„Hier findet ein Genozid statt“

Kurdistan 1

Interview mit Deniz Bagok, YPS-Kämpfer in einem Viertel von Nusaybin 


Was ist die YPS? Warum baut ihr Barrikaden und grabt Gräben aus?


Alle organischen Wesen haben drei grundlegend Instinkte: Selbstverteidigung, Fortpflanzung und Ernährung. Früher gab es die YDG-H, das war aber nur die Jugend, nun gibt es die YPS, die zivilen Selbstverteidigungskräfte. Seitdem die Angriffe des türkischen Staates faschistischer und barbarischer werden, haben wir eine neue Bewegung und militärische Kraft gegründet, um unsere Selbstverteidigung zu organisieren. Sie dient dazu, unsere kulturelle Identität als Kurden und die Autonomien, die wir ausgerufen haben, zu verteidigen.

 

Am Anfang griffen wir den Feind mit Steinen und Molotows an, der Feind antwortete mit Gasgranaten und Plastikkugeln. Als die Angriffe des Feindes umfassender und härter wurden, griffen wir zu den Waffen. Was nicht heißt, dass wir Waffen für besonders toll halten: wir sind keine Freunde von Waffen und Gewalt. In Sur, Cizre, Silopi sehen wir allerdings, wie der Feind auf die barbarischste Art und Weise, so barbarisch wie der IS in Rojava, Menschen umbringt und auch nicht davor zurückschreckt, schwangere Mütter und Alte umzubringen. Für die Verteidigung und Sicherheit unseres Volkes haben wir die YPS gegründet und hierfür gebrauchen wir unsere Waffen. Der Feind nutzt schwere Waffen, von A4 über Dotschkas bis hin zu Panzern und Artillerie. Wir hingegen nutzen Kalaschnikows, um uns gegen den Feind zu verteidigen. Die Gräben und Barrikaden nutzen wir ebenfalls dafür, um den Feind davon abzuhalten, dass er in unsere Viertel einmarschiert.

 

Seit 1919 akzeptiert der türkische Staat uns Kurden nicht und versucht uns mittels genozidalen Mitteln kulturell wie physisch auszurotten. Seit 2013 gab es den sog. Friedensprozess. Der wurde aber am 15. Oktober 2014 beendet: an diesem Tag fand eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates statt, auf der das Kriegskonzept wieder auf die Agenda kam. Schlussendlich wurde Abdullah Öcalan seit dem April 2014 isoliert und die Angriffe des Staates haben zugenommen.

 

Wir haben daraufhin unsere Autonomie ausgerufen. Wir sind auf keine staatliche Institution oder Armee mehr angewiesen und verteidigen unser Land selbst. Wir wollen mit unserer Kultur und Sprache leben und da der türkische Staat das nicht erlaubt, haben wir diese Selbstverteidigungskräfte gegründet und werden unser Volk unter allen Umständen verteidigen, egal was passiert. Wir werden unser Bestes versuchen, um eine Zukunft in Freiheit für unser Volk herzustellen. Bis zum letzten Tropfen unseres Blutes.

 

Wir rufen nicht nur alle Kurden, sondern all diejenigen, die sich Mensch nennen, dazu auf, sich uns anzuschließen. Denn hier findet ein unmenschlicher Krieg und Genozid statt. Europa schweigt hierzu. Wir kritisieren das scharf. Egal ob Sozialdemokraten oder Sozialisten – wir rufen alle dazu auf, was hier passiert nicht schweigend hinzunehmen, sondern hierauf so zu reagieren, wie es sich für Demokraten gebührt. Keiner, der sich Mensch oder Demokrat nennt, kann zu dem, was hier passiert, schweigen, weghören oder wegsehen.


Es gab, wie du schon erwähnt hast, einen Friedens- und Lösungsprozess. Warum ist die Situation gekippt? Was denkt sich der Staat dabei, wenn er einen barbarischen Krieg entfesselt?


Wie Kemal Pir schon sagte: wenn das Kurdenproblem gelöst wird, dann wird auch das Türkenproblem gelöst werden. Denn es gibt eigentlich ein Türkenproblem. Erdogan will ein Präsident, ein Sultan wie im Osmanischen Reich sein. Deshalb erleben wir eine Eskalation des Krieges. Die Regierung ist machtbesessen geworden und möchte weiterhin an der Macht bleiben. Und um das zu erreichen, möchte sie eine ganze Gesellschaft und ihre Kultur ausrotten. Hierfür mobilisiert sie den Nationalismus und propagiert folgenden Slogan: “ein Vaterland, eine Sprache, eine Religion, ein Staat.”

