Delegationsreise des "Internationalistischen Zentrums" Dresden nach Griechenland Teil 2

Orfanotrofio in Thessaloniki - 1

Orfanotrofio in Thessaloniki

Am 26.12. besuchten wir den Squat Orfanotrofio (Waisenhaus) im Viertel Toumba in Thessaloniki. Ein Ort, der von Geflüchteten und dem „antiautoritären Raum“ [1] und anderen aktiven Menschen aus Thessaloniki gemeinsam besetzt und verwaltet wird.

 
Zur Geschichte

 

Im September 2015 entstand der Plan ein solches Projekt gemeinsam zu organisieren. Durch die „No Border kitchen“ in Eidomeni entwickelten sich Kontakte und Beziehungen zwischen Aktivist*innen aus Thessaloniki und Geflüchteten vor Ort. Zusammen wurde nach Möglichkeiten gesucht, Wohnraum und Treffpunkte zu schaffen. Mit der Schließung der Grenze vor 3 Wochen (siehe unseren Bericht Teil 2) wurde ein selbstorganisierter Raum unabdingbar. Für viele war klar, dass spätestens jetzt gehandelt werden musste. Daraufhin besetzten Geflüchtete, die an der mazedonischen Grenze abgewiesen wurden, gemeinsam u.a. mit Menschen des antiautoritären Raums das sog. Orfanotrofio. Das Gelände gehört der Kirche und wurde bis 2013 schon einmal besetzt. Vor drei Wochen kamen Priester mit den Cops und sprachen abermals Räumungsandrohungen aus. Passiert ist danach jedoch nichts. Eine anarchistische Genossin schätzt die Lage als relativ entspannt ein. Ihr zufolge haben die Cops gerade keinen akuten Grund zu räumen, da die griechische Regierung weder eine Perspektive noch den politischen Willen hat, Wohnraum für Geflüchtete und andere gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen zu schaffen. Trotzdem handelt es sich um ein besetztes Haus und ist damit nie völlig sicher.


In the occupied home…“
(„Im besetzten Zuhause…“)
 

Orfanotrofio in Thessaloniki - 2

 

Inzwischen leben dort ca. 70 Personen: Kinder, Frauen*, Männer*, jung und alt. Das Haus bietet 54 Refugees und rund 20 weiteren Personen Platz. Unter ihnen z.B. auch eine ehemals wohnungslose Frau aus Thessaloniki, die jetzt in dem besetzten Haus (Squat) aktiv ist. Auch deutsche Aktivist*innen, unter anderen aus Göttingen, sind vor Ort. Theoretisch gäbe es Platz für 120 Menschen, aber das nur bei minimalem Komfort. Innerhalb des Hauses gibt es eine Küche, medizinische Versorgung, Lagerräume für Hilfsgüter, einen Versammlungs- und Gemeinschaftsraum und Schlafzimmer. Organisiert wird sich in und über tägliche Versammlungen. Hierbei wird versucht die Partizipation für alle zu ermöglichen, denn jede Person hat eine Stimme und über Entscheidungen wird abgestimmt. Es wird versucht Barrieren abzubauen, damit mehr Refugees an den Versammlungen teilnehmen. Jedoch ist dies ein Prozess der seine Zeit benötigt. In der Küche sind die Grenzen inzwischen größtenteils verschwunden. Hier wird gemeinsam für alle gekocht und eine Trennung zwischen „Refugees“ und „Aktivist*innen“ oder „Frauen“ und „Männern“ ist kaum noch spürbar. So nimmt auch die ehemals wohnungslose Frau nicht die Rolle der „Obdachlosen“ ein, sondern ist einfach aktiver Teil des Projektes.

 

Es gibt grob zwei Versammlungstrukturen. Eine für den politischen Rahmen und eine zweite für praktische Aufgaben. Aus der praktische Struktur haben sich weitere Arbeitsgruppen (AG) gebildet. Eine AG für das Material, das gebraucht wird. Die zweite AG ist für die Küche zuständig. Die dritte ist die „welcome group“. Sie kümmert sich z.B. um die Schlafplatzsuche neu ankommender Leute oder deren Transport zum Squat. Die vierte Gruppe organisiert die Infrastruktur, also Elektrizität, Wasser, sanitäre Anlagen und Wärme. Außerdem gibt es eine Team aus Anwält*innen und Mediziner*innen. An den Versammlungen nehmen verschiedenste Einzelpersonen und Menschen aus politischen Gruppen teil und das Orfanotrofio bekommt viele Unterstützungsangebote von weiteren selbstorganisierten Projekten. So gibt es die Möglichkeit, dass Menschen im Falle einer Räumung in anderen besetzten Häusern unterkommen können.


Auch in der Nachbarschaft findet das Projekt großen Anklang. Täglich kommen Menschen, die Sachen spenden oder einfach kurz vorbeigucken um ihre Solidarität zu bekunden. Ein Grund dafür liegt auch in der Geschichte des Viertels. Es ist ein traditionelles, linkes Arbeiter*innenviertel.

