten Besetzung wollten wir die Medien auf unser Anliegen aufmerksam machen. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine symbolische Besetzung viele Kapazitäten frisst. Einen weiteren Symbolakt können wir nicht stemmen.”

Es ging also um Aufmerksamkeit. Im nächsten Jahr sollte wieder besetzt werden, dann aber richtig! 

 

Die Gretchenfrage: Gibt es in Leipzig dafür nicht schon genügend offene Räume?


Diese Frage stellte der Kreuzer, nicht wenigen geht es ähnlich. Zumindest gibt es in kaum einer anderen ostdeutschen Stadt so viele (Haus-)Projekte, linke und alternative Räume, Wagenplätze und vieles mehr. Die Antwort im Interview:

  • “Die bestehenden Räume sind für viele, die sich engagieren und nicht aus der Szene sind, nicht ansprechend. Durch das »For All« wollen wir es schaffen, dass auch Leute aus anderen Milieus zu uns kommen.”

Mag sein, dass die Räume nicht alle ansprechen. Aber ist das überhaupt das dringendste Problem für die Menschen in den Lagern und Unterkünften? Sollte es nicht eigentlich um ein würdevolles Leben mit Privatsphäre, sicherem Rechtsstatus und der Möglichkeit, sich ein eigenes Leben aufzubauen, gehen? Braucht es wirklich ein soziales Zentrum, um einen Kampf gegen institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus zu organisieren? Zudem lässt der Vertreter des Social Centers verlautbaren: “Demonstrationen gegen rassistische Übergriffe haben keinen Nutzen.”

 

Auf einer Podiumsdiskussion im Januar (“Social Center 4 All und Hausbesetzen reloaded – eine linke Antwort auf die angebliche ‘Flüchtlingskrise’?”) wurde eine Vertreterin ebenfalls nach den Zielen gefragt. Eine Antwort, warum es das soziales Zentrum in Leipzig braucht, gab es wieder nicht. Vielmehr schien sich der Eindruck zu bestätigen, dass es Teilen des Bündnisses um ein zusätzliches Projekt in der Stadt geht. Denn der Zweck des Gebäudes, wenn darin kein Wohnraum für Menschen aus den Lagern geschaffen werden soll, wird nicht erhellt. Genauso finden sich keine Antworten, weshalb die bestehenden Projekte und Räume nicht für weitere Menschen geöffnet werden können. Viele von diesen wären sicher auch für weitere Unterstützung und Ideen dankbar. 

 

“Antirassistische Bewegungen in Leipzig”


So der Titel eines Textes der Gruppe “Prisma/Interventionistische Linke Leipzig” auf der Seite des geplanten Social Centers. Er unternimmt einen Versuch, die Bewegung in Leipzig zu beschreiben:

  • “Zu Beginn der 90er Jahre war dies vor allem die Verteidigung des eigenen Lebensumfeldes gegenüber Nazis und Rassist*innen und der Versuch, Räume zu schaffen, in welchen es Gruppen von Neonazis nicht länger möglich war, organisierte Angriffe auf Migrant*innen und Asylsuchende zu verüben. Auch in den 2000er Jahren lag der Fokus häufig auf der Auseinandersetzung mit Neonazis; zu nennen sind hierbei vor allem die Aufmärsche von Christian Worch, welche durch vielfältiges antifaschistisches Engagement nach und nach unterbunden werden konnten.”

