Der Vollblut-Polizist

Erstveröffentlicht: 
12.02.2016
Er ermittelte in der DDR bei Mordfällen und führte in den 90er-Jahren die legendäre Soko Rex. Nach der Ära als Landespolizeipräsident wurde er 2012 Chef des Operativen Abwehrzentrums (OAZ) in Sachsen und Polizeipräsident von Leipzig: Bernd Merbitz. Morgen wird er 60. VON FRANK DöRING

 

Leipzig. „Worüber wollen wir reden, über meinen 60. Geburtstag? Ist das denn so interessant?“ Bernd Merbitz wirkt aufgekratzt. Es ist der Tag, nachdem der Leipziger Polizeipräsident vor einer wachsenden Pogromstimmung im Land warnte. Ein Moskauer Sender hat gerade wegen eines Interviews angefragt, das ARD-Morgenmagazin ebenso. Selbst in australischen und US-Medien wird „the german police chief“ zitiert. „Dabei ging es mir doch überhaupt nicht darum, eine solche Welle zu machen und ständig im Fernsehen zu sein“, meint er und legt sein ewig brummendes Smartphone auf den Tisch. „Ich habe nur gesagt, was mal gesagt werden musste.“ In Zeiten, wo immer weniger Leute Klartext reden, hört man jenen umso mehr zu, die dies tun. Viele hätten ihm danach zugestimmt, sagt er, entschuldigten bisweilen ihr eigenes Schweigen, sie dürften ja „so etwas“ nicht sagen.

 

Merbitz darf, meistens. Als er im Oktober 2013 erstmals vor dem Leipziger Stadtrat auftrat, klingelten manchen im sächsischen Innenministerium die Ohren. Er fahre seine Beamten auf Verschleiß, polterte er. Wochentags eine „Interventionspolizei“, die von einem Fall zum nächsten springe, am Wochenende „Eventpolizei“, die immer mehr Fußballspiele und Demonstrationen absichern müsse. Jeder im Saal wusste, was das war: Eine deutliche Konfrontation zu Innenminister Markus Ulbig (CDU) und dessen Reformplänen. Der Parteifreund hatte Merbitz als Landespolizeipräsidenten ablösen lassen und ihn 2012 zur Leipziger Polizeidirektion weggelobt.

 

Dieser Abschied aus der Landeshauptstadt, er schien in den Augen vieler Beobachter eine Degradierung zu sein. Dabei war es für Merbitz auch eine Rückkehr zu seinen Wurzeln.

 

Kaffee, Zigarette und ein Ausflug in die Vergangenheit: In Leipzig übernahm der damalige Major in den 1980er-Jahren die Morduntersuchungskommission bei der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei. „Da wollte ich immer hin“, erinnert er sich. „Das waren für mich die absoluten Vollprofis, die Crème de la Crème. Und eines Tages wurde ich hier Leiter. Wahnsinn!“ Dann die Wende. Austritt aus der SED. Und die Frage, ob er, der ehemalige Volkspolizist, in dieser neuen Zeit bestehen kann. 1991 wurde Merbitz Abteilungsleiter im Landeskriminalamt (LKA) für Extremismus, Terrorismus, polizeiliche Spionagebekämpfung. Ein DDR-Polizist als Chef des Staatsschutzes? „Ich habe mich damals selbst gefragt, wie das denn gehen soll“, räumt Merbitz ein. Der damalige LKA-Präsident habe ihm aber versichert: „Junge, merke dir eines, bei uns gibt es keine Sippenhaft.“

 

Nicht alle sehen das so. Kritiker arbeiten sich bis heute an seiner DDR-Karriere und der SED-Mitgliedschaft ab, halten ihm seinen Abschluss als Diplom-Staatswissenschaftler an der Hochschule der Deutschen Volkspolizei vor. Merbitz holt tief Luft, als dieses Thema zur Sprache kommt. „Es bewegt einen noch immer, wenn solche Äußerungen kommen“, gesteht er. „Man will mich persönlich treffen. Aber ich lebe mit meiner Biografie.“

 

Und die Bedrohungen? Seit Gründung der Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) in den 1990er-Jahren muss er Anfeindungen von Neonazis über sich und seine Familie ergehen lassen. Merbitz schweigt auf diese Frage zunächst. Nach einer knappen Minute räuspert er sich und sagt: „Man versucht, mich in bestimmten Situationen einzuschüchtern. Meine Familie hat sehr darunter gelitten. Es gab Momente, da habe ich mich schon gefragt, was tue ich meiner Familie an?“

 

Insofern rang der Vater von zwei Töchtern – ein Sohn aus erster Ehe wohnt nicht mehr zu Hause – auch sehr mit dem Auftrag des Innenministers, ab 2012 das Operative Abwehrzentrum (OAZ) zur Bekämpfung extremistischer Straftaten aufzubauen. „Das war nicht leicht. Meine Frau sagte: Denke dran, wie sehr du unter den Schmähungen und Anfeindungen gelitten hast. Musst du dir das antun? Man macht sich Sorgen, denn die Drohungen sind schon ziemlich konkret.“ Nach einer halben Nacht habe er sich dazu entschlossen. Inzwischen ist er in der Öffentlichkeit fast immer mit mehreren Personenschützern unterwegs.