 

In a bosses world we are all strangers
(„In einer Welt der Chefs sind wir alle Fremde“)

 

Orfanotrofio in Thessaloniki - 3

 

Noch gibt es keinen klaren politischen Rahmen. Aktive erzählten uns, dass es für sie gerade wichtiger ist, praktische Hilfe zu gewährleisten. Konflikte müssen gelöst, Essen gekocht, geputzt und das Miteinander gestaltet werden. Erwerbslosigkeit und die damit verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung und der Mangel an finanziellen Mitteln sind zum Beispiel große Probleme, die zu Spannungen führen. Einige Genoss*innen mit denen wir geredet haben, kritisieren zwar den fehlenden politischen Rahmen des Projekts, unterstützen es aber dennoch, da sie es als unerlässlich betrachten und die Notwendigkeit von Soforthilfe sehen. Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass es allein durch eine Besetzung noch keine Perspektive für Geflüchtete geben würde. Andererseits kann es ein erster Schritt sein, um Menschen einen anderen und selbstorganisierten Weg aufzuzeigen. Perspektive bedeutet eben auch nicht ausgegrenzt zu werden, sich irgendwo aufgenommen und willkommen zu fühlen, seine Erfahrungen teilen zu können und gleichberechtigt an Entscheidung zu partizipieren. Ein Leben auf der Straße bietet jedenfalls keine solche Perspektive. Ein gemeinsamer politischer Rahmen kann entstehen, wenn das Projekt nur genug Zeit hat, sich zu entwickeln. Dafür müssen auch wir den notwendigen politischen Druck schaffen. Ein erster Schritt ist es, das Projekt bekannter zu machen und für direkte Unterstützung zu sorgen. Die Offenheit macht es auch möglich, dass sich verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Spektren einbringen können. Es sei nur wichtig offen zu reden und einige grundlegende Prinzipien zu beachten, erzählt uns die oben genannte Genossin weiter. So ist es möglich, dass der Squat von einer breiten Basis getragen wird und das der „antiautoritäre Raum“ auch mit linken Gruppen und Einzelpersonen zusammenarbeiten kann. So ergibt sich mittlerweile ein enges „Netz der Bewegung“ das durch eine Stadtkarte für Geflüchtete sichtbar gemacht wird.

 

Zu den grundlegenden Prinzipien gehören zum Beispiel das Hausverbot für Drogendealer*innen und Konsument*innen, Schleuser*innen oder Cops. Aufkommende Konflikte untereinander sollen nicht mit Gewalt gelöst werden und jegliche Diskriminierung z.B. aufgrund von Nationalitäten, Geschlecht oder Religion hat hier keinen Platz. Ein weiterer wichtiger Teil des Selbstverständnisses ist die klare Abgrenzung zu NGOs und staatlichen Institutionen. Darüber hinaus spricht das Orfanotrofio seine Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht aus, egal woher sie kommen, mit oder ohne Papiere. Ihre Solidarität gilt allen Menschen die gegen die „Festung Europa“ und für das Recht auf globale Bewegungsfreiheit kämpfen.

 

Zusammenfassung

 

Im Orfanotrofio wird versucht eine Alternative zu leben. Es ist ein Beispiel dafür wie Wohnraum entstehen und selbstorganisiert werden kann. Das alles ist ein Prozess. Doch schon jetzt bietet der Ort für viele Menschen eine Perspektive innerhalb der scheinbar aussichtslosen Situation. Durch emanzipative und offene Ansätze soll ein Ort geschaffen werden, an dem Refugees zugehört wird und gleichwertige Partizipation möglich ist.

 

Das Orfanotrofio zeigt, wie wichtig selbstorganisierte Räume sind, in denen Menschen unterkommen können. Die Vernetzung solcher Projekte untereinander, Ansprechbarkeit und gegenseitige Hilfe sind Strategien, die uns trotz des allgegenwärtigen repressiven Grenzregimes wieder handlungsfähig machen. Mit einer globalen Vernetzung unterschiedlicher selbstorganisierter Zentren können wir Informationen verbreiten, ansprechbar sein, Wohn- und Schutzraum zur Verfügung stellen und damit Bewegung möglich machen. Die globale solidarische Zusammenarbeit autonomer Projekte stellt eine Strategie im Kampf für ein selbstbestimmtes Leben, außerhalb staatlicher Bevormundung dar. Diese Schutzräume müssen wir uns gemeinsam nehmen und verteidigen!

 

 

Wir möchten auch in Dresden die Diskussion um selbstorganisierte Räume anstoßen. Dafür wird es Anfang Januar eine Veranstaltung zu sozialen Zentren geben. Wir haben Menschen der Leipziger Initiative „social center for all“ zu Gast und wollen auch über die Erfahrungen hier in Griechenland sprechen. Wir würden uns freuen, wenn sich viele interessierte Menschen an dieser Diskussion beteiligen und laden euch recht herzlich dazu ein. Ort und Zeit wird noch bekanntgegeben.

 


Das Orfanotrofio braucht dringend Unterstützung! Es fehlt z.B. an Großwaschmaschinen, um z.B. die Notdecken, die noch aus Eidomeni stammen und bei der Räumung von den Cops mutwillig verdreckt wurden, zu reinigen. Über die Möglichkeiten wie das Orfanotrofio direkt unterstützt werden kann, denken wir im Moment nach. Sollte es gemeinnützige Vereine geben, die ihr Konto für evtl. Spenden zur Verfügung stellen würden, dann meldet euch bei uns. Wir werden versuchen einen festen Kontakt zu dem Projekt herzustellen. Denkbar wäre z.B. eine Einbindung in den momentan in Griechenland und Deutschland diskutierten antiautoritären, internationalen Solidaritätsfond.


 

[1] Der „antiautoritärer Raum“ ist eine Eigenbezeichnung der nicht-parlamentarischen Strukturen in Griechenland die sich horizontal, d.h. mit möglichst geringen Hierarchien organisiert und Parteienpolitik ablehnt. Er umfasst sowohl Einzelpersonen als auch verschiedene feste und lose Gruppen die sich an anarchistischen und libertär -kommunisitischen Ideen orientieren.

 

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