Leipzig – Ausschreitungen rund um Neonazidemo

Polizeibeamte gehen hinter ihren Fahrzeugen auf der Karl-Liebknecht-Straße in Deckung nachdem sie mit Steinen, Rauchkörpern und andere Gegenständen beworfen worden waren

Für den 12. Dezember hatten die drei rechtsextremen Organisationen Die Rechte, Offensive für Deutschland und THÜGIDA einen sogenannten Sternmarsch im Leipziger Stadtteil Connewitz angekündigt. Nach einer längeren Diskussion mit der Stadt Leipzig wurden die drei Demonstrationen letzten Endes auf eine Demonstration mit einer Länge von ca. 600 Metern beschränkt. Im Laufe des Tages kam es zu Ausschreitungen und Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei in Connwitz und der Leipziger Südstadt (viele Bilder vom Tag finden sich auf dem Blog)

 

Freitag 11. Dezember, Vorabenddemo verlief friedlich


Bereits am Vorabend versammelten sich mehr als 1000 AntifaschistInnen am Alexis-Schumann-Platz zu einer Vorabenddemo. Nach einer kurzen Auftaktkundgebung setzte sich die Demonstration in Bewegung und zog durch den linken Leipziger Szenebezirk Connewitz. Die Stimmung war abgesehen von ein paar vereinzelten Böllerwürfen friedlich und kämpferisch.

 

In der Nacht von Freitag auf Samstag kam es zu mehreren Angriffen auf linke Freiräume, so wurde unter anderem das Abgeordnetenbüro des sächsischen Landtagsabgeordneten der Linken, Marco Böhme, mit Steinen attackiert und die Fensterscheibe komplett entglast. Die sächsiche Polizei berichtete über Twitter von weiteren „benennenden Gegenständen“. 

 

Samstag 12. Dezember, Angespannte Stimmung am Morgen


Am Samstagmorgen waren bereits kleinere Gruppen von AntifaschistInnen unterwegs, die immer wieder von der Polizei kontrolliert wurden. Alle 200 Meter hatte sich die Polizei rund um die Aufmarschroute positioniert und kontrollierte vorbeigehende PassantInnen. Niemand wusste so recht, wie der Tag verlaufen würde und so bewegten sich die Kleingruppen scheinbar wahllos durch die Straßen.

 

Gegen 12:00 Uhr begann die erste kleinere Gegen-Kundgebung am Endpunkt der Nazidemo. Um die 100 Personen versammelten sich hier rund um den Lautsprecherwagen.

 

Die Neonazis versammelten sich derweil am S-Bahnhof MDR. Nur 150 waren gekommen, um an diesem Tag in Leipzig zu demonstrieren. Als Versammlungsleiter trat Christian Worch, der Parteivorsitzende der neonazistischen Kleinstpartei Die Rechte, auf. Worch hatte bis zum Jahr 2007 15 Naziaufmärsche in einer Art Demonstrations-Reihe in Leipzig angemeldet. Unter dem sogenannten Frontstadtkonzept versammelten sich am Ende jedoch nur noch etwa 30 Teilnehmer. Hinter Worchs Frontstadtkonzept steckt die Idee gerade dort zu demonstrieren, wo antifaschistische Strukturen besonders stark sind. Diese Strukturen sehen sich dann mit Naziaufmärschen direkt vor ihrer eigenen Haustür konfrontiert und können so neonazistische Strukturen in kleineren Nachbarstädten weniger bekämpfen. Das Konzept kommt scheinbar erneut in Mode. So hatte das HOGESA Bündnis zum „Tag der deutschen Patrioten“ Anfang September nach Hamburg mobilisiert. Die Demonstration war jedoch durch die Ordnungsbehörden verboten worden und Pegida Dresden mobilisiert derzeit auf Facebook zu einer Demonstration durch die eher links geprägten Dresdner Neustadt. 

 

Die Gewalt eskaliert in der Südstadt


Eine Spontandemonstration zog mit etwa 1000 Personen durch die Karl-Liebknecht-Straße. Auf der Höhe Arndtstraße traf die Demonstration auf eine größere Polizeigruppe mit ihren Polizeiautos. Sofort entlud sich die Wut der Demonstranten in Richtung der Polizei, in deren Richtung sofort Steine, Rauchkörper und andere Gegenstände flogen. Die völlig überforderten PolizeibeamtInnen gingen hinter ihren Autos in Deckung, während roter und gelber Rauch die Sicht vernebelte und Böller explodierten.