 

Was ihm Mut macht: Viele bestärkten ihn in seiner Arbeit, auch seine Familie. Als er 2009 vom Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem erstmals verliehenen Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde, habe er „erst mal verdammt tief durchgeatmet“. Ein stolzes Gefühl sei das gewesen. „Zumal damit auch die Arbeit unserer gesamten Mannschaft gewürdigt wurde.“

 

Die Mannschaft, seine Polizei: „Wir sind schon eine große Familie“, sagt er. „Ich bin hier groß geworden, kenne alle Bereiche.“ Das hängt auch damit zusammen, dass der Polizeipräsident fast immer selbst draußen ist, wenn große Einsätze anstehen, ob nun bei Ermittlungen nach Bandenkriegen im Leipziger Osten oder bei den wöchentlichen Legida-Demonstrationen, wo ihm „Merbitz – Volksverräter“ entgegengeschrien wird.

 

Einmal ist er nachts mit Beamten des Reviers Zentrums spontan Streife gefahren. „Da ging es ohne Pause von einem Einsatz zum nächsten. Das war auch für mich eine echte Erfahrung.“ Ein anderes Mal packte der Chef sogar selbst zu. Als er im Juli 2013 nach einer Schießerei in der Leipziger Eisenbahnstraße am Tatort ein Fernsehinterview gab, stürzten plötzlich zwei Dealer aus einer Spielothek und prügelten sich. „Das war ein Moment, da habe ich mir gesagt: Du hast die Uniform an, also musst du auch was machen.“ Merbitz trennte die beiden. Doch die Schläger gingen erneut aufeinander los. Merbitz büßte seine Uhr ein, als er wieder dazwischenging. Mit der Verstärkung traf auch eine Kommissarin ein. Sie habe gesagt: „Oje, oje, was haben wir nur für einen Präsidenten! Nachts fährt er mit uns Streife, tagsüber prügelt er sich in der Eisenbahnstraße.“ Merbitz lacht laut, wenn er über die Episode spricht. „Aber man muss als Polizeipräsident unseren jungen Bediensteten auch was vorleben.“

 

Selbst in erschütternden Momenten, wenn es einem selbst schlecht geht. Bei den Straßenschlachten am 12. Dezember, als rund 1000 Linksautonome die Polizei mit Pflastersteinen angriffen, stand Merbitz plötzlich eine junge Beamtin gegenüber. Sie setzte den Helm ab und weinte. „Was machen die mit uns?“, schluchzte sie, „ich habe doch auch Kinder!“ In solchen Momenten müsse man aufpassen, dass man nicht selbst schwach wird, sagt Merbitz. Andererseits komme ein ganzer Schwall an Emotionen hoch. Auch Wut. „Ich frage mich dann: Woher nehmen die das Recht, uns so anzugreifen?“, wird der Polizeipräsident plötzlich sehr laut, „so einen Schaden zu verursachen und im Nachhinein sofort den Vorwurf zu erheben, es sei ein brutaler Polizeieinsatz gewesen. Das tut elend weh.“

 

Oder der Angriff auf den Polizeiposten in Leipzig-Connewitz am 7. Januar 2015: „Wer ist überhaupt imstande, so etwas Brutales auszuführen?“, fragt sich Leipzigs oberster Polizist noch immer. „Da drinnen saßen zwei Bürgerpolizisten, die haben Todesängste ausgestanden, waren lange Zeit dienstunfähig. So etwas war für mich bis dahin unvorstellbar. Ein Kollege hat neulich gesagt: Die Uniform ist schon lange kein Schutzschild mehr, sondern ist Zielscheibe geworden.“

 

Sehr lange habe ihn auch der schreckliche Unfall im Mai 2013 auf der A14 beschäftigt. Zwei junge Bereitschaftspolizisten waren auf der Fahrt zum Einsatz mit ihrer Hundertschaft nach Leipzig tödlich verunglückt. Merbitz sinkt auf seinem Stuhl etwas zusammen, als er darüber spricht. „An dem Tag habe ich mich meiner Tränen nicht geschämt. Da schnürt es einem noch immer die Luft ab.“

 

Wie soll so einer, der sich mit Haut und Haaren der Polizei verschrieben hat, in den Ruhestand gehen? Durch die Anpassung der Lebensarbeitszeit für sächsische Beamte ist das ehemalige Pensionsalter von 60 Jahren – der frühere Kripo-Chef Uwe Matthias brauchte noch eine Ausnahmeregelung, um seinen letzten Mordfall lösen zu können – für Merbitz kein Thema. Wenn er am 13. Februar Geburtstag hat, sind es noch ein Jahr und vier Monate bis zu seiner Pensionierung. „Wie dann weiter entschieden wird, ob ich weitermachen will oder man mich fragt, ist offen.“

 

Jetzt freut er sich erst einmal auf seinen Geburtstag. Große Überraschung für alle: Bernd Merbitz feiert ihn mit seiner Familie. „Sonst war immer die Verwandtschaft da und wer fehlte? Ich!“ Dieses Jahr verreist er für ein paar Tage mit Frau und Kindern. „Ich frage mich ernsthaft, ob ich nicht viel mehr Zeit mit meiner Familie hätte verbringen müssen“, sagt er und zieht tief an seiner Zigarette. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich da ein bisschen egoistisch bin, vor allem in Hinsicht auf meinen Beruf.“

 

Dann bricht er das Gespräch plötzlich ab. Nach gut drei Stunden, eine halbe Stunde war geplant. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Merbitz muss weg, er hat noch einen Abendtermin.

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Sehr ergreifend!

 

Soll ich jetzt auch Bulle werden? Nee...

Niemand muss PolizistIn werden!!! Es sei denn es liegt ein pathologischer Fetisch vor... ;))