“Berlin, du bist so wunderbar, Berlin”. Mit diesem allseits bekannten Slogan wird für das beliebte Bier “Berliner Pilsner” geworben. Doch nicht für alle ist die Hauptstadt so wunderbar wie in der Werbung.
“Es ist wie ein schwarzes Loch in das du reinfällst und wenn du Pech hast nicht wieder rauskommst.”, sagt Uwe. Uwe ist dreiundfünfzig und seit 2007 offiziell arbeitslos.
Auch heute steht er wieder an seinem Stammplatz in der Nähe des Alexanderplatzes. Wie jeden Tag. Wie jeden Tag verkauft er das Obdachlosenmagazin “Straßenfeger”. Denn Uwe ist auch obdachlos.
“So jemand hat es in der Gesellschaft nicht leicht.”, erklärt der kleine, langhaarige Mann und seine Augen wirken glasig vom Alkohol. “Verachtet wirst du von der breiten Masse der Gesellschaft. Asoziales Pack. Drecksvolk. Wie es so weit kam, interessiert hier keinen.”
Er nimmt einen Schluck aus der Bierflasche, die er heute morgen aus einem Mülleimer gefischt hat, trinkt, denkt nach. “Hauptsache denen geht es gut. Hauptsache die können weiter in ihren Bonzenautos die fünf Meter zur Arbeit fahren, ohne sich schmutzig zu machen.”
Mit “die” meint Uwe Unternehmer, Großkonzernbesitzen, Banker, reiche Leute. Deutlich hört man die Verachtung aus seine Worten. Mehr hat er für diese Menschen nicht übrig, sagt er.
Auf die Frage, wie es bei ihm soweit gekommen ist, lässt er mit der Antwort auf sich warten, trinkt lieber noch einen Schluck.
Die Menschen, die vorbeilaufen, machen einen großen Bogen, blicken verachtend, allerhöchstens mitleidig, doch keiner bleibt stehen. Keiner wünscht Uwe schöne Weihnachten oder kauft ihm eines seiner Magazine ab. Dabei ist doch Weihnachten, das Fest der Liebe. “Ach das is doch nur Gerede. In Wahrheit ist es ja nur eine einzige Konsumgeilheit. Weihnachten, der Orgasmus des Kapitalismus sozusagen. Na ja, wird wenigstens die Wirtschaft wieder angekurbelt.” Die Ironie in seinen Worten ist nicht zu überhören.
Nicht einmal ein Lächeln hat jemand für den Mann mit den löchrigen Schuhen und der dreckigen Kleidung übrig.
Schließlich erzählt er doch noch seine Geschichte.
Früher war Uwe verheiratet. Glücklich, hatte Informationswissenschaft studiert und einen mehr oder weniger lukrativen Job gehabt. Bis von einem Moment auf den anderen seine Welt vollkommen aus dem Rhythmus geriet.
Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, durch einen schweren Autounfall, verfiel Uwe immer mehr dem Alkohol, verlor seinen Job, brach das Studium ab. Fand, so sehr er sich auch bemühte, keinen neuen Arbeitsplatz. “ Wer will schon einen hochverschuldeten Alkoholiker?” Uwe sieht aus, als ließe er gerade die letzten erlebten Jahre Revue passieren. “Eines Tages hab ich dann das Haus verkauft, dachte: Das wird schon wieder. Irgendwo find ich schon ne neue Unterkunft”, erzählt er. “Tja, da hab ich’s mir wohl einfacher vorgestellt als es ist. “ Bis heute hat Uwe keine neue Bleibe gefunden und seine Schulden immer noch nicht vollständig begleichen können.
Traurig blickt er auf die Zeitungen in seiner Hand: “So schnell kann es gehen. So schnell landest du auf der Straße.”
Natürlich könnte er in eine der Obdachlosenunterkünfte gehen, doch das will Uwe nicht. “Kalt ist es da und dreckig. Manchmal gibt es nicht mal eine Decke.”, sagt er. “Krankheiten gehen um. Und dann der Alkohol.”, er hält kurz inne, nimmt einen kräftigen Schluck, als wolle er seine Aussage bestätigen, fährt dann fort: “Der macht dich krank, manche auch aggressiv. Gegen die hast du keinen Chance. Sie vertreiben dich in die hinterste Ecke, in das dunkelste, kälteste Zimmer. Wenn du Glück hast verprügeln sie dich nicht und lassen dich einfach in Ruhe. Aber dafür machen sie einen Höllenlärm, damit du ja kein Auge zu tun kannst.”
Deshalb schläft Uwe lieber auf der Straße. Einen festen Platz zum übernachten hat er nicht. Manchmal ist ein anderer an der Stelle, die er sich vor einigen Stunden gesucht hat, doch Uwe will keinen Streit, nimmt dann seine Sachen und macht sich erneut auf die Suche. Gerade jetzt, in der Weihnachtszeit, fallen die Temperaturen Nachts bis weit unter den Gefrierpunkt. “Da ist es schwer die Kälte zu ignorieren.”, meint Uwe. Doch etwas anderes bleibt ihm und seinen Leidensgenossen oft nicht übrig. “Du darfst nicht daran denken, dass du vielleicht am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen wirst.” Zwei Jahre auf der Straße haben ihn abgehärtet. “Aber ein bisschen Angst ist immer da.”, gesteht er und richtet sich langsam auf. “Es gab einen, Peter, der hat’s nicht geschafft. Ist vor ein paar Tagen gestorben. Hat die Kälte nicht überstanden.”, sein Blick schweift in die Ferne:” Er war mein Freund.”
In diesem Augenblick wirkt der kleine Mann mit den langen Haaren sehr verloren.
“Mit dem Essen ist es etwas einfacher.”, sagt er dann, fährt sich mit der Hand übers Gesicht. “Da gibt es die Tafel.”
Uwe geht so oft es geht zur “Tafel”. Vor diesen Leuten hat er Respekt. Bewundert ihre Hilfsbereitschaft. Einige von ihnen kennt er von früher, als sein Leben noch in geregelte Bahnen verlief. Sie haben ihm Hilfe angeboten, doch dafür ist Uwe zu stolz. Das muss er jetzt selbst auf die Reihe kriegen, erklärt er.
So wie Uwe, geht es noch vielen anderen Menschen hier in der Hauptstadt. Alle haben sie ähnliche Geschichten. Manche haben sich damit abgefunden. Uwe nicht.
Seit fast neun Monaten sucht er jetzt schon nach einem neuen Job. Später einmal, sagt er, will er sein abgebrochenes Studium nachholen und ein Haus in Potsdam kaufen. Doch bis dahin wird er jeden Tag aufs neue an seinem Stammplatz oder in der U- Bahn den “Straßenfeger” verkaufen, die Mülleimer nach Pfandflaschen durchsuchen und darauf hoffen einigen hilfsbereiten Menschen zu begegnen. Jeden Tag aufs Neue.
Danke..
für den Artikel. Bewegt sehr - auch nachdem mensch immer wieder Menschen mit ähnlichen Lebensinhalten, Situationen trifft.