 

Die Polizei antwortete mit einer Salve Tränengas, die über die Köpfe der DemonstrantInnen hinweg schoss. Das Geschehen verlagerte sich immer weiter die Straße entlang, wo bereits Barrikaden aus den Möbeln der umliegenden Straßencafés errichtet worden waren. Die Polizei konnte nun nur noch zu Fuß vorrücken. Einige Journalisten berichteten später davon, dass Polizisten selbst Steine auf weglaufende Demonstranten geworfen hätten.

 

Als die Polizei vorrückte, nahm sie an der Ecke Karl-Liebknecht-Straße / Shakespearstraße einen Demonstranten aus unerklärlichen Gründen fest. Dieser erlitt dabei eine Kopfplatzwunde, wurde dennoch mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt und wurde dadurch immer wieder bewusstlos. Die herumstehenden Polizeibeamten versorgten den jungen Mann nicht, sondern durchsuchten weiter seinen Rucksack nach eventuell verbotenen Gegenständen. Erst als der am Boden liegende Mann zu krampfen begann, liesen die Beamten Ersthelfer zu dem Verletzten durch, die sofort mit der Versorgung begannen. Eine Videografin, die die ganze Situation mit ihrer Kamera dokumentierte, wurde von den Beamten mehrfach grob zur Seite gestoßen.

 

Zur gleichen Zeit wurde der Jenaer Pfarrer Lothar König wenige Meter weiter brutal von der Polizei festgenommen. Ein Polizist schlug ihm nach Augenzeugenbericht mit der Faust ins Gesicht, weil er ihm nicht sofort die Schlüssel des von ihm gefahrenen Lautsprecherwagens übergeben wollte. Vor Ort wurde König unter anderem Landfriedensbruchs und Widerstands gegen die Staatsgewalt vorgeworfen.

 

An der Aufmarschstrecke der Neonazis bildete sich derweil eine Sitzblockade von mehr als 30 Personen, die auch nach mehrmaliger Aufforderung der Polizei sitzen blieb. Allmählich stellten sich die Neonazis langsam zur Demonstration auf. Ein martialisches Aufgebot vorwiegend schwarz gekleideter Neonazis zog anschließend durch die Leipziger Südstadt. Es wurden Sprechchöre wie „Linkes Gezeter – neun Millimeter“ skandiert.

 

Bereits nach hundert Metern hatten sich einige AntifaschistInnen hinter einem Gartenzaun versammelt und begannen Glasflaschen in Richtung der Neonazis zu werfen. Die Polizei reagierte unmittelbar mit einem massiven Pfefferspray Sprühnebel und schlug die Scheibe eines Hauseingangs ein, um zu den GegendemonstrantInnen zu gelangen.

 

Einige Beteiligte der Sitzblockade lieferten sich ein Gerangel mit der Polizei, wobei erneut massiv Pfefferspray eingesetzt wurde. Einen Polizeibeamten traf der Pfefferstrahl eines Kollegen, worauf hin dieser seinen Schlagstock fallen lies und sich mit stark tränenden Augen in eine Ecke zurück zog. Ein weiterer Polizist schlug zwischenzeitlich mit seinem Pfefferspray wahllos auf die Köpfe der Demonstranten ein, die vor Schmerz zu Boden gingen.

 

Wie in einem Video von Mopo24 ersichtlich, beschoss die Polizei auch eine völlig friedliche Kundgebung mit Tränengas. So ist im Hintergrund des Videos zu hören, wie der Lautsprecherwagen der Kundgebung die Polizei immer wieder auffordert, den Beschuss einzustellen. Ein anderer Fotograf dokumentierte ungefähr zur gleichen Zeit, wie ein weiterer Fotograf bewusst und völlig überzogen durch einen Polizisten aus unmittelbarer Nähe mit Pfefferspray verletzt wurde. 

 

Erneute Eskalation und Wasserwerfer Einsatz


An der Ecke Schenkendorfstraße/Karl Liebknecht Straße eskalierte die Lage erneut. Mehrere Fahrzeuge der Polizei wurden so massiv mit Steinen beworfen, dass sie sich kurzzeitig zurück ziehen mussten, um auf Verstärkung zu warten. Nach und nach rückte man mit drei Wasserwerfern in den Kreuzungsbereich vor. Die DemonstrantInnen waren mittlerweile bereits weiter in Richtung Westen gezogen und errichteten dort brennende Straßenblockaden.