Weiter geht es mit dem Mord 2010 an Kamal K., um daraufhin ins Jahr 2015 zu springen. Die rassistischen Morde der 90er Jahre in Leipzig wie diesen hier unterschlagen, und fertig ist die kurze und platte Geschichte bei Prisma. Dabei wird die gar nicht so lange zurückliegende Arbeit antirassistischer Gruppen wie LExil, der Umtauschinitiative, dem Initiativkreis NoHEim und der Antirassistischen Gruppe Leipzig einfach nicht mehr erwähnt. Der Zustand “antirassistischer Bewegungen in Leipzig” in den 90er Jahren bleibt im Dunkeln. Dies verweist vielleicht auch auf die inhaltliche Schwäche des aktuellen Bündnisses. Immerhin hätte eine Beschäftigung mit den Inhalten der Antirassistischen Gruppe Leipzig etwas zu den politischen Akteuren des vergangenen Wochenendes beitragen können. Etwa durch den Vortrag “Ist Rot/grün im Bereich Einwanderungspolitik das kleinere Übel gegenüber Schwarz/Gelb?”:

  • “‘Wenigstens nicht ganz so rassistisch, wie der Stoiber!’ höre ich einige sagen. Dass dem nicht so ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Und zwar nicht anhand rassistischer Äußerungen der beiden Kanzlerkandidaten – die gibt es zuhauf – sondern einer Betrachtung der drei großen Projekte Rot-Grüns in der Einwanderungspolitik: der Reform des Staatsbürgerschaftsrecht, der Greencardverordnung und des kürzlich verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes…”

 

“Wir wollen keinen linken Ruf entstehen lassen.”


Diese Aussage findet sich auch im Kreuzer-Interview. Innerhalb der radikalen Linken dürfte dieses Ziel am Wochenende erreicht worden sein. Lediglich BILD und AfD sehen nach der Besetzung Erfolge und beschwören das Bild einer fiesen linksradikalen Aktion.

 

Zur Erinnerung: Bei der Podiumsdiskussion im Januar ging es noch um eine “linke Antwort”. Am vergangenen Wochenende blieb es wieder nur bei einer “symbolischen Besetzung”, obwohl es doch dieses Mal ernst werden sollte, wie noch im Dezember getönt wurde.

 

Den größten Gegenwind erfuhr die Besetzung von der SPD und den Grünen. Überraschenderweise war es der Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke), der eine Räumung der Polizei verhinderte. Dabei fragen sich seit Jahren nicht wenige, warum er eigentlich Mitglied dieser Partei ist.

 

Am Montag wurde die Besetzung aufgegeben, um einen Termin beim Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung zu bekommen. Dafür wurde extra ein Kuchen gebacken. Nun gäbe es wahrlich eine Menge Gründe, ihm und seiner Partei einen Kuchen nach dem anderen ins Gesicht zu werfen. Zuletzt beispielsweise seine Gleichsetzung von Links und Rechts nach dem Angriff von Neonazis in Connewitz, seine Aussagen im Dezember oder die Tatsache, dass er sich von den großen Playern der Immobilienbranche den Wahlkampf finanzieren lässt. Jung wäre also ein prima Ansprechpartner für die Frage, warum Geflüchtete in Leipzig doch nicht so einfach in Wohnungen leben können.

 

Stattdessen haben sich die BesetzerInnen auf Gespräche mit dem Oberbürgermeister und den Grünen eingelassen und schon mal einen Verein gegründet, um mit der Stadt zu verhandeln. Nun können sie sich Gedanken um Nutzungskonzepte, Geld, Brandschutz und weiteren Verwaltungskram machen. Dabei hieß es ursprünglich:

  • “Deshalb brauchen wir einen Ort:

    den alle Menschen selbst gestalten und über den sie selbst bestimmen können, fernab von jeglicher Verwaltung durch Behörden oder Wachdienste!…

    Wir sind keine Parlamentarier*innen und haben nicht so viel Zeit.”

Am Wochenende wurde noch mit Hassi auf dem Dach herumgeturnt, am Montag bei der eigenständigen Räumung roter Rauch gezündet, dabei wollte man doch keinen “linken Ruf” entstehen lassen, der überdies auch die guten Kuchengespräche hätte gefährden können. Letztendlich ließ man sich wieder auf die Spielregeln der klassischen Politik ein und unterließ jegliche Kritik an den Parteien und den gesellschaftlichen Zuständen.

