[Balkanroute] "politics of closed borders" - Zur Situation in Idomeni (GR)

Solidarity with refugees!

Folgender Text ist ein Bericht einer Crew des Kieler Netzwerk Antirassistische Aktion [nara], die derzeit zur Unterstützung Geflüchteter auf dem Balkan unterwegs ist, über die derzeitige Lage in Idomeni (Griechenland). Dieser Bericht, dessen englische Version weiter unten zu finden ist, ist vom 28.12.2015, weitere sind unten verlinkt.

“Nachdem wir im Squat über die steigenden Polizeigewalt in Idomeni informiert worden sind, fuhren wir dorthin, zurück an die Grenze zu Mazedonien. Auf dem Weg dahin war viel Polizei zu sehen. 20 km vor der Grenze sahen wir eine Tankstelle, an der sich ca. 200 Menschen aufhielten. Sie werden mit Bussen aus dem Süden Griechenlands (von den Inseln über Athen) zur Tankstelle gebracht, um die Situation an der Grenze in Idomeni zu „entspannen“. Dadurch stehen an der Grenze Zelte mit Decken, Nahrungsmitteln und beheizte Zelte als Aufenthaltsmöglichkeit, sowie warme Duschen und Toiletten nahezu ungenutzt, während die Menschen, bewacht von Polizist*innen, 20 km davon entfernt auf einer Autobahn-Verkehrsinsel festsitzen, an der es nur eine Tankstelle gibt.


In Idomeni berichtete eine Genossin, die uns begleitete, dass sie vor 3 Wochen schon einmal für ein paar Tage im Camp an der Grenze war und dass sich im Vergleich dazu das Camp um einiges verkleinert hat. Da die Menschen an der Tankstelle 20 km vor der Grenze zum Warten gezwungen werden, erweckt es in Idomeni direkt den Anschein, es werde keine große Hilfe und Zelte dort benötigt. NGO’s reduzieren daher ihre Helfer*innen und Materialien.


Trotz der Auslagerung der Wartezone für Refugees ein paar km vor die Grenze, kamen schon alleine in den 2 Stunden, in denen wir dort waren, ca. 5 Busse an. Die Menschen wurden mit Trillerpfeifen in Zweierreihen gezwungen und zur mazedonischen Grenze geführt. Auf dem Weg dorthin konnten sie sich an den Zelten der NGO’s Decken und Essen holen. An der Grenze wurden die Menschen selektiert und ihren Herkunftsländern entsprechend durften sie über die Grenze nach Mazedonien oder mussten zurück zu den Bussen, mit denen sie dann wieder nach Athen gefahren werden. Wie schon in vorausgegangenen Berichten beschrieben wurden nur Menschen mit Papieren aus Afghanistan, dem Irak und Syrien über die Grenze gelassen. Allen anderen wurde erst an dieser Stelle, nachdem sie das Busticket nach Idomeni zahlen mussten, mitgeteilt dass sie zurück nach Athen müssen und nicht den Schritt über die direkt vor ihnen liegende Grenze tun dürfen. Stattdessen müssen sie das Busticket zurück nach Athen zahlen.


Es grenzt schon an unglaublichen Sadismus, die meist hoch traumatisierten Menschen von den Inseln nach Athen zu fahren, dort warten zu lassen, bis sie sich ein Ticket für einen der „Refugee Busse“ an die Grenze kaufen können, sie dann an einer Tankstelle bis zu 20 Stunden warten zu lassen bis ein Bus sie abholt, um sie an die mazedonische Grenze zu fahren, dort aufgereiht zu werden, einen Steinwurf vor die Grenze geführt zu werden, nur um dann zurück gezwungen zu werden zu den Bussen, von einem Busfahrer und der Polizei wieder in die Busse nach Athen geschubst zu werden. In Athen selber kommen die Refugees in menschenunwürdige Unterbringungen und viele von ihnen werden von dort abgeschoben in das Land, aus dem sie geflohen sind. Nicht nur, dass Menschen, die Hilfe brauchen und eine sichere Bleibe benötigen nicht geholfen wird und sie wieder dahin geschickt werden, wo sie bedroht sind von Krieg, Hunger, Verfolgung oder ähnlichem, sondern dass die Menschen hin und her gefahren werden, ohne darüber informiert zu werden, was passiert, wohin sie fahren und ohne etwas erfragen und zu ihrer Behandlung sagen zu können, da keine Dolmetscher anwesend sind, ist ein weiteres Element der unmenschlichen Abschottungs- und Ausbeutungspolitik.


