Köln: In die Offensive gegen Nation, Kapital und Patriarchat!

Plakat des Antifa AK Koeln

Aufruf des Antifa AK Köln zur bundesweiten Frauen*kampftag Demo in Köln am 12. März 2016 „Anarchie im Schatten des Doms“, so betitelte der Kölner Stadtanzeiger nach den zahlreichen  Übergriffen in der Silvesternacht einen seiner Kommentare. Der Rechtsstaat sei in schlimmster Form verhöhnt worden- die drastische Schilderung der Ereignisse lässt Rückschlüsse zu, dass dies scheinbar das Schlimmste ist, was der Autor sich vorstellen kann. Wie in fast allen anderen Artikeln sind auch hier die Wörter Sexismus und Patriarchat abwesend- eine verräterische Abwesenheit, die Hinweise auf den unheilvollen Charakter der geführten Debatte gibt.

 

Denn unter einer handfesten Bedrohung des Staates macht es der Autor scheinbar nicht. Dass es Frauen* sind, die von sexualisierter Gewalt bedroht waren und sind, ist nicht das gravierendste. Gewalt gegen Frauen* reicht scheinbar an sich nicht aus- es muss immer gleich der Staat sein, der gefährdet ist. Frauen*, die  von Gewalterfahrungen betroffen sind, werden so, ohne ihr ausdrückliches Wollen, als untergeordnete Bestandteile in den bürgerlichen Rechtsstaat eingegegliedert, als Besitz der Gemeinschaft gehandelt. Passend dazu werden die, von außen, kommenden Horden herbeihalluziniert, die diesen Staatsbestand bedrohen. Die alltäglichen sexuellen Übergriffe, welche von „deutschen“ Männern, meist im Nahumfeld, begangen werden, sind so nicht nur unsichtbar gemacht- sie werden in die Undenkbarkeit verschoben und noch der letzte Sexist darf sich  als Beschützer von Frauen* aufspielen. 

 

Und das geschieht reichlich: Während die, die sexuelle Gewalt gegen Frauen* normalerweise ignorieren und verharmlosen, nun dankbar die Gelegenheit wahrnehmen, ihren Kulturalismus unter „progressiven“ Vorzeichen voll auszuleben, halten sie Feminist*innen, den eigentlichen Erkämpfer*innen und Verteidiger*innen von Frauen*rechten vor, sie sollten sich in der Frage von Zuwanderung, Islam und co. endlich „mal positionieren“. Angekleidet mit dem warmen Mantel der moralischen Überlegenheit können sich „einheimische“ Sexisten nun bei jedem Stein, den sie Frauen* in den Weg legen, auf die „wirklich“ schlimmen Fremden berufen- die meist als Muslime gedacht werden. Gegen Feminist*innen, die die Kultur der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen* kritisieren und lautstark für deren Abschaffung kämpfen, protestiert es sich nochmal so gut mit dem Verweis, dass Frauen* in anderen Regionen der Welt noch viel weiter davon entfernt sind, sich ihren Subjektstatus vollständig erkämpft zu haben als in Europa. Implizit schwingt in diesem Vergleich immer eine Drohung mit. Es ist die Drohung der Macht, das Erkämpfte rückgängig zu machen und Frauen* hinter den bereits, von ihnen, erkämpften Fortschritt zurückzuwerfen. Einher mit diesem Wunsch geht die perverse Faszination für die als rückständig gedachte Kultur der Muslime. Die detaillierte Auseinandersetzung mit der sexualisierten Unterdrückung in all ihren Details verweist auf die Projektion der Wunschvorstellung nach Unterdrückung, die durch den Kampf der Frauen* um ihren Subjektstatus nicht mehr ungehindert befriedigt werden kann, auf die Vorstellung vom Islam. Diesem wird zugeschrieben, was sich als Wunsch selber nicht eingestanden werden kann. Um diesen Widerspruch aufzubrechen wird dem Islam gleich die Alleinvertreung partriachaler Unterdrückung auferlegt, womit er sich zur Zielscheibe hasserfüllter Bestrafung wandelt.

 