 

Einst hieß es in den USA: es gibt hier nur Weiße, obwohl es doch auch Schwarze gab. Dasselbe wird derzeit mit uns Kurden versucht. Man kann aber etwas, was existiert, nicht verschweigen. Wir existieren und wir werden dafür sorgen, dass das anerkannt wird. Akzeptieren sie das nicht, werden wir ihnen das in die Schädel einprügeln.


Seit Monaten nehmen die kriegerischen Auseinandersetzungen zu, die Belagerung ganzer Städte verschärft sich. Wohin wird sich dieser Krieg entwickeln?


Wenn dieser Krieg so weitergeht, müssen wir uns von der Türkei trennen. Wenn der türkische Staat uns nicht akzeptiert, werden wir unsere demokratische Autonomie allein machen.

 

Wir sind gegen den Staat: die Existenz des Staates ist die Verneinung der Gesellschaft, ist die Ausbeutung der Gesellschaft seitens des Staates. Und wenn sie unsere Autonomie nicht akzeptieren, werden wir jeden einzelnen Polizisten, Gendarmen und Militär von hier verjagen. Das ist das Land unserer Großväter, niemand kann uns von hier verjagen. In den 90ern haben sie unsere Familien vom Land vertrieben und sie mussten in die Städte migrieren. Solch ein kultureller Genozid wird nicht noch einmal stattfinden, wir werden sowas nicht akzeptieren. Die Kurden heute sind nicht die Kurden von einst. Wir werden Widerstand leisten bis zum Tod.


– Das Interview führte Kader Yildirim
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Da hat es die PKK, mitsamt ihren diversen Unter- und Bei -Organisationen, durch ihren ideologischen Wandel der letzten Jahre, und insbesondere durch ihre strategisch wichtige und emanzipatorische Haltung der letzten beiden Jahre im syrischen Bürgerkrieg, geschafft, endlich von ihrem poststalinistischen Image wegzukommen und weltweit Beifall und Unterstützung bis ins libertäre Lager zu bekommen, da kommt das LCM daher und man fragt sich, was das alles soll. 

Das Vorgehen der türkischen Bullen und des türkischen Militärs in den "kurdischen Gebieten" ist ohne Zweifel barbarisch. Gezielte Hinrichtungen von Zivilisten, Heckenschützen, Einsatz schwerer Waffen gegen zivile Ziele. Darüber berichten selbst die bürgerlichen deutschen Medien, wie z.B. der Spiegel. Nicht täglich, aber es wird berichtet. Aber das ist kein Genozid. Und zielt auch nicht darauf ab. Das Vorgehen gegen die armenische Minderheit 1915/16 brachte zwischen 300.000 - 1,5 Mio Menschen den Tod (Die Schätzungen varieren stark), das Massaker nach dem gescheiterten kurdischen Aufstand in der Region Dersim 1937/38 kostete über 10.000 Menschen das Leben. Im syrischen Bürgerkrieg sind schon 2012/13 fast täglich über einhundert Menschen, in der Mehrzahl Zivilisten, durch Regierungstruppen getötet worden. Es gilt, bei aller verständlichen Empörung, in wesentlichen Begrifflichkeiten, wie Genozid, bei der notwendigen Einordnung zu bleiben. Besonders dumm, und der "Sache" der PKK besonders schädlich ist ein Gerede vom kulturellen Genozid.

Warum also sammelt das LCM wochenlang Spenden, um Leute ins kurdische Gebiet der Türkei schicken zu können, wenn solche dümmlichen Interviews dabei heraus kommen. Wenn schon unbedingt Propaganda (artikel) , dann sollte(n) sie doch bitte wenigstens zweckdienlich sein und nicht geradezu völkische Klischees bedienen. Wäret ihr lieber mal in Berlin/ Wien, oder wo auch immer geblieben.