In Idomeni ist seit ein paar Tagen die Grenzmiliz Frontex stationiert. Die ehrenamtlichen Helfer*innen vor Ort befürchten, dass der Umgang mit den Refugees durch Frontex noch mehr systematisiert wird und auch wesentlich härter mit ihnen umgangen wird. Während wir dort waren, trafen wir auf einen Minderjährigen, der alleine unterwegs war und dem das Passieren der Grenze verboten wurde. Er weigerte sich wieder in den Bus nach Athen zu steigen. Einer der Grenzwächter (vermutlich Polizist) ergriff ihn harsch und wollte ihn in den Bus zwingen. Als er uns sah, änderte sich seine Vorgehensweise abrupt und er redete in einem „freundlichen“ Ton auf ihn ein, indem er ihm den Arm um die Schultern legte. Diese Situation zeigt, wie wichtig es ist, dass internationale Beobachter vor Ort sind! Durch die Verkleinerung des Camps ist dies immer weniger der Fall und kaum jemand erfährt von der Gewalt und der Demütigung, die den Menschen dort widerfährt.


Im Squat Thessaloniki konnten wir mit Hilfe eines Dolmetscher vor Ort und Support von Freunden übers Telefon dem Jugendlichen über die Situation an der Grenze und seine Möglichkeiten informieren.


Am Abend fuhren Aktivist*innen noch einmal an die Grenze und danach zur Tankstelle. An der Tankstelle in Polikastro befanden sich ca. 100 Menschen, von denen ungefähr 50 draußen warteten. Sie klagten über die Kälte und in den Gesprächen wurde deutlich, dass sie keine Ahnung hatten, wo sie waren, wohin sie gebracht werden sollten und wie der weitere Ablauf ist.


Nur wer über Geld verfügt, kann sich in der warmen Tankstelle aufhalten und sich mit Essen und Trinken versorgen. Sowohl in als auch außerhalb der Tankstelle befanden sich viele Kinder, die zum Teil keine warme Kleidung oder Decken hatten. Einige Menschen versuchten sich an Müllfeuern zu wärmen um die Temperaturen um die 0 Grad aushalten zu können.
Aus dieser Notsituation wird überall Profit geschlagen.


Die Vorgehensweise, dass Menschen nicht zu einem Ort mit intakter Versorgungsmöglichkeit für alle gebracht, sondern aufgeteilt werden und keine Informationen erhalten, bis sie kurz vor der Grenze stehen, kann als Versuch bewertet werden, begonnene selbstorganisierte Proteste zu unterdrücken und Gegenwehr zu verhindern.
Solidaritätsbestrebungen werden durch das Selektionsverfahren direkt an der Grenze fast unmöglich gemacht.”

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“As they informed us in the squat about increasing police violence in Idomeni, we went to this small city at the border to Macedonia. On our way we saw a lot of police. At 20km from the border we realized that there were 200 people at a petrol station. Busses coming from the south of Greece via Athens let them off at this petrol station (and not in Idomeni) in order to „ease“ the situation at the border. Therefore near the border tents with blankets, heated tents as reception rooms, showers and toilets are deserted and the food stays untouched, while a lot of people are trapped at a highway traffic island only 20km away where the only overnight accommodation is that petrol station.