 

Die Polizei begann nun mit einem Räumpanzer und Wasserwerfer die Karl-Liebknecht-Straße in Richtung Connewitzer Kreuz zu räumen. An der Kreuzung standen sich erneut Autonome und Polizei gegenüber. Als eine brennende Mülltonne in Richtung der Beamten geschoben wurde, begannen die Beamten damit alle drei angrenzenden Straßen mit Tränengas einzudecken. Die Wolken waren so dicht, das PassantInnen und DemonstrantInnen in angrenzende Geschäfte flüchteten, um dem beißenden Nebel zu entkommen.

 

Ein Polizei-Gruppenführer gab folgende Anweisung an seine Gruppe:

„Wenn ihr einen von denen erwischt, dann haut ihnen mit dem Knüppel richtig in die Beine und auf den Kopf!“

 

Die sächsische Polizei scheint wohl neue Taktiken bei Ausschreitungen anzuwenden, denn immer wenn in diesem Jahr Tränengas bei Demonstrationen in Deutschland eingesetzt wurde, waren sächsische Beamte nicht weit. Sei es bei der EZB Eröffnung in Frankfurt am 18. März, bei der Neonazidemonstration in Saalfeld am 1. Mai oder bei den Ausschreitungen rechtsextremer Randalierer in Heidenau, immer waren es sächsische Beamte die zum Tränengas griffen.

 

Später wurde bekannt, dass von den in Leipzig verwendeten Tränengaspatronen zahlreiche bereits im Juli 2015 abgelaufen waren und daher nicht mehr verwendet hätten werden dürfen. Dennoch verschossen die Beamten große Mengen im Wohngebiet und wirkten dabei zusätzlich nicht besonders zielsicher. So konnte mehrfach beobachtet werden, dass Beamte direkt auf Kopfhöhe der Demonstranten feuerten oder viel zu hoch und somit auf die Balkone der AnwohnerInnen schossen. Am Heinrich-Schütz-Platz wurden zusätzlich zu zahlreichen Tränengaspatronen Leuchtkugeln verschossen, die den Himmel kurzzeitig taghell machten. Durch den Tränengaseinsatz wurde ein Demonstrant bewusstlos.

 

Stadt und Polizei ziehen Bilanz


Im Nachgang schieben sich Stadt, Polizei und der Verfassungsschutz gegenseitig den schwarzen Peter für die Ursache der Ausschreitungen zu. So behauptete die SPD, die Stadtverwaltung sei nicht ausreichend über das Gewaltpotential der Demonstranten aufgeklärt worden. Der Verfassungsschutz wies diese Anschuldigung mit der Begründung zurück, man habe ausreichende Lagebilder an die Stadt und Polizei weitergeleitet. Die Polizei spricht in ihrer abschließenden Pressemitteilung von „Rechtspopulistischen Bündnissen“, die durch die Südstadt gezogen waren. Eine klare Untertreibung, wenn man sich das Personenpotential insbesondere der neonazistischen Kleinstpartei Die Rechte anschaut, die durch den Verfassungsschutz beobachtet wird.

 

Juliane Nagel, Stadträtin der Linken in Leipzig, warf der Stadt und Polizei vor, sie habe den Gegenprotest bewusst von der Aufmarschstrecke der Neonazis weggetragen. Friedlicher und demokratischer Protest wurde so an den Rand der Demonstration gedrängt und kaum noch möglich, was mit zu den Ausschreitungen geführt habe.

 

Am Ende des Tages sind große Teile von Connewitz verwüstet. Mehrere Banken, und Geschäfte wurden entglast und die Fassaden beschädigt. Das Pflaster ist an vielen Stellen aufgerissen und das Glas der Straßenbahnhaltestellen liegt auf dem Asphalt. Die Polizei zieht mit „23 Gewahrsamsnahmen, 69 verletzten Beamten – wobei zwei Polizisten, einer von ihnen, mindestens vier Wochen dienstunfähig sind, mehreren verletzten Protestteilnehmern, 50 beschädigten Dienstfahrzeugen“ Bilanz. Wie viele Beamten davon durch den völlig überzogenen Einsatz des eigenen Tränengases und Pfeffersprays verletzt wurden, gab die Polizei nicht bekannt.

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Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. hat Zweifel an einseitiger Schuldzuweisung in Bezug auf die Schuld an der Eskalation wie sie bundesweit aber besonders in Leipzig (LVZ & L-iz) medial inszeniert wurde

 

http://www.grundrechtekomitee.de/node/733

https://linksunten.indymedia.org/de/node/162266