Das ist ein Interview, du Dummerchen. Ein Interview bedeutet: Wir stellen fragen, die Leute geben eine Antwort. Übrigens: Ich nehme an, du warst nie hier, bist definitiv jetzt nicht hier und hast deine Weisheit im Internet gefunden. Der Jugendliche hinter den Barris mag für dich den "falschen" Begriff wählen, aber er kämpft hier und sitzt nicht irgendwo rum und spuckt Töne. Seine Freunde sind gestorben, seine Familie hat nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr. Aber hoho, er wählt den "falschen Begriff" und da kriegt die PKK jetzt ein "poststalinistisches" Image bei Leuten wie dir. Wahrscheinlich das schlimmste, was dir je passiert ist, seit es mal keine Soja-Milch für die Latte mehr gab und außer das eine Mal, als dein Lieblingsplattenladen geschlossen hatte, just zu dem Zeitpunkt als die neue Mumford&Sons rauskam. Eine Bitte: Lies was anderes als uns. Bye bye.

 

Grüße aus Sur, da wo das Knallen nicht der Bass aus dem Berghain ist, du Penner.

Das ist ein Interview. Genau. Darum geht es ja. (das Dummerchen lassen wir mal raus) Das ein junger Kader/ Kämpfer mit ungenauen, Völkermord-relativierenden Begrifflichkeiten arbeitet, geschenkt. Ich habe früher auch Polizei- SA- SS auf Demos gerufen. Was es aber für einen Sinn macht, von hier in die kurdischen Gebiete zu reisen, um dann solch oberflächliche Propaganda Interviews auf linksunten zu stellen erschliesst sich mir eben nicht. Die linksbürgerliche taz hat z.B. letztens einen Bericht aus Sur abgedruckt (der Tod und die Stadt http://www.taz.de/!5266259/), aus dem ich mehr über die Situation dort mitnehme als aus diesem PR Interview. Warum seid ihr eigentlich dort? Eure tweets geben nicht mehr her als andere, wenn ich wissen will, was tagesaktuell dort los ist, schaue ich eher bei Küpeli ( https://twitter.com/ismail_kupeli ) nach.

 

Es gibt nun schon seit Jahrzehnten eine kritische Diskussion über die Solidarität mit "nationalen Befreiungsbewegungen", und da ich viel zu alt bin, um ins Berghain zu gehen, habe ich diese Diskussion seit etlichen Jahrzehnten eben auch mitverfolgt. Das jemand militant oder bewaffnet kämpft, sagt eben nicht das geringste über die "Richtigkeit" seiner Ansichten und Haltungen aus. Das eine linke Kritik aber abgewatscht wird als vom Schreibtisch aus, kenne ich ebenso seit Jahrzehnten. Und mal nebenbei, was macht ihr eigentlich? Ist LCM nicht auch ausschließlich ein Projekt von Leuten, die viel Zeit darauf verwenden, ihre Ansichten im Internet zu veröffentlichen?

 

Und die Masche, die missbeliebige Meinung von Menschen zu entwerten, indem ihnen unterstellt wird, einer bestimmten "Scene" anzugehören, ist einfach nur billig und denunzinatorisch. Ich kenne im Gegensatz zu dir/Euch die angesprochende Mumford and Son nicht, nehme aber an, dass es eine irgendwie angesagte Band ist. Meinen Espresso trinke ich im übrigen schwarz und ich behaupte mal, dass der "Penner" im seinem Leben mehr Zeit auf Demos und bei "action" verbracht hat, als die gesamte LCM Redaktion zusammen. Was aber auch nur eine alberne "Schwanzlänge" Vergleichsnummer ist, weil weder das Alter noch die "Heldentaten" etwas darüber aussagen, wie richtig oder falsch die Argumentation eines Menschen ist.

… dass ihr beide sooo recht habt!

 

wirkt jetzt verrückt oder "irgendwie" ausgleichend, klar, aber es ist ja wirklich ein etwas unzusammenhängend gestammelter text des jungkämpfers und das mit dem genozid-begriff hast du, Karl, ja schon durchargumentiert und dann freundlicherweise doch "geschenkt". trotzdem, wenn ich mir vorstelle, und dazu ist das interview ja eine gute quelle, wie es in dem jungkämpfer aussehen muss, kann ich die haltung nachvollziehen. was nicht das gleiche ist, wie gutheißen!
authentisch ist das interview allemal und ich denke, den leutchen vom lcm vorzuwerfen, sie würden immer sowas schreiben, würde es jetzt nicht so ganz treffen. da ist allgemein viel gutes dabei.