A comrad which accompanied us to Idomeni had already visited the camp at the border three weeks ago, she mentioned that the size of the camp got much smaller since then. As people are forced to wait at the petrol station 20km from the border, NGOs in Idomeni could get the impression that there is no need for help or tents, that is why they reduce the number of their volunteers and their materials. But things aren’t what they seem: the waiting area for refugees has only been displaced a few kilometers. During the two hours of our staying there, round about 5 busses arrived at the petrol station. With sounds of whistles people were forced in two rows and escorted to Macedonia’s border, on their way they could get blankets and food in the NGO tents. At the border the refugees are segregated because of their countries of origin: some of them could cross the border, others had to return to the busses which take them back to Athens. Like already mentioned in other reports, only people in possession of Afghan, Iraqi and Syrian identity documents were allowed to enter Macedonia. Only at that moment (after traveling from the Greek islands to Athens, after waiting there impatiently, after having paid the ticket for one of those „refugee busses“ to the border, after waiting up to 20 hours at that petrol station for a transfer to the border, after being lined up and being escorted to Macedonia’s border), all the others – most of them traumatized – got to know that they are not allowed to pass the border right in front of them and that they have to buy a bus ticket to return to Athens. This is sadistic. People are forced by the police to get on their busses again which return them to Athens. In the capital they are housed in inhumane accommodations, from there many of them are deported back to the country they fled from. People in need of help and a safe place to live don’t get it, on the contrary they are sent back to regions where they are threatened by war, starvation, persecution and so on. Furthermore, they are transported from A to B without being informed about anything, neither where they are brought nor what is going on. They can’t really ask or protest ’cause there are no translators present, which is only one more element of an inhuman politics of closed borders and refugees’ exploitation.


Since some days ago the border police Frontex is stationed in Idomeni. In view of Frontex’ activities at the Greek-Macedonian border, volunteers are afraid that refugees are gonna be treated a lot tougher.


During our staying at the border we met an unaccompanied minor refugee who was not allowed to pass the border. As he refused to get on his bus again, one of the boarder guards (probably a cop) grabbed him harshly and wanted to put him back in the vehicle. When the boarder guard saw us, he stopped and talked to the youth in a „friendly“ tone laying his arm on the youth’s shoulder. This episode underlines the importance of international observers’ presence. Due to the reduction of the camp, less and less observers come to Idomeni, that’s why almost nobody gets to know the violence and the humiliation that happens to the people at the border.


In the squat in Thessaloniki, with help of a present translator and with the help of some friends on the phone we could talk to this youth and explain him this episode at the border. We informed him about his current possibilities as well.


In the evening some activists returned to the border and to the petrol station. At the petrol station in Polikastro they found 100 persons, 50 of them waiting under the open sky. They complained about the cold and it was obvious that they didn’t know where they were nor what would follow. Only the persons with some money could stay in the warm petrol station building and provide themselves with food and drink. There were many children, both in and in front of the building, some didn’t even have warm clothes or blankets. Some people tried to warm themselves near fires of garbage in order to stand the temperatures around zero degrees. Nevertheless there are people who benefit from this emergency situation: segregating people and withholding them information instead of bringing them to the existing well operating care infrastructure can be understood as an attempt to oppress self-organized protests and to avoid resistance. This kind of segregation directly at the border makes solidarity nearly impossible.”

 

Bericht vom 26.12.2015: hier (facebook.com/Dublin.kiel/photos/a.471899579639313.1073741828.417107678451837/576810122481591/?type=3&theater) und hier

Bericht vom 27.12.2015: hier (facebook.com/Dublin.kiel/posts/577194442443159) und hier

Weitere Berichte werden in Kürze folgen. Wer über die Tour auf dem neuesten Stand bleiben will, checkt regelmäßig die [nara]-Seite oder den [nara]-Blog oder folgt uns auf twitter (https://twitter.com/no_border_kiel), Hashtag #naraontour. 

 

Weiterhin wird zu Spenden aufgerufen (facebook.com/Dublin.kiel/posts/577898775706059), von denen vor Ort u.a. dringend benötigte Lebensmittel oder warme Kleidung gekauft werden. Morgen startet die zweite Crew aus Kiel Richtung Balkan.

 

Κανείς δεν είναι παράνομος. Ένας κόσμος χωρίς σύνορα είναι το όνειρό μας.

No one is illegal. A world without borders is our dream.

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Einen ausführlichen Bericht zur Situation, wie sie sich am 30. Dezember darstellte, findet ihr hier: http://antiravernetzungsh.noblogs.org/post/2015/12/31/%E2%80%8Enaraontou...