 

Als Geflüchtete am 2. Februar 2016 gegen die Zeltstadt am Deutschen Platz protestierten und eine Demonstration zum Rathaus organisierten, waren ihnen die Tore versperrt, ein Gespräch gab es nicht. Dem Bündnis war dieser unterschiedliche Umgang jedoch keine Kritik wert. Vielleicht hätten die Geflüchteten im Februar auch einfach einen Kuchen backen sollen.

 

Noch etwas fällt auf: Mit “Ums ganze!” (Gruppe “The future is unwritten”) und “Interventionistische Linke” (Gruppe “Prisma”) sind zwei große bundesweite Zusammenhänge – manche sprechen auch von “BewegungsmanagerInnen” – Teil des Bündnisses für das Social Center Leipzig. Dies spiegelt sich aber nicht in der Beteiligung wider. Nicht nur die Besetzungen waren für Leipziger Verhältnisse eher schlecht besucht. Vielleicht liegt es an den unklaren Zielen und Aussagen. Abgestimmt wird innerhalb der radikalen Linken jedenfalls mit den Füßen. Mit der Vereinsgründung und der engen Kooperation mit der Stadt kann das Projekt in naher Zukunft als gestorben betrachtet werden.

 


 

Text zugesandt von: anonym

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Sehr guter Text. In Berlin ist es exakt das Gleiche.

In Berlin wurden die beiden ersten Besetzungen durch Großaufgebote geräumt, in Leipzig wurden die Besetzungen freiwillig verlassen und zur öffentlichkeitswirksamen Aktion erklärt. In Berlin gab es keinen Kuchen für Henkel, keine Verhandlungen mit irgendwem außer den jeweiligen Hausbesitzern und erstrecht keine vorrauseilenden Distanzierungen von Soliaktionen. Auf absurde Angebote wie "wenn ihr das Haus verlasst sind wir bereit mit euch zu verhandelt" wurde ebenfalls nicht eingegangen, das weiß sicherlich wer die Besetzungen verfolgt hat. Ich richte mich mit der Antwort nicht an dich weil ich keine Grundlage für eine Diskussion sehe, du solltest dich einfach verziehen. Aber wer sich informieren möchte findet auf Twitter einen ausführlichen Ticker (mit Fotos von Lageaufklärern, Zivischweinen und -karren) der Besetzungen/Räumungen und auf dem Blog Texte zu den Konzepten. 

 

Ungefähr nichts in diesem Text außer der Kritik am Konzept der Notübernachtung hat Leipzig mit Berlin gemein, aber man kann das ja mal in den Raum stellen. Mein nächster Kommentar wird lauten "In Mainz genau das gleiche.". Da ist nämlich auch irgendwas, was ich nicht mag.

Ein wirklich interessanter Text insofern, als sich hier die aktivistische Linke in Leipzig zerfleischt. Respekt, Respekt.

 

Der Großteil der Kritik – und gerade das mediale Spiel mit der vorgeblichen Unterbringung Geflüchteter – ist seit Beginn der SC4A-Initiative bekannt: Diesen Makel haben auch die Willkommensinitiativen im Osten und im Westen Leipzigs, deren Ziel die WG-Unterbringung war. Kein Mensch redet heute darüber.

 

Genauso wenig wird bemängelt, dass die Zahlen zum Leerstand schon beim ersten Aufruf viel zu hoch waren und renditebasierte Verdrängungsmechanismen beiseite wischen. Der historische Abriss zu menschenfeindlichen Gewalttaten in Leipzig kann von dem Aufruf gefordert werden. Allerdings ist das falsch. Nach jahrelanger guter Arbeit gibt es (auch bei Inventati) genügend Quellen, um dies nachzuvollziehen, ohne den Aufruf unlesbar aufzublähen.