Der Konflikt, der nach Silvester geführt wurde, war kein Kampf für Frauen*rechte- es verständigten sich nur unterschiedliche Herrschaftssphären in der westlichen Gesellschaften über Frauen*, die sie als ihren Besitz betrachten. Für die bürgerliche Mitte geht es um Rechtsstaat und das Gewaltmonopol des Staates. Die Ausgeschlossenen, die Frauen* angreifen, die diesem angehören, greifen diesen selbst an. Die extreme Rechte, die mit brüllenden Ausbrüchen verbaler und nonverbaler Gewalt reagierte, schickte sich an, eine  „Kultur“,zu schützen, in der  Frauen* als Gebärmaschinen gelten. Während auf dem Tahir Platz, der mehrfach für einen Vergleich mit dem Bahnhofsvorplatz herhalten musste, Aktivist*innen Gruppen zur Intervention in Übergriffe und Versorgung der Betroffenen  organisierten, drängte der deutsche Tatendrang zur Bürgerwehr. In zahlreichen Städten bildeten sich Zusammenhänge aus Hooligans,Rockern,Türstehern und organisierten Neo-Nazis. Aus diesen Reihen kam es, wie zu Erwarten, nicht zur Unterstützung von Frauen* sondern in erster Linie zu rassistischen Angriffen. Als parlamentarische Variante und Grundlage der Identifikation von nicht-weißen als potentielle Täter und der darauffolgende  Flaschenwurf  erwies sich schnell die Erfindung des Nordafrikaners und die Forderung der Abschiebung. Dass das meiste, was gemeinhin als „sexuelle Belästigung“ gilt überhaupt nicht unter Strafe steht entlarvte schnell , wie wenig es vielen, die nach schärferer Repression gegen Geflüchtete riefen um den Schutz von Frauen* und Mädchen vor Gewalt ging.  Auf Emanzipation zielt hier, außer den verzweifelten Versuchen linker Feminist*innen sich in der Debatt Gehör zu verschaffen gar nichts- Lediglich die Unterdrücker streiten sich über ihre Projektion.

 

Die erste Reaktion der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker war entsprechend. Es war ein absurdes Beschuldigen der Betroffenen, welches eine ermüdende Standardreaktion darstellt, wenn eigentlich Gewalt gegen Frauen* thematisiert werden sollte. Die Bürgermeisterin riet Frauen* in einer Pressemitteilung tatsächlich dazu, immer eine Armlänge Abstand zu fremden Männern zu halten. Eine Aussage, die aufgrund der Gewaltbereitschaft übergriffiger Sexisten weitaus mehr als eine Armlänge Abstand zur Realität aufweist.

 

Der Charakter dieser Debatte zeigt- hier kam nicht der Diskurs zum Ereignis, sondern das Ereignis zum (rassistischen) Diskurs. Die Ereignisse wurden deshalb explosionsartig so hochgekocht, weil bereits überall rassistische Denkweisen vorhanden waren, die ein solches Ereignis nur erwarteten. Der kulturalistischen Halluzination vom, von außen, anstürmenden Sexisten setzen wir die Analyse entgegen, das Patriarchat, Kapital und Nation zusammengehören- und das überall auf der Welt.

 

…and the rest is HIStory

 

Die kapitalistische Produktionsweise kann nicht ohne die Bestimmung und Entwertung des weiblichen Körpers gedacht werden. Die Entmachtung von Frauen* ist das Ergebnis des in den Jahrhunderten nach dem Ende des Feudalismus in Europa tobenden und letzlich verlorenen Klassenkampfes. Die Geschichte der Verdrängung von Frauen* aus allen Bereichen des Lebens in den reproduktiven Sektor, ist nicht bloß Frauen*- sondern Klassengeschichte.
Um Frauen* den Platz zuzuweisen, an dem das Kapital sie benötigte- in der Reproduktionsrolle- ging die Bourgeoisie in den entstehenden Nationalstaaten unter Komplizenschaft der entstehenden Arbeiterschaft zum unverhohlenen Angriff über. Frauen*rechte und -macht, die zuvor in der Selbstversorgungswirtschaft des Feudalismus existierten, wurden abgeschafft, um eine Reproduktionsrolle für die benötigte proletarische Arbeitskraft zu bilden. Dies wurde durch den sich zeitgleich herausbildenden religiösen Protestantismus zur göttlichen Fügung der menschlichen Gesellschaft verklärt. Der heutige Stand der kapitalistischen Verhältnisse ist, wie auch die Stellung von Frauen* im Produktionsprozess, keine menschliche Natur sondern gesellschaftliche Einrichtung. Die Herausbildung der bestehenden kapitalistischen Machtverhältnisse war also nicht nur eine Machtergreifung der Bourgeoisie über das Proletariatat, sondern auch eine von Männern über Frauen* und Europäern über Kolonialisierte.  Denn auch wenn beispielsweie die Hexenverfolgung ein Krieg der Herrschenden gegen prekarisierte Frauen* war, waren es die proletarischen Männer, die die Vernichtung geschehen ließen, die formelle Verdrängung der Frauen* aus dem Handwerk ging einher mit dem Wunsch der Männer nach dem Ausmerzen der Konkurrenz und der Angriff auf die Rechte von Frauen* konnte seinen Terror erst durch das Ausnutzen der formellen Schutzlosigkeit der Frauen* durch gewalttätige Arbeiter entfalten.