 

also zankt euch nicht kinderlein und alles gute, für karl und besonders für die leute vom lcm! passt auf euch auf!

Seltsam, dass jemanden der Kritik anmerkt so ein Ton der Verachtung entgegenschlägt. Bezeichnend auch welche Ansammlung von Begriffen dazu dient den Kritiker als lächerlich dazustellen. Anscheinend soll man den tollen Jungs vom Lower Class Magazin dankbar dafür sein, dass sie da hinfahren wo's knallt und das sie "so richtig nah dran sind". Was für ne beschissene Mackerpose ist das denn? Die Leute die im Südosten der Türkei um Autonomie und ein menschenwürdiges Leben kämpfen machen das nicht, weil es so viel Spaß macht. Sie machen es weil es notwendig ist und sie keine andere Wahl haben. Sie geben ihr Leben für den Kampf um Befreiung und zahlen dafür einen sehr hohen Preis. Da bleibt wenig Platz für die Pin up Poster-Revolutionsromantik nach Art des Lower Class Magazins, dass den Dummerchen vor den Computerschirmen erklärt wie die Sache läuft.

das ist also "Kritik" den Heval, der da kämpft, als "dümmlich" zu bezeichnen.

Natürlich tut er das, es ist ja auch ganz typisch für die deutsche Wohlfühllinke, von ihren eigenen Diskursen auszugehen und alle, die diese nicht so mitbekommen haben als "dümmlich" "unemanzipatorisch" (was auch immer das genau bedeuten soll) oder auch als "Macker" (pfff, noch sone leere Worthülse) zu bezeichnen.
Wie schon richtig bemerkt wurde, ist Genozid nunmal der Begriff den ALLE PKK-Organisationen um die Situation in Kurdistan zu beschreiben. Denen dürfte es auch relativ egal sein, was ein Internetkrieger aus Deutschland davon hällt.

Warum LCM da ist? Hast schon recht, bräuchten sie eigentlich nicht, Küpeli reicht schließlich - genau das hätte ich von dir auch erwartet. Überhaupt besteht auch kein Unterschied zwischen Journalismus und Dummschwätzen in Kommentarspalten.
Vertief dich doch bitte wieder für die nächsten Jahrzehnte in Szenediskurse und lies weiter Küpeli!

Das LCM hat, soweit ich das sehe, bislang vier längere Reportagen in jW und ND veröffentlicht und jetzt dieses Interview. Was Karl aufstößt, ist, dass die Worte, die der Jugendliche wählt, nicht in das Bild der Situation passen, dass er sich irgendwo gemacht hat. Nun, genau dazu gibt es Journalismus. Damit man Stimmen vor Ort hören kann, und sie einordnen kann. Der Vorschlag von Karl, das "nicht zu veröffentlichen", heißt ja nur: Man soll zensieren uns rausschneiden, was nicht in ein vorgefertigtes Bild reingeht.

"Der Journalismus ist ein Terminhandel, bei dem das Getreide auch in der Idee nicht vorhanden ist, aber effektives Stroh gedroschen wird" oder auch "Der Fluch des Journalismus sind die Leute, die ihn betreiben"

 

Karl Kraus, jüdischer Autor, Herausgeber, Satiriker, gestorben 1936 in Wien

KarlKraus du weist echt gar nichts über PKK oder Kurden.

Könnte sein, Karl, dass du einfach nie irgendwas von der PKK liest (dass du mit deinem Kenntnisstand nicht zwischen den Diskursen und den unterschiedlichen Bereichen der kurdischen Bewegung - PKK, HPG, KCK, YPS, YDGH bis hin zur HDP unterscheiden kannst, nehmen wir mal als gegeben hin), und dein "Image" vor allem durch das bestimmt wird, was der Spiegel dir grade als PKK verkauft?

 

Dass das ein "Genozid" ist, ist die offizielle Position der PKK. "Sie hat erneut gezeigt, dass sie weder die Lösung der kurdischen Frage anstrebt noch über eine demokratische Mentalität verfügt, sondern auf eine kulturellen Genozid praktizierende Kolonialherrschaft aus ist" - aus einer der letzten Erklärungen der KCK. Davon gibts dutzende Statements. Aber hey, warum nicht einfach mal labern.