 

Ähnlich indifferent ist die halbherzige (öffentliche) Abkehr von einer linken Szene zu werten. Offensichtlich verfolgt das SC4A zutiefst linke Ziele. Dass sie auf so zugeschriebene Merkmale verzichten will, ist verständlich: hier macht sich eine neue Generation auf den Weg, die zu bestehenden linken bzw. Antifa/Antira-Strukturen kaum Kontakt hat und weite Teile der auch jüngeren Leipziger Geschichte nur aus Mythen kennt. Das ist durchaus zu beklagen, kann aber auch ein Ansporn sein, diese Menschen in Strukturen einzuladen, anstatt ihnen anzulasten, dass sie angesichts des Gewaltmonopols (die "Leipziger Linie" ist bekannt?) einen Verein zu gründen versuchen. Welche ehemalige Besetzung existiert denn heute noch OHNE Verein? Keine.

 

Allein, dass das Social Center hier die Schritte verwechselt, sich auf Verhandlungen mit der Stadt einlässt und das Druckmittel aus der Hand gibt, wäre zu kritisieren. Aus militanter Sicht ein wirklich unverzeihlicher Schritt. Was aber hätten Bilder herausgetragener Aktivist_innen bewirkt? Ein bisschen Fame in der Linken (Szene). In der Realität wären zig Menschen demotiviert für weitere Aktionen gewesen. Wir haben eben nicht mehr die 1990-er. Alle haben Bammel vor veröffentlichten Fotos, die ihnen irgendeine Zukunft verbauen könnten – und sei es nur bei den Eltern der angebeteten Person.

 

Die Gretchenfrage ist eine andere: Wieso erscheint der Artikel jetzt und nicht schon vor Wochen? Der Aufruf war in allen genannten Punkten zu kritisieren. Die symbolische Besetzung in Plagwitz war redundant; in der Öffentichkeit kam an, dass wieder mal Studierende ihre Uni kurz besetzen und alles weiterläuft wie zuvor. Spätestens das Kreuzer-Interview hätte einen Aufschrei (sic!) erzeugen müssen (sic!)

 

Eine Antwort wäre, dass sich die in Grabenkämpfen zwischen Bündnis- und Parteigrenzen befindliche Leipziger Linke von diesen jungen, nur in sehr engen Zusammenhängen vernetzten Menschen einen Impuls erhofft(e). Dieser neue Impuls will aber eine sehr enge Gewaltgrenze nicht überschreiten. Auch wenn das ein Zukunftsziel sein soll, könnte die Option ins Auge gefasst werden, auf diesem Weg einen neuen Freiraum zu erobern, der montär getützt wird duch die Gesamtgesellschaft.

 

Um mehr als diesen Freiraum, der mutmaßlich im Leipziger Osten liegen soll, scheint es nicht zu gehen. Wenn hier zum ersten Mal auch Migrant_innen – über Obdachlose und anders diskriminierte Menschen reden wir noch nicht – einbezogen werden können, verdient das Solidarität.

 

Wer besetzen will um der Besetzung willen, soll das bitte selbst tun. #squat

das ist doch eine andere. wieso wird im artikel und in der antwort überhaupt nicht darauf eingegangen, dass eine linke stadträtin das scoial center die ganze zeit unterstützt hat? jule nagel hatte zum support aufgerufen, die demo angemeldet, war selbst vor ort, auch als die grünen sich nacvh ihrer pressemitteilung ans sc4a begeben hatten.

 

damit wäre auch die frage nach dem zeitpunkt des artikels beantwortet. die worte GEWALT und MILITANZ fehlen völlig, werden aber bedauernd angerissen:

Am Wochenende wurde noch mit Hassi auf dem Dach herumgeturnt, am Montag bei der eigenständigen Räumung roter Rauch gezündet, dabei wollte man doch keinen “linken Ruf” entstehen lassen, der überdies auch die guten Kuchengespräche hätte gefährden können. Letztendlich ließ man sich wieder auf die Spielregeln der klassischen Politik ein und unterließ jegliche Kritik an den Parteien und den gesellschaftlichen Zuständen.

wie gewohnt entsolidarisiert sich die radikale linke entlang der frage, ob gewalt sinnvoll/zulässig ist.