 

Wie es um Frauen*rechte in einer Gesellschaft bestellt ist, ist keine Frage der Kultur, es ist eine politische Frage. Es ist eine Frage von Produktionsverhältnissen und von Kämpfen der Selbstermächtigung gegen diese. Auch die westlichen Gesellschaften, welche für sich die Aufklärung in Beschlag nehmen, produzieren patriarchale Gewalt. Die Debatte um einen Kampf der Kulturen weisen wir zurück- Wir fordern eine Debatte um Frauen*manzipation von gewalttätiger Männlichkeit. Die moderne Form des Patriarchats ist nicht zu denken ohne den Kapitalismus- ebenso wie der Kapitalismus ohne das Patriarchat nicht funktionieren kann. Denn die Care- und Reproduktionsrolle, welche zur Regeneration der Arbeitskraft zwingend benötigt wurde, fiel durch die bereits bestehende patriarchale Prägung der Gesellschaft historisch Frauen* zu- und klebt an ihnen bis heute. Diese Rolle entmächtigt Frauen*- insbesondere heute sind Frauen*, wenn sie arbeiten wollen, der doppelten Vergesellschaftung durch Kinderbetreuung und Arbeit ausgesetzt. Eine wirkliche Gleichberechtigung ist nicht ohne die Aufhebung des Kapitalverhältnisses zu haben- eine Infragestellung der kapitalistischen Verhältnisse ist wiederum nicht denkbar ohne den feministischen, antipatriarchalen Kampf. Silvia Federici bezeichnete das, was uns als Verhältnis gegenübersteht, als „Lohnpatriarchat“- dieses gilt es abzuschaffen.

 

Was nun?

 

Eine radikale Linke, die antritt, um sich mit feministischen Kämpfen zu solidarisieren, steht zunächst vor einem offensichtlichen, gewaltigen Defizit. Die radikale Linke muss sich mit der Vorstellung abfinden, dass sie die Spitze von feministischen Kämpfen längst verlassen hat- oft hapert es schon an der bloßen Beteiligung. Die großen antisexistischen Kämpfe der letzten Jahre wurden stets ohne Unterstützung des größten Teils der radikalen Linken geführt. Die stark von Männern dominierte Restlinke muss sich also zunächst in den Dialog- in die gemeinsamen Kämpfe- in die Verständigung zurückbegeben. Zu oft wurden Kapital und Patriarchat nicht zusammen gedacht, sondern das eine Haupt- und das andere als Nebenwiderspruch gedacht. Wie ein feministischer Antikapitalismus- ein antikapitalistischer Feminismus gestaltet werden könnte, ist jedoch eine Frage, die nur zusammen mit Feminist*innen die antipatriarchale Kämpfe bereits führen, geklärt werden kann. Ohne dies zusammenzuführen, ist eine kommunistische Bewegung nicht denkbar. Ein möglicher erster Schritt hierzu kann es sein, am 12. März die Stimme gegen Gewalt gegen Frauen*, gegen das Patriarchat und seine Strukturen zu erheben.

 

Zusammen denken, was zusammen gehört – Zusammen bekämpfen, was Teil der Unterdrückung ist!

Für einen feministischen Antikapitalismus – für einen antikapitalistischen Feminismus! 

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"Eine wirkliche Gleichberechtigung ist nicht ohne die Aufhebung des Kapitalverhältnisses zu haben - eine Infragestellung der kapitalistischen Verhältnisse ist wiederum nicht denkbar ohne den feministischen, antipatriarchalen Kampf."

 

Dies sehe ich etwas anders, auch wenn mir der Anfang und der letzte Absatz des Textes sehr gut gefallen. Ich würde meinerseits formulieren:

 

"Für AntikapitalistIn­nen mag es politisch nützlich sein, sich auch mit dem Geschlechterverhältnis und Ras­sismus zu befassen, aber eine sich logisch aus Antikapitalismus selbst ergebende Notwendigkeit dafür gibt es m.E. nicht. Das gilt entsprechend umgekehrt auch für AntirassistInnen und Feministinnen: Auch für sie mag es politisch nützlich und analytisch aufschlußreich sein, sich auch mit den Klas­senverhältnissen zu befassen; aber eine logische Notwendigkeit dafür ergibt sich aus Antirassismus bzw. Feminismus selbst nicht. [...]

Klassen- und Ge­schlechterherrschaft und -ausbeutung sind unter jeweils spezifischen historischen Um­ständen entstanden, sie unterliegen historischem Wandel und sie sind prinzipiell über­windbar, aber sie sind nicht aus einander ableitbar; sie sind zwar nicht von einander ge­trennt, sondern beeinflussen und modfizieren sich wechselseitig, aber sie sind Unter­schiedliches und von einander unterscheidbar. Ihre Unterschiedlichkeit ist die Voraus­setzung ihrer Wechselwirkung."

 

(http://www.trend.infopartisan.net/trd0116/Spezifitaet_Historizitaet_Materialitaet_VORTR-ENTW.pdf, S. 9 f.)

Auch heutige Gesellschaften sind patriarchal, aber sie sind es nicht, weil das Kapital oder der Kapitalismus daran schuld wäre.

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/171589